195.57 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 15.II.1937
Betreff: Karl Kraus | ca: AUFRUF

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich teile höflichst mit, dass ich denProzess gegen Ing. Butschowitz und Dr. Bill bei der heutigenHauptverhandlung in folgender Weise ausgeglichen habe:

Die Beklagten sind verpflichtet, binnen14 Tagen auf eigene Kosten und ohne Anmerkungen in der ZeitschriftPRAGER MITTAG und zwar im redaktionellen Teil auf die im § 8 derergänzten Pressgesetznovelle angeführte Weise folgende Erklärungzu veröffentlichen:

Erklärung.

In Nr. 22 und 23 der Zeitschrift „AUFRUF haben wir unter demTitel „Die Fackel schwelt“ einen Artikel veröffentlicht, welcherals Antwort auf den Inhalt des Heftes Nr. 890 bis 905 der Zeit-schrift „Die Fackel“ anzusehen ist. Da sich der nunmehr ver-storbene Herr Karl Kraus durch einzelne Behauptungen des erwähntenArtikels verletzt gefühlt hat, erklären wir, dass wir keine Absichthatten, ihn durch die Ausführungen des Artikels persönlich zu be-leidigen. Wenn er sich beleidigt gefühlt hat, bedauern wir es aufsLebhafteste.

Lucien Verneau / Ing. Egon Butschowitz /Dr. Friedrich Bill.

Ferner sind die Beklagten solidarisch verpflichtet, demPrivatkläger zu Händen seines Anwaltes den Betrag von 1800 Kčan Kosten der Rechtsvertretung binnen 14 Tagen unter Exekutions-folgen zu bezahlen.

Dieser Vergleich wird rechtskräftig, wenn ernicht vom Vertreter des Privatanklägers mittels einer beim Ge-richte spätestens am 9.III.1937 überreichten Eingabe widerrufenwird. Das Recht zu widerrufen, steht dem Privatankläger für denFall zu, dass die Satisfaktionserklärung nicht frist- und verein-barungsgemäss veröffentlicht werden sollte. Für den Fall, dassdieser Vergleich Rechtskraft erlangt, wird das Strafverfahrengegen Ing. Butschowitz und Dr. Friedrich Bill über Antrag desPrivatanklägers eingestellt werden.

Ich habe den Wortlaut der Satisfaktionserklä-rung gegenüber der in Ihrem Briefe vom 23.II.1935 angeführtenFassung einigermaßen abgeändert, weil ich wollte, dass nichtnur Butschowitz, sondern auch Dr. Bill Abbitte leisten. Die Aus-lassung des Satzes „In diesem Artikel haben wir … durchden Herausgeber der FACKEL polemisiert“, geschah über Ansuchendes diesmaligen Verteidigers Dr. Desensy, der mich bat, auf einemöglich kurze Satisfaktionserklärung einzugehen. Ich glaube,dass die durch die Erklärung gegebene Satisfaktion durch dieAuslassung dieses Satzes nicht entwertet wird und so habe ichdem Ersuchen stattgegeben. Das Widerrufsrecht habe ich mir des-wegen vorbehalten, weil es immerhin geschehen kann, dass auch derPRAGER MITTAG die Veröffentlichung ablehnt und dann die Veröffent-

lichung nicht erzwungen werden könnte. Die Wahl des PRAGER MITTAG als Blatt, in welchem die Erklärung veröffentlicht werden soll,ist dadurch begründet, weil dieses Blatt von denselben, resp. dengleichen Lesern gelesen wird, wie der eingegangene AUFRUF und dieVeröffentlichung im PRAGER TAGBLATT oder im SOZIALDEMOKRAT nichtdurchzusetzen wäre. Dr. Bill ist Mitarbeiter des Prager Tagblatt und dass der Sozialdemokrat eine solche Erklärung nicht abdruckenwürde, ist ja ziemlich klar. Der Betrag von Kč 1800.– stellt zwarkeinen angemessenen Ersatz der Kosten dar, bedeutet aber immerhineine empfindliche Strafe für Butschowitz und Bill, die sich beidein schlechten finanziellen Verhältnissen befinden. Wenigstens wirddurch diesen Betrag ein grosser Teil der Stempel und Dolmetschge-bühren der Krausprozesse hereingebracht.

Ich zeichne mit dem Ausdrucke der vorzüglichstenHochachtung und mit besten Grüssen

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausAufruf17. FEB. 1937