121.6 Ausführung der Berufung

Schreiberhände:

  • schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 17. Mai 1929
Seite von 6

G.Z. 1 U 139/29

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,durch:

Beschuldigter: Dr. Otto Leichter, verantwortlicherRedakteur der „Arbeiter-Zeitung“ in Wien V.,Rechte Wienzeile Nr. 97,wegen §§ 23/24 Pr.G. 1 fach

Ausführung der Berufung.

Gegen das Urteil vom 30. April 1929, mitwelchem der Beschuldigte von der gegen ihn erhobenen Anklagefreigesprochen wurde, habe ich die Berufung wegen des Freispruchesund wegen vorhandener Nichtigkeitsgründe angemeldet und um Zu-stellung einer Urteilsausfertigung zum Zwecke der Ausführung derBerufung gebeten. Die Urteilsabschrift wurde meinem Anwalt am9. Mai 1929 zugestellt. Ich erstatte folgendeAusführung der Berufung.

Ich mache den Nichtigkeitsgrund des § 468,Ziffer 3 (281, Ziffer 9a) St.P.O. geltend.

Der Grundfehler, der sich durch das ganzeUrteil zieht, besteht darin, dass es das, was den Stoff der zuberichtigenden Tatsachen bildet, die Meinung des Herrn Karl Kraus mit der Meinungssphäre verwechselte. Jede Sphäre hat aber die ihrgemässen Tatsachen, das gewöhnliche tägliche Leben Handlungen:Literatur, Kunst und Politik Meinungen. Es wäre absurd z.B. einemPhilosophen das Berichtigungsrecht abzusprechen, wenn eine von ihmin einem Werk ausführlich behandelte Hypothese in einem Zeitungs-bericht unrichtig dargestellt wird. Denken und Gedanken wären vogel-frei, wenn er nicht seine richtige Hypothese der falsch dargestell-ten entgegensetzen dürfte.

Um nun zu entscheiden, ob es sich bei dervorliegenden Berichtigung um eine Polemik, also um eine Bekämpfungeines Werturteils handelt, muss man lediglich untersuchen, ob indem berichtigten Artikel Meinungen bekämpft oder falsch dargestellt werden. Dass das Letztere der Fall ist, geht schon aus der Über-schrift des Absatzes, dessen Inhalt berichtigt wurde, hervor, dervon der „Uebung bei der ‚Fackel“ spricht. Die Mitteilung von einerUebung ist eine Mitteilung von Tatsachen. Der erste Absatz der Be-richtigung berichtigt nun folgende Tatsachen:

a) dass Karl Kraus zum Ausdruck gebracht hat, es gehe nichtdarum, was gestrichen wurde;

b) dass Karl Kraus gesagt hat, es sei Vergewaltigung undLumperei, dass in einem Manuskript des Herrn Leschnitzer überhaupt

gestrichen wurde;

c) dass Karl Kraus gesagt hat, es wäre eine Lumpereigegen den Einsender, dem ein geistiges Recht verkürzt wird.

Den Behauptungen a) und b) wird entgegengesetzt,was Karl Kraus in dem „Rechenschaftsbericht“ gesagt hat, der Be-hauptung c), dass nicht er, sondern ein anderer es gesagt hat.

