76.11 Brief Richard Flatter an Verlag Die Fackel

Materialitätstyp:

  • Typoskript
  • Kopie

Sender

Richard Flatter
Mariahilferstr. 1b
Wien, | 6.
Datum: 8. Jänner 1934

Empfänger

An: den | Verlag „Die Fackel“ als Verwalter der Vorlesungen | Karl Kraus
Hintere Zollamtsstraße
Wien
Seite von 3

Ihr vom 7. datiertes Vorhaben, aber laut Poststempel erst am16. Dezember des Vorjahres aufgegebenes Schreiben habe ich zunächst– schon wegen des Friedens der Feiertage – ein wenig liegen gelassen.Das schadet nicht; die Antwort wird, wenn auch verspätet, immer nochzurechtkommen.

So oft ich bisher vom Verlag „Die Fackel“ ein Schrei-ben erhielt, war ich der Meinung, dass hinter dieser bequemen Maskesich das wohlbekannte Gesicht des Herrn Karl Kraus persönlich verber-ge. Dies traf sicherlich auch bei allen Briefen zu, die vom Verlag„Die Fackel“ gezeichnet waren, also bei allen, die ich bisher er-hielt. Das letzte Schreiben aber, gefertigt von einem „Verlag ‚DieFackel‘ als Verwalter der Vorlesungen Karl Kraus“, ist nach meinerunbeirrbaren Überzeugung kein Opus desjenigen, dessen Vorlesungen daverwaltet werden; es ist das ärmliche Machwerk eines mehr beflissenenals berufenen Adepten, eben jenen Verwalters, höchst wahrscheinlichsogar einer Verwalterin, die sich in den viel zu weiten Mantel desMeisters hüllt und mit piegsigem Organ die Stimme ihres Herrn nachzu-ahmen sich müht. Wie er sich räuspert und wie er spuckt, seinen Stilnachzuahmen, der mit seinen prägnanten, immer sich wiederholendenEigenheiten unschwer zu kopieren ist, seine Schreibart ist ihr, vonKleinigkeiten abgesehen, noch so ziemlich gelungen; aber der Inhalt.

Ich weigere mich, zu glauben, dass Herr Kraus, den je-der – auch der, der sein Feind war – geachtet hat, sich derart sollteverändert haben! Er, dessen Geist von einer Höhe und Weite ist, dieselbst der grimmigste Widersacher erkennen und anerkennen muss, kann

nicht zu einer Art des Denkens herabgestiegen sein, wie dieser Brief siezeigt! Er, der sein Leben lang Schläge ausgeteilt hat, sollte zimper-lich werden und gekränkt sein wie eine alte Jungfer, wenn er selbst ein-mal etwelche einstecken soll? Ich bin überzeugt davon, dass Herr Kraus kunstgerecht angebrachte Boxhiebe ebenso gelassen, den Gegner achtend,hinzunehmen weiss wie er sie Zeit seines Lebens mit Bedachtheit andernversetzt. Eine mindere Gesinnung kann ich ihm nicht zumuten, einemAngreifer, der zwar immer mit Härte zuschlug, dem es aber gewisslich– genau so wie mir – nie um die Person des Angegriffenen, sondern immernur um die Sache ging, die er vor unbefugtem Zugriff zu schützen bemühtwar.

Diese Gesinnung nun ist es, die Ihr Schreiben, Sie unbe-kannte Verwalterin, völlig vermissen lässt; ihr Mangel ist mir der un-erträgliche Beweis dafür, dass sein Inhalt nicht von Herrn Kraus herrührt.Welche verdrehte, kniffliche Denkungsart, meinen Brief vom 5. Dezember,einen Akt selbstverständlicher Offenheit und Korrektheit, auf den eineErwiderung gänzlich überflüssig war, so hinzustellen, als hätte ich mitihm nur das eine bezweckt, mich „in das Feld seiner Aufmerksamkeit zubegeben“! So zu tun, als kennte ich kein anderes Sinnen und Trachtenals nur das eine, den Absatz meiner Broschüre im Buchhandel zu steigern.Wie abscheulich, einem Menschen, der einem persönlich ganz unbekanntist, nur schäbige materielle Motive unterschieben zu wollen! (Freilichwie verräterisch auch; denn wer von den andern immer nur schlecht denktund spricht, wer immer nur argwöhnt und misstraut, – als ob es nichtauch Menschen gäbe, die, was sie sagen, auch meinen und nichts anderesmeinen als was sie sagen! – wer hinter jedem Wort, das er hört, nurHeuchelei und Verstellung wittert, der zeigt damit, der Arme, schliess-lich sich selbst.)

