193.80 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

DR. OSKAR SAMEK | RECHTSANWALT
Reindorfgasse 18
Wien, XIV.
Datum: 13. Februar 1936
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat
Diktiersigle: Dr.S/Fa.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnovsky, | Advocat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 7

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich bestätige Ihnen mit bestem Dank denEmpfang Ihrer freundlichen Schreiben vom 4. und 7. Februar 1936 und benütze die Gelegenheit, auch, wie ich in meinem Brief vom25. Januar 1936 in Aussicht gestellt habe, auf den Inhalt IhresBriefes vom 23. Januar 1936 zu antworten. Vor allem möchte ichSie fragen, ob Ihr Protest dagegen, dass zum WahrheitsbeweisTatsachen vorgebracht werden, die erst nach der beleidigendenHandlung liegen, nicht bei Gericht die Meinung entstehen lassenkönnte, dass hier etwas vorliegt, was Herr K. zu scheuen hat.Wenn dies der Fall sein sollte, so wird hoffentlich das, wasjetzt von unserer Seite unternommen werden muss, vollauf ge-eignet sein, eine ungünstige Meinung zu verwischen. Uebrigensglaube ich, dass die Ansicht des cechoslovakischen OberstenGerichtshofes der gegenteiligen Ansicht der österreichischenGerichte vorzuziehen ist, denn nach meiner Meinung kann manmit Recht nur gegen Beweisanträge Widerspruch erheben, die mitder vorgebrachten Beleidigung nicht kongruent sind, die be-haupteten Tatsachen mögen wann immer vorgefallen sein, wofernediese Tatsachen geeignet sind, den behaupteten Vorwurf zu be-weisen. Daraufhin allein wäre das Vorbringen des Beschuldigten zu untersuchen. Ich halte es nun für unerlässlich, da die

Gegenseite die Uebersetzungen nicht vorgelegt hat, wenigstensvon den Stellen, die in ihren Schriftsätzen zum Wahrheitsbeweisherangezogen wurden, Uebersetzungen anfertigen zu lassen, umdie Fälschung darzutun. In Betracht kämen: die Seiten 174 und175 der Nr. 890–905 (die die Behauptung der Gegenseite recht-fertigen sollten, der Privatkläger könne es den Arbeitern nichtverzeihen, dass sie ihm den elektrischen Strom abgeschnittenhaben); die Seite 218 desselben Heftes, (aus der hervorgehensoll, dass der Privatkläger versuche, die tschechischen Be-hörden gegen die österreichische Emigration aufzuhetzen); dieSeite 291 desselben Heftes, (die eine weitere Denunziation derösterreichischen Emigration enthalten soll), ferner die Seite275 desselben Heftes (mit gleichem Inhalt). Besonders wäre da-rauf hinzuweisen, dass der Privatkläger ausdrücklich betonthabe, er gönne jedem Emigranten sein Asyl, halte es aber fürunerträglich, dass das Asyl dazu ausgenützt werde, um Oester-reich in dem schweren Kampf, den es gegen den Nationalsozialismuszu führen hat, von seiten der Emigranten geschädigt werde. Fernerwäre zu übersetzen: der Satz auf Seite 59 des Heftes vom EndeMai 1935, der angeblich eine grundlose Beleidigung des jetzigenPräsidenten der Cechoslovakischen Republik und damaligen Aussen-ministers wegen seiner staatsmännischen Tätigkeit enthält, derjedoch lautet: „ Hat doch sogar die vorbildliche Dummheit derenglischen Arbeiterpartei – heute nur noch von jener Demokratieübertroffen, von deren werktätiger Neigung der ‚Tag‘ sein Daseinfristet – erkannt, dass, ‚verglichen mit dem nationalsozialisti-schen Regime‘, das österreichische ‚unendlich vorzuziehen‘ sei;“.Aus diesem Satz geht hervor, dass der Angriff sich keineswegsgegen den Präsidenten der cechoslovakischen Republik oder dendamaligen Aussenminister als Vertreter dieser Stellung bezieht,

