68.74 Schriftsatz in Sachen Kraus ./. Kerr (Alfred Kerr an das Amtsgericht Charlottenburg, G.Z. B.2 27)

Schreiberhände:

  • Alfred Kerr, braune Tinte
  • Karl Kraus, Bleistift
  • blauer Stift

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 1. Februar 1928
Seite von 34

links oben petit d

Schriftsatzin SachenKraus ./. Kerr 44 B. 222/27

An dasAmtsgerichtCharlottenburg

Erst jetzt ist die Antwort auf den zuletzteingereichten gegnerischen Schriftsatz möglich:weil Herr Kraus den Prozeß des bestochenen Musikkri-tikers Tappert heranzieht, und weil die 31 Jahrealten Zeitungsausschnitte, welche diesen Prozeß be-treffen, schwer und mit grosser Verzögerung aufzu-treiben waren. Ich kann sie nun dem Gericht vorle-gen. Der Kläger hat auch hier einen kaum noch wahr-scheinlichen Umdrehungsversuch unternommen.

Die folgenden Zahlen beziehen sich auf dieSeiten des klägerischen Schriftsatzes.

a S. 3. – Um die Tatsache meines sofortigen Erwi-derns auf seine Beleidigungsversuche zu entkräften,behauptet der Kläger, ich sei ständiger Leser derFackel“. Ich habe sie in 15 Jahren fast nie gese-hen. Ich musste dann erst fast sämtliche Bändeder „Fackel“ auf der Preussischen Staatsbibliothek leider durchlesen, als Herr Kraus mich zu diesemzeitraubenden und öden Tun veranlasste. (Beleg fürEntleihungen liegt vor.) b

Herr Kraus nimmt in Selbstüberschätzung an,ich werde auf seine Antwort „gewartet“ haben. Aberwarten kann man auf etwas, was wenigstens alle Mona-te regelmässig erscheint – nicht auf ein Heft, dasim Zeitraum von drei Monaten ungefähr ein Mal irgend

wann ganz unregelmässig herauskommt und beiuns kaum aufzutreiben ist. c In drei Monaten hatunsereins schliesslich an anderes zu denken, als anHerrn Kraus in Wien. Ich bin durch Arbeit bean-sprucht, oft verreist. Gelegentlich, sehr vielspäter, erfährt man durch einen kuriosen Zufall,dass vor längerer Zeit wieder ein Angriff des HerrnKarl Kraus erfolgt sein soll – man wird des ein-schlägigen Heftes nach einer Weile habhaft und rea-giert sofort. So geschah es hier. Es ist diesimple Wahrheit.

d Wenn ich in einem solchen Fall schrieb: „Manmuss ihn wieder mal vornehmen“, so heisst das:gelegentlich. Folgendes kommt hierbei in Betracht:Im allgemeinen kehrt man sich wenig an die Angriffedes Kraus, da sie ja maschinell, berufsmässig, inermüdender Gleichförmigkeit und ziemlich gegen jedenerfolgen. Er hat fast alle Wertvollen in Deutschlandzu schmähen versucht, ohne viel Beachtung zu finden.(Ein österreichischer Landsmann des Klägers hat esso ausgedrückt: „Kein Lebendiger grösseren Formats,dem der Zwerg nicht … Beschimpfungen nachschmisse.“)eDie Beschäftigung mit ihm ist unter solchen Umstän-den so dringend nicht, dass man auf einen neuen An-griff eigens „warten“ sollte. Der Kläger selbstbestätigt unfreiwillig diese Tatsache, indem er!sagt, dass ich schon früher, als er mein Rumänen-liedchen (wider einen Kriegsgegner Deutschlands ge-

richtet) in einer seiner unbeachteten Berliner Vorlesun-gen höhnisch aufgesagt hatte, – dass ich erst viel spä-ter eine Gegenbemerkung äusserte: eben auch erst, alsich davon durch einen Zufall viel später erfuhr.

Herr Kraus wirkt in Berlin so gut wie incognito; waser selber knirschend feststellt. Ich wohne draussen imGrunewald, komme wochenlang nicht in die Stadt, niemals inein Caféhaus, wo vielleicht ein paar Intellektualitäts-jobber von ihm reden. Die Bekundung der Neuen ZürcherZeitung (März 1924): „Von tausend Menschen an der Spreedürfte kaum einer die ‚Fackel‘ auch nur dem Namen nach!kennen, geschweige denn, dass er sie je in der Hand ge-halten hat“, entspricht völlig der Wahrheit.

Endlich: es besteht gar kein Grund,weshalb ich die Kraus’schen Beschimpfungsversuche nichtfrüher erwidert haben sollte – wenn ich sie früher ge-kannt hätte. f

S. 7. – Er behauptet, um den Wert meiner freiwilligenMeldung als Soldat 1914 herabzusetzen, ich wäre gewissin das hinterste Pressequartier“ gekommen, und zwar,sagt er irrig, „als Redakteur des Berliner Tageblatts“.Der war ich nicht. Er hat kurz zuvor behauptet, dassich die Scherlsche „Livree“ trug. Er macht mich aber zurselben Zeit zum „Redakteur des Berliner Tageblatts“.!Wohl nur ein Schreibfehler. g

S. 11. – In dem Wort „Livree“, „Kriegslivree“ liegt die

Verleumdung. Kraus schreibt über mich (Oktober 1926 S. 87):Er hat gewusst, dass die nationalen Kunden der Firma(Anm.: Scherl), die beim Frühstück als Ersatz für Bohnen-kaffee blutige Witze haben wollten“, … die unter ‚Gott-lieb‘ geäusserte Gesinnung „goutierten“. Er legt alsonahe, dass ich mich diesen „Kunden angepasst habe. Jetzthingegen sagt er: „Es ist aber mit keinem Wort von mirangedeutet worden, dass Herr Kerr seine Haltung nach die-sen Wünschen erst gerichtet …“; Kraus habe gar nicht be-hauptet, dass ich „im Frondienst der Firma als Kriegshetzergewirkt“ – er will das nicht gesagt haben, obwohl er vonLivree, also von der Tracht eines kommandierten Lakaien!spricht. Das ist kennzeichnend für seine Methode, sichhinterdrein herauszureden. h

S. 13ff. – Der Fall Tappert.

Eine der Verleumdungen des Kraus gegen mich hattedarin bestanden, dass er („FackelJuni 1924 S. 80)schrieb, er wisse, „dass ich mit ihm (Anm.: nämlich Kerr)nie, auch nicht 1897, in einer anderen persönlichen Verbin-dung gestanden bin, als dass ich ihn einmal vor derscheusslichen Gerichtsverhandlung, durch die er den grei-sen Musikschriftsteller Tappert um sein Brot brachte,einen Moment sah und dann angewidert nicht mehr kannte.Die kaum vorstellbare Unwahrheit dieser Behauptungen istin meinem letzten Schriftsatz (S. 4ff.) dargetan. Zuihr fügt Herr Kraus jetzt eine neue: indem er, mit ver-blüffender Umdrehung des Tatbestands, den notorisch be-

stochenen Musikkritiker zu einem rührenden Greis maskiert,der um sein Brot (nämlich um die Bestechungsgelder) durchden Prozeß gebracht worden sei, – den er gegen mich ange-i!strengt hatte. Herr Kraus zitiert zu seiner Hilfe wirk-lich und wahrhaftig Äusserungen des damals mitkompromit-tierten Blattes (es war „Das Kleine Journal“ des Dr. LeoLeipziger ) – des Blattes, das einen der Bestochenheit völ-lig Überführten trotzdem als Kritikstar behielt. j

Stets wieder taucht vor dem gerührten Auge des sonstberufsmässigen Korruptionsenthüllers Kraus im Schriftsatz der „greise Musiklehrer“ auf, d.h. jemand, der die Unsau-berkeit bis zu einer ziemlich hohen Altersgrenze fortge-setzt hat. Kraus hat mir von seiner Rührung nie etwasmitgeteilt; auch nie ahnen lassen, dass er mich „angewi-kdert nicht mehr kannte denn er wollte ja nachher mit mirzusammen sein, er schrieb mir, er bat mich um Mitarbeit,er druckte Äusserungen von mir rühmend nach. Das nennter: mich angewidert nicht mehr gekannt haben, nachdem ermich nur einmal einen Moment gesehen haben will. DieBeweise für sein Verhalten werden vorgelegt.

