70.17 Brief Samek an RA Botho Laserstein

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 16. November 1928
Betreff: Kraus – Kerr II.
Diktiersigle: Dr.S./Fa.

Empfänger

An: Herrn | Dr.Jur. Botho Laserstein, | Rechtsanwalt
Landsberger Allee Nr. 55
Berlin N.O. 18
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Der Verlag der Fackel übergibt mir zur Be-förderung ein Schreiben vom 16. November 1928 und ein Urteildes Landgerichtes I in Berlin.

Soweit in dem Brief die von mir und HerrnKraus bereits besprochenen Rechtsfragen nicht berührt sind, fügeich ein kurzes Rechtsgutachten bei. Zu einem ausführlichen Gut-achten reicht die Zeit nicht aus, weil Sie die Rücksendung derUnterlagen bis Ende dieser Woche erbitten.

Im allgemeinen stimme ich den AusführungenIhres Rechtsgutachtens vollständig bei. Ich glaube aber, dassnoch folgende Ausführungen des Urteils bekämpft werden können:

a.) Dass die Veröffentlichung des Herrn Kraus nicht alsselbständige wissenschaftliche Arbeit bezeichnet werden könne,weil er sich nicht mit einer kritischen Würdigung der Gedichtedes Antragstellers begnügt, sondern ihn in der öffentlichen

Meinung durch Beleidigung, herabsetzen will, ein Zweck, der miteiner wissenschaftlichen Arbeit vollständig unvereinbar sei.Lediglich der Inhalt kann eine Arbeit zu einer wissenschaftlichenmachen. Ein Krebsforscher, der seine Forschungen veröffentlichtund sämtliche vor ihm Arbeitenden als Dummköpfe bezeichnet, gingenichtsdestoweniger der Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit nicht ver-lustig. Uebrigens läuft die Herabsetzung des Herrn Kerr voll-ständig neben der kritischen Würdigung der Kriegsgedichte. DieKriegsgedichte werden kritisch gewürdigt, die Gesinnung, dieaus ihnen spricht, herabgesetzt.

b.) Es ist niemals eine Ankündigung des Herrn Kraus erfolgt,er werde die Werke des Antragstellers veröffentlichen, um ihnlächerlich zu machen. Der Zweck der Veröffentlichung, selbstwenn man die Ernstlichkeit der Absicht des Herrn Kraus trotzseiner eidesstattlichen gegenteiligen Versicherung als erwiesenannähme, ging lediglich dahin, den Pazifismus des Herrn Kerr imrechten Lichte darzustellen. Dies wäre keine unerlaubte Handlung,soweit nicht Urheberrechte vorletzt werden. Dies ist an einemBeispiel klar darzustellen. Das Urheberrecht an einem untereinem Pseudonym erschienenen Werke erlischt nach 30 Jahren seitder Veröffentlichung. Angenommen nun, dass seit der Veröffent-lichung der Kriegsgerichte des Herrn Kerr bereits 30 Jahreverflossen wären, könnte Herr Kerr aus der Veröffentlichungwegen der ihm dadurch eventuell entstehenden Lächerlichmachungkeinen Anspruch auf Unterlassung ableiten. Das Gericht bringtalso Dinge miteinander in Verbindung, die gar nichts miteinanderzu tun haben. Der Anspruch des Herrn Kerr ist auch ein reinurheberrechtlicher und namensrechtlicher. Ein Unterlassungsan-trag wegen des Lächerlichmachens ist niemals gestellt worden. Da-

her ist die Heranziehung des § 32 Z.P.O. vollständig verfehlt.Gegründet könnte der Gerichtsstand lediglich auf § 23 Z.P.O. werden; in diesem Falle aber wäre er nur bezüglich des Unter-lassungsanspruches auf Veröffentlichung der Gedichte des HerrnKerr zulässig, nicht aber auf Veröffentlichung der Gottlieb-Gedichte unter dem Namen Kerr, da dies kein vermögensrechtlicherAnspruch ist.

Bei der Weiterführung des Prozesses muss mansich nach meiner Meinung von folgenden Gesichtspunkten leitenlassen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch der Hauptprozessverlorengehen wird. Das Urteil im Verfahren über die einstweili-ge Verfügung erscheint mir vollständig tendenziös. Es wird sichalso darum handeln, möglichst billig aus der Affaire herauszu-kommen. Da aber Herr Kraus Beklagter ist, so kann er sich jakaum dem Verfahren entziehen, es sei denn, dass es eine so ein-fache Lösung in Deutschland wie in Oesterreich gibt, dass maneben zum Termin nicht erscheint und deshalb Versäumungsurteil ge-fällt wird. Muss aber die Sache doch verhandelt werden, so bliebnichts übrig, als alle Gesichtspunkte auch im Hauptprozess geltendzu machen und eventuell nur die Berufung zu unterlassen, wennauch dieser verloren ginge. Dabei müsste aber noch in Betrachtgezogen werden, ob man sich durch die Unterlassung der Berufungim Verfahren über die einstweilige Verfügung nicht des Rechtesbegäbe, eine offensichtliche Aktenwidrigkeit dieses Verfahrens zurügen. Denn die Stelle auf Seite 207 der Kerr Nummer hatte, wieIhnen ja Herr Kraus schon mitgeteilt hat, lediglich den Sinn, dassHerr Kraus durch Abdruck der Polemiken und Schriftsätze des HerrnKerr seine stärkste satirische Wirkung erziele. Nur diese Abdrucke

waren gemeint, als Herr Kraus davon sprach, dass er über das Ur-heberrecht des Gegners verfüge. Sollte also eine Schädigung imHauptprozess durch die Unterlassung der Berufung in dem Ver-fahren über die einstweilige Verfügung in Hinsicht auf diese Stel-le eintreten, so müsste man wohl auch die jetzige Berufung er-greifen.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich Siebitten, mir eine Aufstellung über die zu erwartenden Kosten desHerrn Kraus zu geben, da man sich in dieser Sache nicht zuletztvon der Höhe der Kosten leiten lassen muss.

Ich zeichne mit vorzüglicher kollegialerHochachtungIhr ergebener

2 Beilagen

Express.

Betr. KrausKerr IIexp. am 16.11.1928.