68.84 Brief Samek an Justizrat Viktor Fraenkl

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 17. Februar 1928
Betreff: Kraus – Kerr.
Diktiersigle: Dr.S./Fa.

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Justizrat Victor Fraenkl
Potsdamerstrasse 86b
Berlin W 57
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Justizrat!

Ich schreibe Ihnen erst heute, da es für michsehr schwer war, in dieser Sache zu einer Entscheidung zu gelangen.Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass der vorläufige Ausgang desProzesses Herrn Kraus nicht befriedigt hat. Es scheint erst jetztaus Ihrer Stellungnahme hervorzugehen, dass Sie die Widerklage füreine ernstzunehmende, ja gleichwertige Chance der gegnerischenSeite halten, während wir auf Grund Ihrer Schreiben der Meinungwaren, dass Sie die Kompetenz des Berliner Gerichtes gar nicht alsgegeben erachteten. Trotz dieser unbestreitbaren Schwierigkeitkönnte aber Herr Kraus in einer Sache, die er von allem Anfang anals eine kulturpolitische Angelegenheit angesehen und in wahremSinne des Wortes „in Angriff“ genommen hat, einer Erledigung nichtzustimmen, die auch nur im geringsten den Anschein eines solchen„Vergleiches“ herbeiführen könnte, der auf der Gegenseite dieHoffnung oder gar Erwartung eines Abschlusses auch im publizistischenSinne erwecken würde.

Wenn infolge der (hauptsächlich durch die klare Ver-

zögerungstaktik des Gegners bewirkte Ueberwucherung der Prozess-materie die Führung dieser höchst wichtigen Angelegenheit vor einemfremden Gerichtsforum sich überhaupt als untunlich herausstellt, sowäre es ja diskutabel, die Klage fallen zu lassen, selbst ohne Rück-sicht darauf, ob der Gegner desgleichen tut. Es könnte daher umso-mehr auch einem solchen Abschluss zugestimmt werden, wonach diebeiden Klagen fallen gelassen werden, in der Art, wie Sie auf dengegnerischen Vorschlag vorläufig eingegangen sind; und darin alleinwäre gewiss noch kein „Vergleich“ zu erblicken. Wenn aber, freilichohne dass es abgemacht war – da ja keine Erklärungen ausgetauschtwurden –, doch in der Gegenseite die Erwartung geweckt wäre, dassdamit auch die Materie als solche aus der Welt geschafft sei, alsoin der gegenteiligen Erfahrung hinterher eine Enttäuschung erblicktwurde, aus der der Vorwurf der Illoyalität erwachsen könnte, sodürfte man auf die vorgeschlagene Erledigung keineswegs eingehen. Eswäre demnach unerlässlich, der Gegenseite in einer Ihnen überlasse-nen Art und Form klar und motiviert bekanntzugeben, dass keinFriedensschluss im moralischen Sinn sondern lediglich eine prozes-suale Abschliessung vorliegt, aus dem Grunde, weil ein Ende desProzesses infolge des unaufhörlichen Wechsels von Schriftsätzennicht abzusehen ist und schon darum das Gerichtsforum zur Behandlungder so angewachsenen ungewöhnlichen Materie nicht mehr geeignet er-scheint. In Wahrheit bedeuten ja allein schon die kostbaren deutsch-nationalen Schriftsätze des Herrn Kerr eine so wertvolle Prozesser-ledigung im geistigen Sinne, dass man auf die andere, welche jadiese nur vorzögern würde, recht wohl verzichten kann. (Nebenbei

weise ich darauf hin, dass die phantastische Plagiatbeschuldigungin dem letzten Lügenstück von einem Schriftsatz wiederholt und sodrollig mit dem berühmten Lichtenberg-Zitat von dem Kopf und demBuch komplettiert wurde.) Wenn der Gegner auf Ihre Mitteilung hindie von ihm vorgeschlagene Prozesserledigung bedauert, so wäre ertrotz seiner offenbaren Bindung im juristischen Sinne augenblick-lich unsererseits von dieser zu befreien und der Prozess müssteweitergehen. In diesem Falle würde ich Sie – mit der gleichzeitigenUebermittlung des Ausdruckes allerbesten Dankes des Herrn Kraus fürIhre so freundlichen Bemühungen – bitten, mir offen zu sagen, ob Siedie Fortführung nicht allzusehr belastet. Es ist ja durchaus einzu-sehen, dass Ihnen diese Materie, deren Wichtigkeit als Leser derFackel“ Sie ganz gewiss ermessen, zwar nicht „über den Kopf“, abervielleicht über die Nerven und über Ihre Zeitmöglichkeiten hinaus-wachsen könnte. Wir sind auch darüber unterrichtet, dass sich dergegnerische Vertreter in einer allerdings für den eigenen Klienten nicht gerade schmeichelhaften Art vor Gericht über die Unwichtigkeitder Materie ausgelassen und die Angelegenheit gleichsam als Literaten-gezänk bagatellisiert hat, was auch aus dem infamen Bericht desVorwärts“ hervorgeht. Herr Justizrat Heine soll sich darauf berufenhaben, dass er sich in dieser Auffassung mit Ihnen verständigt habe,was wir aber bei Ihrer Kenntnis der „Fackel“ selbstverständlich nichtglauben, indem wir Ihre Zustimmung zu einem gerichtlichen Abschlusslediglich auf Erwägungen juristischer Zweckmässigkeit zurückführen.Ich möchte Sie nun für den Fall, dass der Prozess nach der erbetenenAufklärung des Gegners weitergehen sollte, ersuchen, mir freundlich

bekanntzugeben, wie Sie sich Ihrerseits persönlich dazu stellen,und ob es Ihnen nicht eine Erleichterung wäre, die Sache einemKollegen zu übertragen, von dem Sie vermuten können, dass er inIhrem Sinne die gerichtliche Stigmatisierung der Kriegstätigkeitdes Herrn Kerr als eine Kulturaufgabe betrachtet, die über dieMasse einer kleinen Privatbeleidigungssache sichtbar hinausreicht,und der nicht durch andere wichtige und gewiss akut noch wichtigereAufgaben, die Sie selbstlos erfüllen und von denen Herr Kraus mirmit grösster Anerkennung erzählt hat, belastet ist.

Ich zeichne, Ihrer Antwort entgegensehend,mit ergebener kollegialer Hochachtung

P.S. Es würde mich sehr interes-sieren zu erfahren, ob die Unterstreichungenauf dem letzten Schriftsatz von Ihnen odervon der Gegenseite oder vom Gericht herrühren,und ich bitte Sie auch um eine freundlicheMitteilung hierüber.

Sollten Sie noch irgendwelche Aufklärungen be-nötigen, so wäre eine telefonische Ausspracheam besten. Ich bin, ausser Samstag, täglich zwischen1/2 4 und 6 Uhr sicher zu erreichen. Meine TelefonNummer 68-2-62.

Betr. KrausKerrexp. am 17.2.1928.