Tappert war vor 31 Jahren der gefürchteste und gröbsteRhadamanthys der Berliner Musikkritik, der sich vonSpielern und Sängern vor dem Auftreten „schmieren“ liess.Das ganze Heer der anständigen Berliner Kritik hat da-mals unter Eid vernichtende Gutachten über sein Tun abge-geben. Ich lege dem Gericht Zeitungsausschnitte überden Prozeß vor. Das Schlußergebnis beleuchtet die Sach-lage: „Der Kläger Tappert nimmt die Klage zurück und

trägt sämtliche Kosten, auch diejenigen des Privatklä-gers, worauf letzterer gleichfalls die Klage zurück-nimmt“. Was das Zurücknehmen der Klage durch die zweiBestochenen, Tappert und Lackowitz, bedeutet, ergibt sichaus dem Wortlaut meiner vorausgegangenen öffentlichenAnschuldigung; sie lautete:

col nicht eingezogenDie empörende Tatsache besteht, dass gewisse Kritikerin der deutschen Hauptstadt sich von Denen mästen,die sie beurteilen sollen; dass sie selbst Anfän-ger, die für ihr erstes Konzert das Letzte hinge-ben, frech ausbeuten; dass sie Bestechungsgelderannehmen und indirekt erpresserisch vorgehen. Esist unnötig zuzufügen, dass diese nur eine winzigeMinderheit gegenüber der anständigen Berliner Mu-sikkritik bilden … Erbarmungsloses Aufdecken kannhier einzig helfen. Und so will ich den Anfang ma-chen:

Ich klage hiermit Wilhelm Tappert, wohnhaftzu Berlin, Bellealliancestrasse 68, der unlauterenZugänglichkeit für Geldgaben und Missbrauches seinesAmtes an.

kDesgleichen bezichtige ich Wilhelm Lackowitz,wohnhaft zu Berlin, Weissenburgerstrasse 56, dergemeinen Bestechlichkeit durch Geld.

Ich erkläre zugleich, dass ich bereit bin, ih-nen vor dem Richter wegen dieser BeschuldigungenRede zu stehen. Alfred Kerr

Ich lege Zeitungsstimmen aller Parteien vor, von rechts wievon links, welche das niederschmetternde Ergebnis der Be-weisaufnahme für die zwei bestochenen Kritiker feststellen.Es war eine Reinigungsaktion, zum besten meines eigenen kri-tischen Berufs unternommen, von der ganzen sauberen Kritikl dankbar anerkannt – von Herrn Kraus angefochten, doch erstjetzt nach 31 Jahren angefochten; vorher kein Wort. Umseine grotesk unwahre Darstellung zu stützen, hat HerrKraus den Mut, sogar das später erfolgte „Ableben“ des derpassiven Bestechung reichlich Überführten mir beweislosmund flink in die Schuhe zu schieben. Es kennzeichnet ihn.

Herr Kraus versucht als letztes Mittel, einen Unter-schied zwischen der ersten und der zweiten Prozeßverhand-lung zu konstruieren. Er will mir blos nach der erstenl !freundschaftlich geschrieben haben usw. Die passive Be-stechung beider Musiker stand jedoch nach der ersten Ver-handlung bereits fest; die zweite Verhandlung war – bisauf die Zurücknahme der Klage durch Tappert und Übernahmesämtlicher Kosten, auch für mich, – belanglos. Der Bericht sagt von diesem Abschluß des Prozesses (23.XII.1897):Die (zweite) Verhandlung selbst ergab nicht viel Neues.Es stellte sich u.a. noch heraus, dass Herr BötelHamburg bei einem seiner Berliner Gastspiele an Tappert 50 M ge-schickt hat“. Weiter: „Der Konzertagent Eugen Stern bekun-det, dass er von dem Klaviervirtuosen Zoetsch Geld erhaltenhabe, um es an die Kritiker zu verteilen. Dies sei gesche-hen. Alle Kritiker hätten das Geld zurückgeschickt, Tap-pert und Lackowitz aber nicht“. Dies war der letzte Grussan den rührenden Greis, bevor er nach diesem Beweisergebnisdie Klage fallen liess und alle Kosten übernahm, um sichauf das durch Herrn Kraus jetzt festgestellte viel spätereoAbleben zurückzuziehen. Er blieb weiterhin Kritiker an demKleinen Journal! …

Aus dem damaligen Bericht deutscher Zeitungen. –Die Deutsche Tageszeitung schrieb schon nach der ersten aus-schlaggebenden Verhandlung: „Der Prozess Tappert ist ver-tagt worden, aber es ist doch klar, dass der BeklagteDr. Kempner (Kerr) als moralischer Sieger aus dem gericht-lichen Kampf hervorgehen wird. Es hat sich unzweifelhaft

ergeben, dass die Kläger Tappert und Lackowitz in verschie-denen Fällen ganz ansehnliche Geldsummen von Künstlern ge-nommen haben, die sie zu beurteilen hatten … Die Erklä-rung der Kläger, dass sie diese Zuwendungen als Entgelt fürSpesen (Nachtdroschken, Abendessen usw.) aufgefasst hät-ten, ist völlig haltlos, denn der Kritiker wird für allesdas von seiner Zeitung entschädigt, so dass zum mindesteneine doppelte Honorierung erfolgt“.

Die „Nationalzeitung“ urteilte folgendermassen:Wenn über die juristische Frage der ‚Beleidigung‘ die Ent-scheidung noch aussteht, so kann über das tatsächlicheErgebnis der Verhandlung und über die moralische Beurtei-lung desselben doch kein Zweifel sein. Die Herren Tappert und Lackowitz haben von Künstlern, über deren Leistungensie zu berichten hatten, Geld genommen, und was sie zurRechtfertigung dieses ihres Verfahrens vorbrachten, mussals leere Ausflucht bezeichnet werden“ … Es „darfüber die Verurteilung des vor Gericht festgestellten Ver-fahrens der Herren Tappert und Lackowitz und über die Zu-rückweisung der von ihnen versuchten Entschuldigung des-selben seitens der Presse kein Zweifel gelassen werden.Wir sehen unsererseits keinen Grund, damit bis zur gericht-lichen Entscheidung der ganz untergeordneten Frage, objuristisch ‚Beleidigungen‘ vorliegen, zu warten “.

Die Österreichische „Zeit“ kam zu folgendem schar-fen Endurteil: „Die Zeugenaussagen sind für jeden, derdas Gefühl für journalistischen Anstand nicht total ver-loren hat, einfach niederschmetternd … Herr Tappert hatte

die Stirn, die vielen unsauberen Vorgänge, in die er verwik-kelt war, einfach als etwas ganz Selbstverständliches hin-zustellen“ usw.

