189.36 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte
  • Karl Kraus, Bleistift

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 2.II.1934

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

In der Angelegenheit Karl KrausGegenan-griff hat zwar Dr. Stein die Erklärung abgegeben, dassseine Mandantin Frl. Dr. Schnierer bereit ist, sich zu ver-pflichten, die in Ihrem Briefe vom 23.I. l.J. aufgesetzteErklärung zu veröffentlichen, dass er jedoch nicht auf dieBedingung eingehen könne, zu der verlangten II. Berichtigungnur juristische Bemerkungen zu veröffentlichen.

Mit Rücksicht darauf habe ich den bedingt abgeschlossenenVergleich fristgemäss widerrufen und die Fortsetzung desStrafverfahrens beantragt.

Die in der ersten Berichtigungsangelegenheiterflossenen Entscheidungen beider Instanzen habe ich miteiner entsprechenden Eingabe der Generalprokuratur vorgelegtund ihr unter Hinweis auf die Gesetzesverletzung nahegelegt,die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu über-reichen. Dass ein solcher Antrag direkt von der hiesigenStaatsanwaltschaft überreicht werden würde, wenn ich beimersten Staatsanwalt vorsprechen und ihm die Sache klarstellenwürde, halte ich für ausgeschlossen, weswegen ich michdirekt an die Generalprokuratur gewendet habe.

In der Berichtigungssache betreffend den ArtikelLanze für Karl Kraus“ fand die Verhandlung statt.Dr. Stein erklärte, die Berichtigung entspreche nicht dem

§ 11 und zwar aus folgenden-Gründen:

1./ Im ersten Satze wird die Tatsache, KarlKraus habe es abgelehnt, sich unter österreichische Zensurstellen zu lassen, mit der Behauptung berichtigt und wider-legt, dass die Fackel, beginnend mit der Nr. 404 unter Kriegs-zensur gestellt war, was in dem Artikel nicht behauptet wurdeumsomehr als der Begriff Fackel und Karl Kraus nicht identisch istund als von der Fackel in dem berichtigten Satze keine Redewar.

2./ Die Tatsache, dass es Viktor Adler gelungenist, die Fackel gegen die Zensur zu immunisieren, wirddurch die Behauptung widerlegt, dass der Artikel „in diesergrossen Zeit“ von der Zensur unbeanständet erschienen ist.Jeder immunisierte Artikel erscheint unbeanständet. Es han-delt sich um die Widerlegung einer in dem berichtigten Ar-tikel nicht behaupteten Tatsache, welche überdies schonim ursprünglichen Satze enthalten war. / er meint offenbarden Satz „nach wenigen Monaten des Schweigens …, schrieber gegen die grosse Zeit“ /

3./ Die Behauptung, dass der Artikel „indieser grossen Zeit“ erschienen ist, widerlegt nicht die nicht berichtigte behauptete Tatsache, dass Kraus gegen die grosse Zeitgeschrieben hat und der berichtigte Satz hat sich aufArtikel bezogen, welche nicht gegen die grosse Zeit gerich-tet waren.

4./ Die Behauptung, dass die erste Immuni-sierung während des Krieges, etc., bezieht sich auf eine imberichtigten Artikel nicht behauptete Tatsache. Die Tat-sache, dass sich unter dem Namen der Unterzeichner der An-frage der Name Viktor Adler nicht befand und gleich nachher

dass die Immunisierung dieser Artikel und Stellen durch dieAnfrage von Abgeordneten, darunter Viktor Adler, erfolgtist, widerlegt nicht, sondern bestätigt die im Artikel behauptete Tatsache und stellt einen Widerspruch zu dem dar,was sub 2 berichtigt wurde.

5./ Die Tatsache „es ist unwahr, dass einHochverratsverfahren eingeleitet war“ widerlegt eine imArtikel nicht enthaltene Behauptung. Die Berichtigung der Tat-sache, dass Karl Kraus trotz diesem Verfahren die erstenSzenen der „letzten Tage der Menschheit“ veröffentlichthat, durch die Tatsache, dass eine Szene aus den letztenTagen der Menschheit bereits im Mai 1916, eine weitere imOktober 1918 erschienen ist, widerlegt nicht, sondern bestätigtdie in dem betreffenden Satze enthaltene Tatsache, denn dieim Jahre 1916 veröffentlichte Szene konnte die letzte Szenedes Werkes und die später veröffentlichten Szenen, die erstensein.

