103.15 Erklärung von RA Karl Stauder und RA Rudolf Stauder an das Amtsgericht Nürnberg

Datum: 30. Juni 1928
Seite von 6

Abschrift.

Nürnberg, den 28. Juli 1928.

ZumAmtsgerichtNürnberg.Abt. f. Strafsachen.

Priv. Verz. Nr. 458/28Termin: 2.8.28.

ErklärungderRechtsanwälte Justizrat Dr. K. Stauder und Dr. R. Stauder in Nbg.in der PrivatklagesacheKraus (vertreten dch. RAe. Dres. Hirschberg, Loebenfeld& Regensteiner, MünchengegenSchardt Oskar Franz, (Unterfertigte)wegen Beleidigung

In vorbezeichneter Sache haben wir auf den geg-nerischen Schriftsatz vom 21. Juli 1928 folgendes zu erwidern:

I.

Der Gegner begründet die Strafbarkeit des Privatbe-klagten mit § 20 des R.P.G., indem er unterstellt, dass dieserals verantwortlicher Redakteur des die strafbare Handlungbegründeten fraglichen Artikels in Betracht komme. Dabeistützt er sich vor allem auf die Ausführungen bei Kitzinger,Kommentar zum R.Pr.G. zu § 20 u. 21. Dass dieser Kommentarbereits veraltet und durch neuere Werke überholt ist, ins-besondere den Kommentar von Häntschel aus dem Jahre 1927der vielfach andere Ansichten als Kitzinger vertritt unddie neueste Rechtsprechung enthält, soll gleich vorweggenom-men werden.

Dass es sich bei dem Privatbeklagten nicht um einenverantwortlichen Redakteur im Sinne dieses gesetzlichenhandelt, soll in folgendem dargetan werden.

Als solcher kann nur ein Redakteur in Frage kommen,der Kraft seiner Stellung zwar kein positives Gestaltungs-recht, so doch ein negatives Vetorecht bezügl. des Inhaltesder Zeitung besitzt, so dass eine seine Strafbarkeit be-gründende Handlung häufig nicht in einem Tun, sondern ineinem vorsätzlichen Unterlassen einer rechtlich gebotenenHandlung, nämlich der Nichtverhinderung der Aufnahme straf-baren Stoffs besteht. (vergl. R.St. 35/315) Er muss infol-gedessen auf Grund seiner Stellung zuständig für die Ver-hinderung der Veröffentlichung der Artikel sein, die Aus-führungen enthalten, welche gegen strafgesetzliche Vor-schriften verstossen.

Der Privatbeklagte hatte aber bei den hier in Fragestehenden Artikel die Stellung eines verantwortlichenRedakteurs nicht inne, da hiefür allein der für Münchenbestellte Redakteur, Dr. Hohenstadter zuständig war.

Bezügl. der Münchener Schriftleitung des FränkischenKuriers ist es bei der Geschäftsverteilung dieser Zeitungganz selbstverständlich, dass alle Notizen und kritischenBesprechungen einschliesslich der Polemiken, die dieseSchriftleitung nach Nürnberg an die Geschäftsstelleherüber gibt, zur Veröffentlichung gebracht werden müssen.Zu deren Herübergabe ist die Münchener Schriftleitungvertragsmässig verpflichtet, die brieflich oder telefonischzu erfolgen hat, wobei jeweils alles als geistiges Erzeugnisder Münchener Schriftleitung mit den für diese eigenen

Zeichen kenntlich gemacht wird und die NürnbergerSchriftleitung kein Recht besitzt, irgend welche Aenderungengeschweigedenn Verhinderungen an der Veröffentlichungdieser Artikel vorzunehmen.

Abgesehen davon, dass der Nürnberger Redakteur zurZensur und Begutachtung der von München herübergeleitetenArtikel weder zuständig noch befugt ist und eine unbedingteVerpflichtung zur Aufnahme dieser Artikel besteht, wäreer ja nicht in der Lage bei der Fülle dieses Materialseinzelne Artikel durchzuprüfen. Mit Rücksicht darauf wurdeeben die besondere Schriftleitung in München mit einemeigenen verantwortlichen Redakteur versehen.

Daraus ergibt sich, dass das Nürnberger herübergeleiteteMaterial, namentlich Kritiken und Würdigungen kulturellerund künstlerischer Vorgänge ohne weiteres angenommen werdenund angenommen werden müssen. Wenn im gegnerischen Schrift-satz das Gegenteil behauptet wird, so fehlen eben dessenVerfasser die erforderlichen Kenntnisse über den Dienstver-kehr und die Geschäftsverteilung in einer grossen Zeitung.Es dürfte somit klar auf der Hand liegen, dass die Verant-wortlichkeit einzig und allein bei der Münchener Schrift-leitung liegt.

