23.41 Beschluss der Ratskammer des Landesgerichts für Strafsachen Wien I (Präs. 6705)

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Datum: 10. November 1926
Seite von 7

Präs. 670517/26

Beschluß.

Die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I hat in der Strafsache gegen Dr. Fritz Kaufmann wegenUebertretung nach § 30 Pr.Ges. U I 224/26 beschlossen, die vomPrivatankläger Karl Kraus geltend gemachte Ablehnung desHofrates Christoph Höflmayr als Richters in dieser Straf-sache gemäß §§ 74 und 72 StPO. als unzulässig zu erkennen.

Gründe:Zur Begründung des Ablehnungsantrages wird zunächst imallgemeinen geltend gemacht, daß Hofrat Höflmayr in Ver-kennung der in der Journalistik derzeit herrschenden Verhältnis-se bei der Handhabung des Preßgesetzes mit nicht berechtigterMilde vorgehe. Diese Behauptung wäre selbst dann, wenn ihre Rich-tigkeit dargetan würde, keineswegs geeignet, als Beweis für dienicht volle Unbefangenheit des genannten Richters zu dienen. DieEntscheidung, ob ein Gesetz im Hinblicke auf die jeweils herr-schenden Verhältnisse im Rahmen seiner Bestimmungen strenger odermilder anzuwenden sei, ist Gegenstand der richterlichen Ueberzeu-gung und berechtigt eine von der richterlichen Anschauung in die-ser Richtung abweichende Ansicht allein niemals zur Annahme, daßdem Richter die volle Unbefangenheit mangle.

Die weitere Behauptung des Antragstellers, daß HofratHöflmayr insbesondere in Strafverfahren gegen der Zeit-schrift „Die Stunde“ angehörige Personen eine auffallende Nach-sicht an den Tag lege, wäre nur dann geeignet, einen berechtigtenAblehnungsgrund zu bilden, wenn Tatumstände glaubhaft gemacht wor-

den wären, aus welchen mit Recht geschlossen werden konnte, daßdie behauptete Milde auf wohlwollende Befangenheit zurückzufüh-ren sei. Der Antragsteller war aber nicht in der Lage, auch nureinen Tatumstand darzutun, welche zur Annahme einer begünsti-genden Behandlung eines angeklagten Funktionärs der „Die Stun-de“ durch den Richter berechtigen würde.

Hofrat Höflmayr hat in seiner über den Ab-lehnungsantrag abgegebenen Aeußerung erklärt, daß ihm die derStunde“ angehörigen Personen ausschließlich durch seine amtli-che Tätigkeit als Richter in Preßsachen bekannt seien und er mitkeiner von ihnen außerdienstlich jemals verkehrt oder auch nur einWort gesprochen habe. Irgend welche persönliche Beziehungen kön-nen daher als Ursache für die behauptete Befangenheit nicht in Fra-ge kommen. Der Antragsteller selbst war nicht in der Lage, dieseoder eine andere Ursache für eine Befangenheit des abgelehntenRichters auch nur zu behaupten.

Zum Nachweise der Behauptung, daß Hofrat Höflmayr eine auffallende Nachsicht und Duldung gegenüber Funktionären derStunde“ geübt habe, beruft sich der Antragsteller auf einenBericht in der Folge Nr. 641 der „Stunde“ vom 28. April 1925über die in der Strafsache gegen Dr. Fritz Kaufmann wegenUebertretung nach §§ 23 und 24 PreßGes. U I 109/25 am 25. April1925 vorgenommenen Hauptverhandlung. Dieser Bericht ist wohl keinBeweis dafür, daß sich der Angeklagte tatsächlich in der in der-selben angeführten Weise bei der Hauptverhandlung geäußert hat.Das Protokoll über diese enthält keine diesbezüglichen Angaben.Selbst wenn aber die Anführungen des Berichtes vollkommen richtigsein sollten, boten die vom Privatankläger mit Recht als beleidi-gend empfundenen Aeußerungen des Angeklagten dem Verhandlungslei-ter schwerlich einen Grund zur Anwendung einer Disziplinarmaßre-gel nach §§ 235 StPO., weil diese Aeußerungen im logischen Zusam-menhange der Verantwortung des Angeklagten vorgebracht wurden unddaher nicht ohne weiters als „Beschimpfungen oder nicht zur Sa-

