125.69 Brief RA Willy Katz an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

DR. WILLY KATZ
Friedrichstraße 204
Berlin SW. 68
Datum: 29. Januar 1932

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Dr. O. Samek
Schottenring 14
Wien I
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Kollege!

In der Angelegenheit Kraus gegen Städtische Bühnen erlaubeich mir heute, nach Prüfung des mir übersandten Aktenmaterials,meine Ansicht über die von Ihnen zur Diskussion gestellten Rechts-punkte folgendermassen mitzuteilen:

Nach dem Aufführungsvertrage vom 23. Mai 1929 § 9 glaube ich,dass die Zuständigkeit des Wiener Schiedsgerichts nicht verneintwerden kann. Nach dem zwischen den in Betracht kommenden Verbän-den der Bühnen-Autoren und Bühnen-Verleger einerseits und demBühnen-Verein andererseits geschlossenen Tarifvertrag vom 12.2.30(vergl. dazu die allgemeinen Bestimmungen für den Geschäfts-verkehr zwischen den genannten Verbänden, ebenfalls vom 12.2.1930)wäre als das zuständige Gericht das Berliner-Schiedsgericht anzu-sehen, da der Beklagte seinen Wohnsitz im Deutschen Reich hat. Jedochist m.E. aus den genannten Vereinbarungen der Verbände nicht zuentnehmen, dass diese Bestimmung des Schiedsstandes eine aus-schliessende in dem Sinne sein soll, dass der freien Verein-barung über die Auswahl unter den beiden Gerichten eine Schrankegesetzt sei. Vielmehr entnehme ich, sowohl den Bestimmungen der

Deutschen Zivilprozessordnung §§ 1025 ff. und der Verweisung desTarifvertrages selbst auf die Vorschriften der D.ZPO. über dasSchiedsgerichtsverfahren, dass der § 29 ZPO., der den Gerichts-stand des Erfüllungsortes eines Vertrages für die aus dem Ver-trage fliessenden Verpflichtungen bestimmt, auch entsprechend fürdie aus dem Aufführungsvertrage geltend zu machenden Ansprüche inAnwendung gebracht werden kann. Hiernach bin ich der Ansicht, dassder § 9 des Vertrages, der als Erfüllungsort Wien angibt, überseinen materiellen Inhalt hinaus mit Recht eine prozessuale Grund-lage für die Erhebung einer Klage vor dem dortigen Schiedsgericht bietet.

Was nun die Frage anlangt, ob aus dem zwischen Deutschland undOesterreich geschlossenen Rechtsschutz- u. Rechtshilfeabkommen von1923 eine Vollstreckbarkeit des zu erwartenden Wiener Schieds-gerichtsurteils in Deutschland gegeben ist, so muss diese wohlverneint werden. Denn der Artikel 19 setzt nur die Vollstreckbar-keit von Urteilen bürgerlicher Gerichte fest und bestimmt in Aus-legung dieses Begriffes, dass als bürgerliche Gerichte auch dieSondergerichte zu gelten haben und diejenigen Schiedsgerichte,die ohne Rücksicht auf einen Schiedsvertrag vermöge einer be-sonderen staatlichen Verordnung zur Entscheidung privatrechtlicherAnsprüche zuständig sind. Da hier ein Schiedsvertrag vorliegt,kann auf Grund der ebengenannten Bestimmung eine Vollstreckbar-keitserklärung aus einem Wiener Schiedsgerichtsurteil über eineFrage des Aufführungsvertrages nicht beansprucht werden. Vielmehrbestimmt sich nach feststehender deutscher Rechtsprechung die Voll-streckung eines derartigen Schiedsgerichtsurteils nach den Vorschrif-ten der ZPO. über das schiedsgerichtliche Verfahren, im einzelnennach § 1042 f. der D.ZPO. Es ist anerkannten Rechts, dass auch ein

