101.7 Berufung gegen das Straferkenntnis vom 11. August 1928 durch Max Blatt

Schreiberhände:

  • ? Meining, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 21. August 1928
Seite von 4

Z. 674 Pst. 51

An diePolizeidirektion Press-BureauWien.

Max Blatt.Wien VI., Linke Wienzeile Nr. 134/14,durch:

1 fach1 Vollmacht

erhebt Berufung gegen das Straferkenntnis vom 11./VIII.1928.

P.B. am 21./8.28übernommenMeining

Mit Straferkenntnis der PolizeidirektionWien, Press-Bureau vom 11./VIII 1928 Z. 674 Pst. 51 wurde ichwegen angeblich unbefugter Verbreitung eines Druckwerkes nach§ 9/1 Pr.G. gemäss § 13 Pr.G. zu einer Geldstrafe von S 5.–im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Arreststrafe in derDauer von 12 Stunden verurteilt. Gleichzeitig wurden die be-schlagnahmten Druckwerke für verfallen erklärt. Gegen diesesStraferkenntnis erhebe ich durch meinen mit beiliegender Voll-macht ausgewiesenen Anwalt fristgerecht nachfolgendeBerufung.

Das Straferkenntnis wird wegen mangelhaftenVerfahrens und Gesetzwidrigkeit angefochten.

Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens erblickeich darin, dass die Begründung nicht dem Gesetze entspricht, ausihr nicht zu ersehen ist, worin die strafbare Handlung erblicktwird. Die Begründung hätte genau zu enthalten, warum in der Ver-breitung des beschlagnahmten Druckwerkes eine Uebertretung des§ 9/1 Pr.G. liegt, ob die Behörde der Ansicht ist, dass nichtjedermann zur Kolportage berechtigt erscheint und eine besondereBefugnis verlangt wird, was aus dem Worte unbefugt zu schliessenwäre, oder ob sie das verbreitete Druckwerk als nicht zur Kolportagegeeignet ansieht.

Ich kann mich also nur mit einer Vermutungauseinandersetzen, dass die Polizeidirektion die zweite Ansichtim Auge hat, wobei ich jedoch nicht die Möglichkeit ausschliessenkann, dass etwa andere Gründe, die mir nicht bekannt sind, dasFehlerkenntnis verursachten. Die Ansicht, dass die gegenständlicheBroschüre – es handelt sich um die Sonderausgabe Nr. 1 der ‚Fackel‘nicht dem Begriff der Zeitung im Sinne des Press-Gesetzes entspricht,ist vollständig unrichtig. Nach § 2 dieses Gesetzes versteht manunter Zeitung ein Druckwerk mit einem nicht vorweg begrenzten In-halt, das unter demselben Namen und in fortlaufenden Nummern, wennauch in unregelmäßigen Zeitabständen erscheint und dessen Einzel-

nummern, wenn auch jede ein in sich abgeschlossenes Ganzes bildet,durch ihren Inhalt in einem Zusammenhang stehen. Die ‚Fackel‘ isteine seit 30 Jahren bestehende Zeitschrift und es steht ihr na-türlich auch frei Sonderausgaben zu veranstalten, etwa wie dieTageszeitungen aus besonderen Anlässen Extraausgaben herausgebenund die Arbeiter-Zeitung in den Tagen des 15. Juli 1927 die so-genannten „Mitteilungen“ herausgab. Die Sonderausgabe trug dieNr. 1 und es ist seitdem auch eine zweite Nummer der Sonderausgabe erschienen. Der Zusammenhang der Sonderausgabe mit dem in derHauptausgabe der ‚Fackel‘ geführten Kampf des Herausgebers KarlKraus gegen die Polizeidirektion ist sofort ersichtlich. DieArbeiter-Zeitung vom 8. August 1928 hat ihrer Rechtsansicht zudiesem Fall in folgenden Worten Ausdruck gegeben:

… die Sonderausgabe einer Zeitschrift ist die Zuschrift(Zeitung) selbst, kann also, auf der Strasse so vertrieben werden,wie eine Zeitschrift vertrieben wird. Da überdies die ‚Fackelkein regelmässiges, an ein Datum geknüpftes Erscheinen hat, sogeht die Sonderausgabe eben in ihr Erscheinen ein; dass die ‚Fackelsonst mit einem roten Umschlag erscheint, diese Sonder-ausgabe der ‚Fackel‘ mit einem weissen Umschlag erschien, istnatürlich nebensächlich und geht die Sicherheitsbehörde, die aufden roten Umschlag kein Anrecht hat, nichts an. Da es sich alsoum den Vertrieb einer Zeitung handelt, ist der § 9 des Pressge-setzes nicht verletzt; die Beschlagnahme ist ebenso unzulässig,wie es eine Bestrafung der Kolporteure und Verfallserklärungwäre.

Die Verurteilung erfolgte sohin vollständigzu Unrecht und ich beantrage daher, das Straferkenntnis derPolizeidirektion sowohl wegen mangelhafter Begründung, als auchwegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben, mich freizusprechen und dieVerfallserklärung zu widerrufen.

Max Blatt.

Betr. KrausSonderausgabeBlatt exp. am August 1928.überreicht am 21/8.28