202.1 Übersetzung des in Nummer 134 der Tageszeitung Ceské slovo in der Gerichtssaalrubrik veröffentlichten Berichtes

Materialitätstyp:

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Datum: 8. Juni 1936
Seite von 2

Uebersetzung

des in Nummer 134 der Tageszeitung „ČESKÉ SLOVO“ in der Gericht-saalrubrik veröffentlichten Berichtes:

Karl Kraus klagt wiederum/ Pressesenat des Gerichtsrates Dr. Illner /Prag, 8. Juni / si. /

Karl Kraus, der Wiener Herausgeber, ver-antwortliche Redakteur und einzige Autor der unperiodisch-periodi-schen Zeitschrift „Die Fackel“, besitzt bei uns nicht das Heimats-recht, aber wird es bald bei den Pressesenaten ersessen haben.Ohne uns in eine wie immer geartete Kritik seiner journalistischenTätigkeit einlassen zu wollen, können wir nur konstatieren, dass KarlKraus immer ein Oppositioneller war. Vor dem Kriege schrieb er flottgegen den Liberalismus und die Demokratie und die Konservativenhaben / sich / ihn sehr gelobt. Während des Krieges wurde er unzähli-gemale konfisziert, weil er einen scharfen Standpunkt gegen dieHabsburger eingenommen hat. Damit fand er einige Jahre sein Auslangen.Aber dann, als in Oesterreich die Sozialdemokraten das Regierungs-steuer- und Ruder in die Hand genommen haben, begann er sich langsamzu wenden / wörtlich: „begann er sich langsam zu drehen /, denn er hat-te kein Organ / tschechisch buňky = bedeutet Zelle / für eine konstruk-tive Tätigkeit. Er konnte sich noch gegen den Versucheines monarchistischen Umsturzes in Ungarn erhitzen / „schon wiederzehren / ? / alle Diebe in das durch sie verarmte Haus“ /, aber etwasPositives hat er mit seiner FACKEL nicht getan. Als es in Oester-reich zu den Feberstürmen kam, hat Herr Karl Kraus eine unbeugsameStellung gegen die sozialdemokratischen Arbeiter eingenommen. Auchhier hat er sich als Wiener-Oppositioneller gezeigt. Später hater eine sehr ungünstige Haltung zu unserer Demokratie eingenommen,welche er / wir zitieren die Klageschrift / ? / als „beispiellose Dumm-heit“ bezeichnete. Nach dieser Schrift / wir hatten nicht die Mög-lichkeit, diese nachzuprüfen / schrieb er über den 28. Oktober 1918,dass „die Parteien den Hausherrn hinausgeworfen haben“.

Er hat sich auch sehr unanständige Bemerkungen gegen den Präsiden-ten der Republik nicht erspart / wörtlich: „nicht verziehen“ /, trotz-

dem er angeblich sehr oft unsere Gastfreundschaft geniesst.

Im Gerichtsaal haben wir dem Namen Karl Kraus schonoft begegnet. Es scheint, dass Herr Karl Kraus es sich abge-wöhnt hat, seine politischen Rechnungen auf den Seiten seinesBlattes zu erledigen und dass er – ebenso wie manche Herren ausdem Henleinlager – unser Pressegesetz gründlich auszunützen gedenkt.Einmal hat er sogar deswegen geklagt, weil ein gewisses Blatt seine Verse mit fehlerhafter Interpunktion abgedruckt hat.

Diesmal klagt er Lucien Vernier / ? /, welcher in der Zeit-schrift „AUFRUF“ einen Artikel unter dem Titel „Die Fackelschwelt“ / Fackel = pochodeň / geschrieben hat. In diesem Artikel einer Zeitschrift, die das offizielle Organ der Liga für Menschen-rechte ist, war Karl Kraus beschuldigt, dass er vom ehemaligenVicekanzler Fey / jetzt Funktionär einer kapitalistischen Gesell-schaft / beeinflusst wird. In diesem Artikel wird gesagt, dassdie Verunglimpfung der österreichischen Arbeiter“, welche dieFACKEL begangen hat, „noch schwerer wäre, wenn man ihr nicht alsmildernden Umstand zuerkennen könnte, sie zeige deutlich para-noische Züge“.

Karl Kraus hat dies geklagt. Aber die Klagebeantwortungbehauptet, er könne sich dies sehr leicht erlauben, weil die Re-daktion des Blattes Herrn K. nicht klagen kann, denn das öster-reichische autoritäre Regime, würde sich selbstverständlich desHerrn Karl Kraus annehmen und die Klage abweisen.

Wir können hier nicht in Details eingehen. Herr KarlKraus klagt sehr gerne und wir möchten nicht gerne auf seineRechnung zum Opfer des Pressgesetzes werden. Deswegen konstatie-ren wir nur, dass die Verhandlung vertagt wurde, damit weitereBeweise beantragt werden können.

10. JUNI 1936KrausAufruf