134.39 Protokoll der öffentlichen Hauptverhandlung (Strafbezirksgericht I in Wien, G.Z. 4 U 114/30, Landesgerichtsrat Leopold Wenger)

Schreiberhände:

  • schwarze Tinte
  • blauer Stift

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 4. Dezember 1930
Seite von 15

Geschäftszahl U 4 U 114/30

Öffentliche Hauptverhandlung.

Strafbezirksgericht I in Wien am 4.12. 1930 Beginn 12 Uhr 10

Gegenwärtig:

Richter: LGR. Wenger Schriftführer: Singer staatsanw. Funktionär: ./. Privatankläger: Dr. Paul Amadeus Pisk sein Vertreter: Dr. Otto Pisk Privatbeteiligter: ./. sein Vertreter: ./. Angeklagter (der Name folgt unten *) Karl Kraus n.e Z.a.

Verteidiger: Dr. OskarSamek

B.

auf Durchführung der Verhandlung nach § 459 STPO.

Die Anklage wird vorgetragen. Der Angeklagte gibt überseine persönlichen Verhältnisseund die Anklage an:

Rekapitulation. Gemäß § 276a StPO

Zeugin Johanna Schwarz 32 Jahre, Wien mos. l. Sängerin Wien VI. Linke Wienzeile 62fremd zum Besch. gibt nach W.E. E.V. an:

Ich war am 7. Juni bei dem Vortrag an-wesend, „Blaubart“ wurde besprochen. Ich standneben dem P.A., dessen Schülerin ich bin undhörte, wie der Beschuldigte sagte: „Ein Schlieferlhat sich in den Saal verirrt.“ Ferner: „Es wirdIhnen morgen ein Schlieferl erzählen, dass ich nichtsingen kann“ Ich habe gewusst, dass niemandanderer damit gemeint sein kann, als der P.A. weil ich wusste, dass dieser als Referent im Saalwar. Dr. Bach war nicht anwesend, auch kein andererReferent der Arbeiterzeitung. Niemand anderer als

der P.A. kommt als Operettenreferent in Betracht.Der Beschuldigte wusste, von der Anwesenheit desP.A. durch Fritz Mahler.

Auf Befragung des Verteidigers:

Der Beschuldigte hat zum Teil frei ge-sprochen und zum Teil gelesen.

Verteidiger fragt:

Haben Sie gehört, dass der Beschuldigte sagte, „Das Schlieferl, das an einer ZusatzstropheAnstoss genommen hat,

Zeugin: An diese Worte kann ich michnicht erinnern.

P.A.V. legt schriftliche Wahrnehmungender Zeugin dem Gerichte vor, geschrieben im November1929 über Ersuchen des P.A.V.

Es wird festgestellt, dass diesevom 10. November 1929 datiert sind und von JohannaSchwarz unterschrieben sind.

Zeuge Dr. Angelo Gropper, 31 Jahre,Rustcuk geb, mos. verh. Arzt, IX. Währingerstrasse 33 fremd zum Besch. gibt nach W.E. E.V. an:

Ich war bei dem Vortrage am 10.Juni anwesend. Der Beschuldigte hat sich mit demArtikel des P.A. auseinandergesetzt. Ich hatte diesnatürlich gelesen.

Er Der Artikel wurde auch vor dem Vortrageverteilt. Der Name des P.A. wurde nicht genannt,sondern es wurde nur über den Schreiber des Artikels gesprochen. Bei der Besprechung sagte der Beschul-digte: „Das Schlieferl schreibt“ Ferner „Solltedas Schlieferl heute Abend wieder da sein,“ und blickte

sich suchend im Saale um. Er sagte auch „KümmerlicherSchönberg Schüler“ im Zusammenhang mit dem Schreiberdes Artikels. „Petite, Correpetite“ wurde als Wort-spiel gebraucht. Es wurde auch von Praktikengesprochen. Mit den Worten „Unter diese armen Teufel“,waren nach meiner Auffassung die Fachreferentenim Allgemeinen gemeint.

Auf Befragen des Verteidigers:

Der Saal war verdunkelt, der Besch. hat etwasin der Hand gehalten, und auch daraus gelesen.

Zeuge gibt ferner an:

Ich wusste, dass sich die Worte des Be-schuldigten auf den P.A. beziehen, da ich dessenRezension in der Arbeiterzeitung gelesen hatte,und sich der Beschuldigte vor Beginn der Offenbach-Vorlesung damit auseinandersetzte.

