196.75 Brief RA Felix Gallia an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Dr. FELIX GALLIA
MASARYKSTRASSE 25/27
BRÜNN
Datum: 20. März 1936
Betreff: Kraus – Arbeiterzeitung.
Diktiersigle: Dr.G/b

Empfänger

An: Wohlgeboren Herrn | Dr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien XIV.
Datum: 21.3.1936
Seite von 8

Sehr geehrter Herr Kollege.

Nach neuerlicher genauer Durchsicht Ihres Entwurfesfür unsere Aeusserung möchte ich meinen Standpunkt wie folgtbekanntgeben:

1./ Ich würde vorschlagen einleitend schon zu bemerken,dass wir nicht wünschen, dass die Angeklagten schon an technischenSchwierigkeiten scheitern und dass wir daher ihnen alle Exemplareder Fackel gern zur Verfügung stellen wollen, die sie zu ihrerEntlastung zu benötigen glauben, wobei es uns sogar – hier nehmeich das Ende Ihres Schriftsatzes vorweg – möglich sein wird, diespeziellen österr. Fackelnummern zu beschaffen, die sich allerdingsvon den im Gebiete der Č.S.R. zum Verkauf gelangenden Fackeln nurdurch den Preisaufdruck auf dem Umschlag – hier in Kč, in Oester-reich in ÖS – unterscheiden.

2./ Ich möchte vorschlagen, bevor wir in das Meritumeingehen, auch schon zu der Rechtsfrage Stellung zu nehmen,ob die Angeklagten den Strafausschliessungsgrund des § 6, 2b für sich in Anspruch nehmen können.

Wie Sie, sehr geehrter Herr Kollege, ganz richtighervorgehoben haben, kann dieser Strafausschliessungsgrund nur

jenenfalls von dem Angeklagten für sich in Anspruch genom-men werden, wenn das von ihm vorgegebene öffentliche Interesseschon zur Zeit der inkriminierten Aeusserung vorhanden war.Der Strafausschliessungsgrund soll ja jenen schützen, dereinen sonst strafbaren Tatbestand setzt, eine private Interes-sensphäre / des Beleidigten / stört, um eine wichtigere Interes-sensphäre zu schützen. Nun ist, wie wir ja in Wien festgestellthaben, die einzige Stelle der Fackel, die unter Umständen alsAngriff auf die čsl. Demokratie ausgelegt werden könnte, dieStelle in der Fackel 909–911, die weit später erschienenist, als der Artikel bezw. das Gedicht in der Arbeiterzeitung.Für ihre Behauptung, dass unser Klient schon durch Jahre hin-durch unbegründet die čsl.Staatsmänner beschimpfe / Punkt7./ des gegnerischen Schriftsatzes /, werden die Gegner natür-lich den Beweis schuldig bleiben müssen. Wir hingegen werden,wie besprochen, in unserm Schriftsatz alle oder zumindesteinige jener Stellen aus den letzten Jahrgängen der Fackel verwenden, in denen der Klient der Č.S.R. unbeschränktes Lobgeschenkt hat.

In den gerade behandelten Zusammenhang würde eigentlichauch jener Teil unseres Schriftsatzes gehören, in welchemwir von der Beziehung des Herrn Kraus zu dem PräsidentenMasaryk handeln wollen. Ich weiss allerdings nicht, ob es

nicht besser wäre, die Beziehung zu Präsident Masaryk erst amSchluss des Schriftsatzes zu schildern, da dadurch doch wohlerzielt würde, dass nach Lektüre des Schriftsatzes dem Richter dieser Punkt am nachhaltigsten im Gedächtnis bleibt. Wie ichIhnen ja auseinandergesetzt habe, verspreche ich mir von derpsychologischen Wirkung in dieser Hinsicht ziemlich viel. Ichhabe eine Probe schon gemacht: Bei meinem letzten Besuch beiDr. Winter habe ich ihm davon erzählt, dass Herr Kraus vomPräsidenten Masaryk auf die Burg eingeladen wurde und habe ihngefragt, ob er es denn für möglich halte, dass der Präsident einen Gesinnungslumpen, extremen Militaristen usw. von sich auseinladen würde. Dr. Winter war über meine Mitteilung sehr er-staunt und ich konnte ganz deutlich beobachten, wie sie auf ihnwirkte. Eine noch viel stärkere Wirkung verspreche ich mir beičechischen Richtern.