ausländischer Schiedsspruch im Deutschen-Reich für vollstreckbarzu erklären ist, wenn das Schiedsverfahren gewissen Mindestvor-schriften des Deutschen Rechts genügt hat, insbesondere, wenndie Bestimmungen des § 1039 ZPO., den ich in der Anmerkung ab-schreibe, erfüllt sind. Nach den einschlägigen Kommentaren wäre aberim vorliegenden Fall der in Wien ergehende Schiedsspruch nichteinmal in diesem Sinne als ein ausländischer Schiedsspruch anzusehen,da lediglich der Ort der Entscheidung ins Ausland gelegt ist, währenddie betreffenden Vereinbarungen, wie höchstwahrscheinlich auchdie Besetzung des Schiedsgerichts, in hohem Masse nach DeutschemRechte zustande gekommen, bezw. auch durch Angehörige des DeutschenReiches bestimmt sind. Unter einem ausländischen Schiedsspruch ver-steht Auslegung der in Frage kommenden gesetzlichen Stelleneine nnicht nur im Ausland ergangenen Spruch, sondern auch im über-wiegendem Masse eine unter der Herrschaft ausländischen Rechtesund durch Angehörige eines fremden Staates zustande gekommeneEntscheidung. Wie dem auch immer sei, auch eine solche Entscheidungwäre in Deutschland vollstreckbar,und es ist nur vor der Voll-streckung zu prüfen, ob die bereits genannten Formvorschriftender ZPO. gewahrt sind. Der Beschluss, durch den die Vollstreckungdes Schiedsgerichtsurteils ausgesprochen wird, wäre von demLandgericht Frankfurt a.M. zu erlassen, als demjenigen Gericht, beidem die Klage ohne die Vereinbarung eines Schiedsgerichtsverfahrensanzubringen wäre.

In der Beurteilung der materiellen Begründetheit des An-spruchs gehe ich konform mit den in Ihrem Schreiben vom 5.12.1931 gemachten Ausführungen. Eine Auslegung der Wendung „in dernächsten Spielzeit“ im Sinne der Städtischen Bühnen wäre m.E.

dolos und würde allen Anforderungen von Treu und Glauben wider-sprechen. Schon daraus, das der Vertragsgegner in seinem Schrei-ben vom 12.3.1931 ausdrücklich die Worte „erklären uns damit ein-verstanden“ gebraucht, und dass im zweiten Absatz dieses Briefesauch von der Uebersendung der Partitur im Herbst die Rede ist, folgt,dass er mit „der nächsten Spielzeit“ nur denjenigen Teil dernächsten Spielzeit im Auge hat, der ihm vom Verlag der Fackel nochzur Erfüllung seiner Aufführungspflicht eingeräumt und angebotenwar. Andernfalls hätte er sich nicht einverstanden erklärendürfen, sondern eine neue Offerte machen müssen, was mit keinemWorte zum Ausdruck gekommen ist. Immerhin wird man bei der bekanntenUnzuverlässigkeit, besonders von Schiedsgerichten, mit einer ge-ringen Möglichkeit rechnen müssen, dass irgendwie dem Standpunktder Städtischen Bühnen Rechnung getragen werden könnte. Ich halteaber diese Möglichkeit, wie gesagt, für eine sehr entfernte. Ausser-dem besteht nach dem die Rechtsgrundlage des Vertrages bildendenTarifabkommen die Möglichkeit, dass das Gericht die Vertragsstrafetrotz ihrer prinzipiellen Zuerkennung betragsmässig reduziert.Dass eine Verfolgung des Anspruchs in Wien in gewisser Hinsichtgrössere Chancen bietet, verkenne ich nicht; jedenfalls insoweitdürfte der Wiener Boden günstiger sein, als dort mit dem Argumentder Notlage der Frankfurter Bühnen weniger Eindruckzu machen sein wird.

Ich bitte um freundlichen Bescheid darüber, wie sich HerrKraus nach Erwägung der von mir vorgetragenen Gesichtspunkte ent-scheiden will und zeichne

mit vorzüglicher Hochachtung und herzlichenGrüssen als Ihr sehr ergebenerDr. Katz

Anmerkung.

§ 1039. Der Schiedsspruch ist unter Angabe des Tages derAbfassung von den Schiedsrichtern zu unterschreiben, den Parteienin einer von den Schiedsrichtern unterschriebenen Ausfertigungzuzustellen und unter Beifügung der Beurkundung der Zustellungauf der Gerichtsschreiberei des zuständigen Gerichts niederzulegen.

Krausstädt. Bühnen 1. FEB. 1932