68.10 Schriftsatz in der Privatklagsache Kraus –/– Kerr (RA Wolfgang Heine und RA Alfred Karger an das Amtsgericht Charlottenburg, G.Z. 44 B. 222/27)

Schreiberhände:

  • Viktor Fraenkl, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 29. April 1927
Stempel: Amtsgericht Berlin-Charlottenburg
Seite von 8

Abschrift

BERLIN-CHARLOTTENBURG 2, DEN 29.4.1927.H/Be.Eingg. 5. Mai 27

In der PrivatklagesacheKraus ./. Kerr 44 B. 222/27

An dasAmtsgerichtCharlottenburg.

Wir beziehen uns auf die am 2.April überreichte Vollmacht des Beschul-digten und beantragen,die Eröffnung des Hauptverfahrens ab-zulehnen.

I.Der Privatkläger ist Herausgeberder periodisch erscheinenden ZeitschriftDie Fackel“, die in Wien erscheint, undim Deutschen Reich, auch in Berlin, imWege des Postvertriebs verbreitet wird.

In dem Heft Nr. 735–742, Oktober1926, Seite 70ff., hat der Privatkläger Angriffe gegen den Beschuldigten veröf-fentlicht. Zum Anlass nahm Privatkläger einen Aufsatz des Beschuldigten über eineReise nach Paris, die dieser auf Einla-dung französischer Schriftsteller unternom-men hatte, und die einer gemeinsamen Ak-tion für eine Verständigung der Völkerund Ueberwindung der nach dem Kriege

zurückgebliebenen Feindschaft dienen sollte.

Der Beschuldigte liest die „Fackel“ im allgemeinennicht und hat deshalb von diesem Heft erst Kenntniserlangt in der Zeit, als er sich anschickte, denIntendanten Leopold Jessner gegen Angriffe zu verteidi-gen.

In dem Artikel vom 21. Dezember 1926, der Gegen-stand der Privatklage ist, widerlegte der Beschul-digte die Gegner Jessners, und da er gerade gegendie Unwahrhaftigkeit und Verfälschung der Tatsachen,die gegen Jessner geübt wurden, sich ausliess, machteer in einer Parenthese die Bemerkung, durch die derKläger sich beleidigt fühlt. Der Zusammenhang führteihn dazu, sich auch des Privatklägers zu erinnern,den er nicht besser zu charakterisieren zu könnenglaubte, als es geschehen ist.

Der Beschuldigte kennt diesen zeitlichen Zusam-menhang ganz genau. Er würde auch bei dem Aufsatz für Jessner nicht auf den Kläger gekommen sein, wennihm nicht soeben erst dessen Anwürfe gegen ihn selbstvor Augen gekommen wären. Wenn er diese seit Monatengekannt hätte, würde der Beschuldigte eine frühereGelegenheit gefunden haben, um mit dem Privatkläger abzurechnen. Er kann allerdings nicht durch Zeugen Beweis dafür antreten, dass er den Artikel des Pri-vatklägers erst damals in die Hände bekommen unddeshalb die Beleidigungen „auf der Stelle erwiderthabe, kann aber beanspruchen, dass seiner nichtwiderlegten Angabe in dieser Beziehung Glauben ge-schenkt werde.

II.Der Privatkläger behauptet ausser formeller Belei-digung (§ 185 St.G.B.) auch noch üble Nachrede(§ 186 St.G.B.), und zwar weil der Beschuldigte ihneinen „Verleumder“ genannt hat.

Die Anwendung dieses Wortes bei dem Privatkläger ist nun, wie es in dem angeklagten Artikel drin steht,gar keine tatsächliche Behauptung. Sie ist bestimmt,das Treiben des Privatklägers zu charakterisieren.

Der Beschuldigte spricht aber nicht von bestimmten wissentlich unwahren Behauptungen des Privatklägers und verwendet den Ausdruck „Verleumdung“ überhauptnicht im Sinne des § 187 St.G.B., sondern lediglichals übliche Bezeichnung für bösartige Beleidigungen.

III.Dass aber der Privatkläger diese Bezeichnung undCharakterisierung verdient hat, und dass sie zurWahrung der berechtigten Interessen des Beschuldigten geboten war, beweist ein Blick in den zitiertenAufsatz in der „Fackel“.

Der Beschuldigte war nach Paris gegangen, um ander Herstellung einer friedlichen Stimmung zwischen denintellektuellen Kreisen und namentlich der Presseder beiden Nationen mitzuwirken und hatte darüber imBerliner Tageblatt“ berichtet. Deswegen greift derPrivatkläger ihn in dem eingangs erwähnten Aufsatz der Fackel mit dem Titel „Ein Friedmensch“ an.

Der Privatkläger sucht den Beschuldigten lächerlichzu machen und herabzusetzen, indem er ihm seine Haltung

in der Kriegszeit vorwirft. Der Privatkläger ver-wischt geflissentlich das Verhältnis, das zwischender Stellungnahme eines Deutschen im Jahre 1914 fürdas bedrohte Vaterland und dem Versuch des Jahres1927, die geistigen Beziehungen der Nationen wiederherzustellen, besteht.

