17.6 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U I 223/25, Christoph Höflmayr)

Schreiberhände:

  • schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 7. Oktober 1925
Seite von 4

5Geschäftszahl U I 223/25

Im Namen der Republik!

Das Straf-Bezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwartdes Privatanklage-Vertreters Dr. Oskar Samek in Abwesenheitdes Angeklagten Ernst Elly und in Gegenwart des Machthabers des Beschuldigten Dr. Fritz Kaufmann über die Anklage verhandelt, die der Privat-ankläger Karl Kraus gegenErnst ELLY, 46 Jahre, ledig, Journalistwegen der Übertretung nach § 24 Abs. 6 Preß-Gesetz erhoben hatte,und über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten zu Recht erkannt: Ernst ELLY ist schuldig, er habe als verantwort-licher Schriftleiter der in Wien erscheinenden Zeitung „DIE STUNDE“ inder Zeit vom 14.8.1925 bis 21.8.1925 die Nummern 729 bis 734 der „STUNDEvor Erfüllung der mit Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom25. April 1925 U I 109/25/3 aufgetragenen Verpflichtung zur Veröffentlichungder Berichtigung des Privatanklägers Karl KRAUS vom 11.4.1925 erscheinenlassen.

Er hat hiedurch die Uebertretung nach § 24 Abs. 6 Preß-Gesetz begangen und wird gemäß dieser Gesetzesstelle unter Anwendung des § 5Preß-Gesetz und des § 266 Straf-Gesetz zu einer Geldstrafe im Betragevon:je 3 (drei) Schillingen im Falle der Nichteinbring-lichkeit zu je 12 (zwölf) Stunden Arrest für jede dervorgenannten sechs Zeitungsnummernund gemäß § 389 StPO, zum Ersätze der Kosten des Strafverfahrensverurteilt.

Gemäß § 5 Preß-Gesetz haften der Eigentümer „KRONOS VERLAG A.G.und der Herausgeber der Stunde Emmerich BEKESSY, für die mit diesem Urteile

verhängten Geldstrafen und für die Kosten des Strafverfahrens zur unge-teilten Hand mit dem Verurteilten.

Gründe:

Mit Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 25.4.1925U I 109/25/3 war dem damaligen verantwortlichen Schriftleiter der ZeitungDIE STUNDE“ aufgetragen worden, die vom Privatankläger Karl Kraus verlangte Berichtigung vom 11.4.1925 auf die im § 23 Preß-Gesetz vorgeschrie-bene Weise zu veröffentlichen.

In Nummer 642 der „STUNDE“ ddo. 29.4.1925 war hierauf die Berichti-gung erschienen, die jedoch nicht dem Preß-Gesetz und der ausgesprochenenVerpflichtung entsprach. Wie nämlich der Augenschein ergab, waren die in derNummer 642 der „STUNDE“ als Berichtigung wiedergegebenen Bilder bedeutendkleiner als die der Berichtigung des Privatanklägers vom 11.4.1925 beige-gebenen; sie waren aber auch, wie der vernommene Sachverständige Prof.Bronn, dessen Gutachten sich das Gericht zu Eigen machte, angab, insbe-sondere bezüglich der Augen, Nase, Mund, Ohren, Haare und Schuhe voll-kommen entstellt wiedergegeben.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I als Berufungs-gericht vom 24.7.1925 Bl. XV 504/25/10 war das erstrichterliche Urteil in Bezug auf jenen Teil, der die Verpflichtung auf Veröffentlichung derverlangten Berichtigung aussprach, bestätigt worden.

Nun erschien in Nummer 714 der „STUNDE“ neuerlich die Berichtigung,wobei die Bilder bezüglich der Grösse im Allgemeinen jenen gleich waren,die der Berichtigung beigeschlossen waren; die Bilder selbst jedoch waren,wie der Sachverständige auch bei diesen feststellte, vollkommen verschiedenvon den der Berichtigung des Privatanklägers beigegebenen, indem sie durchRetouchierung, nicht aber – wie der Machthaber des Besch. angab – infolgedes Rotationsdruckverfahrens gänzlich entstellt waren und zwar ebenfalls be-züglich der Haare, Augen, Nase, Ohren und auch der Schuhe. Der Machthaber desBesch. hat ferner selbst zugegeben, daß die in Nummer 714 wiedergegebenenBilder nur durch Vergrösserung der in der Nummer 642 veröffentlichten Bilder,nicht aber nach den der Berichtigung beigegebenen Originalbildern angefer-tigt worden sind.

Fest steht somit auf Grund des Gutachtens des SachverständigenProf. Bronn, dass eine gewollte Entstellung der Bilder durch manuelle

Retouche, nicht aber durch das Rotationsdruckverfahren erfolgte, dassdaher die veröffentlichte Berichtigung nicht den Bestimmungen des § 23Preß-Gesetz entspricht.

Wie, wo und wann die Entstellungen entstanden sind kann daher außerBetracht bleiben; ebenso die Einwendung des Machthabers des Beschuldigten,dass die Wiedergabe der Bilder infolge Verlustes der Originalberichtigungnur durch Vergrößerung der in Nummer 642 veröffentlichten Bilder möglichwar, denn der verantwortliche Schriftleiter hätte den Verlust der Original-berichtigung hintanhalten oder sich ein neues Originalbild verschaffenmüssen.

Da somit die verlangte Berichtigung nicht in der gesetzlich vorge-schriebenen Weise veröffentlicht und dem hg. Urteil vom 25.4.1925 nicht ent-sprochen worden war, so begründet das Erscheinenlassen jeder weiteren Nummerder Stunde vor Erfüllung der Verpflichtung eine strafbare Uebertretung im Sinne des§ 24 Abs. 6 Preß-Gesetz.

Gemäß § 44 Preß-Gesetz tritt jeder spätere verantwortliche Schrift-leiter in die Verpflichtung seines Vorgängers ein. Auf Grund der Impressaund der Angaben des Machthabers ist festgestellt, dass Ernst Elly derverantwortliche Schriftleiter der in der Zeit vom 14.8.1925 bis 21.8.1925erschienenen Nummern 729 bis 734 der Zeitung „DIE STUNDE“ war; da er dieseNummern erscheinen ließ, ohne dass die gerichtlich aufgetragene Verpflichtungerfüllt worden wäre, so erscheint dessen Schuldspruch gerechtfertigt.

Gemäß § 5 Preß-Gesetz war für jede vor Erfüllung der Verpflichtungerschienene Nummer eine besondere Strafe zu verhängen.

Bei der Strafbemessung war NICHTS ERSCHWEREND; MILDERND waren dieUnbescholtenheit und das Geständnis, weshalb vom ausserordentlichen Milderungs-rechte des § 266 StG. Gebrauch gemacht wurde.

Die verhängte Strafe war daher dem Verschulden des Angeklagten an-gemessen.

Die übrigen Bestimmungen des Urteiles gründen sich auf die imTenor bezogenen Gesetzesstellen.

Lasten einbringlich

Wien, am 7. Oktober 1925.Der Richter Der SchriftführerHöflmayer mp Dr. Jung mpWien, am 12/10 1925[Unterschrift]

KrausStunde 14.X.25.