173.50 Brief Verlag Die Fackel an Samek

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Sender

Verlag Die Fackel (Wien)
Hintere Zollamtsstraße
III., Landstraße
Datum: 20. Mai 1932

Empfänger

An: Herrn Dr. Oskar Samek
Schottenring 14
Wien I.
Seite von 4

Hochgeehrter Herr Doktor!

Sie hatten die Freundlichkeit, Herrn Karl Kraus zweiÄußerungen des Rechtsvertreters der Universal-Edition, die die Auf-lösung der Verträge betreffen, zu übermitteln. Die erste, eine Zu-schrift vom 9. Mai, erklärt das Einverständnis mit der Stornierungder Verträge „Madame l’Archiduc“ und „Vert-Vert“ wie das Bestrebennach einer Stornierung des Vertrags „Perichole“, für die abererst die juristischen Voraussetzungen geschaffen werden“ müßten.Die Bedenken bezüglich dieser angeblichen Notwendigkeit haben Siebereits zerstreut, wie auch Ihre eigenen Bedenken gegen den Plangeltend gemacht, bis zur Stornierung neue Bühnenverträge wegen „Pe-richole“ abzuschließen, in die jene Klausel nun tatsächlich „aufge-nommen“ werden soll, von der sich die Universal-Edition bisher sowenig versprochen hat, weil auch ohne sie bekanntlich u.s.w. Eskann selbstverständlich keine Rede davon sein, daß Herr Karl Kraus,welche Ansicht die Universal-Edition immer bezüglich einer Schwie-rigkeit haben mag, auch den Vertrag „Perichole“ zu stornieren, ohneProtest und Prozeß zulassen sollte, daß sie weitere Bühnenverträge,ob mit oder ohne Klausel, abschließt. Die Bemerkung, die der Rechts-vertreter zu diesem Punkte macht: „Ich wiederhole, daß von einervorsätzlichen oder auch nur fahrlässigen Nichteinhaltung des Ver-trages auf Seiten meiner Klientin keine Rede sein kann“, scheintHerrn Karl Kraus durchaus mit der anwaltlichen Pflicht in Überein-stimmung. Interessant ist nur, wie die Begründung des weder vor-sätzlichen noch fahrlässigen, aber immerhin nachweisbaren Vertrags-bruches der Universal-Edition diese geradezu als das Vorbild derVertragstreue erscheinen läßt. „Die Einfügung der von Herrn KarlKraus gewünschten Klausel“ – also nicht etwa die Durchführung desmit ihm abgeschlossenen Vertrages, der die vereinbarte Klausel ent-hielt – wurde von der Universal-Edition nicht nur als „überflüssig“ erkannt(ohne daß sie von dieser Erkenntnis dem Vortragsteilnehmer vor derEntdeckung der Nichteinfügung unterrichtet hätte), sondern mußte

von ihr geradezu als störend empfunden werden, denn sie würde – nach Überzeugung des Rechtsvertreters, die sich aber ganz sicher mit derder Universal-Edition deckt – „die meisten Bühnen davon abhalten,überhaupt Aufführungsverträge abzuschließen“. Wenn man nun also auchvermuten könnte, daß eine vorsätzliche Nichteinhaltung des Vertragesbetätigt wurde, so war es doch ein Vorsatz, der einer weisen Voraus-sicht entsprach. Herr Karl Kraus, der den Autor dieser Rechtferti-gung als einen honorigen Mann kennt, möchte annehmen, daß er sichihrer Konsequenz für die Beurteilung seiner Klientin nicht ganz be-wußt war. Der Rechtsvertreter der Universal-Edition ist gewiß weitdavon entfernt, Dinge wie die Erschleichung eines Vertrags zu billi-gen und die Verheimlichung des Umstandes, daß er in einem wesentli-chen Punkte verletzt sei, als Basis eines fortgesetzten persönlichenVerkehrs gelten zu lassen. Herr Karl Kraus ist überzeugt, daß derRechtsvertreter der Universal-Edition in die Materie noch nicht ein-gedrungen ist. Auf die Eröffnung, daß die Vergleichspunkte „nur alleeinheitlich angenommen oder abgelehnt werden können“, würde er er-widern, daß er sie einheitlich ablehnt.

