195.46 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 9.VI.1936
Betreff: Karl Kraus – Varia

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

Zu meinem gestrigen Berichte über dieHauptverhandlung in Sachen „AUFRUFButschowitzBill hätteich noch mitzuteilen, dass diesmal 2 Gerichtssaalberichterstat-ter anwesend waren, die sich Notizen machten und deren einemDr. Bill seine Schriftsätze zeigte. Ich habe mich erkundigt,für welche Blätter die betreffenden Berichterstatter arbeiten,und erfuhr, dass einer für das „ČESKÉ SLOVO“, der andere fürdie Sudetendeutsche Zeitung „DIE ZEIT“ schreibt. Beide Herrensahen mir weniger nach Germanen und Slaven, als nach Israelitenaus. Ich habe mit ihnen natürlich nicht gesprochen.

Heute fand ich in der Morgenausgabe des„České slovo“ einen Bericht, dessen Uebersetzung ich Ihnen ein-sende. In der ZEIT habe ich bisher keinen Bericht gefunden.

Wie Sie aus dem Artikel des České Slovo ersehen, ist der Autor nicht viel gescheiter als Dr. Bill, aberoffenbar nicht weniger lumpig als dieser. Es scheint eine Ver-einbarung aller Blätter zu bestehen, nach welcher Herr K. zurUeberreichung von Presseklagen provoziert werden soll, gegenwelche dann gleichartige Einwendungen erhoben werden sollen.Nämlich, dass Herr K. demokratische Schriftsteller vor das Gerichteines demokratischen Staates bringt und unser Pressegesetz miss-

braucht, selbst aber vor Klagen seitens der von ihm Angegriffenendurch den Schutz, den ihm im Prozessfalle die österreichischenGerichte angedeihen liessen, gefeit ist. Dass er unsere Demo-kratie und unseren Präsidenten angegriffen und die tschechischeNation geschmäht hat.

Alle diese Behauptungen können natürlichglatt widerlegt werden, ich kann mich jedoch des Eindruckesnicht erwehren, dass derartige Behauptungen, selbst wenn sievon einem so gerichtsnotorischen Trottel vorgebracht werden,wie es Dr. Bill ist, auf das Gericht irgendwie Eindruck machen.Leider muss ich auch zugeben, dass unsere Pressesenate der ansie gestellten Aufgabe nicht gewachsen sind und dass sich auchin Fällen, in denen keine persönliche Abneigung oder Animositätder Richter gegen eine der Parteien vorliegt, immer wieder zeigt,dass das Ende eines Pressprozesses überhaupt nicht abzusehen ist.Ich musste gestern 2 Stunden auf die Verhandlung gegen Dr. Bill warten und war während dieser Zeit als Zuhörer im Verhandlungs-saal anwesend. Es wurden zwei politische Pressprozesse abgehan-delt, denen ein ganz einfacher Tatbestand zugrundegelegt war.Ich habe mich bei den Anwälten erkundigt, seit wann diese Prozes-se anhängig sind und erfahren, dass beide schon mehr als zweiJahre geführt werden. Darin scheint mir die unverkennbare Ten-denz des Gerichtes festzustehen, die Parteien durch wiederholteVertagungen und durch ein Hinausziehen des Prozesses ins Unend-liche mürbe zu machen und sie zu einem Vergleiche zu zwingen.Sie werden sich, wie das Gericht gewiss nicht mit Unrecht annimmt,zu einem Vergleiche eher entschliessen, wenn die verhandelte An-gelegenheit ihre Aktualität verliert und das Interesse an einem

Urteile nicht mehr so brennend ist, wie unmittelbar nach derVeröffentlichung des betreffenden beleidigenden Artikels.

Diese Tendenz scheint, wie gesagt, allgemein vorzu-liegen und nicht nur gegen die Person des Herrn K. gerichtetzu sein. Dieser stehen allerdings die Richter, wie ich heuteauf Grund der gemachten Erfahrung feststellen muss, vollkommenverständnislos gegenüber. Ich habe mir gewiss alle Mühe gege-ben, den Richtern einen Begriff davon zu machen, um wen essich handelt und wie niederträchtig die Angriffe der Journa-listen sind. Trotz diesen Bemühungen habe ich bisher nichtkonstatieren können, dass die Richter auch nur eine Ahnungvon der Prozessmaterie haben und ich glaube, dass sie in ihrerVorstellung mit der Person des Herrn K. der Begriff des Anti-demokraten und reaktionären Pamphletisten verknüpft ist, derin seiner Zeitschrift Andere schmäht und sich deshalb gegenSchmähungen dieser von ihm Angegriffenen nicht zu empfindlichzeigen dürfte. Durch den Umstand, dass „Die Fackel“ deutschgeschrieben ist und ihrem Inhalte nach, selbst wenn sie tsche-chisch geschrieben wäre oder ins Tschechische übersetzt werdenkönnte, Leuten von dem geistigen Niveau unserer Richter nichtzugänglich ist, wird es mir ausserordentlich schwer gemacht,diesen bei den Richtern offenbar vorherrschenden Eindruck zubeseitigen. Ich bin der Ansicht, dass es doch dringend gebotenwäre, einmal einen Tschechen mit klangvollem Namen als Zeugenauftreten zu lassen, etwa Otakar Fischer, Karel Čapek, Hora, odersonst einen bedeutenden Schriftsteller, der zwar von den Rich-

