189.70 Strafanzeige resp. Klage von Karl Kraus gegen Gegen-Angriff (verantw. Red. Marie Schnierer) gemäß §§ 1 und 2 des Ges. vom 28. Juni 1933 (Kreisstrafgericht Prag)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 21. August 1934
Seite von 4

An dasKreisstrafgericht,Prag.

Kläger: Karl Kraus, Eigentümer und Herausgeber der Zeit-schrift „Die Fackel“ in Wien,vertreten durch:/ Vollmacht ausgewiesen sub G.Z. Tl VII 96/34 /

Beklagter: Dr. Marie Schnierer, verantwortliche Redakteurinder Wochenschrift „Der Gegenangriff“, Prag XI.,Biskupcova 1719,

Strafanzeige resp. Klage

gemäss § 1 und 2 des Ges.vom 28.6.1933 Slg.Nr. 108.

Zweifach, 1 Rubrik.

Ich erstatte folgende Anzeige und erhebefolgende Anklage:

In dem sub G.Z. Tl VII 96/34 bei diesem Ge-richte geführten Pressprozesse hat sich die Beklagte durchVergleich vom 24.5.1934 verpflichtet, die ehrenrührigenBehauptungen über den Privatkläger, welche in Nr. 19 derZeitschrift „Der Gegenangriff“ vom 26.XI.1933 veröffent-licht worden waren, als verantwortliche Redakteurin in einerErklärung zu widerrufen. Diese Erklärung wurde erst dann ver-öffentlicht, nachdem seitens des Anwaltes des Privatklägers der Antrag auf Einstellung der Wochenschrift „Der Gegenan-griff“ gemäss § 9 des Ges. vom 30.V.1934 Nr. 124 der Gesetzes-sammlung im Wortlaute der Kundmachung des Justizministeriumsvom 7.7.1933 No. 145 der Ges.Slg. gestellt und nachdem diesemAntrage mit Beschluss des Kreisstrafgerichtes vom 7.7.1934,Tl VII 96/34/16 stattgegeben worden war. Die betreffende Sa-tisfaktionserklärung ist in No. 29 der Wochenschrift „Der Gegen-angriff“ auf der 7. Seite erschienen.

Beweis: Prozessakten Tl VII 96/34 dieses Gerichtes.

Die Beklagte hat als verantwortliche Redakteurinder genannten Wochenschrift die Verpflichtung zur Veröffent-lichung einer Satisfaktionserklärung übernommen, um der Be-strafung wegen des Vergehens nach § 2 und 3 des Ges. über denSchutz der Ehre zu entgehen, musste jedoch, wie aus dem Oben-gesagten hervorgeht, zur Erfüllung dieser Verpflichtung erstdurch Einstellung der Wochenschrift gezwungen werden, nachdemsie vorher in der Wochenschrift einige weitere Artikel haterscheinen lassen, deren Inhalt Beleidigungen gegen den Privat-kläger aufwies. Nicht genug daran jedoch, setzte sie die straf-

baren Handlungen auch dadurch fort, dass sie in derselben Nummerder Wochenschrift, auf deren 7. Seite die Satisfaktionserklä-rung veröffentlicht war, einen neuen Artikel hat erscheinenlassen, der wiederum die schwersten die schwersten Beleidigungendes Privatklägers zum Inhalte hat.

Die Tendenz dieses „Mut, Verrat oder Feigheit?überschriebenen und mit „Hans Frank“ unterzeichneten Artikelsgeht dahin, den Privatkläger bei den Lesern lächerlich zu machen,von ihm Tatsachen anzuführen, die ihn in der allgemeinen Mei-nung verächtlich machen oder herabsetzen müssen. Dieser Artikel wird im Original und in beglaubigter Übersetzung in die Staats-sprache beigeschlossen.

Wie wohl der inkriminierte Artikel seinem gesamtenInhalte nach als im höchsten Masse beleidigend angesehen werdenmuss, – der Autor macht dem Privatkläger zum Vorwurfe, er habesich gegen das Hitlerregime aus Mangel an Mut, ja aus Feigheitnicht gewendet und habe an der Menschheit und Menschlichkeit Ver-rat geübt – beschränkt sich der Privatkläger darauf, folgendeSätze des inkriminierten Artikels unter Anklage zu stellen:

1.)Wofür doch so ein Karl Kraus alles Kraft, Nervenund Zeit hat!“ Der Ausdruck „so ein Karl Kraus“ angewendetauf einen allgemein bekannten Autor verfolgt zweifellos die Ten-denz, diesen in den Augen der Leser lächerlich zu machen.

2.) Der weitere Inhalt des Artikels verfolgt die Ab-sicht, den Privatkläger dadurch an der Ehre zu kränken, dass überihn Tatsachen angeführt werden, die ihn in der allgemeinen Mei-nung verächtlich machen und herabsetzen müssen. Es wird daraufhingewiesen, dass sich der Privatkläger zu der Ermordung desErich Mühsam und zu dem Lose des in Haft befindlichen Carl v.Ossietzky nicht geäussert habe „denn Polemik erfordert entwederMut oder ist Feigheit oder Verrat und keine Polemik ist auch einePolemik.

In diesem Zusammenhange wird weiter gesagt: „…3.) Karl Kraus hat grosse Verdienste von früher her‘, versu-chen ihn seine immer mehr und mehr schwindenden Freunde zu ent-schuldigen. Ihnen sei geantwortet: Es gibt Leute, die trotzaller Verdienste heute Hitlerbarden sind – laute und schwei-gende. Was beweist das für die Gegenwart, was einer früher war?Ein Herr mit besserer Vergangenheit. Ich kenne eine Klosett-frau, die früher einmal eine grande Cocotte war / womit abernichts gegen Klosettfrauen gesagt sein soll /

In diesem Passus des inkriminierten Artikels wird derPrivatkläger offen der Feigheit und des Verrates beschuldigtund zum Ausdrucke gebracht, dass die Unterlassung der Polemikgegen Deutschlands Machthaber auf Mangel an Mut, Feigheit oder Ver-rat zurückzuführen ist. Es wird versucht, den Privatkläger, dessenVerdienste von früher her angeblich von seinen Freunden zu sei-ner Verteidigung ins Treffen geführt werden, dadurch lächerlichzu machen, dass man ihnen die Vergangenheit einer grande Cocotteund nunmehrigen Klosettfrau gegenüberstellt.

Durch diese Gegenüberstellung beabsichtigt der Schrei-ber des Artikels, dessen Namhaftmachung nach den bisherigen Er-fahrungen von der Beklagten kaum erwartet werden kann, über denPrivatkläger Tatsachen mitzuteilen, die ihn in der allgemeinenMeinung verächtlich und lächerlich machen, sowie herabsetzensollen.

Beweis: Der inkriminierte Artikel.

Es ist daher der Tatbestand der §§ 1 und 2 des Ges. vom28.VI.1933 No. 108 der Ges.Slg. gegeben, weswegen die Einleitung desStrafverfahrens sowohl gegen den bisher unbekannten Autor desin der Nummer 29 des „Gegenangriffes“ vom 19.7.1934 veröffent-lichten Artikels „Mut, Verrat, oder Feigheit“, sowie gegen die ver-antwortliche Redakteurin Dr. Marie Schnierer wegen des Vergehensder Beleidigung und der Nachrede, resp. wegen Vernachlässigung derpflichtgemässen Sorgfalt beantragt wird.

Prag, am … Karl Kraus.

Gegenangriff23. AUG. 1934