Des Urteil erster Instanz meint nun, dass dieStelle „es ist unwahr, dass Karl Kraus zum Ausdruck gebrachthat …“ auch deshalb nicht dem Pressgesetz entspreche, weil indem Berichtigungsaufsatze gar nicht behauptet wurde, dass KarlKraus zum Ausdruck brachte, dass es nicht darum gehe …. Das Ge-richt erster Instanz hält sich hier an ein Wort und nicht an denArtikel selbst. Zuzugeben ist, dass die Worte „Karl Kraus brachtezum Ausdruck“ in dem Artikel nicht vorkommen. Das ist aber gleich-giltig. Der Artikel behauptet in Fortsetzung von Zitaten aus demAufsatz „Rechenschaftsbericht“ von Karl Kraus, „es gehe gar nichtdarum, was gestrichen wurde, ‚Vergewaltigung‘ und ‚Lumperei‘,solle es sein, dass in einem Manuskript des Herrn Leschnitzer über-haupt gestrichen worden ist“. Damit hat die Zeitung mitgeteilt,dass Herr Karl Kraus dies zum Ausdruck gebracht hat. Die Zeitung polemisiert gegen Herrn Karl Kraus, weil er diese Ansicht ausge-drückt habe. Anders ist ja der Artikel nicht zu verstehen. Nunist es doch unmöglich die Berichtigung etwa so abzufassen, dasslediglich der Wortlaut des zu berichtigenden Artikels verwendetwird, weil eben, wenn auch nicht ausdrücklich, aber doch deutlichausgedrückt darin steht, dass eben dieser Gedankengang tatsächlichvon Herrn Karl Kraus stammt. Es muss also zulässig sein, denHerrn Karl Kraus unterschobenen Gedankengang als solchen darzu-stellen und dies auszudrücken. Dass es sich aber dabei um etwashandelt, was Karl Kraus zum Ausdruck gebracht haben soll, gehtaus den Worten „wohlgemerkt und gegen jeden Versuch einer Ver-drehung gesichert“ und auch aus den Worten „Wir wollen deshalb feststellen, dass Karl Kraus“ des nachfolgenden Absatzeshervor. Die Worte „es geht gar nicht darum“ bis „gestrichen wor-den ist“ geben also eine zum Ausdruck gebrachte Ansicht des Herrn

Karl Kraus wieder und es ist das Recht des Berichtigungswerbers,zu entgegnen, dass er diese Ansicht niemals zum Ausdruck gebrachthat.

Der zweite Absatz der Berichtigung entspricht nach Ansichtdes Erstgerichtes deshalb nicht dem Pressgesetz, weil es keine be-richtigungsfähige Tatsache sei, wie oder was jemand „denke“. Die-se Ansicht des Erstgerichtes ist falsch. Sie wäre auch falsch, wennes sich nicht wie in vorliegendem Falle um die Behauptung eineszum Ausdruck gebrachten Gedankens, sondern um die Behauptung desblossen Gedankens handelte, weil auch diese allerdings innere Tat-sache noch immer Tatsache bleibt. Nun handelt es sich aber nichtmehr um eine lediglich im Inneren verschlossene Tatsache, sondernum eine zum Ausdruck gebrachte Tatsache, das Wort „Denken“ isteine Metapher für „Schreiben, Sagen“ oder dgl., was aus der Ueber-schrift des berichtigten Absatzes „Die Uebung bei der ‚Fackelhervorgeht.

Auch in dem dritten Absatz des Berichtigungsschreibens er-blickt das Urteil erster Instanz lediglich eine Polemik. Dies mitnoch mehr Unrecht als beim ersten Absatz des Berichtigungsschreibens.Denn, ob Karl Kraussich gar nicht selten gerühmt hat den seinemBlatt eingesendeten Manuskripten ‚Lichter aufgesetzt zu haben‘“,ist unbedingt eine Tatsache, schon deshalb, weil ja der Beweis zuführen wäre, ob Herr Karl Kraus sich eines solchen Vorgehens ge-rühmt hat oder nicht. Auch die weitere Ansicht, dass die Antithese:Wahr ist, dass die in den anderen zitierten Sätzen einbekannteAenderung … niemals hinterrücks … erfolgt ist …“ durchausnicht den Thesen: „Es ist unwahr, dass Karl Kraus sich gar nichtselten gerühmt hat …“ und „Es ist unwahr, dass er diese Wortegebraucht hat.“ nicht entspreche, entspringt einem Missverständnis.Es handelt sich hier nicht um Thesen und Antithesen, sondern sämt-liche vom Erstgericht zitierten Sätze sind Antithesen zu den vorhermitgeteilten Behauptungen der Notiz. Die These in diesem Absatz desBerichtigungsschreibens ist: „Die hier ausgesprochene und mit demZitat verknüpfte Behauptung ist unwahr.“ Was sich daran schliesst