Das „Kleine Journal“ (gegen das Herr Kraus später!prozessiert hat, auf das er sich hier jedoch beruft), bekamvor 31 Jahren folgende Zensur: „Das ‚Kleine Journal‘ hattrotz der für Herrn Tappert hervorragend ungünstigen Ergeb-nisse der Verhandlung, trotzdem der Ankläger Tapperts, HerrDr. Kerr, straf- und kostenfrei aus dem Prozeß hervorgeht,den absonderlichen Mut, seinen Lesern die Mitteilung zu ma-chen, es habe dem Ersuchen des Herrn Tappert, ihn von derStellung als Musikkritiker entheben zu wollen, nicht statt-gegeben. Das Blatt gibt zwar zu, dass Herr Tappert leicht-sinnig und unkorrekt verfahren sei, dass seine Handlungs-weise mit der Berufsehre eines vornehmen Kritikers in bedau-erlicher Weise kollidiere, will ihm aber trotzdem verzeihenund den Fall Tappert vergessen.“ Die Öffentlichkeit werdedas nicht tun … Aber Herr Kraus verzeiht ihm – plötzlichheut, um eine nachweislich unwahre Behauptung über mich et-was zu stützen. p

Ehrengerichtliches Verfahren gegen den Musik-schriftsteller Lackowitz“, (15. VII. 1397) also bereitsnach der ersten Verhandlung): „Der MusikschriftstellerWilhelm Lackowitz ist am 12. d.M. aus dem Verein BerlinerPresse ausgeschieden, nachdem gegen ihn auf Grund des Ergeb-nisses des Prozesses Tappert-Lackowitz das ehrengerichtli-che Verfahren gemäß § 8 der Statuten Abs. 23 Nr. 2 auf ein-stimmigen Beschluß des Vorstandes genannten Vereins eröffnet

worden war“. Man vergleiche mit diesen Tatsachen die Dar-stellung des Herrn Kraus – und man hat ein allgemeines Bildseiner Art.

Das Ganze bleibt ein Ablenkungsversuch. qu Es handeltsich gar nicht darum, ob Herr Kraus den bestochenen gefürch-testen Musikkritiker des damaligen Berlin rührend findetoder nicht – das ist sehr gleichgültig. Sondern darum:dass er schrieb, er habe nach meiner Säuberungsaktion(die ihm also widerstrebt) mich „angewidert nicht mehr ge-kannt“, nachdem er mich nur „einmal“ „einen Momentgesehen habe. Wahr ist, dass er nach der ersten und nachder zweiten Verhandlung die besten Beziehungen zu mir auf-recht erhielt; dass er nur zum Zwecke der verleumderischenHerabsetzung das Gegenteil behauptet hat. Ich kann bewei-sen, dass er nicht nur nach der ausschlaggebenden erstenVerhandlung, sondern auch nach der zweiten mir Zeichen sei-ner durch Rührung ungetrübten Herzlichkeit gab, noch im Jah-re nach dem Prozeß, 1898, mit mir zusammenzukommen wünschte,in einem Bündel alter Literatenbriefe an mich findet sichnoch aus dem Jahre 1898 die Versicherung, er würde sich(zwei Mal von ihm unterstrichen) „sehr freuen“, mich in Wien zu einer bestimmten Stunde im Café Scheidl (natürlich einCaféhaus!) zu sehen. „Bin soeben aus Graz zurückgekommen“.Dann, zur Sicherheit dringlich: „Bitte mich event. schrift-lich zu verständigen, wann ich Sie sprechen kann“. In die-ser Art. Solche Zuschriften werden vorgelegt. Und jetztfolgen seine weiteren Näherungsversuche an den vorgeblichangewidert nicht mehr Gekannten, den er nur einmal einen Mo-

ent gesehen haben will.

Wieviel Zeit in dazwischen verging, ist belanglos.Hauptpunkt: er hat sogar noch zehn Jahre nach dem Tappert-prozeß wiederholte Näherungen versucht an einen verleumderischals verachtenswert Hingestellten, den er angewidert nachdem Tappertprozeß nicht mehr kannte. Karl Kraus hat mich1907 telegraphisch um Mitarbeit an seiner Zeitschrift (gegen Harden) gebeten, freilich erfolglos; Beweis wirdvorgelegt. Er hat mein Girardi-Gedicht mit schmeichelndenWorten in seinem Blatt nachgedruckt. Er „erinnerte“ sichhalt nicht an die Zusammenkünfte nach dem Prozeß, an diefreundschaftlichen Briefäusserungen, an die Bitte um Mitar-!beit, an den rühmend glossierten Nachdruck, – an allesdas „erinnert“ er sich nicht mehr, sondern weiss, dass ermich angewidert nach dem TappertProzeß nicht mehr gekannthat. Das alles ist nicht nur unglaubhaft, sondern unwahr –bei dem pedantisch die kleinste Kleinigkeit registrierendenCharakter dieses Literatenhirns. Er hat wieder bewusst zumZwecke der Herabsetzung Unwahres über mich behauptet.

Nachtrag zu den Presseäusserungen über den ProzeßTappert: „Die Berliner Tagespresse kommt denn auch jetztschon (Anm.: nach der ersten Verhandlung) zu einer voll-ständigen Verurteilung der genannten beiden Rezensenten,welche mit seltener Einmütigkeit als gerichtet hingestelltwerden. (Breslauer Generalanzeiger 25.VI.1897)r

S. 22. – Das Urteil des hochstehenden SozialistenführersViktor Adler über unanständige anfechtbare Methoden des Herrn Karl Kraus

wird dadurch nicht entwertet, dass die Anständigkeit Adlers bei völlig anderem Anlass für Kraus eintrat. Adler hat ineinem einschlägigen Fall über Kraus folgendes geschrieben:Er weiss, dass er gemein entstellt, lügt und verleugnet verleumdet ,obwohl er keine Tatsache anführt, die an sich als unwahrberichtigt werden könnte. Das ist nämlich die Kunst desVirtuosen der Ehrabschneiderei.“ Ich kann mir diesen Wort-laut nicht zu eigen machen, aber die Tatsachen stimmen mitmeiner Erfahrung überein. Das nebenher. s

S. 26. – Ich habe bei der Berufung auf den Fall Bahr vor-her gewissenhaft bei dem Hauptbeteiligten angefragt – undvon ihm die Tatsache bestätigt bekommen, dass Herr Kraus wegen unwahrer Behauptungen über ihn, Hermann Bahr, „ein-!stimmig“ verurteilt worden ist. Es war schon im Beginnseiner Laufbahn, nämlich 1901. Der Fall stimmt.t

S. 28. – Da mein Stil, wie er andeutet, so leicht zu un-terscheiden ist, beweist das ungerechte Zuschreiben jenes Ma-surengedichts (welches Sterbende höhnt) die „Bedenkenlosig-keit“ des Kraus. Er behauptet nachträglich, ein Unrechtsei mir durch die willkürliche Zuschreibung jener Versenicht widerfahren. Zweifellos durch den schmähendenZusatz: „Vor dieser Scheußlichkeit bleibt wohl alles imHintertreffen … v

S. 29. – Kraus fragt (da er um meine Haltung im Krieg sobesorgt ist – nicht um seine deutschfeindliche), weshalb

ich damals gegen jenes Masurengedicht nicht Einspruch erhob.Er hat jetzt gut fragen. Damals hatte man mehr zu tun, alsjede Entgleisung bei dem Tempo jener Zeit festzunageln.Überdies war bekannt, dass unter „Gottlieb“ sehr Vielemitarbeiteten, auch Laien, nämlich Leser des „Tags“. Mankönnte, nur wenig übertreibend, sagen, dass unter „Gottlieb“eine Zeitlang – der Herkunft nach – halb Deutschland mit-gearbeitet hat. Die Form dieser Stehgreifgedichte konnte,wie gesagt, nicht immer ersten Ranges sein. „Literatur“war es nicht; und darum blieb der Sammelname „Gottlieb“sehr angebracht für so rasch Entstandenes, in den TumultGerufenes. Der Name Gottlieb war jedoch nicht etwa einVersteck für die Gesinnung. Ich habe z.B. das besondersstark von Herrn Kraus Zerworfene und häufig denunzierteOstpreussengedicht gegen die Russen („Peitscht sie weg,peitscht sie weg“) unter meinem vollen Namen damals inder Frankfurter Zeitung, nur dort, veröffentlicht und es1925 in meine Gedichtsammlung übernommen: weil ich seineForm vertreten konnte. Das nennt Herr Kraus: dieScherlsche Kriegslivree tragen.u

S. 33. – „… als er (Kerr) in Paris seine menschheitlicheWendung produzierteKraus verleumdet wieder bewusst; denner weiss (Neue Rundschau September 1914 usw.), dass ichwdiese „Wendung“ bereits im August 1914 „produzierte“.