sondern dass er sich gegen die Demokratie in der Cechoslovakei im allgemeinen richtet, die nicht erkennen kann oder wenigstensso tut, als ob sie nicht erkennte, was für ein Unterschiedzwischen dem österreichischen Regime und dem nationalsoziali-stischen bestehe. Wenn Herr Dr. Brügel als Zeuge aussagte, dassdamit das chechoslovakische Aussenministerium angegriffen ist,so hat er einen krassen Meineid geleistet und ich werde aufdiesen Meineid, der in dem zweiten Fall noch viel krasser ist,unten zurückkommen. Ich glaube ferner, dass es auch gut wäre,darauf hinzuweisen, dass sich diese Haltung der cechoslovakischenDemokratie in der letzten Zeit vollständig in dem Sinne desPrivatklägers geändert hat, dass man auch dort zur Einsicht ge-kommen ist, welche Gefahren gerade für die Cechoslovakei in demnationalsozialistischen Regime in Deutschland bestehen. Zudieser Meinungsänderung der demokratischen Partei möchte ichSie auch auf deren Haltung aus dem Anlass der Prager Reise des österreichischen Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg aufmerksam machen,und besonders auf einen Artikel im ‚Ceske Slovo‘, aus dem icheinen wichtigen Satz zitiere. Der Artikel im ‚Ceske Slovo‘ er-schien, wie aus dem Zitat in der ‚Reichspost‘ hervorgeht, am16. Januar 1936. Dort hiess es:

Wir haben anerkannt und anerkennen auch heute, dasssowohl der brutal ermordete Kanzler Dr. Dollfuss als auch Dr. Schuschnigg ein ver-dienstvolles Werk von bleibenderBedeutung geschaffen haben, wenn sie unterden schwierigsten Bedingungen ebenso tapfer wie geschickt denAnstoss auf die österreichische Selbständigkeit abgewehrthaben. Wir haben deshalb mit Sympathie alle Taten Oesterreichs verfolgt, die zur Festigung seiner Selbständigkeit geführt haben.

Aus diesem Grunde haben wir auch die italienisch- österreichische Mitarbeit be-grüsst . Wir glauben, dass zwischen Oesterreich und derTschechoslowakei und den anderen mitteleuropäischen Staatenfrüher oder später eine Mitarbeit zustande kommen wird, dieim Interesse aller ist. Den Privatbesuch des österreichischenKanzlers betrachten wir als ein Zeichen einer vielversprechen-den Entwicklung.

Sie finden das Zitat übrigens auch aufSeite 73f. der Nr. 917–922 der Fackel vom Februar 1936.

Was nun die Frage der Rückgabe des Vermö-gens an die Habsburger betrifft, so liegt hier die unerhörtesteFälschung der krassesten aller Meineide vor. Ich habe die Stelle,die Herr Dr. Brügel meint, zuerst gar nicht gefunden, da ich dochvon der Meinung ausging, es sei irgend etwas in der Fackel ge-standen, was so ausgeschaut haben könnte, als ob Herr K. für dieRückgabe des Vermögens an die Habsburger eingetreten sei. Eskann sich aber, da Herr Brügel angibt, es sei dies im August-heft 1935 geschehen, nur um den auf Seite 61f. befindlichenSatz in dem Artikel „Die Handschrift des Magiers“ handeln, dermit den Worten „ Wien hat den Träumer …“ beginnt. Sie ersehenaus diesem Absatz, dass Herr K. nicht dafür eintritt, dass dasVermögen an die Habsburger zurückgegeben wird – besonders voneinem Vermögen, welches nach dem Umsturz konfisziert war und denKriegsbeschädigten und Kindern übergeben worden ist, ist keineRede –, sondern dass Herr K. es als unerträglich findet, dassLiteraten und derartige Leute sich anmassen, Wohnrechte in derHofburg auszuüben, und dass er vorziehen würde, wenn dies dieHabsburger täten, dass er aber keinesfalls mit Herrn Reinhardt als Bewohner der Hofburg einverstanden ist. Es ist also klar und

und aus diesen beiden Stellen erweislich, dass Herr Dr. Brügel einen Meineid geleistet hat, indem er in vollem Bewusstsein eineFälschung des Inhaltes vornahm. Herr K. zieht in Erwägung, selbstfür den Fall eines Ausgleiches, gegen Herrn Dr. Brügel eineMeineidsanzeige zu erstatten, glaubt aber, dass es sogar vorteil-haft wäre, diese Anzeige sofort zu machen, und ersuche Sie, mirIhre Meinung dazu bekanntzugeben. Wenn Sie der Meinung sind, dasseine sofortige Anzeige nicht am Platz ist, so stelle ich mir vor,dass Sie bei Gericht Herrn Dr. Brügel fragen, welche Stellen erbei seiner Aussage im Auge hatte. Wenn er die Stellen angibt, dieich Ihnen bezeichnet habe, so würde ich ihn auffordern, dieseStellen zu übersetzen. Wenn die Uebersetzung mit der von Ihnenvorher angefertigten und durch einen amtlichen Dolmetsch be-glaubigten nicht übereinstimmt, würde ich mit Rücksicht auf dieoffenbare falsche Zeugenaussage die Verhaftung des Zeugen be-antragen.