tern höchstwahrscheinlich auch nicht gelesen und verstandenwird, vor dessen Berühmtheit sie jedoch Respekt hätten. Wennein derartiger Mann einmal für Herrn Kraus Zeugenschaft ab-legen würde, dann wäre, wie ich glaube, das Vorurteil einfür allemal behoben und die Richter würden endlich daran ge-hen, sich mit der Prozessmaterie sachlich zu befassen undüber Behauptungen, die mit der Prozessmaterie nichts zu tunhaben, hinweg zu gehen. Ich bin überzeugt, dass jeder dergenannten drei Schriftsteller, mag er nun dermalen zu HerrnK. wie immer stehen, die Haltlosigkeit der betreffenden Be-hauptungen bestätigen würde. Die Vorlage der betreffenden Ar-tikel aus der Festschrift, aus dem „Panorama“, etc. scheint mirhiezu deshalb nicht auszureichen, weil die Richter diese Ar-tikel nicht lesen und wenn sie sie lesen, nicht verstehenwerden.

Es wird Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor,als Anwalt, vielleicht merkwürdig erscheinen, dass ein Advokatüber die Gerichte seines Staates ein derartiges Urteil abgibt.Aber es ist nun einmal so, eine Gruppe von unserer Richterist unfähig, der Nachwuchs ist zwar ganz gut, gewissenhaftund auch hinreichend geschult, aber die älteren Referenten, zudenen leider auch die Mitglieder der Pressesenate mit ganzgeringen Ausnahmen gehören, taugen nichts.

Und deswegen habe ich bei jeder neuen An-gelegenheit, welche ich für Herrn K. zu behandeln habe, eineinigermassen banges Gefühl. Ich selbst bin überzeugt, dassman gegen das Pressegesindel vorgehen muss, trotzdem ich voraus-sehe, dass jeder Fall einen neuen nach sich zieht und dass man

zu keinem Ende gelangt. Wenn dies auch wohl im Wesen der Sacheliegt – eine Persönlichkeit wie Herr K. wird immer wieder vonder Journaille angekläfft werden – so verhindern die oben ge-schilderten Umstände den angestrebten Erfolg oder sie verzögernihn wenigstens in einem Masse, durch welches er vielleicht über-haupt problematisch wird. Und das ist es, was mir bei der Ver-tretung des Herrn K., die ich als vornehmsten Zweig meiner Be-rufstätigkeit ansehe und der ich mich gerne mit allen meinenKräften widme, Kummer und Aufregungen bereitet, weil ich be-fürchte, dass der Verlauf der mir übertragenen Angelegenheitenauch Herrn K. um seine Ruhe bringt und stört.

Von diesem Gesichtspunkte aus steigen bei mirZweifel darüber auf, ob man das Pressegesindel immer weiter ver-folgen soll oder ob es nicht geboten wäre, es zu ignorieren.

Ich bitte, mir mitzuteilen, ob der Autor desim „České Slovo“ erschienenen Berichtes, sowie der verantwort-liche Redakteur geklagt werden sollen. Der Bericht bietet auch,wie Sie sehen werden, die Möglichkeit für eine Presseberichti-gung.

Ich möchte nur noch bemerken, dass das ČESKÉSLOVO, nämlich die Ausgabe, in welcher dieser Artikel erschienenist, administrativ mit der Abendausgabe des ČESKÉ SLOVO, derenRedakteur Jan Münzer ist, nichts zu tun hat. Trotzdem zweifle ichnicht daran, dass Münzer von dem Artikel noch vor der Veröffent-lichung wusste und ich finde es trotz allem, was ich im Laufe

des Prozesses Melantrich über diesen Herrn und seinen Charak-ter erfahren musste, unbegreiflich, dass er das Erscheinendes Berichtes nicht inhibiert hat. Vielleicht wollten dieHerren vom ČESKÉ SLOVO für die Berufungsverhandlung im Melant-richprozesse auf diese Art Stimmung machen. Ich hoffe, dassihnen dies nicht gelingen wird.

Ich wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor,sehr verbunden wenn Sie mir bald mitteilen wollten, ob esHerrn K. wieder gut geht und ihm meine herzlichsten Grüssebestellen wollten.

Ich zeichne mit dem Ausdrucke der vorzüglich-sten Hochachtung und mit besten Grüssen

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

10. JUNI 1936KrausDiverses