3./ Ich würde empfehlen, die Angaben unseres Schrift-satzes nicht nur durch die Zeugenschaft Herrn Kraus’ bestätigenzu lassen, sondern auch noch durch andere Aussagen.

Dabei wäre es natürlich recht angenehm, wenn von uns Zeu-gen geführt werden würden, die in der Č.S.R. wohnen. FallsSie jedoch Wiener Zeugen führen wollten – käme da nicht vielleicht

an erster Stelle Herr Prof. Jaray in Betracht? – es wärezu erwägen, ob nicht die zu nominierenden Wiener Zeugen mitHerrn Kraus zu seiner Einvernahme vor dem hiesigen Untersu-chungsrichter erscheinen könnten. Zeugen würde ich insbesonde-re darüber führen wollen, wann z.B. „Die letzten Tage derMenschheit“ geschrieben wurden, wieso es kam, dass HerrKraus im Krieg seinen Pass behalten durfte, weiters über dieTatsache, dass gegen ihn ein Strafverfahren beim Wiener Straf-landesgericht durch Jahre lief, schliesslich über seine Ver-mögensverhältnisse, sein Verbot, die Fackel in Deutschlandzu verbreiten, die Art der Verwendung der Erträgnisse seinerVorlesungen und die Höhe der aus diesen Erträgnissen sowohlin Wien wie auch anderwärts gemachten Spenden, weiters natür-lich auch über die Tatsache der unbeirrbaren geistigen Haltungund Stellung des Herrn Kraus, dies in der ganzen Zeit, in derer die Fackel herausgibt.

4./ In dem Schriftsatz werden wir doch wohl etwaseingehender über die gegnerischen Angaben über die FackelNr. 890–905 sprechen müssen. Meines Erachtens wäre esvielleicht gut, kurz zu sagen, gegen wen eigentlich sichdiese Nummer der Fackel gerichtet hat. Sonka will sichoffenbar einzig und allein zu dem Zweck, damit nach § 9,Ziffer 2 des Ehrenschutzgesetzes das Gericht von seiner Be-strafung absehe, durch die Fackel vom Juli 1934 provoziert

fühlen. Dieses „Muster moralischer Verantwortlichkeit“fühlt sich offenbar auch als Emigrant, der die unsichereFremde vor der weit bequemeren Gleichschaltung gewählt ha-ben soll. Nun scheint die moralische Verantwortung nichtso weit zu gehen, um auch eine Verpflichtung zu schaffen,immer die Wahrheit zu sagen, denn sonst könnte Sonka, inGaya geboren und wie ich glaube auch dorthin zuständig,– ich werde das aus dem Gerichtsakt noch feststellen –sich doch nicht gut als Emigrant ausgeben.

Ich glaube auch, dass es notwendig sein wird, zuerklären, auf wen das Zitat auf Seite 173 der Fackel 890–905 sich bezog / Seite 5./ unten des gegnerischen Schrift-satzes /.

