195.3 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, roter Stift

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 11.IX.1934
Betreff: Karl Kraus | ca: AUFRUF

Empfänger

An: P.T. | Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Wie Ihnen Herr Kraus wohl mitge-teilt haben wird, hat er mit mir über die gegen die Autorender in einigen Zeitschriften veröffentlichten Artikel,resp. gegen die verantwortlichen Redakteure, zu überrei-chenden Klagen gesprochen und den Text der Widerrufsklagegegen den Herausgeber und verantwortlichen Redakteur desGegen-Angriff, der Ehrenbeleidigungsklage gegen diesenwegen des Artikels „Mut, Verrat, oder Feigheit?“, schliess-lich der Ehrenbeleidigungsklage gegen den verantwortlichenRedakteur des „Sozialdemokrat wegen des Artikels „DieFackel als faszistische Hetzschrift“ genehmigt.

Ferner wurde die Klage gegen den Autor und verantwortlichenRedakteur des „AUFRUF wegen des Artikels „Die Fackelschwelt“ besprochen.

Ich sende Ihnen das Konzept dieserKlage ein und gestatte mir zu deren Inhalt zu bemerken:Die einzelnen Sätze, die Herr Kraus unter Anklage zu stellenwünschte und die Art, wie er dies wollte, habe ich berück-sichtigt und bei nochmaliger Lektüre des inkriminiertenArtikels gefunden, dass auch der ad 3/ angeführte Passus

des Artikels / 7. Seite der Klage / verfolgt werden kann.

Da es sich um Tatbestände handelt, die dem Presse-senat zu erläutern ausserordentlich schwierig sein wird, halteich es für notwendig, in der Klage den Sinn der unter Anklagegestellten Sätze gewissermassen zu erläutern und auch aufzu-klären, wodurch der Autor zur Veröffentlichung dieser Sätzeveranlasst worden ist. Ich glaube, dass es sonst nicht möglichwäre, dem Gerichte die Ueberzeugung von der Strafwürdigkeitder einzelnen beleidigenden Aeusserungen beizubringen.Der Name „Lucien Verneau“ ist natürlich ein Pseudonym, eswurde jedoch besprochen, den Autor unter diesem Namen zuklagen, um zu sehen, wie die Gegenpartei darauf reagieren wird.

Betrifft den Artikel:Harakiri eines Rebellen„Neuer Vorwärts“ vom 12.8.1934.

Bezüglich dieses Artikels wurde besprochen, keineEhrenbeleidigungsklage zu überreichen, sondern sich auf dieBerichtigung der in der dritten Spalte, 20. Zeile von unten,wahrheitswidrig angeführten Tatsachen zu beschränken.

Ich schliesse das Konzept des Berichtigungschrei-bens, sowie den betreffenden Artikel bei und bitte, die Klagegegen den „AUFRUF“ und dieses Konzept Herrn Kraus vorzulegenund mir dann mitzuteilen, ob er den Text beider genehmigt.

Betrifft den Artikel „Karl Kraus bei Haken- und Kruckenkreuz

Auch hier wurde besprochen, dass von einer Ehren-beleidigungsklage abgesehen werden soll. Herr Kraus hat gewünschtdass ich eine Widerrufsklage gemäss § 1330 A.B.G.B. verfassenund überreichen soll, wobei die Gefährdung des Erwerbes des

Klägers damit begründet werden sollte, dass die Behauptung,Herr Kraus habe sich für Hitler eingesetzt, geeignet sei, dieGegner des Hitlerregimes, aus denen zum grössten Teil dieLeser der „Fackel“ bestehen, von der Anschaffung derFackel abzuhalten.

Ich bin nicht ganz überzeugt davon, dasseine derart begründete Klage zur Verurteilung des Beklagten führen muss und befürchte, dass das Gericht die Ansichtvertreten könnte, jede Stellungnahme eines Autors halte seinepolitischen oder sonstigen Gegner von der Anschaffung seinerWerke ab. Der Leserkreis des Autors setze sich aus seinenAnhängern zusammen. Nun ist es ja richtig, dass gerade dieAnhänger des Herrn Kraus durch die Lektüre des Artikels, inwelchem zu Unrecht behauptet wird, Herr Kraus vertrete einenanderen Standpunkt als sie, von der Anschaffung seiner Werkeabgehalten werden können. Trotzdem habe ich Bedenken, dieKlage zu überreichen, weil ich befürchte, es werde nicht ge-lingen, den Kausalnexus zwischen der im Artikel behauptetenTatsache und der Gefährdung des Erwerbes des Herrn Krausüberzeugend darzustellen.

Ich erbitte mir die Bekanntgabe IhrerAnsicht zu dieser Frage und ersuche, Herrn Kraus von meinenBedenken zu verständigen.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnennoch einmal für Ihre Liebenswürdigkeit danken, mit der Siefür Herrn Dr. Schneider bei Professor Neumann angefragt undmich dann informiert haben. Es wird Sie interessieren, folgen-

des zu erfahren: Auf Grund der Ihnen erteilten und an michweitergeleiteten Information ist Herr Dr. Schneider an demvereinbarten Tage nach Wien gefahren und in der Ordinationdes Herrn Professor Neumann erschienen. Als er der Empfangs-dame mitteilte, er sei bei Prof. Neumann avisiert, erwidertediese sehr erstaunt, Herr Prof. Neumann sei doch nicht inWien, er sei bekanntlich im August niemals da. Anwesend warnur ein junger dritter Assistent des Professors, der nachUntersuchung des Patienten nichts anderes zu sagen wusste,als, dass es sich empfehlen würde, wenn Herr Dr. Schneider nach Rückkehr des Prof. Neumann in zirka 14 Tagen wiederkommenwollte und vom Professor untersucht werden würde. In diesemFalle war dies umso peinlicher, als es der Frau Dr. Schneider und mir nur schwer gelungen ist, Herrn Dr. Schneider über-haupt dazu zu bringen, nach Wien zu fahren und sich einerUntersuchung durch Prof. Neumann zu unterziehen. Ich kannmir diesen Vorfall nur so erklären, dass Ihnen die Auskunft,der Professor werde in der künftigen Woche ordinieren undden avisierten Patienten erwarten, von dem Assistenten odervon einer anderen Person erteilt worden ist, um durch dieMitteilung von der Abwesenheit des Professors den Patienten nicht abzuschrecken und den Fall nicht zu verlieren.

Ich habe Ihnen hievon – wie gesagt – nur deshalbMitteilung gemacht, weil ich annahm, es werde Sie interessie-ren, zu hören, wie unverlässlich die von den Angestelltendes berühmten Laryngologen erteilten Auskünfte sind.

Indem ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor, bitte,mich zu verständigen, ob die Klage gegen den Aufruf und dasBerichtigungschreiben „Neuer Vorwärts“ genehmigt wurden undwie sich Herr Kraus und Sie zu den von mir in Sachen der Wi-derrufsklage („Der Kämpfer“) geäusserten Bedenken stellen,zeichne ich mit Empfehlungen an Herrn Kraus

in vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

3 Beilagen.

12. SEP. 1934KrausAufruf