2.4 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U I 3/23/4, Richter: Christoph Höflmayr, Verteidiger: Heinrich Foglar-Deinhardstein)

Materialitätstyp:

  • Typoskript
Datum: 13. Januar 1923
Seite von 4

Geschäftszahl U I 3/234

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwartdes Privatanklägers Karl Krausund seines Vertreters Dr. Oskar Samekin Abwesenheitdes Angeklagten Karl Schiffleitner und in Gegenwartdes Verteidigers Dr. Heinrich Foglar-Deinhartstein über die Anklage verhandelt, die der Privat-ankläger gegen Karl Schiffleitner 26. J. verh, verantwortlicher Redakteur derReichspostwegen der Übertretung des § 23 Preß Ges. erhoben hatte,und über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Betstrafung und ver-öffentlichung der Berichtigungzu Recht erkannt: I. wird festgestellt: von der Berichtigung, dieder Privatankläger mit Bezug auf den mit der Ueberschrift „EinKreislauf“ in der Nummer 319 der „Reichspost“ vom 29./XI.1922abgedruckten Artikel dem verantwortlichen Redakteur Karl Schiff-leitner der erwähnten Zeitung zur Veröffentlichung zukommen ließ,sind zu veröffentlichen:

30. NovemberAn den verantwortlichen Redakteur der „ReichspostWien VIII. Strozzigasse Gemäss § 23 P.G. werden Sie aufgefordert, die folgende Berichti-gung des in Nr. 319 der „Reichspost“ vom 29. November 1922

erschienenen, meinen Mandanten betreffenden Artikels „Ein Kreis-lauf“ abzudrucken:

Es ist unwahr, dass es in der im Novemberheft der „Fackel“ veröffentlichten Rede heisst, Karl Kraus sei „einst“ durch denleidigen Zufall der Geburt in die jüdische Glaubensgenossenschaftgeraten. Wahr ist, dass es dort heisst, er habe „einst die jüdi-sche Glaubensgenossenschaft“, in die er durch den leidigen Zufallder Geburt geraten war, „verlassen“. Es ist unwahr, dass es dortheisst, er habe eine Zeitlang „der bequemen Konfessionslosigkeitgehuldigt. Wahr ist, dass es dort heisst, er habe sich „nach einerZeit der bequemen und nie genug gewürdigten Konfessionslosigkeitvon einem Teufel in den Schoß der alleinseligmachenden Kirchen ver-führen lassen“. Es ist unwahr, dass es dort heisst, er habe diesohne zwingenden Grund“ des Glaubens oder des Geschäftes getan.Wahr ist, dass es dort heisst: „Man mag mich verdammen, weil ichohne einen zwingenden Grund, sei es der speziell in die katholischeRichtung gewandte Glaube, sei es das häufigere Motiv politischenoder sozialen Strebens, also jener Konversion, die die Konversioneines Geschäftes ist, sie vollzogen habe.“ Es ist unwahr, dass esdort heisst: Krauswurde also Katholik und blieb eswunderbarer Weise noch während des Weltkrieges“. Wahr ist, dassder Satz lautet: „Wie dem immer sei, ich wurde Katholik und ich bliebes wunderbarer Weise noch während des Weltkrieges …“. Es ist un-wahr, dass es dort heisst, nun aber sehe er sich „genötigt, wieder ausder katholischen Kirche auszutreten, hauptsächlich aus Antisemitismus“.Wahr ist, dass der Satz mit den Worten schliesst: „sehe ich michgenötigt, aus der katholischen Kirche auszutreten, nicht nuraus Gründen einer Menschlichkeit, die bei den Hirten in so schlech-ter Obhut ist, sondern hauptsächlich aus Antisemitismus“. Es istunwahr, dass es dort heisst: und endlich „war die katholische Kirchenicht einmal zu einem Bannstrahl gegen die Dynasten zu haben“.Wahr ist, dass der Satz mit den Worten beginnt: „Aber nicht genugan dem: die katholische Kirche, die nicht einmal einem konstenlosenBannstrahl gegen die Dynasten zu haben war, welche den Völkern dasUltimatum der Pest und der Syphilis überbracht haben ........Dr Samek

II. Karl Schiffleitner wird verpflichtet, diesen Teil der Berichti-gung in der nächsten oder zweitnächsten Nummer nach Zustellungdes Urteiles in demselben Teile der genannten Zeitung und in dergleichen Schrift, wie die zu berichtigende Mitteilung ohne Ent-gelt zu veröffentlichen. Würde die genannte Zeitung den obenfestgesetzten Teil der Berichtigung spätestens in der zweitnäch-sten Nummer die nach Zustellung des Urteiles erscheinen wird, nichtbringen, so darf diese Zeitung nicht mehr erscheinen.III. Karl Schiffleitner wird von der Anklage wegen Uebertretungnach § 23 Press Ges., angeblich begangen dadurch, dass er als ver-antwortlicher Redakteur der genannten Zeitung sich grundlos wei-gerte, die ihm mit Bezug auf den mit der Ueberschrift „Ein Kreis-lauf“ in der Nr. 319 der „Reichspost“ vom 29./XI. 1922 zugekomme-ne Berichtigung zu veröffentlichen, gemäߧ 259/3 St.P.O. freigesprochen.

Gründe:

Bei der Urteilsfällung waren für das Gericht nachstehende Erwä-gungen maßgebend:

Die ganze Berichtigung gliedert sich in 7 Punkte; die ersten 6,beginnend mit den Worten „Es ist unwahr, dass es im Novemberheft ......und schließendSyphilis überbracht zu haben“ entsprechend nachder Ansicht des Gerichtes vollständig dem Gesetze. Sie sindreine Tatsachenberichtigungen, es handelt sich nämlich darum, obdie in der Reichspost angeführten Teile einer in der Nr. 601 –607 (November 1922) der „Fackel“ abgedruckten Rede, tatsäch-lich in der genannten Nummer der Fackel gestanden sind.

In der Berichtigung ist stets gesagt, welche Stellen richtig undwelche unrichtig sind, ob die Zitierung bestimmter Worte, diein der fraglichen in der „Fackel“ abgedruckten Rede enthaltenensind, im inkriminierten Artikel der „Reichspostvorgenommen wurde oder nicht, ist eine Tatsache und kann als solche berichtigt werden.

Anders verhält es sich nach der Anschauung des Gerichtes hin-sichtlich des Punktes 7 „Es ist unwahr, daß eifrige Anlehnungen ……. zur Wahrscheinlichkeit machen …… wahr ist ……. die Redeist.“ Dieser Punkt entspricht nicht dem Gesetz, denn die Berichti-gung enthält in diesem Punkte nicht eine Berichtigung mitgeteil-

ter Tatsachen, da der Umstand, daß eifrige Anlehnungen etwas zurWahrscheinlichkeit machen, eine Meinung und keine Tatsache ist,selbst wenn es richtig sein mag, dass dieser Meinung Tatsachen zugrun-de liegen. Der Punkt 7 ist daher nicht berichtigungsfähig.Da die Berichtigung auch Stellen (Punkt 7 der Berichtigung) ent-hält, die nicht eine Berichtigung mitgeteilter Tatsachen sind,so konnte ihre Veröffentlichung daher in der vorliegenden Formvom Beschuldigten abgelehnt werden und das Gericht hatte im Sinnedes § 24 (3) festzustellen, was von der Berichtigung zu veröffentlichenist, und den Beschuldigten freizusprechen.

Wien, am 13. Jänner 1923

[Unterschrift][Unterschrift]

Eingelangt am 17. JAN 1923