173.45 Brief Verlag Die Fackel an Essener Städtische Bühnen

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Sender

Verlag Die Fackel (Wien)
Hintere Zollamtsstraße
III., Landstraße
Datum: 6. April 1932

Empfänger

An: die | Essener Städtischen Bühnen | Operndirektion
Essen
Seite von 5

Auf Ihr Schreiben vom 15. März erwidern wir:

Der Sinn des Telegramms unseres Rechtsanwalts war voll-kommen verständlich.

Wenn es aber zum Verständnis wirklich der BeantwortungIhrer Frage bedarf, wer Herrn Karl Krausin dieser Form orien-tiert hat“, so kommen wir Ihnen gern entgegen. Die offizielle Pro-grammschrift Ihres Theaters hat ihn orientiert, also wohl Sie selbst.In dem Artikel eines Herrn Költzsch – der die „Madame l’Archiducgründlich zu kennen scheint, da er sie „spritzig“ findet und inihr ein „Couplet der Marietta vom Stillesein“ entdeckt hat – sindimmerhin zwei Fußnoten in ziemlich verständlichem Deutsch enthal-ten, die vielleicht, wenn er das „Couplet vom Stillesein“ beherzigthätte, nicht erschienen wären. Mit dankenswerter Offenherzigkeitwird da gesagt, daß „ein Leerlauf ganzer Stücke, Couplets, Chöre,melodischer Floskeln, Kadenzwendungen“, der in einem Werke „nichtzu verkennen“ sei, dem zugleich Mozartrang zugesprochen wird, „inder Essener Aufführung“ – dies der Wortlaut der ersten Fußnote –durch geschickte Kürzungen auf ein erträgliches Maß reduziert wur-de“. Herr Karl Kraus findet dieses Maß unerträglich: als Autor desdeutschen Textes, der mit dem Verlag die Abmachung getroffen hat,daß weder am Text noch an der Musik ohne sein Wissen etwas geän-dert werden darf. Durch die zweite Fußnote wird zu der Bemerkung,daß „uns“ – nämlich dem Herrn Költzsch, nicht etwa Herrn KarlKraus – die Tonart Offenbachsdurch die beiden Schlußstücke fri-volisiert erscheinen muß“, die Beruhigung erteilt: „ein Grund fürdie in Essen vorgenommene Änderung: die Operette mit einem Zurück-greifen auf ein Ensemble des ersten Aktes zu schließen“. Welcherdenkbar Offenbach-widrigste Unfug da verübt wurde – ob man auf„Küßt immerzu“ oder auf „So einen Knirps“ zurückgegriffen hat –entzieht sich vorläufig unserer Kenntnis. Was immer geschehen seinmag, insbesondere aber die Weglassung der „beiden Schlußstückeals solche, empfindet Herr Karl Kraus als Unfug und Eingriff inseine Rechte. Sie teilen ihm mit, daß eine Weglassung der von ihm