Um dies auch besonders kennzeichnen und Aussenstehendengegenüber kundzugeben, werden, wie bekannt sein dürfte, diesebetreffenden Meldungen mit einem besonderen Zeichen, hierden der Münchener Schriftleitung eigentümlichen, oben be-zeichneten Vermerk, mit dem Ort München und der beigefügtenBezeichnung: „Specialdepesche unserer Münchner Schriftleitung“versehen, sodass die öffentliche verantwortliche Kennzeich-nung daraus klar hervorgeht. Auf den versuchten Vorwurfder Preisgabe des redaktionellen Geheimnisses ist auszuführen:

Die bereits oben besprochene Kenntlichmachung der Artikelund Kritiken schliesst von vornherein jede Absicht der Ge-heimhaltung aus und zwar von allen Teilen. Sie schliesstvielmehr ein auch nach aussenhin sichtbares Uebereinkommenin sich auf Grund dessen die Münchener Schriftleitungin ihren Artikeln in der Zeitung ebenso selbständig, wiejeder verantwortlicher Redakteur in die Erscheinung tritt.Dies geht ja auch ganz besonders daraus hervor, dass unterder Bezeichnung „auswärtige Schriftleitung“ sich die Adresseder Münchener Schriftleitung, die beide mit verant-wortlichen Redakteuren versehen sind, koordiniert sind, sodassder Privatbeklagte als verantwortlicher Redakteur nicht inBetracht kommt. Was die Behauptung des Gegners anbelangt,der Privatbeklagte hätte durch Durchlesen des Artikels unddurch eine darin vorgenommene Aenderung im Ausdruck selbstdas Geständnis abgelegt, als verantwortlicher Redakteurfungiert zu haben und sich zugleich als Mittäter bekannt-zu geben haben, so ist diese absolut unzutreffend.

Zum Beweis für all diese Tatsachen benennen wirSchriftleiter des Fränkischen Kuriers als Zeugen undSachverständige, die in die Sitzung mitgebracht werden.

II.

Ganz vorsorglich haben wir in materieller Hinsicht,falls es darauf ankommen sollte, auszuführen:

In dieser Richtung hat es im Prozess vor allemdarauf anzukommen, wie das Geisteswerk „Traumstück“ von KarlKraus zu beurteilen ist und zwar im allgemeinen und imbesonderen, in dieser Richtung

1. vom Standpunkt der Literatur und des Schrifttums(Dichtkunst) 2. vom Standpunkt des Frontsoldaten und nationalgesinntenMenschen.3. vom Standpunkt des sittlichen anständigen Menschen aus.

Dabei ist davon auszugehen, dass die sämtlichen polemi-schen Wendungen der Münchener Schriftleitung, in die auchdie Bezeichnung „Literätchen“ und „syphilitische Verseu-chung“ unbedingt hereingehören, als eine allgemeine Kritikder dekadenten Literatur aufzufassen hätte. Es geht diesaus dem berechtigten Kampf gegen die ungeheure Flut vonSchmutzliteratur auf dem deutschen Büchermarkt, die vornichts mehr zurückschreckt und die sowohl an Erotischemwie an Krankhaftem das Möglichste leistet hervor. Die Ten-denz dieses Artikels ging also unverkennbar dahin, denStaat auf die kulturzersetzende Tendenz der Literaturdieses Schlages hinzuweisen. Dies war die Aufgabe derMünchener Schriftleitung die die Stücke zu kritisierenhatte, ebenso, wie es Aufgabe der Nürnberger Schriftleitungwar, derartige Artikel ohne weiteres aufzunehmen, abge-sehen davon, dass sich diese mit dem fraglichen Stückniemals befasste und auch nicht befassen konnte. Ueberdie Beurteilung des fraglichen Werkes nach den oben an-geführten Gesichtspunkten benennen wir als Sachverständige:

den Schriftleiter Wilhelm von Schramm, München, dessenLadung bereits beantragt wurde.

Die Benennung der beiden weiteren Sachverständigen:des Schriftleiters Dr. Heinz Hauwecker, Nürnberg und desGeh. Oberstudienrats, Oberstudiendirektors Dr. Hugo Steiger,Nürnberg, die in die Sitzung mitgebracht werden, bleibt vorbe-halten.

KrausFränkischer Kurier1. AUG. 1928