112.41 Schriftsatz in Sachen Kraus ./. Wolff (RA Botho Laserstein an das Landgericht I Berlin, G.Z. 10. P. 299/29)

Schreiberhände:

  • Botho Laserstein, schwarze Tinte
  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 4. März 1930
Seite von 8

Abschrift für Mandanten.

BERLIN, DEN 4. März 1930.

Zur gefl. Kenntnisnahme übersandt:Berlin, den 4. März 1930.Dr. Laserstein Rechtsanwalt.

An dasLandgericht I,Strafkammer,Berlin N W.

In SachenKraus ./. Wolff,10. P. 299/29

wird auf Vorbereitung der Haupt-verhandlung noch folgendes vorge-tragen:

Der Angeklagte Theodor Wolff hatdem Privatkläger in den inkriminier-ten Briefen Reklamesucht vorgewor-fen.

Wie man auch zur Anwendung des§ 193 StGB in vorliegendem Fallestehen mag, und ob man dem Ange-klagten auch eine scharfe Wider-legung der Behauptungen des Privat-klägers zubilligen will, sicher ist,daß der Angeklagte kein Recht hatte,Dinge gegen den Privatkläger vor-zubringen, die mit der vorliegen-den Sache keinen Zusammenhang ha-ben und nach der ganzen Art desVorbringens nur den Zweck habensollten, den Privatkläger verächt-lich zu machen, wie dies der Ange-

xklagte auch jetzt wieder in seinen Schriftsätzenvor Gericht zu tun beliebt. Dies gilt aber für denVorwurf der Reklamesucht. Denn ein solcherVorwurf ist für einen Richter und Schriftstellerder nur aus seinem Gewissen heraus schafft, ebenso schimpflich wieetwa für einen Anwalt, dem man Reklamesucht vor-wirft.

Nun hat sich in erster Instanz der Ange-klagte für diesen Vorwurf darauf berufen, daßder Privatkläger Plakate über die Schrift gegenDr. Kerr an die Litfaßsäulen hat anschlagenund in den Straßen herumtragen lassen.

Der Angeklagte ist selbstverständlichgebildet genug, um zu wissen zu müssen, daß erdamit dem Gericht nur ein Scheinargument vor-trägt. Denn kann man irgend einem Verleger –also etwa dem Verleger des „Berliner Tageblatt– den Vorwurf der Reklamesucht machen, weil erseine Verlagswerke mit den zulässigen Mittelnder Reklame, dem Inserat und der Litfaßsäulen-reklame verbreiten läßt?

In Wahrheit aber ist der Privatkläger fürdie im vorliegenden Falle getätigte Reklamegarnicht verantwortlich, da diese selbstver-xständlich von seinen Angestellten und dasHerumtragen von Plakaten sogar ohne Veranlassungdes Verlags lediglich durch die berliner Ver-

triebsstelle, den linken Zeitungsdienst, bewirktworden ist.

Beweis: Zeugnis des Herrn RudolfFischer, Berlin W 15.,Ludwig-Kirchstraße 3.

Der Vorderrichter ist dem Sachverhaltnicht gerecht geworden, wenn er alle entschuld-baren Motive bei dem Angeklagten, alle unent-schuldbaren bei dem Privatkläger sieht. Wiefehl er in diesem Bestreben gegangen ist, ergibtsich aus 2 Punkten mit aller Deutlichkeit.

x1. Niemals durfte der Vorderrichter denPrivatkläger verurteilen, da der Privatkläger Österreicher, also Ausländer ist und die angeb-lichen Beleidigungen in Österreich, also imAuslande, erfolgt sind, wo die „Fackel“ erscheint.xEs würde sich also allerhöchstens um eine imAuslande begangene Straftat handeln, für dienach internationalem Strafrecht keinesfalls,auch nicht im Wege der Widerklage, das deutscheGericht zuständig sein kann.