Auf Frage des P.A.V.

Meine Frau hat während des Vortragesstenographische Notizen gemacht. Wir sind vomP.A. ersucht worden, wenn etwas im Bezug auf denArtikel gesprochen werden sollte, das zu notieren.Ich habe das Stenogramm meiner Gattin gelesen, gleichnach dem Vortrage und es hat alles gestimmt.Meine Frau hat es dann einige Tage nachher demP.A. gegeben.

Auf Frage des Verteidigers:

Meine Frau stenographiert sehr gut,hat aber nicht Alles mitstenographiert, sondernnur einzelne Sätze.

Zeugin Hertha Gropper, 29 Jahre,Wien kfl. Private, 9. Währingerstrasse 33, fremdzum Beschuldigten gibt nach W.E.E.V, an:

Ich war nur beim Vortrage am 10.Juni anwesend, ich habe auf Ersuchen des P.A. solche Bemerkungen mitstenographiert, die nicht auf denVortrag Bezug hatten, sondern auf die Arbeiterzeitung undden P.A. Auf P.A. bezog sich „Schlieferl“ Da dieseAeusserung im Zusammenhang mit der Besprechung des Artikels des P.A. gefallen war. Schon vor Besuch des Abendshabe ich den Artikel gelesen. Er wurde auch an alleZuhörer verteilt. Gegen Ende des Vortrages blickteder Beschuldigte herum und sagte „Ich weiss nicht,ob sich das Schlieferl wieder in den Saal verirrt hat“Ich habe auch etwas in der Art wie „Kümmerlicher Schön-bergschüler“ gehört. Das Stenogramm habe ich über-tragen und dem P.A. gegeben.

P.A.V. legt die Aufzeichnungen derZeugin Gropper vor. Die Zeugin gibt weiter an:

Es wurde auch vom „kümmerlichen Fach-wissen“ gesprochen. Alles bezog sich auf die Kritik des. P.A. Der Beschuldigte sagte auch: „Das ist nichteine Petite, sondern eine Correpetite“ Es war damalsziemlich dunkel, deshalb konnte ich nicht Allesstenographieren. Ich habe jedoch nichts nachträglichergänzt.

Auf Frage des Verteidigers:

Ich habe vor 4 Jahren stenographieren ge-lernt und in Paris berufsmässig ausgeübt.

Auf Frage des Verteidigers:

Ich habe alles in der Reihenfolge übertragen,bis gegen Schluss, da dort ein Satz vergessen war, diesenhabe ich nachgetragen.

Zeugin gibt weiter an:

Einmal hörte ich „Schlieferl- und Tinterltum“

Der Ausdruck „Schlieferl“ wurde auch allein gebraucht.Manches steht in der „Fackel“ nicht drinnen. Der Be-schuldigte hat mehrmals im Saal herumgeblickt, obdas „Schlieferl“ da ist.

Auf Frage des P.A.V.

Der Beschuldigte hat zum Teilaus dem Manuskripte vorgelesen, zum Teil frei ge-sprochen, was ich daran erkannte, dass er nichtimmer hineinschaute.

Der P.A.V. beantragt den P.A. alsZeugen über objektiven Tatbestand am7. Juni einzuvernehmen, das Faksimile vorzulesenzum Beweis dass der Beschuldigte Aenderungen vor-nimmt.

Der Verteidiger beantragt Verlesungdes Manuskriptes und Vergleichung mit sämtlichenAbzügen.

B.

Die Anträge mit Ausnahme der Vernehmung des P.A- als Zeugen werden als unerheblich prinzipiell abge-wiesen, weil das Manuskript keinen einwandfreie r n Beweis ist dafür , über das was damals nur ausgesprochen wurde, bilden kann.

