130.42 Brief RA E. Lion an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Dr. E. Lion
Gänsemarkt 62
Hamburg 36
Datum: 24. Januar 1930
Betreff: Kraus ./. Hamburger Nachrichten
Diktiersigle: -E.

Empfänger

An: Herrn Rechtsanwalt | Dr. Samek
Schottenring 14
Wien I.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Wie ich vorausschicken möchte, bearbeiteich die beiden Prozesse von Herrn Kraus nicht nur sorg-fältig, sondern bei der von mir hochgeschätzten Persönlich-keit unseres Mandanten mit ganz besonderer Sorgfalt. Esist mir daher selbst am wenigsten erwünscht, dass ich nochkeinen glatten Erfolg berichten kann, wie ich ihn, aller-dings mit dem Vorbehalt meines Briefs an Herrn Kraus vom8.6.1929, erhofft hatte. Auch heute sehe ich aber dieProzesslage nicht als ungünstig an; es sind lediglichZweifel hineingekommen durch die vom Beklagten Schabbel erst neuestens vorgebrachte Verteidigung, er habe von derbeanstandeten Kritik vor der Drucklegung überhaupt nichtKenntnis genommen. Ich lese immer noch aus Schabbels Briefan mich vom 26.7.1929 Abs 4 das Gegenteil heraus, und findeseinen Standpunkt unhaltbar, denn „nicht beanstandenkann man nur einen Aufsatz, dessen Inhalt man kennenge-lernt hat. Im Strafverfahren wird also Herr Schabbel, derdort den Beweis seiner Unkenntnis zu führen hat, diesenBeweis nicht erbringen können, es sei denn, dass ihm zuvor

im Zivilverfahren das Gericht über seine Unkenntnis denEid auferlegen und er diesen Eid leisten sollte. Wenn dasZivilgericht aber seiner mündlichen Erklärung entsprechendverfährt, wird es Herrn Schabbel verurteilen, ohne auf denEid über seine Unkenntnis zu erkennen. In diesem Falle würdeHerr Schabbel auch im Strafverfahren zweiter Instanz verur-teilt werden.

Ich habe mich inzwischen nun mit dem Gegenanwalt in Verbindung gesetzt, und dieser bietet jetzt als Beitragzu unsern Kosten noch RM 100.– an, dies allerdings unterder Bedingung, dass auf Erklärungen in der Zeitung mit Rück-sicht auf die verflossene Zeit verzichtet wird. Dies Letzteentspricht einem Hinweis des Vorsitzenden im Zivilverfahren.Dieser äusserte, von den Lesern der Hamburger Nachrichten würden die wenigsten Herrn Kraus kennen, ausserdem sei beiihnen die Angelegenheit bis zur Rechtskraft des Urteilsvöllig vergessen, und endlich sei durch die von uns ver-anlasste Berichtigung die Unrichtigkeit der von der Zeitung gebrachten Behauptung schon von der Öffentlichkeit zurKenntnis genommen; der Artikelschreiber habe sich beiHerrn Kraus entschuldigt, und die Zeitung gebe laut demStrafurteil die Unrichtigkeit der Behauptung zu. DieseAuffassung scheint mir doch beachtenswert.

Ich sehe, dass Sie, sehr verehrter Herr Kollege,bereit sind, bezüglich Ihrer Kosten eine Konzession zumachen. Ich glaube mich nicht mit den geltenden Standesvor-schriften in Widerspruch zu setzen, wenn ich in diesem Einzel-

fall auch meinerseits der Verehrung für Herrn Kraus durchdie Bereitschaft zu einer Ermässigung meiner tariflichenGebühren Rechnung trage. Ich möchte dies aber nicht so ver-standen wissen, als wollte ich die beiden Prozesse aufjeden Fall verglichen sehen. So beurteile ich die Lagenicht. In erster Linie halte ich den Vorschlag der Gegen-seite für erwägenswert. Sollten Sie und Herrn Kraus andererAuffassung sein und im Gegensatz zum Zivilrichter eineöffentliche Erklärung heute noch für unerlässlich halten,so würde der Kostenzuschuss von RM 100.– durch den Gegnerwegfallen und nur der gerichtliche Vergleichsvorschlagübrigbleiben. Dann würde ich meinerseits allerdings mehrfür Durchführung der Prozesse sein. Denn nach der Darlegungdes Zivilrichters glaube ich mit einer Verurteilung vonSchabbel rechnen zu können, die dann zugleich eine günstigeGrundlage für die zweite Instanz des Beleidigungsverfahrensböte. Wenn ich in erster Linie den letzten Vorschlag derGegenseite zu erwägen bitte, so deshalb, weil mir dieseForm der Erledigung heute zweckmässig und auch im Kosten-punkt annehmbar zu sein scheint.

Den Termin vom 29. Januar werde ich vertagen. Ichbitte um Ihre Äusserung.

Herrn Kraus darf ich durch Sie meine verbindlichstenGrüsse übermitteln lassen.

Mit kolleg. HochachtungDr. Lion

KrausHamburgerNachrichten27. JAN. 1930