che gehörigen Beschuldigungen“ im Sinne der bezogenen Gesetzes-stelle angesehen werden konnten. Trotzdem hat der Verhandlungs-leiter auch nach dem Zeitungsberichte das beleidigende Vorbrin-gen des Angeklagten möglichst einzuschränken getrachtet. DieStrafbestimmungen der §§ 233 bis 236 StPO. haben nicht den Zweck,einer während einer Hauptverhandlung beleidigten Person Genug-tuung zu verschaffen; dies bleibt ihr selbst überlassen und stehtihr zu diesem Zwecke die Ehrenbeleidigungsklage zur Verfügung.(237 3. Abs. StPO.). Die genannten Strafbestimmungen sollen nurden Verhandlungsleiter in die Lage versetzen, die Ruhe, die Ord-nung und den Anstand im Gerichtssaale aufrecht zu erhalten. Wel-ches der ihm zu Gebote stehende Strafmittel ihm im einzelnen Fal-le zur Erreichung dieses Zweckes am geeignetsten erscheint, istganz seinem Ermessen überlassen. Erfahrungsgemäß verfehlen ge-rade strenge Disziplinarstrafen häufig ihren Zweck, weil sie dieGereiztheit der Stimmung nur erhöhen, was für den weiteren Ver-lauf der Verhandlung sicherlich nicht vom Vorteil ist, und er-weist sich daher eine einfache Zurechtweisung in vielen Fällenals zweckmäßiger. Daß sich im gegenständlichen Falle der Ver-handlungsleiter auf eine solche beschränkt hat, kann daher nichtals ein Akt ausnahmsweiser Nachsicht und Duldung gedeutet werden.

Weiters wurde vom Antragsteller geltend gemacht, daßHofrat Höflmayr im Urteile vom 7. Oktober 1925 U I 223/25gegen Ernst Ely, Redakteur der „Stunde“, wegen Uebertre-tung nach § 24, Abs. 6 PreßGes. unter Anwendung des außerordent-lichen Milderungsrechtes über den Angeklagten nur eine Geldstra-fe von 3 S verhängt und hiebei als mildernd das Geständnis an-genommen habe. Zunächst ist richtigzustellen, daß eine Strafe vonje 3 S.– für jedes des sechsmaligen Erscheinens der „Stundeohne Veröffentlichung der aufgetragenen Berichtigung auferlegtwurde. Nach der seither in dieser Richtung ergangenen Entschei-dung des Obersten Gerichtshofes muß wohl angenommen werden, daßbei dieser Strafhäufung zu Ungunsten des Angeklagten

die Bestimmung des § 5 PreßGes. unrichtig angewendet wurde.Richtig ist, daß kein volles Geständnis des Angeklagten vorlag,immerhin hat er aber durch seinen Machthaber einzelne maßgeben-de Tatumstände zugestanden. Außerdem war als sicherlich sehrschwerwiegender Milderungsgrund seine Unbescholtenheit anzuneh-men. Bei dieser Sachlage war in der im Uebrigen in ganz gering-fügigem Maße vorgenommenen Anwendung des außerordentlichen Mil-derungsrechtes nichts Auffallendes gelegen. Tatsächlich hat auchder Privatankläger die anfänglich wegen zu geringen Strafausmas-ses angemeldete Berufung wieder zurückgezogen.

Der Antragsteller führte weiters zur Begründung sei-nes Ablehnungsantrages an, daß Hofrat Höflmayr, obwohldie Ratskammer mit Beschluß vom 23. August 1926 Vr XX 5730/25die Ausscheidung der vom Strafbezirksgerichte I gem. § 56 StPO. zwecks Einbeziehung in die Strafsache Vr XXVI 5730/25 an das Lan-desgericht für Strafsachen Wien I abgetretenen Strafsachen gegenDr. Fritz Kaufmann wegen Uebertretung nach § 30 PreßGes. bezw. § 26 PreßGes. und Ehrenbeleidigung U I 155/25, U I 14/26,U I 42/26, U I 161/26, U I 172/26 und U IV 771/26 und deren Rück-abtretung an das Strafbezirksgericht I zur abgesonderten Durchfüh-rung des Verfahrens gem. § 57 StPO. ausgesprochen hatte, neuerlichversucht habe, die Strafsache gegen den Genannten wegen Uebertre-tung der Ehrenbeleidigung (Privatankläger Ernst Spitz)U I 161 (225)/26 einem landesgerichtlichen Akte anzuschließen. Indiesem vollkommen den Vorschriften der Strafprozeßordnung entspre-chendem Vorgehen kann unter keinen Umständen eine Begünstigung desin diesen Strafsachen Beschuldigten erblickt werden. Nach § 56 2. Ab-satz StPO. war mit Rücksicht auf die beim Landesgerichte für Straf-sachen Wien I anhängige, vor das Geschwornengericht gehörige Straf-sache gegen denselben Beschuldigten die Zuständigkeit dieses Gerichtes auch für die genannten Uebertretungssachen gegeben undkonnte das Strafbezirksgericht I nur im Wege eines Ausscheidungs-beschlusses der Ratskammer wieder die Zuständigkeit zur Durchfüh-