Zeuge Fritz König, 54 Jahre Wien kfl. verh. Prokurist in Pension, 5. Hamburgerstrasse14 fremd zum Besch. gibt nach W.E.E.V. an:

Am 7. Juni 1930 bin ich erst spätergekommen, um ½10 Uhr. Ich habe nachher gehört,dass der Ausdruck „Schlieferl“ gefallen sei.Am 10. Juni war ich von Anfang an dort. Es hatsich Alles genau so abgespielt, wie es in derFackel“ geschildert ist. Vor Beginn des Vortrages

wurde das Blatt mit der Rezension verteilt. Anknüpfendan den Artikel sind die Worte „Schlieferl und Tinterl-praktiken“ gefallen, „Schlieferl“ ist ein Schlag-wort des Beschuldigten, das man in jedem Vortrag hörenkann. Ich habe auch „Correpetite“ gehört. Das Publikumhat darüber sehr gelacht, weil es als Wortspielmit „Petite“ gebraucht wurde. Für die Hörerdes 10. Juni war es klar, dass sich die Aeusserungenauf ein System bezogen, nicht auf eine Person.„Kümmerlicher Schönbergschüler“ ist vorgekommen. Indiesem Falle war es ohne Zweifel, auf den P.A. bezogen.

Auf Frage des P.A.V.

Ich kenne den P.A. nicht, ich weiss nichtsvon ihm, da ich Rezensionen nicht lese.

Ich wusste auch nicht, dass er „Correpetitor“ist.

Zeuge W. Hoffmann, 37 Jahre, Baden, mos,verh, Kaufmann, I. Wollzeile 31, fremd zum Besch. gibtnach W.E.E.V. an:

Ich war bei den Vorträgen am 7. und am10. Juni anwesend. Am 7. Juni habe ich „Schlieferl“gehört, aber nicht im inkriminierten Zusammenhang,sondern ich glaube, in einem Couplet. Ich weiss auchnicht, ob eine bestimmte Person damit gemeint war.Am 10. Juni wurde die „Arbeiterzeitung“ verteilt. DerBeschuldigte hat darauf hingewiesen, dass in den Rezensionendie Bezeichnung der Arbeiterzeitung als „Krupnik-Organ“ beleidigend, empfunden wurde und zufälligwar eine „Krupnik-Reklam“ ziemlich gross unddeutlich neben der Rezension sichtbar. „Das Schlieferlschreibt weiter“ habe ich nicht gehört. An „Petiteund Correpetite, armseliges Fachwissen, Schlieferl- und

Tinterlpraktiken“ kann ich mich nicht erinnern.Ich habe den Vortrag 1¾ Monate nachher in derFackel gelesen und fand Alles enthalten, nichts ausge-lassen.

Auf Frage des P.A.V.

Ich kenne den Beschuldigten nichtpersönlich, lese aber seit 20 Jahren seine Werke.Mit „Schlieferl“ pflegt er eine gewisse journalistischeKlasse zu bezeichnen.

Zeuge Jakob Heliczer, 28 Jahre, Wien mos. verh. Versicherungsbeamter, 13. Linzerstrasse 272 fremd gibt nach W.E.E.V. an:

Ich war bei beiden Vorträgen anwesend.Der Beschuldigte hat den Ausdruck „Schlieferl“als Bezeichnung eines gewissen Typus gebraucht,er sagte am 7. Juni, „Ein Schlieferl hat sich in denSaal verirrt.“ Am 10. Juni wurde von „Schlieferltum“gesprochen nicht von „Schlieferl“ „Das Schlieferl schreibthat es nicht geheissen. Ich habe etwas gehört,im Zusammenhang mit „Schülern SchönbergsIch habe nachher die Fackel gelesen, und denEindruck gehabt, dass wie immer, Alles drinn gestandenist. Der Beschuldigte hat aus dem Manuskript vorgelesenich glaube er hat immer hineingesehen. Ich weissnichts davon, dass er jemand im Saal gesucht hat

Zeugin Grete Klopstock, 44 Jahre Budapestmos. verh. Rechtsanwaltsgehilfin, IV. Schelleingasse23 fremd nach W.E.E.V. an:

Ich war nur bei dem Vortrag am 10.Juni. Der Beschuldigte beschäftigte sich mit derKritik des Dr. Pisk. Ich habe auch ein Exemplar bekommen.

Er hat die Kritik zerlegt und gesagt, dass ernicht begreifen kann, wie jemand, der seinen Vortraggehört, in dieser Art darüber schreiben könne.Er hat im Allgemeinen darüber gesprochen, wie dieJournalisten ihren Beruf ausüben, hat vom „armseli-gen Fachwissen“ gesprochen und von „Schlieferltumund Tinterlpraktiken“ als Typus. Ich hatte denEindruck, dass er kennzeichnen wollte, was heute inder Zeitung geschrieben wird. Er hat von „Petiteund Correpetite“ gesprochen, nach meiner Meinungin dem Sinne, dass er sich nicht von jemand verbessernlässt, der nicht mehr versteht als er. Dass der P.A. Correpetitor ist, war mir nicht bekannt. Auf Fragedes P.A.V.

