12.13 Ausführung der Berufung

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 12. Mai 1925
Seite von 6

U I 109/25

An dasStrafbezirksgericht I.in Wien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller, Wien III. Hintere Zoll-amtsstrasse 3 durch:

Beschuldigter: Dr. Fritz Kaufmann, verantwortlicher Schriftleiter derZeitung „Die Stunde“ in Wien I. Wipplingerstrasse 32.

wegen §§ 23, 24 Abs. 2 Ziffer 1 u. 2 Pressgesetz 2 fach,

Ausführung der Berufung.

Gegen den freisprechenden Teil des Urteiles des Straf-bezirksgerichtes I in Wien vom 25. April 1925 G. Zl. U I 109/25/3habe ich die Berufung angemeldet und zur Ausführung der Be-rufung eine schriftliche Ausfertigung des Urteiles erboten. Diesewurde meinem Vertreter Dr. Oskar Samek am 5. Mai 1925 zugestellt.Fristgerecht erstatte ich durch ihn folgendeAusführung der Berufung:

Ich mache den Nichtigkeitsgrund der Ziffer 9a des§ 281 STPO geltend.

Der Beschuldigte wurde von der Anklage, die verlangteBerichtigung verpätet veröffentlicht und hiedurch die Ueber-tretung nach § 24 Abs. 2 Zl. 1 Pressgesetz begangen zu haben, mitder Begründung freigesprochen, dass der Beschuldigte zur Ver-öffentlichung der verlangten Ber uf ichtig ung wegen des Verlangensder Reproduktion des Bildes nicht verpflichtet gewesen sei, daeine solche Berichtigung den Vorschriften des Pressgesetzes nichtentsprochen habe, was aus dem Wortlaute des § 23 Pressgesetzes hervorgehe, wonach die Veröffentlichung in „derselben Schrifterfolgen müsse.

Diese Worte berechtigen aber nach den gesetzlichenAuslegungsregeln keinesfalls zu dem Schlusse, dass Mitteilungenwelche nicht durch Worte in Schriftform veröffentlicht wurdennicht berichtigungsfähig seien, sie berechtigen auch nicht zudem Schlusse, dass die Berichtigung nur durch Worte und Schrifterfolgen müsse. Die Worte „in der gleichen Schrift wie die zu be-richtigende Mitteilung“ wurden vom Gesetzgeber deshalb aufgenommen,um zu verhindern, dass die Berichtigung durch kleinere Schrift-zeichen unauffällig gemacht und der Aufmerksamkeit minder sorg-fältiger Leser entzogen werde. Diese, den Berichtigungswerberschützende Bestimmung, zu seinem Nachteile so auszulegen, dasser gegen jede nicht in Schriftform veröffentlichte Mitteilungschutzlos wird, geht doch nicht an. Das Urteil erster Instanz

verwendet hier ein Argumentum a contrario vollständig unrich-tig. Ein solches Argument muss an und für sich mit besondererVorsicht verwendet werden, da es im Grunde genommen an und fürsich unlogisch ist, weil niemals daraus folgt, dass ein Gesetz füreinen bestimmten Fall nicht gilt, weil es für einen anderen Fallgilt. Dazu müsste erst als unbedingt sicher angenommen werden,dass der Gesetzgeber die Regel nur für den betreffenden Fallaufstellen wollte. Hätte aber der Gesetzgeber nur die Berich-tigung der durch Worte veröffentlichten Mitteilungen zulassenwollen, so hätte er dies bestimmt ausdrücklich gesagt. DieseMöglichkeit ist umsomehr abzulehnen, als an eine Berichtigungdurch Bilder damals noch nicht gedacht werden konnte, da auch dieBerichterstattung durch Bilder erst in den letzten Jahren überhandgenommen hat und förmlich eine neue Publizistik des photographi-schen Ausdruckes entstanden ist.