Nun aber haben Sie, sehr geehrter Herr Doktor, am 12. Maieine telephonische Äußerung des Rechtsvertreters der Universal-Edi-tion übernommen, die einen wesentlich anders gearteten Vorschlagenthält. Die Universal-Edition sei nicht nur bereit, in neue Bühnen-verträge über „Perichole“ die bisher nicht aufgenommene Klausel auf-zunehmen, sondern auch die Bedingung, daß Herr Karl Kraus „an derInszenierung teilzunehmen habe“. Mehr als das: jeder Vertrag sollevorgelegt werden, damit Herr Karl Kraus Gelegenheit habe, „Wünschebezüglich allfälliger anderer Klauseln zu äußern“. Sowohl der HerrRechtsvertreter wie die Klientin verknüpfen mit diesem Angebot denGlauben, „daß Herr Kraus unter solchen Umständen von dem Wunsche,die Verträge zu stornieren, absehen werde“. Herr Karl Kraus erwidertdarauf: Dem Glauben des Herrn Rechtsvertreters möchte er nicht nahe-treten, weil er überzeugt ist, daß dieser Glaube die optima fidesist, mit der er der Sache seiner Klientin gegenübersteht. Was aberden Glauben der Universal-Edition betrifft, so teilt Herr Kraus ihnnicht nur nicht, sondern er fühlt sich im höchsten Maß angewidertdurch die Überschätzung eines Dranges nach Inszenierung, der ja dermenschlichen Natur innewohnen mag, wie durch eine Übertreibung desOptimismus, die schon an Zudringlichkeit grenzt. Er gibt der AnsichtAusdruck, daß der so oft zurückgewiesene Versuch einer Blödmacherei

am untauglichsten Objekt, das sich der Universal-Edition im weitenUmkreis ihrer Autorenbeziehungen darbietet, schließlich einmal einedurch das Taktgefühl gebotene Schranke finden müßte. Es ist dochaber auch innerhalb der primitivsten logischen Voraussetzungenschwer erträglich, sich vorstellen zu sollen, daß die Universal-Edition einerseits – mit dem Recht des Geschäftemachers – auf dem Stand-punkt steht, die eine Klausel hätte die Anbringung der Stücke ver-hindert, und anderseits jene nur mögliche Klausel aufnehmen willnebst der Bedingung der Inszenierung, von der allein sie nachweis-lich weiß, daß keine Bühne sich auf dergleichen einließe. Es ist –weit über die so berechtigte Vermutung des Anwalts hinaus – nach-weisbar, daß die Universal-Edition die vermißte Klausel als das Hin-dernis für den Verkauf der Stücke bezeichnet hat, und es soll nunglaubhaft sein, daß sie in der Absicht dieses Verkaufs jede nur be-liebige Klausel und Bedingung aufnehmen wolle. In Wahrheit handeltes sich aber hier um eine ganz andere – auch mit einem Fremdwort zubezeichnende – List als jene, die bei der Unterschlagung der einenKlausel am Werke war. Damals sollte tatsächlich der Verkauf ge-sichert werden. Jetzt, bei Anbringung aller nur beliebigen Klauseln– zu der es selbstverständlich nie kommen würde, weil keine Bühneauch nur auf eine eingeht – geht es nicht um den Gewinn, sondern umdie Ehre. Die Universal-Edition hofft, Herrn Kraus durch Erfüllungsämtlicher Wünsche bis zu dem ihn verzehrenden nach einer Inszenie-rung bei einer schwachen Seite zu packen und ihrem Bedürfnis nachErhaltung eines „Prestiges“, das durch sein Widerstreben leidenkönnte, geneigt zu machen. Keine einzige Bühne wird die so verklau-sulierte „Perichole“ annehmen, aber es wird nicht Schuld der Uni-versal-Edition gewesen sein, die das Beste gewollt hat, und allesist in Ordnung.

Wir bitten Sie im Namen des Herrn Karl Kraus, dem Rechts-vertreter der Universal-Edition mitzuteilen, daß deren Prestige zuden letzten seiner Sorgen gehört; zu den ersten seine Ablehnung je-der Verbindung mit der Universal-Edition. Daß er zu ihrer Fortset-zung sich höchstens durch gerichtliches Urteil zwingen ließe. Unddaß ein solches herbeigeführt werden soll, wenn die Universal-Edi-tion nicht binnen drei Tagen erklärt, daß sie ohne jede weitere

Verhandlung bereit sei, sämtliche Verträge, also die ganze Be-ziehung des Herrn Karl Kraus zu ihr, zu stornieren.

Mit dem Ausdruck dervorzüglichsten Hochachtungergebenst