31.14 Protokoll der Einvernahmen vom 23. Oktober 1925

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, schwarze Tinte
  • schwarze Tinte
  • Karl Kraus, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 23. Oktober 1925
Seite von 7

2. 17

Abschrift.

Protokoll

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Dr. Hans Liebstöckl, Redakteur, 23./2.1872 Wien ge. u. z.k.v. IV. Mühlgasse 9/6 w. gibt an:

Ich habe den inkriminierten Brief selbst geschrie-ben und zwar im Unmut darüber, da vom Kläger eine angebli-che Äusserung von mir weitergegeben wurde, die mich inder Öffentlichkeit herabsetzen musste und die ich nie undnirgends getan habe. Mir fehlte jede beleidigende Absicht.Ich kann in der inkriminierten Äusserung eine Beleidigungüberhaupt nicht erblicken, da das Wort „leichtfertig“im journ. Gebrauche soviel wie mangelhaft studiert fundiert be-deutet, daher nicht die Schärfe, die es im sonstigen Sprach-gebrauch hat, besitzt. Ich hätte ebensogutsonderbaroder „merkwürdig“ sagen können. In diesem Sinne habeich das Wort gebraucht.

Dr. Hans Liebstöckl m.p.

Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt I. Schottenring 14 gibtin Vertretung Schr. Kraus an:

Herr Kraus hat die Äusserung des Beklagten überdie „Stunde“ von der VI. Mariahiferstr. 47 I. Stiegewohnh. Bank-Direktorsgattin Alma Pollak erfahren. Frau Pollak erscheint vollkommen vertrauenswürdig. Sie hat dieÄusserung, wie sie Herr Kraus mitgeteilt hat, nicht alleingehört, sondern auch 3 andere Zeugen, deren Namen undAdressen Frau P. bekannt geben kann.

Ich möchte darauf hinweisen, dass Dr. Lieb-stöckl als Schriftsteller so sprechgewandt ist, dass er,wenn er damals etwas als merkwürdig fände, er es nichtals leichtfertig bezeichnen würde.

3.9.25 Dr. Samek m.p.

Die auf 22./9 vertagte Verhandlung musste neuerdings vertagtwerden, weil die Zeugin Pollak nicht erscheinen konnte.

22./9. Bäumel m.p.

Dr. Samek gibt die Namen der Personen bekannt, die ausserPollak die Äusserung des Dr. Liebstöckl gehört hat.Es sind: Alfred Mahr Schauspieler und Gattin IV. Schön-burgstrasse 26, Alexander Haber, Schauspieler IV. Wiedner-hauptstrasse 19/37

Unl. Unterschrift.

3

Abschrift.

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Protokoll.

bei der am 23/10 fortgesetzten Verhandlung gibt ZeuginAlma Pollak an:

Herr Liebstöckl setzte sich einmal ca. vor 2Monaten im Cafe Imperial an meinen Tisch, an dem auch dasEhepaar Mahr und H. Haber sassen.

Herr Liebstöckl brachte das Gespräch auf dieZeitung „Die Stunde“ und erzählte, dass er wie auchHerr Bekessy längere Zeit auf Urlaub gewesen sei, dassdas Blatt infolge seiner und Bekessy Abwesenheit ver-wildert sei und das reine Banditenblatt geworden sei.

Er machte diese Äusserung in erregtem verärgertem Tone. Ich frug,was Herr Bekessy dazu sage, worauf H. Liebstöckl gleich-sam H. Bekessy entschuldigend, erwiderte, dieser lesedas Blatt so wie ich erst nach dem Erscheinen.

23./I.1925 Alma Pollak Bäumel

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Protokoll

Alfred Mahr, Schauspieler IV. Schönburgstrasse 26 gibt an:

Ich kann mich nur erinnern, dass Herr Re-dakteur Liebstöckl, den ich am kritischen Abend erstkennenlernte, selbst das Gespräch auf die „Stunde“ brachteund sich in abfälliger Weise über die Verhältnisse beidieser Zeitung äusserte. Er fügte bei, er gehe jetztauf Urlaub und werde dann die Sache in die Hand nehmen.