Es muss daher angenommen werden, dass der Gesetzgeberjede Mitteilung von Tatsachen als berichtigungsfähig anerkannthat und dass die Berichtigung in der vom Berichtigungswerberverlangten Form gebracht werden muss, wenn sie nicht einer aus-drücklichen Gesetzesbestimmung widerspricht. Das Verlangen,ein unrichtiges Bild, also eine unrichtige Tatsache durch dieGegenüberstellung des richtigen Bildes zu berichtigen, ist daherim Gesetze begründet. Ja es gibt sogar Tatsachen, welche ü-berhaupt nicht durch Worte berichtet und deren Mit-teilung infolgedessen auch nicht durch Worte berichtigt wer-den könnte, z.b. wenn eine Zeitung einen Bericht brächte, dass einetechnische Erfindung, wie in einer Zeichnung dargestellt wird, aus-sehe: in welcher Form sollte die Berichtigung erfolgen als durchdie Gegenüberstellung der richtigen Zeichnung, wenn die ersteein unrichtiges Bild der Erfindung gibt.

Es wird sich nur um die weitere Frage handeln, ob dasBild, durch welches die Berichtigung erfolgen soll, in der ver-

langten Grösse gebracht werden muss. Um diese Frage zu beant-worten, wäre bloss zu entscheiden, ob das Wort „Schrift“ überhauptnur in dem Sinn von „Wortzeichen“ aufzufassen ist oder ob nichtvielmehr, was meine Ansicht ist, der Gesetzgeber durch das WortSchrift jedes Ausdrucksmittel bezeichnen wollte, durch das eineTatsache mitgeteilt werden kann. Die Ausdrucksfähigkeit der bild-lichen Darstellung ist sogar eine viel stärkere als die der wört-lichen, weil sie vorweg gegeben und unmittelbar ist, in dem sie sichnicht an den rekonstruierenden Verstand, sondern an den Sinn desAuges wendet und gleichsam auf den ersten Blick tatsächliche Ver-änderungen kontrollieren und feststellen lässt. Wenn man daher an-nimmt, dass die Worte „in der gleichen Schrift wie die zu berichti-gende Mitteilung“ überhaupt etwas anderes besagen wollten als, dassdurch Worte mitgeteiltes in der gleichen Schriftform zu berichtigenist, so lassen diese Worte nur die Auslegung zu, dass alles was zurMitteilung einer Tatsache geeignet ist, in der gleichen Ausdrucks-form als Berichtigung gebracht werden muss. Kann nun etwas durch einBild mitgeteilt werden, so kann es auch durch ein Bild berichtigtwerden; bedient sich die Zeitung zur Mitteilung einer Tatsache einesBildes, so muss sie zur Berichtigung der Mitteilung ein Bild ver-öffentlichen. Für diese Ansicht spricht auch noch, dass das im altenPressgesetze dem Worte Schrift in Klammern beigefügte Wort „Letternim neuen Pressgesetz fehlt und dass der § 28 des Pressgesetzent-wurfes aus dem Jahre 1919 (402 der Beilagen zum stenographischenProtokoll der konstituierenden Nationalversammlung) folgendermassenlautet: „Die Entgegnung muss ohne Einschaltungen und Weglassungen inder ersten oder zweiten, nach ihrem Einlangen erscheinenden Nummerin derselben Schrift und Setzart abgedruckt werden, wie die Mit-teilung gegen die sie gerichtet war“.

War aber diese Berichtigung in der von mir ver-langten Form zu veröffentlichen, so erfolgte sie nach dem eige-

nen Geständnis des Beschuldigten verspätet.

Ich beantrage daher, das Urteil des Strafbezirks-gerichtes Wien I. vom 25.IV.1925 in seinem freisprechendenTeile abzuändern und den Beschuldigten auch wegen der Ueber-tretung des § 24 Abs. 2 Ziffer 1 zu bestrafen.

Karl Kraus.

KrausStunde 12.V.1925