Der Vorderrichter ist aber noch weitergegangen. Er hat ohne Antrag dem Angeklagten das Recht zugesprochen, den erkennenden Teildes Urteils in der „Fackel“ zu veröffentlichen.Die „Fackel“ erscheint, wie bereits gesagt,und wie sich aus dem Impressum der in denAkten befindlichen Nummern ergibt, in Wien.

xeventueller Beweis: Auskunft der wiener Polizei-behörde.

Der Herr Vorderrichter hat also geradezuein Urteil gefällt, das sich Rechtskraftwirkungüber die Grenzen des deutschen Staates hinauszuspricht. Das ist nach internationalem Straf-recht völlig unzulässig, und zwar selbst nachder weitgehendsten Ansicht des Professors Kauf-mann über die Grenzwirkungen des internationalenRechts. Es wäre genau so, als wenn ein deutschesGericht der italienischen Regierung im Urteils-wege befehlen würde, das Landheer abzuschaffen.

Nachdem sich der Vorderrichter in dieserxWeise gegen den Privatkläger festgelegt hat,erklärt er weiter auf Seite 16 des Urteils, esbedürfe einer Erhebung der vom Verteidiger desPrivatklägers angebotenen Wahrheitsbeweise nicht,weil der Sachverhalt genügend geklärt sei. Ab-gesehen davon, daß es ein Rechtsfehler ist, denUmfang dieser Beweisanträge nicht referierendwiederzugeben, ist es nach der Rechtsprechung desReichsgerichts eine unzulässige Vorwegnahme derBeweise, wenn Beweisanträge mit dieser Motivierungabgelehnt werden. Vorliegend ist in der Tat demPrivatkläger damit jeder Wahrheitsbeweis abge-schnitten worden. Denn daß die Herren Reinhardt und Kerr in dieser Frage, von der alles für ihreExistenz und Reputation abhängt, vor Gericht sich

möglichst decken und nicht zugeben werden, wiesie sich untereinander umgestellt haben, dürfteja garnicht so schwer verständlich sein.

Es ist dem Privatkläger nunmehr aber mög-lich, zur Widerlegung des Vorwurfs der Lügeseitens des Angeklagten – ein Eingehen aufxdie Widerklage ist ja nach oben Gesagtem fürdas deutsche Gericht nicht möglich – den vollenWahrheitsbeweis für die Hardenschen Behauptungenanzutreten, wobei immer wieder betont werdenxmuß, daß er sie sich nicht zu eigen gemacht, son-dern nur wiedergegeben und das Schweigen aufderartige Vorwürfe schimpflich gefunden hat.

Es wird zum Beweise dafür, daß es beimBerliner Tageblatt“ dauernd üblich war, aufGrund der Freundschaft zwischen Max Reinhardt und Theodor Wolff zugunsten von Max Reinhardt auf die Theaterkritiker einzuwirken und diesewegen zu scharfer Kritiken gegen Reinhardt zuverwarnen, daß ein solcher Einfluß dauernd vondem Angeklagten und dessen damaligem Feuilleton-redakteur Paul Block ausgeübt worden ist, unddaß auch zwischen dem Angeklagten und dem ZeugenAlfred Kerr eine Verständigung dahin zu Standegekommen ist, daß Reinhardt schonend behandeltwerden müsse, Bezug genommen aufZeugnis des Dr. Adolf Lapp,Frankfurt am Main, Grüneburgweg 101.

Da dies der einzige vom Angeklagten nichtxabhängige Zeuge ist, so kann dieser Wahrheits-beweis nicht übergangen werden.

Der Privatkläger verbürgt sich für dieKosten dieser Zeugenvernehmung und ist bereit,sie vorschußweise einzuzahlen.

Dazu kommt, daß die Familie Mosse sowieder Chefredakteur Theodor Wolff mit Max Rein-xhardt befreundet und an dessen Theaterunterneh-mungen direkt oder indirekt beteiligt sind.

Beweis: Zeugnis des Herrn HainsLachmann-Mosse,Berlin W 62., Maßenstraße 28.