Zu den Aussagen der Zeugen, die im Vor-verfahren erfolgte, habe ich noch das Folgende zu bemerken. DieAussage des Herrn Dr. Franzel halte ich eigentlich nicht einmalfür so infam, wohl aber die des Herrn Dr. Brügel. Herr Dr. Franzel bestätigt ja im allgemeinen seine Kenntnis der Haltung des HerrnK., bestreitet nur, dass ihm bekannt gewesen sei, Herr K. sei einpositiver Anhänger des österreichischen Regimes. Diese Anhänger-schaft, wenn man hier von positiver Anhängerschaft sprechen will,so müsste Herrn Dr. Franzel gewiss bekannt sein, dass Herr K. dieFebruar-Katastrophe als eine verbrecherische Störung der Abwehrder für Oesterreich und die Tschechoslovakei tödlichsten Gefahrdurch das gewissenlose Vorgehen der sozialdemokratischen Führer

(vor allem auch die Hinopferung der unschuldigen Arbeiter)aufgefasst hat. Es wäre leicht, nachzuweisen, dass diese be-hauptete Anhängerschaft nur soweit besteht, als sie mit denGrundsätzen des Herrn K. übereinstimmt, insbesondere soweitdas Regime sich als Gegner gegen den Nationalsozialismus be-tätigt. Herr K. hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er dieseGegnerschaft für die wichtigste und aktuellste Tätigkeit derGegenwart hält. Was es bedeuten soll, dass der Angeklagte, einverantwortlicher Redakteur, von diesen privat geäusserten An-sichten des Herrn K. nichts wusste, ist mir unverständlich. DerAngeklagte verantwortet ja die Tat eines Anderen und wenn diesüberhaupt relevant wäre, müsste bewiesen werden, dass der Autor des beleidigenden Artikels von der Ansicht des Privatklägers nichts wusste. Ueber die Autorschaft wird, wie Sie so gut ange-regt haben, sowohl Herr Dr. Brügel als auch Herr Dr. Franzel be-fragt werden müssen, da der grösste Verdacht besteht, dass Einervon ihnen, wahrscheinlich Herr Dr. Franzel, der Autor ist. Wasnun die Aussage des Herrn Heinrich Fischer betrifft, so istes ja gewiss wertvoll, wenn er mitteilte, dass im Juli 1934die Sozialdemokraten die Ansichten des Privatklägers bereitsgekannt hatten und daher nicht provoziert worden sein konnten.Das Wichtigste aber kommt leider nicht vor, offenbar wurde ernicht befragt und hat daher nichts ausgesagt darüber, dass be-reits im April 1934 Dr. Emil Franzel in Kenntnis der Ansichtendes Privatklägers war, als er den huldigenden Geburtstagsartikel schrieb. Was nun die Aussage des Herrn Dr. Brügel betrifft, sohabe ich sie schon im allgemeinen behandelt und teile im übrigenIhre Meinung vollständig, dass es ungeheuerlich ist, einenZeugen als Sachverständigen über Gesinnungsänderungen zu ver-

nehmen und eine Meinung äussern zu lassen, umso ungeheuerlicher,da dieser Zeuge im Juliheft 1935 angegriffen wurde.

Um nun zur Vergleichsanregung des HerrnDirektor Frankl zu kommen: Herr K. billigt vollständig Ihre Ant-wort, dass Sie Privatanregungen nicht zur Kenntnis nehmen und anIhren Mandanten weiterleiten können. Sollte sich aber die Gegen-seite direkt, sei es vor der Verhandlung oder in dieser, wegeneines Ausgleiches an Sie wenden, so wäre er unter den folgendenBedingungen anzunehmen. Die Gegenseite hätte eine Erklärung zuveröffentlichen, dass sie die in der Nummer 185 der Zeitung‚Sozialdemokrat‘ vom 10. August 1934 aufgestellten, Herrn KarlKraus beleidigenden Behauptungen zurückzieht, dass sie sichverpflichtet, eine Busse von 500 bis 1.000.–– Kc. für Arbeiter-fürsorgezwecke zu bezahlen und ausserdem die gesamten Prozess-kosten, in die auch womöglich meine Kosten einzubeziehen wären.Um die Absendung des Briefes nicht zu verzögern, werde ichIhnen ein Kostenverzeichnis separat zukommen lassen.

Herr K. möchte gerne zu der nächsten Ver-handlung persönlich nach Prag kommen, wenn diese zwischen den2. und 9.März 1936 stattfinden kann. Vielleicht ist es Ihnenmöglich, das durchzusetzen.

Indem ich Sie herzlichst grüsse, zeichneich

mit vorzüglicher kollegialerHochachtungIhr ergebener