189.40 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 10.II.1934
Betreff: Kraus – Gegenangriff

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Auf Ihren Brief vom 7. d.M. gestatteich mir bekanntzugeben.

1./ Berichtigung des Artikels „Lanze für Karl Kraus“:

Die Behauptung, dass gegen Herrn Kraus ein Hochverratsverfahren eingeleitet war, war gewiss in demberichtigten Artikel enthalten und durfte daher mit den Worten„es ist unwahr, dass ein Hochverratsverfahren eingeleitetwar“ widerlegt werden. Ebenso ist die Form der Widerlegungdurchaus nicht im Widerspruche mit dem Wortlaute des § 11der Pressegesetznovelle, umsomehr als sich die Pressberich-tigung nicht auf das blosse In-Abrede-stellen oder die Wi-derlegung einzelner Tatsachen beschränken muss, sondern demGesamtinhalte der Behauptung eine berichtigende zusammenhän-gende Darstellung des Sachverhaltes gegenüberstellen kann.

Wenn ich trotzdem meine Einwilligungzu der Abänderung des Berichtigungswortlautes erteilt habe,so tat ich dies nicht nur auf Grund der im ersten Berich-tigungsverfahren gewonnenen Erfahrung über die Art, in wel-cher der Berichtigungsrichter und der Beschwerdesenat judi-zieren, sondern auch deshalb, weil ich annahm, dass der

Schwerpunkt der Berichtigung weniger in der Richtigstellungder falschen Behauptung gelegen sei, dass ein Hochverratsver-fahren eingeleitet war, als darin, dass Herr Kraus trotzeinem Verfahren, also erst nach Einleitung eines Verfahrensdie ersten Szenen der letzten Tage der Menschheit veröffent-licht hat. Die Richtigstellung dieser Behauptung wird jaallerdings auch durch die abgeänderte Fassung des Berichti-gungswortlautes erreicht und eben mit Rücksicht darauf habeich mich zur Genehmigung des abgeänderten Wortlautes ent-schlossen, um zu verhindern, dass durch die unsinnige Judi-katur die Veröffentlichung der Berichtigung überhaupt ver-eitelt werde.

Der Richter hat eine sehr engstirnige Auf-fassung darüber, was berichtigungsfähig ist und wie berich-tigt werden darf. Er hat den betreffenden Passus des Berich-tigungsschreibens deshalb beanständet, weil in dem berich-tigten Artikel nicht behauptet wurde, dass gegen Herrn Kraus ein Hochverratsverfahren eingeleitet war, sondern dass dieVeröffentlichung der ersten Szenen der letzten Tage derMenschheit trotz einem Hochverratsverfahren erfolgt ist.Er glaubt also, man dürfe mit den Worten „es ist unwahr,dass ein Hochverratsverfahren eingeleitet war“ nur dannberichtigen, wenn in dem berichtigten Artikel ausdrücklichbehauptet worden ist „es war ein Hochverratsverfahren ein-geleitet.“ Dass dies durch die Worte „und trotz eines Hoch-verratsverfahrens“ behauptet wurde, ist zwar klar, doch istes einfach unmöglich, den Richter davon zu überzeugen.

Ich glaube, dass es nicht zweckmässig wäre,auch diesen Fall jetzt der Generalprokuratur zu unterbreiten,

sondern dass man jedenfalls abwarten soll, ob im ersten Falledie Nichtigkeitsbeschwerde erhoben wird.

2./ Beleidigungen in den später erschienenen Artikeln:

Im Artikel vom 14.I.1934 sind meinerAnsicht nach folgende Stellen inkriminierbar:

Wie schmählich dieses Schweigen uns erscheint

Karl Kraus, der … verdorben, gestorben ist. War esschon peinlich, zu beobachten, wie sich der Horizont KarlKraus’ immer mehr verengte“ „Wie er … zu einemphylologischen Flohknacker, zu einem Don Quijote von Mittel-standsformat wurde, der mit Kaffeemühlen focht …, sofehlen einfach die Worte, um dem Gefühl des Unbehagens Aus-druck zu geben …“ „Dazu kannten wir diesen ge-sprächigen Toten zu gut.“ „An so gigantische Gegner,wie Kaffeemühlen, wagt sich dieser Tote – Verzeihung: dieserPamphletist im Ruhestand – schon längst nicht mehr heran.Von welcher historischer Wichtigkeit sind doch, gemessenan diesem Unterfangen, die Bridgepartien der kleinen Moritzeim wiener Café Herrenhof

Im Artikel vom 4. Februar:

Unser trauriger Don Quijote“. „Dieser wackere KämpeKomma-Kraus

Die Nummer vom 21. Jänner habe ichmir nicht behalten und konnte bisher diese Nummer nichtkaufen, da sie in den Zeitungsgeschäften vergriffen ist.Ich habe mir durch eine Zeitungshandlung diese Nummer beider Redaktion des Gegen-Angriff bestellt und werde sie jeden-falls heute oder übermorgen erhalten.

Ich bemerke noch, dass der Pressesenat in Ehren-beleidigungsangelegenheiten nicht identisch ist mit dem Se-nat, der über die Beschwerden in Berichtigungsfällen zuentscheiden hat. Letzterer ist der normale Berufungssenat,während ersterer ausschliesslich über Ehrenbeleidigungen,begangen durch den Inhalt einer Druckschrift in ersterInstanz zu verhandeln hat.

Diese letztere Agenda versehen zwei Senate, denendie einzelnen Fälle in der Reihenfolge des Einlangens derStrafanträge zugewiesen werden. Beide Senate sind eigentlichmehr auf die Fälle spezialisiert, in denen es sich um Belei-digungen aus politischen Gründen handelt. Sie judizieren inBeleidigungsangelegenheiten ohne politischen Hintergrundausserordentlich schwerfällig und langsam und ich selbsthabe einen eklatanten Beleidigungsfall unpolitischenCharakters erst nach fünfjähriger Prozessführung erledigenkönnen. Ich teile Ihnen dies deswegen mit, damit Sie un-sere Verhältnisse beurteilen können und verstehen, warumes so schwer ist, in Presseangelegenheiten bald ein Urteil und ins-besondere ein vernünftiges zu erwirken.

Ich bitte Sie, mich Herrn Kraus bestens zu em-pfehlen und zeichne

mit vorzüglichster HochachtungDr. Turnovsky

P.S. Soeben erfahre ich, dass die Nummer, welche am21.I. l.J. hätte erscheinen sollen, überhauptnicht herausgekommen ist, worauf auch, wie ichjetzt sehe, in einer der folgenden Nummernaufmerksam gemacht wurde. / in Nr. 4 /

KrausGegenangriff12. FEB. 1934