30.1 Brief Otto Tramer [Abiturient aus Mährisch-Ostrau] an Kraus

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Otto Tramer, Abiturient der | Deutschen Staatsrealschule
Milicgasse 3
Mähr. Ostrau
Datum: 9. Juni 1925

Empfänger

An: Karl Kraus
Wien
Seite von 2

Abschrift.

Geehrter Herr!

Im Maiheft der „Fackel“ veröffent-lichen Sie folgende Zeilen eines Artikels aus dergrössten deutschen Musikzeitschrift:Man hat bei einigen amerikanischen Gesell-schaften Versuche dieser Art Filmmusik ge-macht; es ist vorzüglich eine Aufgabe Deutsch-lands, diese ersten unzulänglichen Proben,die sich mit den süsslichsten Mitteln begnüg-ten, auszubauen und gemäss dem ernsteren Cha-racter unserer Filme zu vertiefen.

Da ich ein eifriger Leser der „Musikbin und diese hervorragende Zeitschrift, die ja so-gar von Ihnen als die grösste anerkannt wurde, – wo-rauf sich B. Schuster allerdings nichts einbilden kann –beziehe, ist es mir nicht schwer gefallen, festzu-stellen, dass diese Zeilen dem Heft V Jahrgang XVIIder „Musik“ entnommen worden sind, in welchem G. Ba-gier über „Musikalische Probleme des Films“ spricht.

Dass Sie diesen Artikel nicht verstandenhaben, wundert mich ja garnicht und davon war ichüberzeugt, als ich den Titel las, unter welchem dieoben angeführten Zeilen veröffentlicht waren, dennfür Ihr musikalisches Verständnis ist es egal, obSie die Tannhäuser-Ouverture – sie ist von RichardWagner, Herr Kraus – im Kino oder ob Sie sie unter Fr.Schalk mit den Philharmonikern hören.

Ich will mich deshalb über den Bagierschen Artikel, um Sie nicht in Verlegenheit zu bringen,nicht weiter auslassen. Aber eines möchte ich Sie fra-gen: Wem sagen Sie denn das alles, was Sie bisherin der „Fackel“ und in Ihren übrigen Werken zusammen-geschmiert haben? Ihre Zeitschrift erscheint jetztschon solange und trotz der Schimpfereien haben Sienicht einmal den Schmierblättern etwas anhaben können,viel weniger Zeitungen vom Range einer „Neuen FreienPresse“, in der Felix Salten hoffentlich noch lange sei-ne Recensionen schreiben wird, auch wenn Sie darüberzerspringen sollten, was ich aber nicht wünsche, dawir sonst zwei von Ihrer Sorte hätten – oder derMusik“, die auch weiter die führende Musikzeitschriftbleibt.

Wenn man Ihre Fackel liest, sehr ge-ehrter Herr, denkt man sich unwillkürlich: Schade,dass Karl Kraus nicht zur Zeit Gustav Freytags gelebthat, er hätte eine hervorragende Vorlage für den„Schmock“ in seinen „Journalisten“ gehabt. Machtnichts: Ihnen ist ja von anderer Seite ein herrlichesDenkmal gesetzt worden. Sie besser zu charakterisieren,als es Herr Slezak, den ich wegen seinerwunderschönen Tenorstimme, Herr Kraus – geradewegen der Tenorstimme – sehr verehre, getan hat, istschwer möglich. Wenn er Sie einen „galligen, unfrohen,alles verneinenden armen Teufel“ nennt, so ist mir dasaus dem Herzen gesprochen, ich es mir nicht habe besservorstellen können.

Ich wünsche Ihnen weiter dieselbe Er-folglosigkeit, die Ihr Werk bis jetzt krönt undwas die Hauptsache ist, dieselben Anhänger, dieSie bis ietzt hatten, nämlich Leute, welche nichtsanderes können, als auf alles das zu stänkern, wo-von sie nichts verstehen und die es durch hohlePhrasendrescherei und Schimpferei verbergen wollen,dass sie überflüssig auf der Welt sind.

Ich schliesse ein Frankocouvert bei, damit ich eine Antwort von Ihnen erhalte und erwarte,dass ich den gewünschten Zweck erreichen werde.

AchtungsvollOtto Tramer m.p.

Kraus Tramer