Ich habe nachher im August die „Fackelgelesen, sie war wörtlich übereinstimmend, was ichdeshalb weiss, da ich damals den Vortrag noch in Erinnerunghatte. Ich halte es für unmöglich, dass imDruck Worte weggelassen worden sind. Ich hörteauch den Ausdruck „Schönberg Schüler“ aber nicht„kümmerlicher“.

Auf Frage des Verteidigers:

Der Beschuldigte hat ein Manuskript vorsich gehabt, aber nicht die ganze Zeit hineingesehen.Es ist seine Gewohnheit, zeitweise vom Manuskript wegzu-schauen.

Auf Frage des P.A.V.

Er ist nicht aufgestanden und hat auchnicht in den Saal visiert.

Zeuge Prof. Dr. Karl Jaray, 52 Jahre,Wien rk. verh. Architekt 19. Langackergasse 22 fremd gibt nach W.E.E.V. an:

Ich war an 10. und 7. Juni anwesend. Ichhabe mir alles gemerkt. Am 7. Juni bei der Blau-bartvorlesung sagte er, in der Ansprache desGrafen Oskar an die Höflinge: „Ein Vertreter desZentralorganes, ein Schlieferl, hat sich in den Saalverirrt, jetzt werden die Informationen des Blattes anders klingen, jetzt wird es heissen, ich binschuld, ich kann nicht singen.“ Ich dachte mir,ein Journalist der Arbeiterzeitung sei damit gemeint,ich wusste aber nicht, ob da mehrere in Betrachtkommen. Am 10. Juni wurden Exemplare derArbeiterzeitung verteilt und der Beschuldigte befasstesich in Ansprache „Bekenntnis zum Tage“mit dem Artikel des P.A. In dieser Ansprache wurdeder Ausdruck „Schlieferl“ gebraucht. Der Beschul-digte sprach von einem Vertreter des „Schliefergeistes“Der Schlieferl schreibt“ hat er nicht gesagt.Er sagte „Ich habe nicht ein ‚Schlieferl‘ gemeintdas in der Blaubartvorlesung anwesend war, sondernan der Vorlesung ‚Pariser Leben‘“ und dass er an derBezeichnung der Arbeiterzeitung als Krupnik-OrganAnstoss genommen hat. Er hat nicht den bestimmten„Schlieferl“ gemeint, sondern einen Vertreterdes „Schliferlgeistes“. Er hat nichtgesagt, „DasSchlieferl“ sondern „ein Schlieferl“. In den vielenJahren, da ich die Vorlesungen des Beschuldigten höre, waren die Vorträge niemals anders in der „Fackelangedruckt, als er sie wirklich gehalten hat.

Auf Frage des P.A.V.

„Petite und Correpetite“ habe ich gehört,es ist aber bestimmt nicht vorgekommen, dass der Beschul-digte in den Saal visierte und sagte: „Ich weiss nicht,

ob das Schlieferl nicht wieder da ist.

Auf die Frage des Verteidigers, ob derBeschuldigte den Artikel vorgelesen habe,

„Nein er hat darüber gesprochen. Er istin den Saal gekommen, die Musik hat begonnen mit denletzten Takten der ‚Prinzessin von Trapezunt‘. DerBeschuldigte sang die letzte Strophe mit ‚verklungenund vertan‘ und sagte, ‚so schloss die Trapezunt-feier‘Dann sprach er über den Artikel. Ich habe den Artikel damals zum 1. Male in die Hand bekommen. Der Name desVerfassers war mit unbekannt, ich habe ihn auch nichtweiter beachtet.“

Zeuge Dr. Glück, 31 Jahre, Wien ev. A.B.verh. Privatbeamter, III. Hauptstrasse 140, fremdzum Beschuldigten nach W.E.E.V. an:

Ich war am 7. und 10. Juni anwesend.Ich habe alles genau so gehört, wie es dann in derFackel“ gestanden ist, ich habe nicht das Geringstevermisst. „Dieser Mann, ein kümmerlicher Schönbergschülerschreibt“ habe ich nicht gehört. In welchem ZusammenhangSchönberg-Schüler“ gefallen ist, weiss ich nicht.

