196.30 Brief Samek an RA Robert Herrmann und RA Felix Gallia

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XV., Rudolfsheim-Fünfhaus
Datum: 15. Mai 1935
Betreff: Kraus – Arbeiter-Zeitung
Diktiersigle: Dr.S/Fa.

Empfänger

An: die | Herren | Dres. Robert Herrmann und Felix Gallia, | Advocaten
Masarykstrasse | 25/27
Brünn
Seite von 2

Sehr geehrte Herren Kollegen!

Ich bestätige mit bestem Dank den EmpfangIhres freundlichen Schreibens vom 3. Mai 1935. Es wundert mich, dassder Richter auf eine so allgemein gehaltene Bereitwilligkeit, denWahrheitsbeweis anzutreten, eingegangen ist, und noch mehr, auf dasVerschleppungsmanöver des Herrn Schramek, ihn durch einen Prozess-akt zu führen und durch Beweismaterial, das einen ganz anderenInhalt hat, als die beleidigenden Behauptungen der Arbeiter-Zeitung.Diese gehen nämlich noch weit über das hinaus, wofür sich derPrager Sozialdemokrat zu verantworten hat, der – um die dortigenBeleidigungen kurz zusammen zu fassen – behauptet hatte, Kraus habe sich gleichgeschaltet, seine Invektiven gegen die sozialde-mokratische Partei seien dadurch hervorgerufen worden, dass manihm den elektrischen Strom abgeschnitten habe, er stelle einenausgewachsenen Zuchthäusler über Lassalle; es sei ein Verfall,der in der Tiefe des Absturzes wohl den Gerhart Hauptmanns über-treffe; Kraus versuche, die cechoslovakischen Behörden gegen dieösterreichische Emigration und gegen einzelne Schriftsteller auf-zuputschen und könnte sich noch den Ruhm erwerben, aus demDichter der „Letzten Tage der Menschheit“ der Zutreiber des

österreichischen Henkers geworden zu sein. Sie wissen, sehrgeehrte Herrn Kollegen, dass die in der Arbeiter-Zeitung ver-öffentlichten Beleidigungen Herrn Kraus konkrete Vorwürfemachen, nämlich, dass er, um dem Konzentrationslager zu ent-gehen, seine Haltung geändert habe, dass er, um Profit zumachen, ein Zuhälter der Macht geworden sei, ein Leisetreterund dergleichen mehr. Selbst dann, wenn Herr Kraus das umfang-reiche Beweisverfahren im Prager Prozess für den Brünner Prozess als präjudiziell ansehen wollte, was er aber gewiss nicht tut,und dort der Wahrheitsbeweis gelänge, was ich aber für ausge-schlossen halte, könnte dieser Wahrheitsbeweis nicht auch denBeweis der Wahrheit der Behauptungen der Arbeiter-Zeitung er-bringen. Ich halte das ganze für eine Taktik, den Prozesshinauszuziehen und glaube, dass man dem Richter in Brünn nahe-legen sollte, sich zwar den Prager Prozessakt anzusehen, aberdann in der Sache selbst weiter vorzugehen: Im Prager Prozessist es nämlich dem Verteidiger gelungen, die Entscheidung da-durch hinauszuschieben, dass er eine Uebersetzung von mehr als3000 Seiten der Fackel vorzulegen sich erbötig machte und hiezueine Frist bis September 1935 erhielt. Von einem solchen Irrwegmöchte ich das Brünner Gericht doch abhalten und insbesonderevermeiden, dass der Brünner Richter die Ansicht bekäme, dasses sich um zwei ganz gleiche Prozesse handle. Dies schon deshalb,weil auch das Strafausmass durch eine solche Ansicht beeinflusstwerden könnte.

Ich zeichnemit vorzüglicher kollegialerHochachtung

Betr. KrausArbeiter-Zeitung exp. 15.5.1935.