Möglicherweise habe er auch gesagt, dass er vom Urlaubkomme. Ob er die Äusserung gemacht habe: „Die Stundesei ein reines Banditenblatt geworden, kann ich nichtsagen. Auf die Frage meiner Frau, wie sie ich glauben, obder H. Bekessy die Zeitung nicht lese, meinte H. Redak-teur Liebstöckl, dass die Abonnenten sie meist früherlesen als er.

23.X.Bäumel Alfred Mahr m.p.

Protokoll.

Rosa Mahr, Schauspielerin, IV. Schönburgstrasse 26 gibt an:

Ich lernte Herrn Redakteur Liebstöckl am kri-tischen Abend (es war glaube ich im Mai) im CafeImperial kennen. Er selbst brachte das Gespräch auf dieStunde“ und äusserte sich in abfälliger Weise überdie derzeitige Führung des Blattes, die ganz verwildertsei. Ob er die Äusserung machte, dass die „Stundeein Banditenblatt geworden sei, kann ich nicht sagen.

Auf meine Frage, ob denn Herr Bekessy die Zeitung nichtvorher lese, erwiderte H. Liebstöckl, Bekessy lese sieerst später als die Abonennten. H. Liebstöckl erwähnteauch, er fahre oder käme von Berlin, er sei auf Urlaubund werde, wenn er wieder zurück käme, die Zeitung indie Hand nehmen.

Bäumel Rosa Mahr m.p.

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Protokoll

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Alexander Haber, Schauspieler IV. Wiednerhauptstrasse 19 gibt an:

Herr Redakteur Liebstöckl brachte am kritischenAbend (es war Ende Mai 23) im Cafe Imperial selbstdas Gespräch auf die „Stunde“ und frug Frau Pollak,was sie zur Sache Kraus in der „Stunde“ sage, woraufsie erwiderte: „Ja was sagen denn Sie dazu.“ Darauf-hin meinte er, er sei in der Sache ganz ausser Oblige,er sei auf Urlaub, fahre Anfang Juni nach Berlin undHerr Bekessy wolle, dass, wenn er Mitte Juni zurückkomme

er die Leitung der Zeitung in die Hand nehme. Das Blatt sei ganz verwildert und das reine ein Banditenblatt geworden.

Auf die Frage, die von jemandem aufgeworfen wurde, obHerr Bekessy denn das Blatt nicht vorher lese, meinteHerr Redakteur Liebstöckl humorvoll: Wie der kleine Moritzsich das vorstellt. H. Bekessy liest die Zeitung viel späterals seine Abonnenten.

Ich kenne Kraus nicht.

23.X.1925 Alexander Haber.Bäumel

Protokoll 19a

Hans Liebstöckl gibt an: col

Ich kann nur wiederholen, dass ich die Äusserung,die „Stunde“ sei das reine Banditenblatt geworden,nie getan habe. Es ist wohl möglich, dass ich mich vorden zuerst vernommenen Zeugen einmal über die PolemikStunde“ – Kraus kritisch geäussert habe.

Wie die Kritik mit bestimmten Worten gelautet hat,kann ich heute nicht mehr sagen, jedenfalls hat sie sichnicht in dieser Weise gegen das Blatt als solches undgegen meine Kollegen gewendet.

23.10.1925 Hans Liebstöckl m.p.

Dr. Emil Kollek beantragt die Lossprechung des Liebstöckl da 1.) der Vorwurf leichtfertig im Zusammenhange des BriefesVorwürfe eine Restriktion Kränkung der Ehre überhaupt nicht beinhaltet.2.) dass, da Frau Pollak in dem Brief an Kraus ausdrücklich er-wähnt, dass noch 3 Personen die Äusserung gehört hat, Herr Kraus es jedoch unterlassen hat, sich bei diesen Personen zu informieren,ob die Äusserung tatsächlich gefallen ist, der Wahrheitsbeweis

für die Behauptung „leicht sinnig fertig “ erbracht sei3.) weil H. Liebstöckl in dem Schlusspassus ausdrücklich er-klärt, falls Kraus seiner kollegialen Bitte nicht nachkomme,er den Brief als ungeschrieben anzusehen hat, also dieangebliche Beleidigung widerrufen hat.

Bäumel