!! S. 34. – „Da nun zugestanden wurde, dass er (Kerr) natür-lich ‚gegen den Krieg‘ war und eine Premiere bei Reinhardt

!!ihm lieber“ … Ich habe die von mir unterstrichenen Worte niegesagt – er fügt sie ein. Es wirkt, als ob ich sie ge-sagt hätte. x

S. 35. – Alle Rabbulistik beiseite gelassen, so hat HerrKraus meine Versuche, dem bedrängten Land nach meiner Fähig-keit zu helfen, eine Ordinärheit genannt.

yEr behauptet, von mir werde ein „Kunstgriff“ ange-wandt, „durch den dem Gericht die Gesinnung des Gegners an-rüchig gemacht werden soll“. Aber dazu bedarf es keinesKunstgriffs, nachdem er im Hinblick auf diesen Krieg ohneRespekt vor dem Unglück die zusammengebrochenen Deutschen!und Österreicher hämisch „Räuber“ und „Diebe“ genannthat, – ja, als sie zusammengebrochen waren. Das liest sich ohne Kunstgriff.z

S. 36. – Um seine verleumderische Andeutung, ich hätte dendeutschen Gesandten um seiner Weine willen zu den Wertvollengezählt, hinterher zu leugnen, gibt Herr Kraus vor, ich hät-te gesagt, „der Tischnachbar Hösch zähle für uns Künstlerzu den Wertvollen“. (S. 36 seines Schriftsatzes). Das isteine Unwahrheit, erreicht durch eine Umgruppierung.

Ich habe den deutschen Botschafter Herrn von Hoesch in diesem Zusammenhang überhaupt nicht als Tischnachbarngenannt. Ich hatte gesagt, dass er bei einem anderen Anlaß(bei dem mir gegebenen Bankett des französischen Kultus-ministers) mein Tischnachbar war und sich dort über die gros-se Herzlichkeit der Franzosen erfreut zu mir aussprach.Daraus macht Herr Kraus in der „Fackel“ die Wendung (S. 77),

ich hätte Herrn von Hoesch zu den Wertvollen gezählt, ‚weil er etwas von unserem Saft in seinen Adern führt‘, währendwir etwas von seinem Saft, den bekanten fabelhaf-ten Weinen der deutschen Gesandtschaft, übernehmen.In der zweideutigen Darstellungsform ist hier unverkennbarausgedrückt, ich hätte den deutschen Botschafter um seinerWeine willen zu den Wertvollen gezählt. Herr Kraus äus-sert zur Vervollständigung die Unwahrheit, Kerr habeden Wert dieser Weine wörtlich so hervorgehoben, ehe erden Gastgeber selbst wertvoll nannte.“ Das ist aber wieder unwahr.Ich hatte vielmehr (in einem österreichischen Interview)!Weine auf dem Bankett des französischen Kultusministers erwähnt. Aus alledem macht Herr Kraus den schielenden undverdächtigenden Satz, ich hätte den deutschen Botschafter zu den Wertvollen gezählt, „‚weil er etwas von unserem Saftin seinen Adern führt‘, während wir etwas von seinem Saft,den bekannten fabelhaften Weinen der deutschen Gesandtschaft,übernehmen“. Es ist seine Methode.1

S. 37ff. – Ich habe stets betont, dass ich, als ich diefranzösische Einladung zu zwei Vorträgen (über Möglich-keiten des Dramas) annahm, nicht eine politische Handlungvollzog; sondern es war ein menschlich-künstleri-scher Versuch, die Stimmung zu heben. Ich stellte nach-drücklich fest, dass unser Tun, nämlich dass der Künstler,getrennt sei vom Tun der Politiker. Herr Karl Kraus ent-stellt wiederum verleumderisch die Wahrheit mit der bewusstfalschen Behauptung, ich hätte hier in Paris „die Zeitungs-

fahne nach dem Weltenwind gedreht“. Er wusste, dass ichschon im Kriege den Krieg auf das heftigste verdammt hatte.In ganz ähnlicher Lage befand sich der (deutschfreundliche)Minister Painlevé, mit dem ich auf seinen Wunsch (nichtauf meinen) in Paris gesellschaftlich zusammenkam. Dieser pazifistische,deutschfreundliche Painlevé war ja selber im Kriege Kriegs-minister gewesen – und vertritt heut versöhnende Ziele;menschliche, den Krieg verdammende Ziele. Herr Kraus spricht in diesem Zusammenhang von einer Ausnutzung derKonjunktur“ (S. 38) und von „Versuchen der ‚Näherung‘, dieda Herr Kerr unternimmt“. Bedenkenlose Unwahrheit. DieFranzosen haben sie unternommen. Ich war eingeladen. VomVertreter der Sorbonne schon auf dem Bahnhofe empfangen,durch den Rektor und die Dekane feierlich begrüsst, durchjenes Bankett unter dem Präsidium des Kultusministers ge-ehrt. Ich habe weder Painlevé noch einen anderen Ministerweder vorher noch nachher aufgesucht, keine einzige Karteabgegeben. Ich traf in der deutschen Botschaft auf Wunschdes Herrn von Hoesch ausser diesem Kultusminister Daladier noch die Staatsmänner Berthelot und de Monzie – und wiederPainlevé. Ich habe keinen der dieser Franzosen je aufgesucht. Diefranzösische Ehrung galt einem deutschen Schriftsteller.Ich habe ruhig und sachgemäss in dem einzi-gen Aufsatz, den ich, Monate danach, über meinen Pariser Besuch schrieb,festgestellt, dass mit ein paar deutschfreundlichen Politi-kern in Frankreich, eben diesen, wohl ein Auskommen möglichwäre. Ich hob das ohne jeden stürmischen Enthusiasmus her-vor – Herr Kraus sagt sofort verleumderisch, dass ich „ ihnen

hineinkrieche“. Er unternimmt im Schriftsatz eine verpfuschende vertuschende Umdeutung – vergisst aber die Kleinigkeit zu erwäh-nen, dass er von diesen Staatsmännern gesagt hat, ich krieche ihnen hinein. („FackelOktober 1926 S. 76)Da nicht der geringste Anlass für diese Behauptung vorlag,hat er wieder bewusst verleumdet.2

S. 39. – Nur beiläufig sei erwähnt, dass er, um meinen Pari-ser Besuch herabzusetzen, sich aus den Fingern saugt, ichsei von der Firma Mosse nach Parisgesandt worden. Nach-dem ich von deutschfreundlichen und friedensfreundlichenFranzosen amtlich eingeladen war. Es bleibt trotz allemseinem Gerede bestehen, dass er hier bedenkenfrei drauflos-fabelt. Kennzeichnend für seine Methode der Herabsetzung:er schreibt auf gut Glück solche Unwahrheiten hin. Er willmich in einer Herzensangelegenheit offenbar wiederum alsTräger einer Livree darstellen. Er hat wieder, rein auf gutGlück, Unwahres behauptet.3

S.38. – Dass die Angaben der „Fackel“ über meinen Aufent-halt in Paris spasshaft unwahr sind, ergibt sich sofortaus einem Vergleich mit fast allen Zeitungsberichten, deut-schen, schweizerischen, französischen. Bezeichnend fürdie Methoden des Kraus ist folgende Tatsache. Bei meinemzweiten Pariser Vortrag gab es einen Störungsversuch, dererfolglos verlief: ein serbischer Student behauptetefälschlich, ich hätte die Verse „Jeder Schuss ein Russ“usw. verfasst. Dieser junge Serbe, durch meinen Vortrag

bekehrt, hat aus freiem Willen mir brieflich mitgeteilt: er sei zu diesem Störungsversuch angestiftet worden – vondeutschen Landsleuten gegen einen Deutschen: nämlich vonder Gruppe des Kraus, der mit ihr von Wien aus in telegrafi-scher Verbindung stand. Das Bekenntnis des jungen serbi-sehen Dichters mit dem Bericht über diese Jämmerlichkeit kennzeichnende Tatsache wird dem Gericht vorgelegt.

