76.10 Brief Verlag Die Fackel an Richard Flatter

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Frieda Wacha, Bleistift
  • Bleistift

Sender

Hintere Zollamtsstraße
III., Landstraße
Datum: 7. Dezember 1933

Empfänger

An: Herrn Dr. Richard Flatter
Mariahilferstr. 1B
Wien VI.
Seite von 2

Am 16.XII.33 abgeschickt

doppelt

Sehr geehrter Herr!

Wiewohl die Notiz auf dem Umschlag der Fackel auch gilt,solange deren nicht erscheint, hat uns Ihre Mitteilung dochsehr interessiert. Ob dieses Interesse so stark ist, daß es auch denHerausgeber erfassen könnte und wir zu diesem Zwecke die Weiterleitungan ihn, die Sie uns mit Recht anheimstellen, vornehmen werden, möchtenwir Ihnen nicht verraten. Ihre Zuschrift erweckt aus mehrfachen Grün-den unser Interesse. Zunächst aus dem Grunde, weil aus ihr hervorgeht,daß die Brünner Volkshochschule, die eine Vorlesung des Herrn KarlKraus nicht erlangen konnte, aus dieser Lage den einfachen Ausweg ge-funden hat, Sie als einen „Karl Kraus ebenbürtigen Rezitator“ zu em-pfehlen, auf die Gefahr hin, Sie damit unangenehm zu überraschen undSie, nachdem Sie sofort, wenngleich vergeblich, weil zu spät, remon-striert haben, durch eine hinhaltende und kalmierende Erwiderung zuberuhigen. Sie sahen sich daher veranlaßt, wenigstens vor Beginn derVorlesung eine kurze Ansprache an meine Damen und Herren zu halten,in der Sie den Vergleich, der ohne Ihr Mitwissen zustandegekommen war,bescheiden ablehnten und nur in dem geringfügigen Punkte bestätigten,daß Sie „die vorher aufgesetzten Worte“ ablasen. Sie haben in dieserAnsprache, wieder im Gegensatz zu Herrn Karl Kraus, ausdrücklich fest-gestellt, daß es nicht Ihr Ehrgeiz sei, als Rezitator mit irgend je-mand in Konkurrenz zu treten, da Sie nur „als Übersetzer gewertetwerden wollen, eine Einschränkung, die allerdings wieder manchemHörer den Wunsch nahelegen mochte, Ihre Übersetzung Shakespeares vonKarl Kraus vorgetragen zu hören, was doch die ideale Vereinigung wäre,nachdem er sich bisher mit den Übersetzungen von Schlegel und Baudissin und bei den Sonetten gar mit seinem eigenen Versuch einer Nachdichtungbeholfen hat. Was nun diese betrifft, so fällt der Vergleich, den Sieauf ein kontrollierbares Gebiet eingeschränkt haben, während die Be-urteilung rezitatorischer Gaben mehr dem subjektiven Ermessen derDamen und Herren überlassen bleibt, vorweg insofern zu Ihren Gunstenaus, als der Nachdichter Shakespeares selbst nach Vollendung seinesWerkes noch nicht Englisch gelernt hat und mithin zur Beurteilung

Ihrer Leistung nur vermöge seiner Kenntnisse im Deutschen kompetentwäre. Daß Sie ihn seinerzeit, angeregt von seinen Versuchen, als Instanzfür die Beurteilung der Ihren angerufen haben, konnte in einem Zeitpunkt,wo Sie im Englischen Fortschritte gemacht hatten, nicht mehr in Betrachtkommen, und da Sie sich nur noch dieser bewußt waren, so erschien es be-greiflich, daß von dem Fehlschlagen Ihrer Erwartung nichts zurückgeblie-ben war als ein Stachel, zu dessen Ausdehnung im Buchhandel Herr KarlKraus bis heute nichts unternommen hat, woran Ihr Sporn vom 5. Dez. wenigändern wird. Aber so bedauerlich es sein mag, daß die großen Gegenständeder Zeit dem Herausgeber der Fackel augenblicklich auch die Beschäfti-gung mit den noch wichtigeren kleinen Themen verwehren, so verständlichwird Ihr ungeduldiges Bemühen, sich, selbst um den Preis einer Ermäßi-gung des Ehrgeizes, unbehindert von erlittenen, ja von zugefügten Krän-kungen, in das Feld seiner Aufmerksamkeit zu begeben und sich nicht nurjetzt, wo Ersatz ja nottut, als Vorleser zu betätigen, sondern sogareinen Vergleich mit ihm abzulehnen, der eine unangenehme Überraschungfür Sie war und höchstens eine willkommene Gelegenheit, Ihr Konkurrenz-vermögen auf Shakespeare-Übersetzungen zu begrenzen. Das einzige Beden-ken, das sich gegen Ihre Ansprache erheben könnte, wäre in der Erfahrungbegründet, daß es nicht gut ist, dem Publikum, das seinerseits ja Über-raschungen liebt, eine solche zu nehmen; es wäre gewiß rechtzeitig da-hintergekommen, daß die Ankündigung auf den Plakaten etwas übertriebenwar, während die hervortretende, wenngleich noch so berechtigte Beschei-denheit den Hörer auf das Schlimmste gefaßt macht und die Empfäng-lichkeit beeinträchtigt. Auch die unsrige ist schon ein wenig benommen,derweil wir Ihren Ehrgeiz, wenngleich auf einem Spezialgebiet, sich sotüchtig tummeln sehen. Gern, mit allem Dank und ein für allemal möchtenwir zugeben, daß Sie „alles getan haben, was Ihnen möglich war“, dastaten Sie ja schon immer, und Sie tun sogar noch ein Übriges: es unsmitzuteilen.

Mit vorzüglicher HochachtungVerlag „DIE FACKEL“ als Verwalter der Vorlesungen KARL KRAUS