152.2 Brief Samek an Arbeiter-Zeitung (verantw. Red. Oskar Pollak)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 30. Dezember 1930
Betreff: Kraus - Arbeiter-Zeitung | VI.
Diktiersigle: Dr.S/Fa.

Empfänger

An: den | verantwortlichen Redakteur der Arbeiter-Zeitung | Herrn Dr. Oskar Pollak
Rechte Wienzeile 97
Wien V.
Seite von 4

Im Vollmachtsnamen des Herrn KarlKraus verlange ich die Aufnahme der Berichtigung der inIhrer Nummer 334 vom 5. Dezember 1930 in der GerichtssaalrubrikEhrenbeleidigungsklage gegen Karl Kraus“ mitgeteilten meinenMandanten betreffenden unrichtigen Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.

Sie schreiben: „Bevor noch ein Berichtin der Arbeiter-Zeitung erschienen war, benutzte Kraus denVortrag der Operette ‚Blaubart‘, um (in den ‚aktuellen Zeit-strophen‘, die er dem darin vorkommenden Höflingslied des GrafenOskar beifügte) den anwesenden Dr. Pisk als ‚Schlieferl‘ zu be-schimpfen …. Inzwischen war das Referat in der Arbeiter-Zeitung erschienen (9. Juni 1929), worauf Kraus in einer Vor-lesung am nächsten Tage die Beschimpfungen gegen Pisk wieder-holte. Wieder bezeichnete er ihn als ‚Schlieferl‘, redete …vom ‚kümmerlichen Schönberg-Schüler‘ und ähnlichem mehr.)“ Esist unwahr, dass Kraus in den aktuellen Zeitstrophen den an-wesenden Dr. Pisk beschimpft hat. Wahr ist, dass in keiner deraktuellen Zeitstrophen dieser Blaubart-Vorlesung Herr Dr. Pisk auch nur erwähnt wurde, wahr ist, dass vor einer Zeitstropheeine Polemik allgemeiner Art gesprochen wurde. Es ist unwahr,

dass an dem Tage nach dem 9. Juni 1929 Dr. Piskwieder“ in derangegebenen Weise bezeichnet wurde; es ist unwahr, dass derAusdruck „kümmerlicher Schönbergschüler“ vorgekommen ist.

Sie schreiben: „Fast anderthalb Jahrekonnte sie (die Verhandlung), infolge steter Vertagungsanträgedes Verteidigers des Geklagten, nicht stattfinden.“ Dies istunwahr. Wahr ist, dass von Seiten der Verteidigung lediglich eineinziger Vertagungsantrag, am 5. März 1930, eingebracht wurde. Wahrist, dass die Verhandlung nicht früher stattfinden konnte, weilKarl Kraus immer wieder zur Inszenierung von Offenbach-Auf-führungen im Berliner Rundfunk und zu Offenbach-Vorträgen insAusland reisen musste.

Sie schreiben: „Dieser Verteidiger hattesich auch für die Verhandlung eine erstaunliche Taktik zugelegt.Einesteils sollte mit den Schimpfworten Pisk gar nicht gemeintworden sein. Das behauptete der Verteidiger, obwohl es einfachunmöglich ist, dass Kraus selbst es behaupten könnte, dass er ei-nen anderen als Pisk habe treffen wollen.“ Es ist unwahr, dassder Verteidigerbehauptet“ hat, dass Piskgar nicht gemeint sei“.Wahr ist, dass der Verteidiger laut dem nunmehr vorliegendenProtokoll folgendes vorbrachte: „ich will nicht behaupten, dassder Privatankläger nicht gemeint war, es konnte auch der Privat-ankläger sich getroffen fühlen. Er war aber nicht erkennbar.

Sie schreiben: „Zum Beweis, dass Pisk nichtgemeint worden sei, marschierte eine Reihe von Zeugen auf, diebestätigen sollten, dass Kraus das, was er gesagt, nicht gesagthabe.“ Diese Behauptung ist unwahr. Die von der Verteidigung ge-führten Zeugen sollten lediglich bestätigen, dass nicht die vonder Privatanklage behaupteten Worte gebraucht wurden, sonderneben die, die in der Fackel abgedruckt waren.

Sie schreiben, dass der Verteidigereinen Wahrheits-beweis anbot: … Pisk hätte auch Musikkritiken für ein Berlinerbürgerliches Blatt geschrieben“. Dies ist unwahr. Wahr ist, dassder Verteidiger laut dem nunmehr vorliegenden Protokoll einenWahrheitsbeweis angeboten hat: dass Piskals organisierterSozialdemokrat Mitarbeiter der Berliner Börsen-Zeitung ist, dieauf der äussersten Rechten steht und gegen die Sozialdemokratenauftritt.

Sie schreiben: „Aber der Einfall, ein grobes Schimpf-wort zu ‚beweisen‘, fand bei dem Richter natürlich kein Verständ-nis.“ Diese Behauptung ist unwahr. Wahr ist, dass der Richter einen Wahrheitsbeweis als möglich erkannte, aber die angebotenenBeweise mit seiner Auffassung des inkriminierten Wortes nichtfür kongruent hielt.

Rekommandiert mit Rückschein.

KrausArb. Ztg. VIexp. 31.12.30.