eingefügten Verherrlichung Offenbachs im Schlußfinale“ vorgenom-men wurde. Da diese aber gewiß keine Frivolisierung bedeutet, sovermuten wir, daß Sie auch das Couplet „Nicht das!“, welches inder gleichen Programmschrift mit Recht als „unvergänglich“ geprie-sen wird – und mit einer Charakteristik, die den Sinn und Ernstder scheinbaren „Frivolisierung“ hervorhebt –, gestrichen haben.Sollte dies aber selbst nicht der Fall sein und der Herr Költzsch mehr aus der Schule geschwätzt haben als dort gelehrt wurde, soprotestiert der Textautor gegen das, was Sie tatsächlich unternom-men haben und was Sie zugeben, also vor allem einmal gegen die Weg-lassung der von ihm „eingefügten Verherrlichung Offenbachs“. WennSie „in größter Ehrfurcht vor seiner wundervollen Arbeit“ sich ansWerk gemacht haben, so hätte diese Ehrfurcht Sie davon abhaltenmüssen, sich an der Arbeit zu vergreifen – durch Eingriffe wiedurch Zurückgriffe –, und mindestens, falls Sie schon eine Lustdazu angewandelt hat, zu einer Anfrage beim Autor bestimmen müssen(deren Beantwortung freilich negativ ausgefallen wäre). Die „Krank-heitsepidemie“ im Personal, die Sie neben den künstlerischen Moti-ven zu Ihrer Entlastung heranziehen, ist gewiß ein bedauernswerterUmstand, vermöchte aber weder die Streichung von Leerläufen undFrivolisierungen zu rechtfertigen, noch die Unterlassung einer An-frage zu entschuldigen, ob der Autor damit auch einverstanden sei.Wenn Ihnen Herr Karl Krausin so wundervoller Weise in Berlinetwas „suggeriert“ hat, so müßte man wohl annehmen, daß auch derRespekt vor seinem Verfügungsrecht über sein geistiges Gut dazu ge-höre (falls schon in anderen Fällen mit dem Autorrecht umgesprungenwerden dürfte), und daß Ihre Willkür zumindest ein schlechter Be-weis der Dankbarkeit für die Mühe sei, deren sich Herr Karl Kraus in Berlin tatsächlich unterzogen hat, um Ihnen das Verständnis fürWerk und Bearbeitung zu suggerieren. Wenn Sie „nur wissen“, daß Sietextlich selbstverständlich nichts geändert haben“, so wissen Siedas Gegenteil von dem, was Sie wissen. Sollten Sie es aber widerErwarten doch noch immer nicht wissen, so können Sie nicht alleindurch die Fußnoten des Herrn Költzsch, sondern auch durch Ihr eige-nes Bekenntnis erfahren, daß Sie Teile des Gesangstextes gestrichenhaben. Aber Sie bleiben dabei, daß Sie textlich selbstverständlichnichts gestrichen, „sondern“ sich „nur im Laufe der letzten Arbei-ten zu einigen Kürzungen“ entschlossen haben, „weil sich die Auf-führung sonst sehr in die Länge gezogen hätte; das Werk ist sowieso

erheblich lang …“ Das Werk ist kurz wie der Wahn, mit solchemHin und Her von Leugnen und Gestehen in einem Satz, mit solcherMiene der verfolgten Unschuld, die einem deutschen Schlachtberichtgleichsieht, vor Herrn Karl Kraus bestehen zu können. (Auch dieserVergleich weist auf die Fortsetzung: daß die Reu’ lang ist.) Siekommen noch mit dem Abbau im Personal und mit dem Umbau der Szene,alles Dinge, die in der Programmschrift als musikdramatische Moti-ve nicht angeführt sind; es fehlt noch der Aufbau, welcher aber,wie bei jeder kriegerischen Leistung, die Verträge als „Fetzen Pa-pier“ behandelt, nicht lang auf sich warten lassen wird. Fernerweisen Sie darauf hin, daß die Aufführung bei der Premiere „weitüber drei Stunden dauerte“ – ein gewiß unliebsames Faktum, an demaber den Textautor keine Schuld trifft, welcher für die Spielweiseneudeutscher, also von Natur Offenbach-fremder Ensembles nur dieVerantwortung übernimmt, wenn er selbst die Regie führt. Die Pre-miere also habe so lange gedauert, „trotzdem Sie einige musikali-sche Kürzungen angebracht hatten und zwar fast durchweg nur durchWeglassen der Reprisen“. Sollte hier nicht zu erkennen gegebensein, daß Sie dem Übelstand bei den späteren Aufführungen nochdurch weitere Kürzungen abgeholfen haben, so wäre doch in dem Ne-bensatz einer Verteidigung abermals das Geständnis textlicher Ein-griffe abgelegt. Dann gelangen Sie aber zu einem Hauptsatz: von dereinzigen, erheblichen Änderung, zu der Sie sich schweren Herzensentschlossen haben“, der des Schlusses. Nun möchte man schon glau-ben, daß Sie endlich den Sinn des Telegramms unseres Rechtsanwalts verstehen. Aber Sie haben da ein letztes Motiv, von dessen EindruckSie sich alles versprechen: im Ruhrgebiet hat man über die Offen-bach-Renaissance gespöttelt. Hauptsächlich aus diesem Grund, mehrnoch als aus den künstlerischen, technischen und physischen Grün-den oder wegen der Frivolität, haben Sie die Verherrlichung Offen-bachs, Musik und Text, ausgemerzt. Was folgt daraus? „Jedenfallsglaube ich, mich völlig von jeder Verballhornung freigehalten zuhaben.“ Herr Karl Kraus wieder glaubt, daß es da vor allem auf sei-nen Glauben ankomme, den er jedenfalls einer solchen Rechtferti-gung versagen muß.