4Auf S. 39 reisst Herr Kraus einen Satz Paul Blocks (er ist Korrespondent des Berliner Tageblatts) entstel-lend so aus dem Zusammenhang, dass alles einer Lüge gleich-kommt. Er verschweigt, dass dieser Paul Block den starkenErfolg meines Pariser Besuchs meldet – (den auch der vor-sichtige Botschafter Herr von Hoesch festgestellt hat).5

S. 40. – Herr Kraus wagt mir die „Absicht einer Irreführungder Behörde“ unterzuschieben, weil ich der Wahrheit gemässbehaupte, dass die Angriffsversuche des Kraus erst nach mei-ner (massvollen, aber nicht zustimmenden) Kritik über einen!seiner Berliner Vorträgeintensiv und systematisch“ wur-den. Das ist der Fall. Vorher waren sie nur tröpfelnd undselten gewesen – seit meinem Zwist mit dem Polizeipräsiden-ten von Jagow 1911; der was eine unbefugte Einmischung desKraus von Wien her nach sich zog. Diese damalige Polemik,(1911) hatte sich in heftigen Ausdrücken, auch meinerseits,abgespielt. Darüber war längst Gras gewachsen, dreizehn!Jahre vergangen. Jetzt aber, nach meiner glimpflichen Kritik seiner Vor-lesung, hat Herr Kraus sofort intensiv und systematischgelogen, dass er seit dem Tappert-Prozeß mich an-

gewidert nie mehr gekannt habe, nachdem er mich überhauptnur einmal einen Moment lang gesehen habe (siehe oben).Und als ich, nach dieser zum Zweck der Herabsetzung un-ternommenen Lüge, später in drei Zeilen gelegentlich seineArt gekennzeichnet hatte, – erst dann hat er wieder langeAufsätze gegen mich verfasst, nicht mehr nur sporadischeBemerkungen getan, sogar in hämischer Absicht mein Bild ver-öffentlicht. Nun erst kamen die langwierigen Beschimpfungen ge-gen mich. Nun erst war seine sogenannte Polemik intensivund systematisch. Daran ist nicht zu rütteln. Ausgangspunkt!war meine nicht ganz günstige Kritik seines Vortrags … Ichhabe mit drei oder vier Zeilen quittiert, wenn ich von sei-nen Angriffen erfuhr. Sein „geistiger Kampf“, von dem erspricht, (eine pathetische Benennung), ging wirklicherst jetzt, nach der nur halbgünstig kritisierten Vorlesung,wieder systematisch und intensiv an. Will sagen: erschimpfte besinnungs- und masslos wider mich. Ich hattesein Blatt ungefähr ein Jahrzehnt mit keinem Buchstaben zuGesicht bekommen. (Wer möchte diese lang spaltigen wierigen Haarspal-tereien dauernd lesen.) Erst lange nachher wurde mir be-kannt, was hier ausschlaggebend ist: dass er, wie gesagt, über einerecht glimpfliche Kritik seines Vortrags jene tobsüchtigeWut in der „Fackel“ geäussert; er habe mich angewidertnie gekannt und so weiter. Man erfuhr solche Züge immererst spät und über den durch einen Zufall.

S. 42. – In meinem Zwist mit dem Polizeipräsidenten vonJagow (worin Männer wie Ludwig Thoma mir öffentlich zu-stimmten) hatte sich Herr Kraus in Wien unbefugt einzumi-

sehen versucht und eine, allerdings grobe Abfuhr von mirbesehen; 1911. Seitdem war ich viel in der Welt herumgekom-men und hatte rund zehn Bände geschrieben. Dreizehn Jahrenach diesem Zwist, 1925, hat ein österreichisches Blatt,Die Stunde“ meine damalige polemische Erwiderung an Kraus ohne mein Wissen abgedruckt. Dass es ohne mein Wissen ge-schah (ich befand mich in Italien) beweist eine schriftli-che Bekundung, welche dem Gericht vorgelegt wird. Herr!Kraus bestätigt es. Ich sträube mich gegen den Versuch,fünfzehn Jahr alte, mit dem vorliegenden Streit gar nichtzusammenhängende Sätze meiner damaligen Polemik hineinzu-ziehen. Der damals heftige Ton war die Antwort auf übleBeschimpfungen durch Kraus. Alles liegt fünfzehn Jahrezurück – und ich erhebe Einspruch, dass Herr Kraus diese! verschollenen Dinge jetzt zu bestimmtem Zweck dem Gericht überreicht.6

S. 43. – Auffallend ist die zur Entschuldigung von ihm an-geführte Behauptung, er habe mein bei Scherl im Krieg er-schienenes Versöhnungsgedicht, mit der Begegnungeines Holsteiners und eines Franzosen beim Einscharren derLeichname – er habe gerade dieses Gedichterst jetzt!!kennen gelernt. Wieso? es steht in demselben Blatt indenselben Jahrgängen wie die andren, die er „gegen“ michanzuführen sucht.

7 S. 45. – Herr Kraus schreibt mit Bezug auf mich: „Die Ge-sinnung ‚für Deutschland‘, mit deren dickster Unterstrei-

chung er sichtlich auf nationale Antriebe bei der Recht-sprechung in einer Beleidigungssache abzielt“. Die Gesin-nung des Kraus, der meine lange vorher und immer in Vers!wie Prosa bekundete Liebe zu Deutschland kennt, zeigt sich8in diesem Satz.

S. 49. – Herr Karl Kraus glaubt etwas Satirisches zu sagen,wenn er von meiner Mischung aus vaterländischen und mensch-lichen Eigenschaften spricht (er nennt es deutschnationaleund kosmopolitische Eigenschaften). Er weiss nicht, dass9er hier die Wahrheit sagt.

S. 49. – Er behauptet, dass ich mich „für das Gericht“ alsPatrioten „darstelle“ und mich „als Musterdeutschen offe-riere“ – weil ich (rechtens!) in meinem früheren Schrift-satz gesagt habe, dass es mir widerstreben würde, empfun-dene Strophen aus Kot und Bedrängnis diesem Herrn Kraus zuunterbreiten; sondern dass ich es für die Richter tue.

10Ich „offeriere“ mich also nicht als Musterdeutschen– sondern blos als jemanden, der damals einen schweren Kon-flikt erfuhr. Ich würde ja auch einen Einbrecher oder je-!manden, der etwa meine Kinder bedroht, mit Axthieben un-schädlich machen, nötigenfalls Andre durch jedes Mittel dazuanfeuern – aber zugleich die tiefste Erschütterung füh-len, dass es geschehen muss. Dies war, gleichnismässig,die Grundempfindung im Krieg – kaum die Grundempfindungfür eiskalte Routiniers.

11Ich vermerke hier die von Herrn Kraus stets wieder-holten Versuche, meine Darlegung des wirklichen Sachverhalts

als „Spekulation“ auf das Gericht, als eine captitio, eineUmschmeichelung oder Irreführung hinzustellen. Ich willsolche Andeutungen des Herrn Karl Kraus glossenlos hier zu-sammenstellen:

48. KerrsZuversicht, auf das von mir bemühte Gericht Eindruck zu machen“.49. KerrsErwartung, die Justiz werde solchen Trug nichtdurchschauen“. – Der sich offerierende Musterdeutsche,der mit solchen Argumenten „sich extra um ihren Eindruckauf das Gericht bemüht“. Eine „Tatsache, die allein ihmvor jedem Forum zur Verurteilung verhelfen müsste“.67. „… so weiss er (Kerr) Stimmung für ein Gerichts-verfahren zu machen“ – – „um dem vaterländischen Mann12zu einem Erfolg zu verhelfen“ usw.