ist Antithese, die nur deshalb in zwei Sätzen gleichfalls mitden einleitenden Worten „Es ist unwahr“ dargestellt wird, weilhier lediglich die Behauptung der Zeitung zu negieren istund ihr ausser dieser Negation keine andere positive Behauptungentgegengestellt werden kann. Es ist überflüssig in einer Be-richtigung zu schreiben: es ist unwahr, dass ich verheiratetbin, wahr ist, dass ich nicht verheiratet bin. Die Darstellung:es ist unwahr, dass ich verheiratet bin, drückt These und Anti-these zur Genüge aus. Gleiches liegt in diesem Falle vor. Andiese beiden Antithesen schliesst sich nun eine weitere Anti-these an, welche die Uebung bei der Fackel darstellt. Hiezu wares erlaubt und notwendig, auch auf die ganze übrige Darstellungdes Berichtes einzugehen. Da in diesem zum Ausdruck gebrachtwurde, dass Karl Kraus die Kürzungen an dem Aufsatz des HerrnFranz Leschnitzer als Vergewaltigung eines Mitarbeiters be-zeichnet habe, an dessen Manuskript die Tat hinterrücks begangenwurde, und wie der Schreiber sagt, „wir deshalb feststellenwollen“, dass Karl Kraus, wenn es sich um Beiträge für dieFackel handelt, über das Recht sie zu kürzen und abzuändern ganzanders denkt, das heisst die gleiche Uebung hat, ja dass sichKarl Kraus sogar gerühmt habe, Manuskripte, die ihm zugegangensind, nach Herzenslust geändert und korrigiert zu haben, so wares das Recht des Berichtigungswerbers, darzustellen, dass erganz anders, ganz entgegengesetzt als die Arbeiter-Zeitung dar-stellt, gehandelt habe, und in welcher Weise er „Korrekturenan den eingesendeten Manuskripten vorgenommen hat; dass er hie-zu immer die Zustimmung der Autoren eingeholt hat, und dass essich hierbei lediglich um stilistische und künstlerische Aenderun-gen an Versen an berühmten Werken der Lyrik, mit der ausdrückli-chen Betonung der Aenderung zum Zwecke des ästhetischen Nachweisesgehandelt hat, „wie der Organismus eines Verses, der in seiner Um-gebung erstirbt zu retten gewesen wäre“.

Dem letzten Absatz des Berichtigungschreibens erkennt dasUrteil erster Instanz die Rechtmässigkeit deshalb ab, weil „sichals Verdienst anrechnen“ keine berichtigungsfähige Tatsache seiund der zwischen These und Antithese erforderliche Gegensatz fehle.Das „sich als Verdienst anrechnen“ ist aber ebenso eine berichti-gungsfähige Tatsache, wie das im zweiten Absatz der Berichtigung verwendete Wort „denken“ und auf den ersten Blick vielleicht nochmehr als dieses, hier wird schon beinahe direkt zitiert. Die Ar-beiter-Zeitung hat zu belegen versucht, dass Karl Kraussich das Ver-ändern und Korrigieren nach Herzenslust“ als Verdienst angerechnethabe. Sie hat also behauptet, dass Karl Kraus zum Ausdruck gebrachthat, dass er es sich als Verdienst anrechnet, nach Herzenslust zuverändern und zu korrigieren. Das ist aber wieder nicht einmalmehr eine im Inneren verschlossene, nur der inneren Erkenntnis zu-gänglichen Tatsache, sondern eine schon in die Aussenwelt gesetzteTatsache, einem Beweise zugänglich und infolgedessen berichtigungs-fähig. Aber auch das Wort „nach Herzenslust“ ist nicht eine Meinung,sondern eine Tatsache, insbesondere im Zusammenhang dieses Artikels mit der Ueberschrift „Die Uebung bei der ‚Fackel“, und zu diesem„nach Herzenslust“ ist es eine genügende Antithese, wenn berichtigtwird, dass solche Veränderungen eben nicht nach Herzenslust, also will-kürlich und hinterrücks, sondern immer nur mit Einverständnis desAutors erfolgt sind.

Ich beantrage daher durch meinen bereits ausgewiesenen An-walt die Abänderung des erstgerichtlichen Urteils, Bestrafung desBeschuldigten, Erkenntnis auf Veröffentlichung der Berichtigung undVerpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Hand mit ihmdes Eigentümers und Herausgebers zum Ersatz der Verfahrenskosten.

Karl Kraus.

Arb.Ztg. VIexp. 17./5.29