rung derselben erlangen. Die Abtretung an das Landesgericht warumsoweniger zu umgehen, als ein darauf abzielender, mit Rück-sicht auf die bezogenen Gesetzesbestimmung unabweislicher An-trag des Beschuldigten vorlag. Aus dem gleichen Grunde mußtein der früher genannten Strafsache wegen Ehrenbeleidigung überdie Privatanklage des Ernst Spitz U I 161/26 trotz deserwähnten und eines früheren Ausscheidungsbeschlusses der Rats-kammer der Akt dem Landesgerichte im Sinne des vom Angeklagtengestellten Antrages neuerlich übersendet werden, weil festge-stellt werden mußte, ob die seitens der Verteidigung aufgestell-te Behauptung richtig sei, daß beim Landesgerichte über Einschrei-ten desselben Privatanklägers gegen den Beschuldigten ein Straf-verfahren wegen Vergehens gegen die Sicherheit der Ehre anhängiggemacht worden sei, auf welches sich die bisherigen Ausscheidungs-beschlüsse nicht bezögen. Die Abweisung des Abtretungsantrages oh-ne vorherige Feststellung, daß die zu seiner Begründung vorge-brachte Behauptung unrichtig sei, hätte im Falle ihrer Richtigkeitüber Berufung des Angeklagten gegen einen Schuldspruch die Auf-hebung des Urteiles wegen Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes derUnzuständigkeit nach § 468 Zl. 1 StPO. zur Folge haben müßen.

Der Antragsteller macht weiters geltend, daß HofratHöflmayr in der gegenständlichen Strafsache den Wahrheits-beweis trotz Fehlens einer klaren Behauptung des Beschuldigten,was er beweisen wolle, „fast angeregt habe“. Letztere Behaup-tung findet keinerlei Stütze in dem Inhalte der Protokolle überdie in dieser Strafsache bisher durchgeführten Hauptverhandlun-gen. Es ist wohl richtig, daß der Beschuldigte die zu seiner Ver-antwortung vor dem Untersuchungsrichter und bei den Hauptverhand-lungen vorgebrachten Behauptungen mehrmals modifiziert und seineweiteren Beweisanträge der durch die bisherigen Beweisergebnissegeschaffenen Prozeßlage jeweils angepaßt hat; allein es liegtkeinerlei Anhaltspunkt dafür vor, daß er durch den Richter in ir-gend einer Form bezüglich seiner Verantwortung und der von ihm zur

Erbringung des Wahrheitsbeweises zu stellenden Beweisanträge be-einflußt worden sei. Im Gegenteile ergibt sich gerade aus jenerFassung des Protokolles über die Hauptverhandlung vom 28. Jän-ner 1926, welche es durch die vom Privatankläger beantragte Rich-tigstellung erhalten hat, daß der Beschuldigte nicht durch einerichterliche Erklärung, sondern durch die Begründung der Einwen-dung, welche der Vertreter des Privatanklägers gegen den Antrag aufEinvernehmung der Zeugen Dr. Mixa Rosenberg und GezaBekeffy erhob, zur Ergänzung seiner Angaben über den Zweckseines genannten Beweisantrages veranlagt worden ist.

Der Antragsteller gibt schließlich der Meinung Aus-druck, daß schon durch die Veröffentlichung eines von ihm ver-faßten Aufsatzes in der Zeitschrift „Die Fackel“, welche dieTätigkeit des Hofrates Höflmayr als Preßrichter einerscharfen Kritik unterzieht, und die Anführungen im gegenständlichenAblehnungsantrage eine Befangenheit des Hofrates Höflmayr herbei-zuführen geeignet seien. Dieser Behauptung kann nicht beigepflich-tet werden. Es kann nicht angenommen werden, daß die richterlicheUnbefangenheit schon durch eine Kritik, die sich, mag sie in derSache noch so scharf sein, in der Form, in maßvollen Gren-zen hält, beeinträchtigt werde. Die Anschauung des Antragstellers wür-de zu dem Ergebnisse führen, daß es nur eines kritisierenden Zei-tungsartikels und eines Ablehnungsantrages einer der beiden Partei-en bedürfe, um einen aus irgend einem Grunde mißliebigen Richterim gegebenen Falle vom Richteramte auszuschließen. Aus dem Umstan-de, daß das Gesetz im § 74 StPO. die Zurückweisung eines Ableh-nungsantrages überhaupt vorsieht, ergibt sich zwingend sein Stand-punkt, daß nicht schon durch einen solchen Antrag und das zu sei-ner Begründung erforderliche tatsächliche Vorbringen die richter-liche Unbefangenheit als beeinträchtigt anzusehen ist.

Da nach vorstehenden Ausführungen der Antragsteller keine Gründe darzutun vermochte, welche geeignet wären die volleUnbefangenheit des Hofrates Höflmayr als Richters in der gegen-

ständlichen Strafsache in Zweifel zu setzen, war dessen geltendgemachte Ablehnung in Gemäßheit des §74 StPO. als unzuläßigzu erkennen.

Wien, am 10. November 1926.[Unterschrift]

Herrn Dr. Oskar Samek RechtsanwaltWien noe. Karl Kraus.