Nun haben Sie in einem Brief an die Universal-Edition,bei der Sie sich darüber beklagen, daß Sie von Herrn Krausüber-haupt keine Antwort bekommen haben“ – hier ist sie – ausgesprochen,

daß Ihnen „die Angelegenheit mit Herrn Kraus gelinde gesagt unbe-greiflich“ ist. Wenn er Ihnen etwas gelinde sagen sollte, so wärees, daß er Ihr Vorgehen, selbst gemessen mit dem Maß der Theater-üblichkeit, für ungeheuerlich, Ihre Rechtfertigung für absurdhält und an den von Ihnen gleich wieder zugegebenen „Eingriffenin das Ganze, die mit größter Liebe geschehen sind“, weniger dieLiebe als die Eingriffe bemerkenswert findet. Er würde es vorzie-hen, daß Sie die Liebe an Autoren wenden, die in Erwartung vonTantiemen sich die Eingriffe gefallen lassen, und hätte gar nichtsdagegen, daß Sie Streichungen aus welchen Gründen immer in derBlume von Hawaii“ vornehmen, welche sich ja in Ihrem Repertoirevorfindet und deren Spieldauer von 19.30 bis 23 Uhr angegeben ist.Sie verlangen, Herr Karl Kraus solle Ihnen eine Kenntnis der „Ma-dame l’Archiduc“ – die sich nicht so voll entfalten darf – „alsMusiker und auf Grund Ihres Namens zutrauen“. Er verlangt, daß Sieihm die Kenntnis seines Werkes selbst ohne Beziehung zu seinem Na-men zutrauen. Wenn Sie, wie Sie auch der Universal-Edition versi-chern, für ihn und für Offenbachglühende Liebe“ empfinden, somüssen wir Ihnen mit allem Dank des Herrn Kraus wiederholt sagen,daß dieses Gefühl eine Anfrage bei dem Autor und Schützer Offen-bachs gerechtfertigt hätte: ob ihm Ihre Eingriffe erwünscht seien;den Versuch einer Vergewisserung, die doch auch gegenüber jedemAutor am Platze wäre, mit dem Sie weniger sympathisieren. In die-sem zweiten Schreiben setzen Sie die Entschuldigung einer Willkür,deren Feststellung Ihnen gelinde gesagt unbegreiflich ist, zu demGeständnis fort, daß Sie „durch die Krankheit des sehr nervösenErzherzogs gezwungen waren, Kürzungen vorzunehmen“. Also offenbarauch im Dialog, da ja der Erzherzog in der Musik fast nur seinOriginal-Entree hat! Wenn Sie anführen, der scharfe Angriff ver-letze Sie, weil Sie in Ihrer Hingabe für das Werk so weit gegan-gen seien, durch fünf Wochen selbst den Erzherzog zu spielen, sowird zur Würdigung dieses Opfers lediglich in Frage kommen, obSie den Erzherzog gut gespielt haben – die originale und etwaswiderspruchsvolle Art Ihrer Verantwortung zeigt, daß Ihnen dieRolle liegt –, aber keinesfalls könnte dieses Opfer Kürzungenrechtfertigen, die für Ihren Vorgänger durchgeführt wurden, odergar als Ersatz für die Apotheose auf Offenbach in Betracht kom-men. Wozu Sie sich „auf Grund eines juristischen Paragraphen nach-träglich entschließen“, wird nicht so sehr in Ihr Ermessen ge-

stellt sein, wie in das des Textautors, dessen Recht Sie ver-letzt haben. Er verlangt volle Wiederherstellung des Werkes, undzwar bis zu jener Gestalt des Textes und Notentextes, die er derUniversal-Edition überlassen hat. Diese wird gezwungen sein, dieRestituierung des schon von ihr selbst verunstalteten Notentextesvon den Theatern, denen sie das Werk in dieser Form ausgelieferthat, zu verlangen.

Wir hoffen, daß diese Erklärung ausreichen wird, Ihnenden Sinn des Telegramms unseres Rechtsanwalts verständlich zumachen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Rekomm.