Auf Vorhalt von Seite 79 der „Fackel

Ich glaube, dass es so geheissen hat.Das Schlieferl welches gegen mich wirkt“ habe ichnicht gehört.

Der Verteidiger will die Verteidigungniederlegen und beantragt ihn als Zeugen einzuvernehmen,darüber, dass das Manuskript mit dem Vortrage stetsidentisch ist, ferner Vertagung der Verhandlung fürdie Bestellung eines neuen Verteidigers.

Der P.A.V. spricht sich dagegen aus.

B.

Anträge werden als unerheblich abgewiesen.

Zeuge Fritz Stein 23 Jahre mos. l.Handelsangestellter, VI. Schmalzhofgasse 6 fremdzum Besch. gibt nach W.E.E.V. an:

Ich war am 10. und 7. Juni anwesend.Am 10. Juni hat der Beschuldigte aus seinem Manus-kript vorgelesen, nicht frei gesprochen. Am 7.Juni hat er eine Zusatzsstrophe gesungen, und danngesagt: „Ein Vertreter des Zentralorganes, ein Schlieferlhat sich in den Saal verirrt.“ Ich glaube, er hattekeine bestimmten Vertreter, der Arbeiterzeitung imAuge.

Ich dachte mir aber, dass einer da sei.Am 10. Juni hat der Beschuldigte den Artikel desP.A. besprochen, hat ihn kritisiert und hingestellt,nicht als Ausdruck einer Kritik sondern als Nach-trägliche Feststellung eines vorherigen Beschlossenen. von etwas, was schon vorher beschlossen war. Einmal ist der Ausdruck „Schlieferl“ gefallen in demZusammenhange, dass jeder der die Klagelegitimationbeibringen kann, ihn wegen des Ausdruckes „Schlieferl“klagen kann. Er sagte dann: „Petites lasse ich mirnicht gefallen – Correpetite muss ich ablehnen.“

P.A.V. gibt an:

Bei der letzten Verhandlung wurde nichtrichtig protokolliert, dass der Beschuldigte zugibt,den P.A. gemeint zu haben – Es ist dort davon dieRede, dass er sich nicht mit der Person des P.A. beschäftigt habe, dass es sich nicht um eine bestimmtePerson handle, sondern um den Kampf gegen dieArbeiterzeitung und dass er erfahren habe, dass dieArbeiter Zeitung ihren Standpunkt Offenbach sei ver-klungen und vertan, aufgebe, und eine Richtung inder Art eingeschlagen habe, dass der Beschuldigte nicht

singen könne.

Verteidiger:

Ich will nicht behaupten, dass derP.A. nicht gemeint war, es konnte auch der P.A. sich betroffen fühlen. Er war aber nicht erkennbar.

P.A. als Zeuge. Dr. Paul Amadeus Pisk 38 Jahre, Wien ev. A.B. verh. Musikkritiker derArbeiterzeitung, Wien IV. Schleifmühlgasse 19 fremdzum Besch. nach W.E.E.V. gibt an:

Ich war am 7. Juni bei dem Vortrageanwesend. Ich glaube der Beschuldigte hat mich gesehen.Er sagt: „Ein Schlieferl, Vertreter des Zentralorganeshat sich in den Saal verirrt, das an einer ZusatzstropheAnstoss genommen hat“ Kein anderer Musikkritiker derArbeiterzeitung war anwesend. Die Aeusserung musstesich auf mich bezogen haben, ich war bei allenvorherigen Vorträgen anwesend. Fritz Mahler hat michin meiner Wohnung besucht und von einer Aufführungvon Werken von mir gesprochen, was ich aber ablehnte.Er fragte mich „Wie gefällt Ihnen Karl Kraus?“Ich sagte: „Literarisch schon. Aber musikalischnicht.“ Am nächsten Tage machte der Beschuldigte die inkriminierten Aeusserungen, daher wusste ich,dass ich gemeint war. Schon vor dem 7. Juni wareine Zusatzstrophe Gegenstand einerErörterung. Der Beschuldigte hat schon früher inaktuellen Zusatzstrophen Mitglieder der Sozialdemokra-tischen Partei verhöhnt, worüber ich mich aufgehaltenhabe. Ich weiss nicht bestimmt, dass Mahler den Beschuldigten meine Aeusserung mitgeteilthat. Einen Tag nach dem Erscheinen meines Artikels bekam ich einen Brief von Mahler, worin er bedauerte,

dass ich mit meiner Ansicht im Widerspruch zu denSchönbergschülern und Anhängern des Beschuldigten stehe. Seit Oktober 1921 schreibe ich Musikreferateund es ist allgemein bekannt, dass ich für Operetten-referate in der Arbeiterzeitung allein zuständig bin.Der Beschuldigte musste wissen, dass ich Correpetitorbin, da ich 1925 selbst mit ihm correpetiert habe.Verteidiger beantragt zum Wahrheitsbeweis:

Unter „Schlieferltum“ ist zu verstehen,dass der P.A. nicht aus sachlichen Gründen sondern ausLiebedienerei für die Arbeiterzeitung gegen Kraus polemisiert.

Antrag des Verteidigers:auf Vorlesung der „Fackel“ vom Oktober 1929über die Wohnbaukantate.der Zeitungsartikel die vorgelegt wurden alsZeichen des „Schlieferltums“, dass ein organisierterSozialdemokrat Mitarbeiter einer Berliner BörsenZeitung ist, die auf der äussersten Rechten stehtund gegen die Sozialdemokraten auftritt.Zur Beurteilung dieser Zeitung werden einigeExemplare vorgelegt.

Antragauf Verlesung einiger Artikel die die Stellungdes Beschuldigten zu Offenbach behandeln,ihn als Erneuerer und Wiederbeleber bezeichnen.

Antrag auf Vernehmung des Dr.Flesch als Zeugen, welcher weiss, dass der Be-schuldigte imstande ist, Offenbach einzustudieren.

P.A.V. beantragt sowohl dieseAnträge als auch Wahrheitsbeweis abzulehnen.

Er beantragt den P.A. einzuvernehmen, darüberob er einen Auftrag zu der Kritik erhalten hat.Er gibt ferner an, dass die Berliner Börsezeitung ein unpolitisches Privatunternehmen sei, das sowohldort als auch bei der Arbeiterzeitung bekannt sei,dass der P.A. an beiden Zeitungen mitarbeite.

Der P.A. ist ausübender Musiker und hatentsprechendes Wissen um Darbietungen zu beur-teilen. Es war dies eine reine Fachkritik ohneZusammenhang mit Politik.

Verteidiger gibt an:

In der P.A. selbst steht, dass derP.A. sich über Auftrag des Blattes, Karten zu denVorlesungen genommen hat. Das hatte den Sinn,die Blamage der Arbeiterzeitung auszuwetzen.Geplant war, gegen Kraus und für Offenbach zuschreiben, nicht um den Beschuldigten zu kri-tisieren, wurde dieser Artikel geschrieben.

Der P.A. ist damit nur einem Auftrage nachge-kommen, daher war der Beschuldigte berechtigt,diese Art ein „Schlieferltum“ zu nennen.

Es wird festgestellt, aus den vorgelegtenZeitungsartikeln, dass die Börsenzeitung keinsozialdemokratisches Blatt sein kann, da sich dies schon auseinigen Titeln ergibt.

P.A.V. gibt an:

Es wurde nur behauptet, dass d ie as Schreib ung en des Artikels in keinem Zusammenhang mit derParteileitung und Blattleitung gestanden ist.Eine Weisung von Seiten des Blattes gebe ich zu,aber keinen Einfluss auf die Art der Abfassung des Artikels.

Auf die Frage des Verteidigers an denP.A. gibt dieser an:

Niemand persönlich hat mir Auftraggegeben, sondern ich habe gefragt, ob Offenbach zubesprechen sei und da wurde mir mitgeteilt,ich solle dies tun.

Der P.A.V. will beweisen, dassdie Berliner Börsezeitung unpolitisch sei und auchsozialdemokratische Mitarbeiter habe.

B.

auf Ablehnung sämtlicher Anträge, da sie nicht geeig-net sind, den Wahrheitsbeweis der inkriminiertenAeusserungen zu erbringen.

Schluss des Beweisverfahrens.

Der P.A. beantragt die Bestrafungdes Beschuldigten.

Der Richter verkündet das Urteil.

Nach der Rechtsmittelbelehrung er-klärt der Verteidiger, Bedenkzeit vorzubehalten er werde für Kraus das Urteil übernehmen .

Der. P.A. gibt keine Erklärung ab

Ende 14 Uhr 20[Unterschrift] [Unterschrift]