S. 51. – Mein voriger Schriftsatz sagte mit Bezug auf Kraus:Er hat österreichische Schriftsteller des Plagiats beschul-digt, während er selbst Plagiate beging“.

Beweis: er hat die Mystifikation, die ein junger!österreichischer Schriftsteller, Kulka, mit Stellen ausJean Paul vornahm, indem er sie in ein Burgtheaterprogrammunter seinem Namen schmuggelte – Kraus hat dies mit wilde-ster Schärfe als Plagiat gegeisselt. Danach wurde von demösterreichischen Dichter Albert Ehrenstein ihm selber nach-gewiesen, dass er Ähnliches getan; dass er das Neue Testa-ment zu kräftigen Entlehnungen verwendet hat. (Kraus be-!!diente sich dazu nicht der leicht erkennbaren Luther-Über-setzung, sondern einer wenig bekannten mit andrem Wortlaut).Dabei hatte Kulka vor dem Druck seinen Freunden Mitteilung von dem beabsichtigten Streich gemacht. Kraus, auf die Her-kunft aus Jean Paul anscheinend von dritter Seite hingewie-sen, hat den jungen Kulka deshalb förmlich in der Luft zer-rissen. Einige Proben, wie Kraus Kulkas Verhalten benannt

hat – diese Benennungen gelten also auch für ihn:

Der Staat müsse „zum Teufel gehen“, wenn ein „Ethos,das den impotenten Literaten zur Plünderung eines Klassi-kers verleitet, ungestraft bliebe“. Kraus erblickt hiereinen zivilen Betrugsfall, der nur zufällig in der li-terarischen Sphäre spielt“. Er geisselt moralisch denVersuch „eine Kunstwirkung zu schaffen, die nicht seltender Dieberei sich zuneigt“ … „hinter einem, der sichnicht mehr schützen kann“. Das kann der Verfasser derOffenbarung Johannis auch nicht. Lichtenberg und Rückert auch nicht.

Mag man die von Kraus vorgenommenen Entlehnungen scharf oder!mild beurteilen: wesentlich ist, dass Herr Kraus sie nachseinem eigenen Vorgehen als Plagiat betrachten muss. HerrKarl Kraus betont ja mit komischer Nachdrücklichkeit jede!kleine Übereinstimmung, etwa beim Professor Gundolf, ja so-bald nur eine „Anlehnung“ an ihn selber vorzuliegen scheint.Als er jedoch der Bibelverwertung in dem wenig bekannten!!Wortlaut des Leander von Ess überführt war – er hatte unge-fähr dasselbe begangen wie der von ihm als Plagiator gepfähl-te junge Kulka – da erklärte Kraus die „Verwendung von Bi-belmotiven“ (nämlich Abschreiben und ein bischen Versifizie-ren langer Strecken) sehr vorurteilsfrei als Nichtplagiat.!Er sprach davon erst, als er überführt worden war – und alser einen Andren bei verwandter Tätigkeit „entlarvt“ undzermalmt hatte. Er hat also, wenn sein eigenes Urteil gel-13ten soll, hier ein Plagiat begangen. Auch anderswo. Ich14 !sehe von dem ab, was Hermann Bahr auf diesem Gebiet vorge-15rechnet hat, und was Herr Kraus jetzt leugnet. Kraus schreibt in einer Polemik („Fackel“ 1924 S. 162) den Satz:!Aber wenn es schon hohl klingt, wo ein Kopf mit einem Buch… zusammenstösst“ usw. – er vergisst jedoch leider mit-

zuteilen, dass dieses Witzwort von Lichtenberg stammt.Nicht von ihm. (Lichtenberg: „Wenn es hohl klingt, wo einKopf mit einem Buch zusammenstösst, muss es dann immer dasBuch gewesen sein?“) Die „Leistung“ des Kraus bestand in sol-chen Fällen, wie er euphemistisch sagt, in der von ihm un-ternommenen „Einschöpfung“. Er leistet diese Einschöpfungstill und macht kein Aufhebens davon, bis er betroffenwird. „Die Plünderung eines Klassikers“, hat er vorhin ge-sagt, dürfe „nicht ungestraft bleiben“. Er sah hierin(bei Andren) einen „zivilen Betrugsfall“. Ist Lichtenbergs Wort ihm nur „angeflogen“? Kraus hatte prophetisch geschrie-ben:

Die gefährlichsten Literaten sind die, welche ein gu-tes Gedächtnis aller Verantwortung enthebt. Sie kön-nen nichts dafür und nichts dagegen, dass ihnen etwasangeflogen kommt. Da ist mir ein ehrlicher Plagiatorschon lieber“. Wie wahr! 16

Als ihm nachgewiesen wird, dass er Rückert erleichtert hat,der in der „Weisheit des Brahmanen“ schrieb:

Man lebt nicht zweimal, und wie gross ist deren Zahl,Die leben auf der Welt auch einmal nicht einmal“,

was Herrn Kraus zu dem alleinstehenden schlichten Aphoris-mus veranlasst: „Man lebt nicht einmal einmal“, der Satzsteht bei ihm anspruchsvoll, wie aus der Tiefe des Gemütsgeschöpft, am Schlusse eines Buches – sodass Rückert jeden-falls zweimal lebt, nämlich noch einmal im Kraus … AlsHerr Kraus bei dieser stummen Einschöpfung ertappt wordenist, hat er den Mut zu der Äusserung: „… dass meine fünfWorte besser und überhaupt etwas andres sind, als die zweischlechten Verse Rückerts“. 17

S. 54. – Er unterstellt wieder, dass ich „die juristi-sche Sachlage durch Hervorhebung meiner strahlenden patrio-tischen Rolle zu verdunkeln“ beabsichtige – wenn ich michgegen seine Verleumdungen wehren muss. 18

S. 56. – Nachträgliches Leugnen des Herrn Kraus hindert dieFeststellung nicht, dass dieser Kriegsgegner zunächst denKriegserlass des Kaisers Franz Joseph hymnisch begrüsst hat. Er schrieb rühmend über jenes „erhabene Manifest,jenes Gedicht, dass die tatenvolle Zeit eingeleitet, daseinzige Gedicht, dass sie bis nun hervorgebracht hat“, ersprach bewundernd von „dem menschlichsten Anschlag, den dieStrasse unserem Auge widerfahren (!) lassen konnte“. Dashat er nachträglich (mit Schimpfworten gegen Andre) alsblosse Bewunderung für die … Sprache gedeutet. Ein plötz-licher Sprachenthusiast. Und nachdem er den Kaiser FranzJoseph hochgepriesen (nicht nur wegen seines merkwürdigenSprachtalents in dem Kriegsmanifest für die tatenvolleZeit); nachdem er den Thronfolger Franz Ferdinand schmei-chelnd gerühmt hatte: nachdem hat er (in einem andrenZeitpunkt) witzelnd angedeutet, wie der eine sich auf denTod des andren gefreut haben mag. Und wie der andre stattauf dem Thron auf dem Nachstuhl sass. Herr Kraus hatwegen solcher kleinen Abweichungen in der eignen Haltungniemals einen moralgestopften Enthüllungsartikel gegen sichverfasst – sucht aber mir den so begreiflichen innerenKonflikt im Krieg als Gesinnungsmangel anzuheften. Ichwerfe ihm seinen höfischen … Dualismus nicht vor. Er sagt

nur von sich keineswegs, dass er „zwei Eisen im Feuerje nach der „Konjunktur“ hatte. Das sagt er von denAndren.Er nennt Hermann Bahr (nachdem er wegen jener unwahren Be-hauptungen über ihn bestraft worden) – er nennt Bahr streng einen „damals (1914) national, jetzt katholisch spe-kulierenden Literaturfilou“. Was hätte Herr Kraus gegensich dann zu sagen gehabt.

