68.92 Brief Verlag Die Fackel an Justizrat Viktor Fraenkl

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift
  • Karl Kraus, schwarze Tinte

Sender

Hintere Zollamtsstraße
III., Landstraße
Datum: 7. März 1928

Empfänger

An: Wohlgeboren | Herrn Justizrat Victor Fraenkl
Potsdamerstrasse 86b
Berlin W 57
Seite von 2

Geehrter Herr Justizrat!

Im Auftrage des Herrn Kraus beantworten wirIhr Schreiben vom 5. März an Dr. Samek, dessen Abschrift Sie HerrnKraus ohne ein Wort direkter Anrede eingesendet haben. Die Erledi-gung Ihres Kostenanspruches nebst einigen aufklärenden Worten wäreohnedies am heutigen Tage durch Herrn Dr. Samek erfolgt, da HerrKraus Montag abends aus München zurückgekehrt ist.

Zu Ihrem Schreiben vom 5. März ist zu sagen,dass Sie keineswegs aus dem gerichtlichen Beschluss erst ersehenhaben, dass der unter Vorbehalt geschlossene Vergleich nicht wider-rufen wurde, sondern dass Sie dies schon aus dem Ersuchen des HerrnDr. Samek vom 20. Februar, den gegnerischen Vertreter nochmals aufden bloss juristischen Abschluss des Prozesses aufmerksam zu machen,ersehen mussten. Diese Tatsache machte auch eine Beantwortung IhrerSchreiben vom 21. und 23. Februar überflüssig, bis auf den Kostenpunktder wegen Abwesenheit des Herrn Kraus (so bedauerlich Ihnen dieseauch erscheinen mag), erst jetzt erledigt werden konnte.

Es ist unrichtig, dass Herr Kraus die langeFrist ungenützt verrinnen liess was von Ihnen „nicht zu vertretensei. Wichtig ist, dass innerhalb der Frist die einzig möglicheKonsequenz aus der Zwangslage gezogen wurde, in die Herr Kraus alsKläger respektive Angeklagter sich versetzt gefühlt hat, und ausder (Erkenntnis, dass die Sache von Ihnen nicht zu vertreten sei). Wahrnehmung des Eindrucks, daß Sie die Sache als ganze nicht zu vertreten wünschen. Indenkbar schonendster Form hat Herr Dr. Samek diese Empfindung imSchreiben vom 17. Februar zum Ausdruck gebracht, gestützt nicht sosehr auf die Tatsache des provisorischen Vergleiches, als auf dieArt, wie er herbeigeführt wurde, worüber ein durchaus zuverlässigerBericht eines Ohrenzeugen der letzten Verhandlung vorliegt. DieserBericht bestätigt durchaus die Darstellung des Gerichtssaalberichtes im „Vorwärts“ auf den sich Herr Kraus und Dr. Samek sonst als Zei-tungsstimme keinesfalls berufen hätten, der jedoch auch durch Ihreigenes Wort im Schreiben vom 2. Februar, wonach Sie die vergleichs-weise Erledigung für die „gescheiteste“ erklärt haben, verifiziert beglaubigt wurde. Herr Kraus ist in Kenntnis der Tatsache, dass Sie dem Ver-such des gegnerischen Anwaltes, die Angelegenheit zu einem Literaten-gezänk zu degradieren, mit dem sich ernste Gerichtsmänner gar nichtzu befassen haben, zumindest nicht entgegengetreten sind. Diese

Wahrnehmung steht im diametralen Gegensatz zu den Erwartungen, dieer an Ihre Eingeweihtheit in Angelegenheiten der „Fackel“ knüpfenkonnte. Dieses passive und bagatellisierende Verhalten wäre für dieWeiterführung des Prozesses keineswegs gewiß nicht von Nutzen gewesen.

In der Sache selbst erblickt Herr Kraus eine schwere Enttäuschung in dem Umstande, dass Sie, wiewohl Dr.Samek in den Briefen vom 3. Jänner und 28. Februar 1927 auf die Mög-lichkeit einer Widerklage ausdrücklich aufmerksam gemacht und ge-schrieben hat, dass die Klage nur einzubringen sei, „wenn es sicherist, dass die Berliner Gerichte zu einer Widerklage gegen HerrnKraus nicht zuständig sind“, die Klage eingebracht haben. Nach Ein-bringung der Klage ist ihm die Widerklage dann doch erwachsen undSie haben sie in einem Masse ernst genommen, dass Sie auf der Basisder Gleichwertigkeit auf gegenseitige Zurückziehung eingingen.Um diesen Gewinn herbeizuführen, hat es bestimmt nicht der Einbrin-gung der Klage bedurft. Herr Kraus glaubt nicht, dass ihm, da Siesich juristisch getäuscht haben, eine moralische Verpflichtung er-wächst, Ihnen mehr als Ihre Barauslagen zu ersetzen, in einer Sache,die er Ihnen anvertraut hat, weil er aus Ihrer Beziehung zu seinerArbeit auf eine persönliche Teilnahme in einem kulturpolitischenKampfe schliessen durfte. Er überweist Ihnen den gewünschten Betragvon 200 Mark, macht aber kein Hehl daraus, dass er es für einenwürdigen und entsprechenden Abschluss der Angelegenheit erachtenwürde, wenn Sie sich entschlössen, die Summe, die nach Abzug der Bar-auslagen übrigbleibt, entweder dem der Prozessmaterie gemässen Wohl-fahrtswerk, der Unterstützung Kriegsblinder, oder einem Ihrer Par-teizwecke zuzuwenden oder etwa auch zu Gunsten der Hinterbliebenendes 90. Wiener Polizeiopfers, für die Herr Kraus gegenwärtig eineSammlung veranstaltet, zu widmen.

Hochachtungsvoll