101.5 Berufung gegen das Straferkenntnis vom 11. August 1928 durch Hugo Rosenberg

Schreiberhände:

  • ? Meining, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 21. August 1928
Stempel: Polizeidirektion Wien
Seite von 4

Z. 675 Pst. 52

An diePolizeidirektion Press-BureauWien.

Hugo Rosenberg,Wien II., Pazmanitengasse Nr. 15/16,durch:

1 fach1 Vollmacht

erhebt Berufung gegen das Straferkenntnis vom 11./VIII.1928.

P.B. am 21./8.28übernommen Meining

Mit Straferkenntnis der PolizeidirektionWien, Press-Bureau vom 11./VIII 1928 Z. 675 Pst. 52 wurde ichwegen angeblich unbefugter Verbreitung eines Druckwerkes nach§ 9/1 Pr.G. gemäss § 13 Pr.G. zu einer Geldstrafe von S 5.–im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Arreststrafe in derDauer von 12 Stunden verurteilt. Gleichzeitig wurden die be-schlagnahmten Druckwerke für verfallen erklärt. Gegen diesesStraferkenntnis erhebe ich durch meinen mit beiliegender Voll-macht ausgewiesenen Anwalt fristgerecht nachfolgendeBerufung.

Das Straferkenntnis wird wegen mangelhaftenVerfahrens und Gesetzwidrigkeit angefochten.

Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens er-blicke ich darin, dass die Begründung nicht dem Gesetze entspricht,aus ihr nicht zu ersehen ist, worin die strafbare Handlung er-blickt wird. Die Begründung hätte genau zu enthalten, warum inder Verbreitung des beschlagnahmten Druckwerkes eine Uebertretungdes § 9/1 Pr.G. liegt, ob die Behörde der Ansicht ist, dass nichtjedermann zur Kolportage berechtigt erscheint und eine besondereBefugnis verlangt wird, was aus dem Worte unbefugt zu schliessenwäre, oder ob sie das verbreitete Druckwerk als nicht zur Kolportagegeeignet ansieht.

Ich kann mich also nur mit einer Ver-mutung auseinandersetzen, dass die Polizeidirektion die zweiteAnsicht im Auge hat, wobei ich jedoch nicht die Möglichkeit aus-schliessen kann, dass etwa andere Gründe, die mir nicht bekanntsind, das Fehlerkenntnis verursachten. Die Ansicht, dass die ge-genständliche Broschüre – es handelt sich um die SonderausgabeNr. 1 der ‚Fackel‘ – nicht dem Begriff der Zeitung im Sinne desPress-Gesetzes entspricht, ist vollständig unrichtig. Nach § 2dieses Gesetzes versteht man unter Zeitung ein Druckwerk miteinem nicht vorweg begrenzten Inhalt, das unter demselben Namen

und in fortlaufenden Nummern, wenn auch in unregelmässigen Zeit-abständen, erscheint und deren Einzelnummern, wenn auch jedeein in sich geschlossenes Ganzes bildet, durch ihren Inhaltin einem Zusammenhang stehen. Die ‚Fackel‘ ist eine seit 30Jahren bestehende Zeitschrift und es steht ihr natürlich auchfrei Sonderausgaben zu veranstalten, etwa wie sie Tageszeitungenaus besonderen Anlässen Extraausgaben herausgeben und die Arbei-ter-Zeitung in den Tagen des 15. Juli 1927 die sogenannten„Mitteilungen“ herausgab. Die Sonderausgabe trug die Nr. 1 und esist seitdem auch eine zweite Nummer der Sonderausgabe erschienen.Der Zusammenhang der Sonderausgabe mit dem in der Hauptausgabeder ‚Fackel‘ geführten Kampf des Herausgebers Karl Kraus gegendie Polizeidirektion ist sofort ersichtlich. Die Arbeiter-Zeitungvom 8. August 1928 hat ihrer Rechtsansicht zu diesem Fall infolgenden Worten Ausdruck gegeben:

… die Sonderausgabe einer Zeitschrift ist die Zuschrift(Zeitung) selbst, kann also, auf der Strasse so vertrieben werden,wie eine Zeitschrift vertrieben wird. Da überdies die ‚Fackel‘ keinregelmässiges, an ein Datum geknüpftes Erscheinen hat, so gehtdie Sonderausgabe eben in ihr Erscheinen ein; dass die ‚Fackelsonst mit einem roten Umschlag erscheint, diese Sonderausgabe der‚Fackel‘ mit einem weissen Umschlag erschien, ist natürlichnebensächlich und geht die Sicherheitsbehörde, die auf den rotenUmschlag kein Anrecht hat, nichts an. Da es sich also um denVertrieb einer Zeitung handelt, ist der § 9 des Pressgesetzes nicht verletzt: die Beschlagnahme ist ebenso unzulässig, wie eseine Bestrafung der Kolporteure und Verfallserklärungwäre.

Die Verurteilung erfolgte sohin vollständigzu Unrecht und ich beantrage daher, das Straferkenntnis derPolizeidirektion sowohl wegen mangelhafter Begründung, als auchwegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben, mich freizusprechen und dieVerfallserklärung zu widerrufen.

Hugo Rosenberg.

Betr. KrausSonderausgabeRosenberg überreicht am21./8.28