Weiter S. 56. Bei alledem tut er, als ob, wenn mansein nachträgliches Leugnen nicht gelten läßt, man wissent-lich die Unwahrheit spräche. Es ist jedoch trotz seinemaggressiven Leugnen gar keine Frage, dass Kraus (sieheS. 57 seines Schriftsatzes) im Weltkrieg vorwiegend gegendas eigne Land und gegen Deutschland gewitzelt hat. Meinvoriger Schriftsatz belegt es; ich verweise dort auf S. 15ff. 19

S. 60. – Abermals Irreführung; 20 er tut, als zitiere ich diewiderlichen antideutschen Verse des Kraus aus seinemKriegsdrama“ (einer nachträglichen Zusammenstellung von!Artikeln aus der „Fackel“) – ich habe jedoch diese deutsch-feindlichen Verse des Kraus in Wahrheit aus der „Fackelselber zitiert, wo sie noch nicht hinterdrein zugestutzt!und anders hergerichtet waren. In der „Fackel“ standkeineswegs, dass ein „extremster Schwerindustriellerdiese gegen Deutschland hetzenden Verse spricht. Etwa:

Nehmt Gift für Brot, gebt Gold für EisenUnd lasst den deutschen Gott uns preisen! usw.

Sondern Kraus, der noch in Kriegsnot (Oktober 1918) hämisch

von „jener deutschen Taktik der verfolgenden Unschuldgesprochen hatte, nennt zwar in der „Fackel“ sein Hetzge-dicht „Lied des Alldeutschen“, es ist jedoch, was er jetztleugnet, in Wahrheit ein kläglicher Hassgesang gegenDeutschland. Herr Kraus lügt hier, wenn er, was sovielwie Lügen ist, seinen ausdrücklichen, alles erklären-den Zusatz aus der Fackel zu diesen „Versen“ verschweigt,nämlich: „Das Kuplet erschöpft das Problem Deutschlandsannähernd so sehr wie Deutschland die Welt“. Kraus fügtedamals ein Notenbeispiel zu und schrieb: dies musikali-sche Nachspiel „stellt das Gelächter des Auslands dar“.Es war ein Gejuchz in Sechzehntelnoten. Alles das kannHerr Karl Kraus durch gewundene Darstellungen im Schrift-satz auf Seite 61 nicht leugnen, nicht nullen. Auch nichtdie Tatsache, dass er dies deutschfeindliche Hetzgedicht im Dezember 1917, somit im, im, im Krieg, öffentlich vor-getragen hat. Indes er mir ein paar gegen die uns über-fallenden Rumänen gerichteten Verse jahrelang höhnischvorhielt. Das ist seine Art.

Er behauptet von sich, auf derselben Seite 60 desSchriftsatzes, es habe „Mut“ dazu gehört, „im eignen Hausedie Wahrheit zu sagen“. Doch erstens hat er sie nicht ge-sagt. Zweitens gehört zu solchen Kuplets kein Mut in einemLande, wo die Stimmung gegen die „Preussen“ ohnehin schonin gewissen Augenblicken für Hetzendes empfänglich war.Kraus kann die beschämende Tatsache durch keinerlei Dar-stellungskniffe des Schriftsatzes aus der Welt schaffen,dass er glattweg und plattweg deutschfeindliche Hetze wäh-

rend des Kriegs getrieben hat. Herr Kraus ist der geeigneteMann, mir meine Haltung im Krieg vorzuwerfen. 21

S. 62.ff. – Der Herr Kläger führt lobende Worte des Bür-germeisters Seitz für sich aus einem Glückwunsch usw. an.Ich will Herrn Seitz nicht herabsetzen. Aber das Deutsch-feindliche des Kraus war anscheinend vergessen, nur das Pa-zifistische nicht. Herr Seitz ist ihm dankbar für dieVerdammung des Krieges. Ich selbst habe die Schädlichkeitder Krausschen Artikel nicht darin gefunden, dass er (wieich) den Krieg verdammt hat; sondern darin: dass er ihnvorwiegend gegen die eignen Landsleute geführt hat. Darüberhat Herr Bürgermeister Seitz andere Anschauungen? diemeinen sind hiervon unberührt.

Wozu das alles? Ich empfing ebenfalls rühmendeGlückwünsche vom Bürgermeister Berlins, von deutschen Mini-stern, deutschen Behörden, vom österreichischen Gesandten(ich produziere sie nicht) – die würden wieder Herrn Kraus widerlegen. Also! … Der gute Glaube des Herrn Seitz inWien wird nicht angefochten. 22

S. 66. – Kraus äussert, ich betone seine „Eitelkeit“ –weil er nach einer durch die Deutsche Tageszeitung ver-höhnten oder verrisenen Vorlesung den grauenhaften Satzschrieb:

Alles in allem geht meine Ansicht dahin, dass dieEntente halbe Arbeit geleistet hat.

Ich betone hier jedoch nicht seine Eitelkeit, sondern ganz wasAndres. Wer bedauerte wohl (wegen eines nicht erwünschten

Zeitungsberichts), dass ein unglückliches Land nur zur Hälf-te misshandelt worden ist? Dieser Und dieser Herr Kraus hat nachmir mit Ausdrücken geworfen, wie „Häuferl Dreck“, „Unflat“,Schamfreiheit“, „Vorkämpfer des Bestialischen“, „Tritt ver-setzen“, „An den Pranger gestellt“, „ Brechreiz“.

Ich wolle, sagt er (S. 67) durch Erwähnung dieserTatsache (seines Wunsches nach gründlicherer Niedertretungdurch die Entente), „Stimmung für ein Gerichtsverfahren ma-!chen“. Aber wer muss nach diesen Worten Stimmung machen?Kraus gruppiert, deutelt, rabbuliert – und entkräftetnichts. Der Wunsch nach weiteren Taten der Entente sollsich, gibt er jetzt vor, nur auf diese Zeitung bezogen ha-ben. Der Beweis soll in dem Nachsatz liegen: „So unbesiegtwie die Deutsche Tageszeitung war noch nie ein Besiegter!Die Unwahrheit des Herausredens ergibt sein damals geschrie-bener, sehr deutlicher Zusatz:

!Wie der deutsche Gott Bomben auf Nürnberg regnenliess, so lügen und fälschen sie wie eh und je. Wieihre Generalstabsberichte, so ihre Darstellungen voneinem Vortrag …Alles in allem geht meine Ansicht dahin, dass dieEntente halbe Arbeit geleistet hat .

Das bezieht sich auf ein Land, nicht auf eine Zeitung.Das wegen einer abfälligen Besprechung seines rezitatori-schen Auftretens. Und gegen diesen Moralisten muss ich michwehren. 23

Es ist ein Merkmal seiner Methode. So wie er hin-terdrein vorgeblich nur die Schwerindustriellen in jenemKuplet-Machwerk gemeint haben will, obschon er deutlichgesagt hat, das Kupleterschöpfe das Problem Deutschlands annähernd so sehr wie Deutschland die Welt “ – ebenso hat

er hier nachträglich blos die Deutsche Tageszeitung ge-meint. Es ist seine Methode. Vermutlich waren seine Verse(erwähnt in meinem vorjährigen Schriftsatz S. 16):

Von den deutschen ChemikalienScheint das Gas allein geblieben gediegen ,Während durch durch die ViktualienDer, den’s trifft, sofort bleibt liegen.

– vermutlich waren diese Verse harmlos auf einen einzigendeutschen Viktualienhändler gemünzt. Das ist seine Methode.