Die Broschüre, die Sie in Ihrem Brief mit gequälter Dre-hung des Themas ganz unnötig in die Debatte zerren, habe ich aus eigenemEntschluss nach kürzester Zeit aus dem Buchhandel zurückgezogen u.zw.deshalb, weil sie bei den massgebenden Personen ihre Aufgabe bereitserfüllt hatte und weil mir überdies zu Ohren gekommen war, Herr Kraus sei krank und die „Fackel“ erscheine nicht mehr. So sehr war es mir umden Gelderwerb zu tun! Gerade bei mir, von dem jeder, der mich kennt,genau weiss, dass geldliche Vorteile mich noch niemals von meinem Wegabbringen konnten, ist die Verdächtigung materieller Gewinnsucht derpurste Unsinn. Aber Sie bespötteln ja auch meine rezitatorischen Gaben,

ohne sie zu kennen, ja, Sie verdächtigen mich geradezu, ich wolle alsKraus-Ersatz, weil Ihr Verwaltungsobjekt derzeit nicht vorlese, aus sei-ner jetzigen Situation schmutzigen Vorteil ziehen; welche Denkungsart,einem andern eine solche Erbärmlichkeit zuzumuten! Und welche Witzlosig-keit, von einer „idealen Vereinigung“, nämlich meiner Übersetzung mitder Vortragungskunst des Herrn Kraus, zu „scherzen“! Schliesslich treibenSie es in der Sucht aller Nachahmer, auch der Nachdichter, ihr Vorbildwomöglich zu übertrumpfen, sogar so weit, Herrn Kraus überkrausen zu wol-len, indem Sie sich eine kleine Fälschung erlauben: Krampfhaft bemüht– wie ja überhaupt die Krampfhaftigkeit Ihres vergeblichen Bemühens,Geist und Witz aufzutreiben, die Nachahmung erkennen lässt, da doch derKrampf der Feind jedes Witzes ist während Herr Kraus den Witz immernoch mühelos aus dem Wort holt – krampfhaft bemüht, sage ich, sich einen,dass Gott erbarm’! witzigen Abschluss zu verschaffen, zitieren Sie michfalsch, indem Sie unter Anführungszeichen als meine Behauptung wieder-holen, ich hätte alles getan, was mir möglich war, während ich doch ge-schrieben hatte: „Ich glaube, damit alles getan zu haben, was mir in die-ser Hinsicht möglich war – –“. Zu solchen Mittelchen der Fälschung undVerdrehung hätte Herr Kraus niemals gegriffen, das hat er nicht nötig;an solchen Kniffen und Übergriffen erkennt man eben die Nachläuferin,die sich übereifrig, aber ungeschickt wie jener Zauberlehrling an’s Werkmacht, wenn der Herr aus dem Haus ist.

Schluss damit! Meinem grossen Gegner stehe ich immer, ab-wehrend oder angreifend, zur Verfügung, aber nur ihm persönlich, nichtseinen Handlangern und Verwaltern, die sich zu Vormündern aufspielen.

Ich bin überzeugt, dass Sie sich hüten werden, diesen Brief Herrn Kraus zu zeigen; andrerseits dürfen Sie überzeugt sein, dass ichZuschriften der Verwaltung der Vorlesungen des Herrn Kraus nicht mehr be-achten werde. Ich werde sie, sollten noch Briefe kommen, vielleicht ein-mal veröffentlichen, beantworten werde ich sie aber nicht.

HochachtungsvollDr. Flatter