Alle Kritiker, auch der Zeuge Dr. AlfredxKerr, wurden bei Kritiken Reinhardscher In-szenierungen darauf hingewiesen, sie dürftensagen, was sie wollen, nur möchten sie bedenken,daß T.W., der Angeklagte, mit Reinhardt befreun-det sei.

Beweis: Zeugnis des Dr. Lapp,Adr. zuvor.

Zum Beweise dafür, daß beim „BerlinerxTageblatt“ dauernd Kritiker, die gegen dieInteressen von Freunden des Hauses oder vonInserenten verstoßen, gemaßregelt, beeinflußtund abberufen werden, wird Bezug genommen aufZeugnis a. des Redakteurs RolfNürnberg, Berlin W,Tauentzienstr. 13a.b. des Dr. Ernst Blass Berlin W 10., Viktoriastr. 35,

xc. des Dr. Pinthus, Berlin W 30.,Heilbronner Str. 2,xd. des Dr. Moriz Seeler,Berlin W 30., Augsburger Str. 25,e. des Kurt von Molo, zu ladenbeim „Berliner Tageblatt“, Berlin SW 19.,Jerusalemer Str. 45/49,xf. der Frau Eugenia Nikola-jewa, Berlin-Wilmersdorf, Emser Str.14.

Dazu kommt noch folgendes:Wie sich aus den bei den Akten befindlichenKritiken des Dr. Kerr über Reinhardt vor undnach 1918 ergibt, hat ihn Kerr zunächst sehrscharf besprochen und persönlich verhöhnt undverunglimpft. Später, nach seinem Übertritt zumTageblatt“ ist aus der Fanfare eine Schamadegeworden. Dies ist zwar dem Zeugen Reinhardt nicht aufgefallen, wohl aber allen Unbeteiligten,wie ich durch Kritiken des Vorderurteils in derxPresse im Termin beweisen werde. Diese Tatsacheerscheint aber in ganz besonderem Licht, wennman berücksichtigt, daß Dr. Kerr während desKrieges von Reinhardt sogar aus seinem Theater herausgeworfen worden ist und ein Hausverbot erhal-ten hat, nachher aber durch BürgermeisterReicke mit Reinhardt wieder versöhnt und zu-sammengebracht worden ist. Dr. Kerr hat inerster Instanz versucht, über diese Angelegen-heit als harmlos hinwegzugehen. Wie sich jetztaber herausgestellt hat, war der Grund für denHerauswurf des Dr. Kerr ein sehr schwerwiegender:

Dr. Alfred Kerr, deutscher Pazifist, dersich rühmt, ein Friedmensch zu sein, hat nämlichden ihm unsympathischen Schauspieler AlexanderMoissi, der im Gegensatz zu Kerr den Krieg nichtam Schreibtisch verbrachte, sondern schwer ver-xletzt 1917 von der Front heimkehrte, beim General-xkommando denunziert und als Pazifist das berli-ner Generalkommando ersucht, den schwer verwun-deten Moissi sofort wieder ins Feld zu schicken.

Deshalb wurde auf Verlangen Moissis HerrnDr. Kerr das Hausverbot zu Teil.

Da auch dies die Stellungnahme Kerrs zuReinhardt beeinflußt hat und die Kritiken erstim wahren Licht erscheinen läßt, wird diese Tat-sache in der neuen Verhandlung einen breitenRaum einnehmen müssen.

Zum Beweise für sie wird Bezug genommen auffolgende Zeugen, um deren Ladung gebeten wird:

xa. Herrn Otto Dubros, BerlinSW 11., Großbeerenstraße 86,b. Theaterkritiker Dr. Faktor, Berlin W 50., Kulmbacherstr. 5,c. Theaterkritiker Justus Hart, Berlin-Zehlendorf, Derfflinger 27,d. Herrn Peter Sachse, Berlin N29.,Friedrichstraße 113,e. Schauspieler AlexanderxMoissi,z. laden beim „Deutschen Theater“, Berlin, Schuhmann-str. 13

Abschrift ist dem Herrn Gegner direktzugestellt.

gez. Dr. Laserstein,Rechtsanwalt.

KrausKerr, Wolf