So sagt er hinterher (S. 70 des Schriftsatzes), er?habe mir gar nicht Feigheit vorwerfen wollen; – – er hattenämlich nur gesagt, dass ich in jener scheusslich gewitztenGrausamkeit versiert war, „die das eigne Leibeswohl hinterder Schanze eines Schreibtische deckt“. Also nicht Feig-heit. Es ist seine Methode.

! S. 69. – Kraus spricht verleumderisch von der „defaitisti-schen Gesinnung“ eines meiner Gedichte, nämlich des Versöh-nungsgedichts, wo ein Holsteiner und ein Franzos in vor-übergehender menschlicher Wallung einander die Hand drücken.Es ist glatt erfunden, dass ich hier oder je ein „defaiti-stisches“ Gedicht verfasst hätte. (Dieses erschien, wieerwähnt, im ScherlschenTag). Er schreibt: defaitistisch.Das ist seine Methode.

Mein im vorigen Schriftsatz angeführtes ernstes Ge-dichtWir wollen in den Tagen der steilsten Lebensfahrt …mit den Schlusszeilen:

Deutschland kämpft um sein Leben,Es wird nicht untergehn

ist, wie er zweideutig schreibt, „vom Kriegsbeginn datiert“.

!Es ist nicht vom Kriegsbeginn „datiert“, sondern es standan dem verhängnisschweren 2. August frühmorgens im „Tag;was leicht festzustellen ist. Vom Kriegsheginn „datiert“,sagt er harmlos.

S.70. – Dass Herr Kraus Strophen von innerstem Anteil,wie der grauenhafte Krieg sie entstehen liess, – dass erauch diese Strophen witzelnd zu zerklauben versucht, geht!ihn mehr an als mich.

?Ehrfurchtlosigkeit“ rügt er jedoch an meinenGedichten im Krieg, – als Verfasser der genannten Ku-plets.

Immer von neuem unternimmt er den billigen Versuch:eine Gesinnungslosigkeit zu konstruieren aus dem Gegensatzdes Helfenwollens im Krieg – und der Erkenntnis von demtiefen Unwert des Kriegs als Einrichtung. Er versucht dasauch hier (S. 70), indem er das Wort „Blutschwindel“ (achtJahre nach Friedensschluss gedruckt) anführt. Dabei weisser genau, dass ich mitten im Krieg ähnliche und stärkereWorte für den Krieg als Einrichtung ge-braucht habe. 24

S. 71. – Kraus hat, wie er sagt, dem Gericht Verse über-reicht, die ich gemacht haben soll und die er bisher nochnicht abgedruckt hat. Da ich nicht weiss, welche, kann ichvorläufig nicht feststellen, ob sie von mir sind (er wirdes zu beweisen haben) – oder ob er einfach wieder be-schlossen hat, dass sie von mir sind. 25

S. 71ff. – Herr Kraus sagt Unwahres in der Behauptung, dasses „niemals zu einer Anklage gegen den Verfasser (Anm.:! Kraus) kommt“. Schon die Fälle der Frau Alice Schalek unddes Bühnenschriftstellers Hans Müller beweisen das Falscheder Behauptung. Herr Kraus irrt überdies, wenn er nicht-er-hobene Klagen als Beweis für den Wert seiner Angriffe be-trachtet – statt für den Wert, den man ihnen beilegt.

S. 73. – Ein Schöffengericht habe 1903, sagt er, als manaus fremden Zeugnissen etwas gegen ihn beweisen wollte, –ein Schöffengericht habe damals erklärt, es sei „selbst-verständlich, dass ein im öffentlichen Kampfe stehenderSchriftsteller … Freunde und Feinde hat“. Das stellt ermit Genugtuung fest – verzeichnet aber, weil es ihm da inden Kram passt, auf den folgenden Seiten erstens das Lobeines Herrn Hader über Kraus, zweitens den Angriff einesunbekannten Herrn Reifferscheidt gegen Kerr. Obschon ichdoch, im öffentlichen Kampfe stehend, gleichfalls Feindeund Freunde haben muss – nicht? Dieser von ihm reprodu-zierte Angriff (ich kann ihm viel sachlichere saftigere zeigen) be-weist allerdings, dass Herr Reifferscheidt einer der (selte-nen) deutschen Leser der „Fackel“ ist.

Nur der Symmetrie halber will ich ihm für diesenFall Bescheid tun – und Stimmen aus Tirol über Kraus wie-dergeben. Deren Wortlaut war Sie sagten, als er in Innsbruck sprechen! wollte, dass Krausseinen ganzen Hohn und Spott über unsernamenloses Unglück, über den furchtbaren moralischen Zu-sammenbruch des deutschen (Volkes ergossen hat; dass

dieser Deutschenhasser“, so schrieben sie, „nur seineteuflischen Hass-, Spott- und Rachegelüste befriedigt“.Herr Reifferscheidt wird hierdurch aufgewogen. Belanglos!ist bei dieser Symmetrie, ob Antisemitismus gegen Kraus mitsprach oder nicht. Herr Kraus musste damals unverrich-teter Sache aus Innsbruck abziehen: die zweite Vorlesungfand nicht mehr statt – – ohne dass ich sie hätte störenlassen; weder durch einen Serben noch durch sonstwen … 27

S. 76. – Am Schlusse zitiert Herr Kraus drei Sätzchenaus einer (1897!) von mir veröffentlichten Theaterkritik.Ich sprach einem schwachen Stück Hermann Bahrs die litera-rischen Qualitäten ab (nicht aber dem Verfasser die morali-schen). Ich wies damit auf das rein literarkritischeSchriftchen des Herrn KrausDie demolierte Literatur“,das nicht lange vorher erschienen war, – und schrieb vondem Bahrschen Stück: „Um es genügend zu verspotten, müss-te man sich einen eignen Karl Kraus verschreiben“. Aber!das war vier Jahre, bevor Kraus wegen seiner VerdächtigungBahrs verurteilt wurde. Und das setzt Herr Kraus in Sperr-druck wie etwas Beweisendes an den Schluss seines Schrift-satzes. Als ob man 1897 nicht ein Stück Bahrs schlecht fin-!den konnte – bevor Kraus (1901) wegen der Behauptungenüber Hermann Bahr verurteilt wurde. 28

Zusammengefasst: es liegt der immerhin denkwürdige Fallvor, dass jemand, weil er sich im Kriege verhielt wie ich –dass ein solcher vom Urheber deutschfeindlicher Rohheiten,

der noch hinterher die Entente zur ganzen Arbeit herbei-wünscht, beschimpft werden kann, mit Ausdrücken wieOrdinärheit“, „Vorkämpfer des Bestialischen“, „An denPranger gestellt“, „Häuferl Dreck“ usw. und, wenn derAngegriffene in anderthalb Zeilen den Urheber dieses Vor-gehens einen Verleumder nennt, von ihm vor einem deutschenGericht verklagt wird.

Herr Kraus hat auf den 77 Seiten seines Schrift-satzes vieles vorgebracht – eines aber vergisst er zu be-rühren: die nicht widerlegte Feststellung aus meinem vori-gen Schriftsatz, worin (unter Hinweis auf ein das Heft derFackel vom November 1918, S. 33) folgendes stand.

Kraus behauptet, das „einzig wahre Wort“, das indiesen Zeitläuften gesprochen wurde, sei folgendes, das!ein russischer Minister am Kriegsbeginn gesprochen hat:dass dieser Krieg Österreichs eine Keckheit ist“ – und er,Kraus, habe es

nur durch die Feststellung ergänzt, dass dieserKrieg Deutschlands eine Frechheit ist, damit dasbundesbrüderliche Verhältnis zwischen Räuber undDieb, Gehasstem und Verachtetem auch im Punkt derKriegsschuld zur vollen Anschauung komme“.

Ich wiederhole, dass ich meinen kurzen inkriminier-ten Abwehrsatz am selben Tage drucken liesse, an dem ichvon den neuen schweren Beschimpfungsversuchen des Kraus Kenntnis bekam.

Dr. Alfred Kerr