Gegen diese geistvollen Ausführungen habeich angeführt, dass die verlangte Berichtigung im Sinnedes § 11 der Pressegesetznovelle die Bestreitung der einzel-nen in dem inkriminierten Artikel enthaltenen Tatsachen ent-hält und daß zur Widerlegung dieser Tatsachen dem Gesamtinhalte derberichtigten Behauptung eine berichtigende zusammenhängendeDarstellung des Sachverhaltes gegenübergestellt wurde, wasdem Gesetze entspricht. In dem berichtigten Artikel ist klardarauf hingewiesen, dass es Karl Kraus abgelehnt hat, seineZeitschrift, die im Artikel wiederholt erwähnt ist, und in

welcher allein er seine Artikel veröffentlicht, unter Zensurstellen zu lassen und der Wortlaut der Berichtigung ist daherganz richtig, zumal sich die Zensur keinesfalls auf HerrnKraus als Person, sondern nur auf seine Publikationen beziehenkann. Durch die Behauptung, dass der Artikel „in dieser gros-sen Zeit“ von der Zensur unbehelligt am 5.XII.1914 in derFackel Nr. 404, erschienen ist, widerlegt wird die im Artikel enthaltene Behauptung, dieser Artikel Aufsatz sei erschienen, nachdemes Viktor Adler gelungen war, die Fackel gegen die Kriegszen-sur zu immunisieren widerlegt. Durch diesen Satz / wahr ist, dass derAufsatz … von der Zensur unbehelligt am 5.XII.1914 …erschienen ist / wird gleichzeitig die behauptete Tatsachewiderlegt, dass nach wenigen Monaten des Schweigens schonKarl Kraus gegen die grosse Zeit, etc. schrieb, nachdem esgelungen war, die Fackel zu immunisieren. Die Widerlegungerfolgte weiters durch den Hinweis auf das Datum der erstenImmunisierung der Fackel, das auf einen viel späteren Zeit-punkt als den der Veröffentlichung des Aufsatzes „in diesergrossen Zeit“ fällt. Die Behauptung, dass die erste Immuni-sierung während des Krieges … etc. erfolgt ist, warnotwendig zur Widerlegung der falschen Behauptungen des Ar-tikels und zur zusammenhängenden Darstellung des Sachverhaltes.Die Anführung der Tatsache, dass sich unter dem Namen der Unter-zeichner der Anfrage der Name Viktor Adler nicht befand, be-zieht sich auf die Behauptung auf über die erste Immunisierungwährend des Krieges und widerlegt die berichtigte Behauptung,dass es Viktor Adler nach einigen Monaten des Schweigensgelungen ist, die Fackel zu immunisieren.

Die Behauptung, dass ein Hochverratsverfahren ein-geleitet war, wird in dem berichtigten Satze „und trotzeines Hochverratsverfahrens …“ aufgestellt.Diese Behauptung wird richtig widerlegt und dabei daraufhingewiesen, dass die ersten Szenen der letzten Tage derMenschheit schon im Jahre 1916, also vor Einleitung, zwarnicht des Hochverratsverfahrens, welches überhaupt nichteingeleitet worden ist, sondern der Vorerhebungen wegenVerbrechens gegen die Kriegsmacht des Staates veröffentlichtwurde, demnach nicht „trotz einem eingeleiteten Verfahrenveröffentlicht werden konnte. Im Uebrigen verlangt das Press-gesetz nicht, dass sich der Berichtigende in der Darstellungder Widerlegung der berichtigten Tatsachen an den Wortlautdes berichtigten Artikels hält, sondern nur, dass er sichauf Tatsachen beschränkt, welche die in der Nachricht ent-haltenen Behauptungen richtigstellen oder widerlegen.Diesen Erfordernissen hat die verlangte Berichtigung vollentsprochen.

Der Richter äusserte sich dahin, dass er nur infolgenden Punkten eine Abänderung der verlangten Berichtigungfür notwendig hält:

Zu entfallen hat der Satz: „es ist unwahr, dass einHochverratsverfahren …“ bis inclusive ad acta gelegt,

In dem nachfolgenden Satze sollen anstatt der Worte:trotz diesem Verfahren“ die Worte: „trotz einem Hoch-

verratsverfahren“ gesetzt werden.

Zur Aeusserung, ob ich mit einer derartigenAbänderung einverstanden bin, aufgefordert, habe ich meineEinwilligung erteilt, um zu verhindern, dass der Richter den Antrag abweist und das Beschwerdegericht seinen Beschlussbestätigt, trotzdem ich überzeugt bin, dass auch in diesemFalle und bezüglich dieses Passus der verlangten Berichtigungden Bedingungen des § 11 entsprochen worden ist.

Darauf verkündete der Richter den Beschluss, dassder verantwortlichen Redakteurin Dr. Schnierer die Veröffent-lichung unter den Folgen der Beschlagnahme der Zeitschriftin der abgeänderten Form aufgetragen wird.

Dr. Stein meldete die Beschwerde an und zwarhauptsächlich gegen den Wortlaut der abgeänderten Berichtigung,was er jedenfalls deswegen tat, um zu erwirken, dass die Be-schwerde aufschiebende Wirkung erhält. / § 14 Abs. 4 und 6 desPressegesetzes /

Indem ich bitte diese Mitteilungen zur Kenntniszu nehmen und an Herrn Kraus weiterzuleiten, zeichne ich

in vorzüglichster Hochachtung ergebener:Dr. Turnovsky

KrausGegenangriff3. FEB. 1934