Der Beschuldigte hat so wenig wie unzählige andereDeutsche den Krieg gewünscht und vielmehr jeden Kriegals eine tief zu beklagende, ja zu verabscheuendeForm der Auseinandersetzung der Nationen angesehen.Sein Standpunkt war gegen den Krieg, aber für Deutsch-land, denn dem Beschuldigten war es selbstverständ-lich, dass er bei der unser Volk und unser Reich be-drohenden Gefahr ohne Schwanken die Partei Deutsch-lands ergreifen müsse. Der Privatkläger aber bezeichnetden, der seinem bedrohten Lande in der Zeit tiefstenWirrsals beisteht, als einen „Kriegshetzer“.

Hätte der Beschuldigte sich nicht in jenerZeit auf die Seite seiner Nation gestellt, so wäreer jetzt nicht berechtigt, für sie zu sprechen,wenn es gilt, die Nationen zu versöhnen. Die euro-päische Kultur beruht auf der Existenz ungeschwächternationaler Kulturen.

IV.Der Beschuldigte hat in der Tat eine AnzahlKriegsgedichte veröffentlicht, die zum Teil unter derSammelmarke „Gottlieb“ im Roten Tag erschienen sind.Unter diesem Namen schrieb auch Professor Dr. FranzOppenheimer und wurden andere Stimmen veröffentlicht.Die Gedichte, die der Beschuldigte selbst verfassthat, nahm er, soweit sie dazu geeignet erschienen,

in die Sammlungen seiner Gedichte auf.

Der Beschuldigte hat seine Stellung zum Kriegebereits im September 1914 in einem Aufsatz der „NeuenRundschau“ niedergelegt.

Darin ist unter Nr. 10 folgendes gesagt:Manchmal vergebens bemüht, ‚launig‘ zu sein,frohere Verse zu kritzeln. Es geht nicht.Dann folgt ein solcher Versuch eines Verses, woraufder Beschuldigte wiederum schreibt:Es geht nicht.

Es folgt nunmehr ein anderer Versuch, beginnend mitden Worten:Heiliges Russland, wenn es doch gelänge.Am Schluss des Versuches wiederEs geht nicht.

Ebenso lehnt dann der Beschuldigte eine Anzahl vonZeitungsschlagworten über die Feinde z.B. „Feloniedes Zaren“ oder „Belgische Niedertracht“ ab.

Das Verfahren des Privatklägers wird nun dadurchgekennzeichnet, dass er diese vom Beschuldigten ebenmit den Worten „es geht nicht“ abgelehnten Gedichts-versuche in seinem Artikel als besonders scheusslicheAeusserungen des Beschuldigten wiedergibt. (Seite 83 undS. 85).

V.Der Privatkläger behauptet (Seite 87), dass derBeschuldigte im Kriege der Bestien in Grausamkeit versiert war,in jener scheusslich gewitzten Grausamkeit, diedas eigene Leibeswohl hinter der Schanzeeines Schreibtisches deckt.

Der Privatkläger bezichtigt also den Beschuldigten,dass er sich feig vom Kriegsdienst gedrückt und trotz

dem grausam zum Kriege gehetzt hätte.

Dabei weiss der Privatkläger (s.S. 84 Zeile 4 u. 5),dass der Beschuldigte sich freiwillig zum Eintrittin den Heeresdienst gemeldet hatte, aber abgelehntworden war.

Hier also verleumdet der Privatkläger den Be-schuldigten auch im Sinne des § 187 St.G.B. widerbesseres Wissen.

VI.Eine weitere verleumderische Behauptung des Privat-klägers ist die Stelle auf Seite 77 Zeile 9 und 10,die darauf hinausläuft, der Beschuldigte hätteden deutschen Botschafter v. Hoesch nur deshalb zuden „Wertvollen“ gezählt, weil er von dessen Weinengetrunken habe.

VII.Der Privatkläger leistet sich aber nicht nurdie vorgenannten unwahren Behauptungen, sondern seinAufsatz wimmelt auch von gröblichen formellen Belei-digungen. Von diesen seien hier nur einige alsBeispiel angeführt:

Seite 72: „Schamfreiheit“, der Vergleich mit einemPavian“, „eine Stelle, wo er noch er-rötet .“Seite 73: Quallen; Vorkämpfer vom Bestialischen undvon überalteter Schmierigkeit.Seite 75: Brechreiz.Seite 76: Hineinkriechen.Seite 78: Lausi.Seite 79: Häuferl von Dreck,erwischter Schwindler,an den Pranger gestellt.

Seite 80: Freche Farce.Seite 83: Begriffsmogler.Seite 86: Ordinärheit.Seite 87: Unflat.Seite 95: er habe dem Beschuldigten einen Trittversetzt.

Wenn der Beschuldigte in sofortiger Erwiderungdieser Insulten dem Privatkläger gesagt hat, waser von ihm denkt, namentlich ihn als einen „Ver-leumder“ bezeichnet hat, so hat er in Wahrungberechtigter Interessen gehandelt.

Das Heft der „Fackel“ und die „Neue RundschauHeft 9 Jahrgang 1914 werden bei Gericht nieder-gelegt.

Die RechtsanwälteWolfgang Heine und Dr. A. Karger,durch:gez. Wolfgang Heine Rechtsanwalt

1) Abschriften an Osk. Samek (Stempel)

2) An das Gericht: In pp.habe ich die Abschriften derEhrenerklärung vom 29. Aprild. J. heute erhalten.

Ich werde voraussichtlichmich hierauf schriftlich äussern

3) Am 14. 15 5. Mai 2724 i J 20 d2n2f 1 S. 5d

5. Mai 27