103.10 Schriftsatz in der Privatklagsache Karl Kraus gegen Oscar Franz Schardt (RA Philipp Loewenfeld an das Amtsgericht Nürnberg, Priv.-Klage-Verz. 458/28)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 21. Juli 1928
Seite von 6

München, den 21. Juli 1928.

An dasAmtsgericht Nürnberg,Strafgericht.

Betreff: Privatklagesache

Karl Kraus, vertreten durch Unter-fertigten,gegenOscar Franz Schardt, vertretendurch die Rechtsanwälte Justizrat Dr.Karl Stauder u. Dr. RudolfStauder in Nürnberg,wegen Beleidigung.

Priv. Klage-Verz. 458/28.

In bezeichneter Sache wird auf dengegnerischen Schriftsatz des Privatbeklag-ten vom 30. Juni 1928 ausgeführt:

Der Privatbeklagte besitzt unbescha-det des Umstandes, dass er Schriftleitereiner grossen Tageszeitung ist, offenbarnicht die nötige Erfahrung zu einem soungewöhnlichen Rückzug, wie er ihn mitdem eben erwähnten Schriftsatz anzutretenversuchte.

Was der Privatbeklagte ausführenlässt, ist rechtlich falsch und entbindetihn nicht von seiner pressgesetzlichen

Verantwortlichkeit.

Gemäss § 20 des Reichsgesetzes über die Presse be-stimmt sich die Verantwortlichkeit für Handlungen, derenStrafbarkeit durch den Inhalt einer Druckschrift bestimmtwird, nach den bestehenden allgemeinen Strafgesetzen. Istdie Druckschrift eine periodische, so besteht nach § 20,Abs. 2 des Reichspressgesetzes eine gesetzliche Präsumti-on für die Strafbarkeit des verantwortlichen Redakteursals Täter, wenn nicht durch besondere Umstände die Annahme seiner Täterschaft ausgeschlossen wird.

Diese gesetzliche Präsumtion hat ihren Grund darin,dass der verantwortliche Redakteur derjenige ist, „wel-cher die endgültige Entscheidung über den Inhalt der pe-riodischen Druckschrift trifft …“ und welcherrechtlich dem Verfasser insoferne gleichsteht, als erdas Manuscript zum Druck liefert“. (Kitzinger, Reichsge-setz über die Presse II, 1 zu § 20, Abs. 2).

Es ist daher ein sehr populärer Irrtum des Privat-beklagten, wenn er annimmt, dass der verantwortliche Re-dakteur sich durch die Benennung eines Verfassers oderEinsenders oder eines nicht als verantwortlichen Redak-teur auf dem Impressum der periodischen DruckschriftZeichnenden, von seiner strafrechtlichen Haftung aus §20, Abs. 2 des Reichspressgesetzes befreien könne.

Eine derartige Befreiung wäre vielmehr, wie der Textdes Gesetzes ergibt, nur möglich, wenn der Privatbeklagte Beweis für besondere Umstände dargetan hätte, welche die

Annahme seiner Täterschaft ausschliessen. Der Privatbeklagte hataber genau das Umgekehrte getan. Er hat nicht nur keinen Beweisfür den Ausschluss seiner Täterschaft durch besondere Umständeangetreten, sondern er hat sogar durch eigenes Geständnis denNachweis seiner Mittäterschaft ausdrücklich geführt. Auf Seite 1 v.seines Schriftsatzes sagt der Privatbeklagte nämlich wörtlich:Der Angeschuldigte hat sogar bei einer Wendung des Dr. Ho-henstatter eine Milderung im formellen Ausdruck vor-genommen, woraus hervorgeht, dass ihm jede persönliche Absichtder Beleidigung ferne lag“.

