189.26 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 17. Jänner 1934
Betreff: Kraus – Gegenangriff
Diktiersigle: Dr.S/Fa

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnowsky, | Advocat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich war die ganze letzte Woche verreist.Ihr Brief vom 8. Januar 1934 wurde Herrn Kraus zur Kenntnisgebracht, konnte aber aus dem oben angeführten Grunde nichtbeantwortet werden. Ihren Brief vom 10. Januar 1934 fand ichbei meiner Rückkehr vor und ich habe am Montag diesen Briefund gestern das Schreiben vom 15. Januar 1934 mit Herrn Kraus besprechen können. Herr Kraus lässt Ihnen vor allem für dieüberaus grosse Mühe und für die Sorgfalt, mit der Sie sichseiner Sachen annehmen, bestens danken und Sie herzlichstgrüssen. Er billigt Ihre Haltung, dass Sie auf die vomRichter vorgeschlagene Neufassung der Berichtigung nichteingegangen sind, vollauf. Es ist zwar zu befürchten, dassauch die zweite Instanz vielleicht die Entscheidung derersten Instanz bestätigen wird, aber auch er und ich haltendie Berichtigung für vollständig in Ordnung. Nach meinerAnsicht entspricht die Entscheidung des Richters nicht demzur Beurteilung stehenden Sachverhalt. Die bei der Entscheidungauftauchenden Fragen sind die Folgenden:

1.) Ist die Zitierung des Gedichtes eine Herrn Kraus be-treffende Nachricht;

2.) ist der richtige Wortlaut des Gedichtes eine Tatsache und

infolgedessen die unrichtige Zitierung eine unrichtigeTatsache;

3.) hat es einen Einfluss auf das Berichtigungsrecht, ob dieUnrichtigkeit der Tatsache absichtlich oder fahrlässigoder durch ein Versehen des Setzers entstanden ist?

Ich glaube, dass alle diese Fragen im Sinnedes Berichtigungsrechtes des Herrn Kraus zu entscheiden unddie Berichtigung daher zu veröffentlichen gewesen wäre. DassHerr Kraus auf die durch den Druckfehler etwa entstandeneunrichtige Auffassungsmöglichkeit hinzuweisen gehabt hätte,indem er sie sich zu eigen machte und die Berichtigung soabfasste, dass er der unrichtigen Auffassung die richtigeoder den richtigen Wortlaut entgegensetzt, ist nach meinemDafürhalten nicht notwendig. Diese geistige Funktion kannman ruhig dem Leser überlassen, indem man die Unrichtigkeitder Interpunktion zu seiner Kenntnis bringt, wodurch ja derGegensatz sowohl im Wortlaut als auch in der Auffassungsmög-lichkeit dargetan wird. Nun hat sich der Richter ja die Sachean und für sich sehr leicht gemacht. Er geht von dem Stand-punkt aus, dass die Tatsache, die fünfte Zeile des Gedichtes laute: „Kein Wort das traf“ sei in dem berichtigten Artikel keineswegs behauptet worden, vielmehr sei die Tatsache be-hauptet worden, dass er auf der letzten Seite sein Schweigenbesinge. Diese Argumentierung kann man nur als absurd bezeich-nen. Es wurde allerdings in dem Artikel auch behauptet, dassHerr Kraus sein Schweigen besinge. Es wurde aber dargetan,wie er sein Schweigen besingt, nämlich durch Zitierung desganzen Gedichtes. In diesem Gedichte ist eine Zeile unrich-tig wiedergegeben. Es wird also die Tatsache behauptet, dass

das Gedicht so gelautet hat, wie es wiedergegeben wurdeund dieser unrichtigen Tatsache muss man den richtigen Wort-laut des Gedichtes entgegensetzen können. Dass der Artikel nicht die Wendung gebraucht „die fünfte Zeile des Gedichtes lautet“ ist gleichgiltig, da der Druck des Gedichtes dieseBehauptung in sich schliesst. Hoffentlich wird der Richterzweiter Instanz die Angelegenheit richtig auffassen. Viel-leicht wäre es nicht unvorteilhaft, wenn Sie bei Ihrer Vor-sprache auch auf die juristische Argumentationsmöglichkeithinweisen würden, dass die Behauptung des richtigen Wort-lautes eines Gedichtes in dem Abdruck enthalten sei.

Mit dem Zuwarten eines Antrages gemäss§ 14 der Pressgesetznovelle bis nach dem Erscheinen dernächsten Nummer des Gegenangriffes, ist Herr Kraus einver-standen.

Für Ihr Verhalten bei der Vergleichsverhand-lung am 19. Januar 1934 hat Herr Kraus keine weiteren Wünsche.Er überlässt es vollständig Ihnen, mit welcher Erklärung undwelcher Busse, die am besten zur Hälfte für Kriegsopfer, zuranderen Hälfte für Emigranten verwendet werden möge, Sie dieAngelegenheit beenden wollen. Er hält es aber für nicht un-wesentlich, wenn Sie zur Beurteilung der Schwere der Beleidi-gung dem Gerichte die tschechische Uebersetzung des WerkesDie letzten Tage der Menschheit“ und die im „Panorama“,einer Programmschrift für das Werk, enthaltenen Urteile Masaryk’s.Ottokar Fischer’s und Jahn Münzer’s über die Stellung des HerrnKraus im Kriege zur Kenntnis brächten. Diese beiden Werkekönnen Sie wahrscheinlich am besten von Herrn Professor Fischer selbst leicht erhalten. Es wäre vielleicht auch zweckmässig,

darauf hinzuweisen, dass in dem letzten von Ihnen eingesandtenArtikel die Beleidigung fortgesetzt wurde und zwar hauptsäch-lich in dem Satz: „Wie schmählich dieses Schreiben uns er-scheint …“.

Mit dem Ausdrucke vorzüglicher kollegialerHochachtungbin ich Ihr ergebener

Betr. KrausGegenangriffexp. 17.1.1934.