193.140 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 28.V.1936
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat

Empfänger

An: P.T. | Herrn JUDr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich erhielt Ihr freundliches Schrei-ben vom 26. d.M. und gestatte mir mitzuteilen, dass Dr. Schwelb eine Gegenäusserung zur Nichtigkeitsbeschwerde überreicht hat,deren Inhalt mir jedoch ziemlich belanglos erscheint. Er pole-misiert gegen die von uns geltendgemachte Auffassung über denSinn und Inhalt des § 18 des Ehrenschutzgesetzes und beruftsich hauptsächlich auf das Lehrbuch des Brünner Universitäts-professors Kallab, der durch seine Bemerkungen zum Ehrenschutz-gesetze offenbar überhaupt die vom Gerichte vorgenommene Anwen-dung des § 18 angeregt haben dürfte. Er zitiert ferner die unsbekannten Entscheidungen des Kreisstrafgerichtes und Obergerich-tes in Prag und einige Stellen aus dem Kommentar Hrabánek- Milota,durch welche nachgewiesen werden soll, dass der § 18 auch dannAnwendung finden muss, wenn es sich nicht um gegenseitige Klagenund Beleidigungen handelt und um Fälle, in welchen bereits dieStrafverfolgung vorgenommen worden ist. Ich glaube nicht, dassder Inhalt dieser Gegenäusserung die Entscheidung des OberstenGerichtes beeinflussen wird.

Die Berichtigung des Dr. Schwelb im PragerTagblatt vom 5. Mai habe ich mir abermals gründlich durchgesehen,

ohne einen Weg gefunden zu haben, auf welchem man entweder gegenden Einsender oder gegen den verantwortlichen Redakteur des „Tag-blatt selbst mit Aussicht auf Erfolg vergehen könnte. Ich begreifesehr gut, dass Herr K. den Inhalt dieser Berichtigung, die aufLügen aufgebaut ist, unerträglich findet und den Wunsch hat, derdurch diese Berichtigung geschaffenen Situation durch ein gericht-liches Einschreiten ein Ende zu bereiten. Trotzdem kann ich michnicht entschliessen, zu diesem Einschreiten zu raten, da ich anden Erfolg nicht glauben kann. Wenn man bedenkt, dass unser Pres-sesenat bei ganz offenkundigen schweren Beleidigungen zu keinemverurteilenden Erkenntnis gelangen kann und will und Beweise zu-lässt, deren Umfang und Inhalt mit dem Prozessthema beinahenichts zu tun haben, dann kann man sich wohl vorstellen, dass esunmöglich sein wird, ihn dazu zu bringen, den Autor der betref-fenden Pressberichtigung zu verurteilen. Die formelle Wahrhaftig-keit der in der Berichtigung aufgestellten Behauptungen kann be-wiesen werden. Die beleidigende Tendenz und die bewusste Ent-stellung des Tatbestandes wird dem Gerichte nicht klarzumachensein, zumindest wird das Gericht bereit sein, zu finden, dassvom Auffassungsstandpunkte des durchschnittlichen Lesers die inder Berichtigung angeführten Tatsachen nicht als beleidigend an-gesehen werden können. Nicht einmal die Wiederholung der seiner-zeit inkriminierten Stellen könnte man zum Gegenstand einer An-klage machen, da in der Berichtigung selbst nicht zum Ausdruckegebracht wird, dass die geänderte Stellungnahme zum österreichi-schen Regime, Heimwehr, etc., auf verwerflichen Motiven beruht.

Ich hoffe zuversichtlich, dass das Oberste Ge-richt der Nichtigkeitsbeschwerde stattgeben wird. Das offiziellePressbüro wird in diesem Falle die Veröffentlichung einer ent-sprechenden Nachricht nicht zurückweisen können und man wirdwohl auch sonst noch Gelegenheit haben, auf die Lumpereien derHerren vom Sozialdemokrat hinzuweisen.

Wegen der Einvernahme des Herrn Fischer habeich versucht, mich mit ihm ins Einvernehmen zu setzen, konnte ihnjedoch bis heute nicht erreichen. Ich wusste nicht, dass er krankist und an einer heftigen Nikotinvergiftung leidet. Er kam trotz-dem heute in meine Kanzlei, erklärte jedoch, sich sehr unwohl zufühlen. Da ich den Eindruck hatte, dass er in dieser Verfassungnicht sehr geeignet sein wird, entsprechend auszusagen, habe ichihn mit Krankheit bei Gericht entschuldigt und ersucht, er mögeunmittelbar nach dem 1. Juni einvernommen werden. Ich habe über-dies an Herrn Dr. Gallia geschrieben und ihn gebeten, mir eineAbschrift des Ersuchschreibens an den Prager-Untersuchungsrich-ter einzusenden, damit ich die Aussage des Herrn Fischer mitdiesem besprechen und in tschechischer Sprache niederlegen kann.Ueberdies werde ich bei seiner Einvernahme bei Gericht sein undhoffe, dass der Untersuchungsrichter nichts dagegen einwendenwird, wenn ich Herrn Fischer bei seiner Aussage unterstütze.Sollte dies nicht zugelassen werden, dann wird sich Herr Fischer auf Grund der tschechischen Niederschrift für die Einvernahmevorbereiten können und in der Lage sein, entsprechend auszusagen.

In der Berichtigungsangelegenheit SOZIALDEMOKRAT habe ich zwar bisher keine strikte Aeusserung darüber erhalten,ob der Antrag nach § 14 Pressgesetznovelle überreicht werden soll.Ich nehme jedoch an, dass Herr K. dies wünscht, habe den Antragverfasst und zur Ueberreichung vorbereitet.

Wie ich aus einer Zeitungsnotiz ersehe, hat sichder Pressesenat wieder eine merkwürdige Entscheidung geleistet.In einem Presseprozess hat das Gericht von der Verhängung einerStrafe abgesehen und zwar deshalb, weil nach seiner Ansichtdurch die Berichtigung des inkriminierten Artikels dem Privat-kläger vor Beginn der Hauptverhandlung angemessene Genugtuunggeleistet worden ist. / § 9 Abs. 3 Ehrenschutzgesetz /.

Wenn auch diese Praxis eingeführt werden sollte, dann kannDr. Schwelb, wenn er über den Antrag nach § 14 P.G.N. zur Ver-öffentlichung der Berichtigung gezwungen werden wird, in derEhrenbeleidigungssache straflos ausgehen.

Es ist unglaublich, wie das Gericht in Presseange-legenheiten vorgeht und die Schwierigkeiten werden immer grösser.Schon deswegen möchte ich nicht in Sachen des Herrn K. Schritte keine unternehmen, die mir selbst riskant erscheinen.

Indem ich bitte, diese Mitteilung zur Kenntnis zunehmen, an Herrn K. weiterzuleiten und ihm meine besten Grüsse zubestellen, zeichne ich in vorzüglichster Hochachtung und mitbesten Grüssen an Sie,

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat30. MAI 1936