Aus diesem offenbar unfreiwilligen Eingeständnis des Pri-vatbeklagten ergibt sich aber klipp und klar, dass er den unterKlage gestellten Artikel vor seiner Drucklegung gelesen, sogarAbänderungen darin vorgenommen und den nichtabgeänderten Teildes Artikels zur Drucklegung gegeben hat. Das aber ist der glatteFall der Mittäterschaft, die selbstverständlich ebensogut Täter-schaft im Sinne des § 20 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Presse ist, wie die Eigenschaft als Verfasser. Es gibt zwar eine Rechts-meinung, die es bezweifelt, dass der Verfasser als Täter anzusehenist (Näheres hierüber Kitzinger a.a.O. I, 2, zu § 20 Abs. 1 und diedort Zitierten), jedoch keine einzige Rechtsmeinung in dem Sinne,dass der verantwortliche Redakteur durch die Benennung des Verfasseroder des Einsenders oder eines nicht als verantwortlich zeichnen-den Redakteurs von seiner strafrechtlichen Haftung nach § 20, Abs. 2 befreit wäre. Vielmehr ist „der verantwortliche Redakteur mit derPräsumption belastet, dass er die Veröffentlichung vorsätzlich undin Kenntnis ihres Inhalts verursacht hat“. (Plenarentscheidung desReichsgerichts E. Band 22, Seite 65). Die Ausnahmebestimmung, wo-nach der verantwortliche Redakteur dann straffrei ist, wenn beson-dere Umstände die Annahme seiner Täterschaft ausschließen, kommtnur dann in Frage, wenn der verantwortliche Redakteur einen Artikel

vor seiner Drucklegung überhaupt nicht gesehen und seinenInhalt nicht geprüft hat (Kitzinger a.a.O. II 1 a, zu § 20Abs. 2). Die gesetzliche Präsumtion kann also nicht auf dievon dem Privatbeklagten geübte Weise widerlegt werden.

Der § 21, Abs. 2 des Reichspressegesetzes, auf densich der Privatbeklagte beruft, ist im gegenwärtigen Fallüberhaupt nicht einschlägig; er ist vielmehr nur dann ein-schlägig, wenn sich ein Angeklagter aus der Fahrlässigkeitshaftung des § 21, Abs. 1 des Reichspressegesetzes befreienwill. Die Fahrlässigkeitshaftung kommt aber wiederum ihrer-seits nur dann in Frage, soweit der verantwortliche Redak-teur „nicht nach § 20 als Täter oder Teilnehmer“ zu bestra-fen ist. Da im gegenwärtigen Fall eine Bestrafung des ver-antwortlichen Redakteurs als Täter, bezw. Mittäter nach § 20Abs. 2 des Reichspressegesetzes in Frage kommt, scheidet dieInanspruchnahme einer Fahrlässigkeitsprüfung nach § 21, Abs.1, und damit auch ohne Weiteres eine Exkulpation nach § 21,Abs. 2 des Reichspressegesetzes aus. Dass auch § 21, Abs. 2 nur ein Bestandteil des Systems der Fahrlässigkeitsbestrafung ist, ist anerkannten Rechts und unbestritten (Kitzinger a.a.O.I zu § 21 Reichspressegesetz).

Der Privatkläger wird demgemäss die Klage gegen den Pri-vatbeklagten nicht zurückziehen, sondern besteht auf dessen Be-strafung. Er ist aber dem Privatbeklagten dankbar dafür, dass erihm, wenn auch gegen die Gepflogenheiten der Presse, in der Per-son des Herrn Dr. Ernst Hohenstatter zu München, einen weiterenMittäter an dem gegen ihn gerichteten Treiben benannt hat undwird nicht verfehlen, die Mitteilung des Privatbeklagten, zuderen Bekräftigung als Zeuge der Herr Privatbeklagte Gelegenheit

haben wird, in einer seinen Interessen entsprechenden Weise zuverwerten.

Wie der Privatbeklagte und Herr Dr. Ernst Hohenstatter diese An-gelegenheit vom Standpunkt ihrer Standespflicht ausmachen, kannder Privatkläger ruhig den beiden Herren überlassen. Er möchte ineine Diskussion darüber nicht eingreifen, weil dadurch die Vor-stellung erweckt werden könnte, als ob die journalistischenStandesbegriffe der beiden Herren seine eigenen wären.

gez. Dr. Phil. Loewenfeld Rechtsanwalt.Für die Abschrift:[Unterschrift]Rechtsanwalt.

KrausFränkischer Kurier 23. JULI 1928