5./ Ich möchte jetzt noch zu den einzelnen Ausfüh-rungen Ihres Entwurfes folgendes bemerken:

Auf der ersten Seite möchte ich in der ersten Zeileanführen, dass Sonka sich „unter anderm dafür zu verant-worten“ hat …, auf der zweiten Seite unten möchte ichsagen: „Verdächtigungen und Beschimpfungen übelsterArt sind keine Kritik …“, ferner glaube ich, dass mandie Fälschungen / Seite 2 ganz unten / ohne weiters als

bewusste bezeichnen kann. Auf Seite 4 würde ich im drittenAbsatz statt „kriegerische Männlichkeit“ vorschlagen„aufrechte Männlichkeit“ und in demselben Satz auch nochsagen, dass der Privatkläger den Krieg zu tiefst verabscheutund immer vor, während und nach dem Krieg in gleicher Weiseverabscheut hat.

Falls die anonymen Briefe, gegen die in der Fackel Nr.400–403 Stellung genommen wurde, noch vorhanden sind, würdees sich gewiss empfehlen, sie vorzulegen. Auf Seite 5 untenmöchte ich nach den Worten: „dass er den liberalen Stand-punkt in der Politik ablehne“ einfügen: „in diesem Punktist seine Anschauung mit jener, die die Angeklagten habenmüssten, identisch“, auf Seite 7 unten möchte ich noch dasDatum des Artikels Sonkas im Neuen Wiener Journal zitierenund eventuell das Exemplar des Journals, in dem der Artikel abgedruckt war, vorlegen.

Aus den Kriegsnummern der Fackeln sollten vielleichtdoch einige Stellen, die die Einstellung Herrn Kraus zumKrieg klar umreissen, wörtlich zitiert werden.

Den letzten Absatz auf Seite 14./ würde ich dahin zuergänzen empfehlen, dass er auch kurz die damalige Stellungder Sozialdemokratie im österr. Staatsleben behandelt.

Ich glaube, dass auf Seite 16./ der mit den Worten:„Die Aenderung der politischen Ueberzeugung“ beginnende

und auf Seite 17./ oben mit den Worten „genügen konnten“endende Satz ausgelassen werden sollte.

Die Fälschung, die von dem Angeklagten hinsichtlich derFackel Nr. 912–915 versucht wird, möchte ich doch sofortaufdecken und entsprechend geisseln.

Vielleicht wäre es gut, in dem Schriftsatz auch kurz zuden Aussagen KornfeldUrzidil Stellung zu nehmen.

6./ Am Schluss des Schriftsatzes möchte ich, wie ich schoneinleitend bemerkte, gern die Beziehung zu Präsident Masaryk schildern und vorher vielleicht die Zitate aus der Fest-schrift zum 60. Geburtstag anführen, ebenso die Zitate aus denhier in čechischer Sprache erschienenen Beiträgen über HerrnKraus, die ich allerdings bisher noch nicht bekommen habe.

Hoffentlich wird sich die ganze Korrespondenz mit demPräsidenten bezw. seiner Kanzlei auffinden lassen.

Ich erwarte, sehr verehrter Herr Kollege, mit dem grösstenInteresse Ihre weitern Nachrichten und bin mit

vorzüglicher kollegialer HochachtungIhr ganz ergebenerDr. Gallia

Durchschlag anbei

P.S. Ich habe bei Dr. Ečer angefragt, ob er im Punkt V letzterAbsatz seines Schriftsatzes zum Ausdruck bringen wollte,dass Sonka auch Autor des Artikels „der Racheakt derPolizei gegen Braunthal“ sei. Dr. Ečer antwortet mir heute,die Anführung Sonkas als Autor dieses Artikels sei nur aufeinen Irrtum seines Konzipienten zurückzuführen, der in letzterStunde vor der Hauptverhandlurg den Schriftsatz diktierthat. Offenbar will also Dr. Ečer zumindest nicht zugeben, dassSonka auch der Autor dieses Artikels sei.

D.O.

Ich bestätige noch unser heutiges Telefongespräch und über-mittle Ihnen wunschgemäss eine Rubrik mit dem Text der ersten Seiteunseres vorbereitenden Schriftsatzes.

Montag Abend werde ich mich, verehrter Herr Kollege, bei Ihnensofort melden, sobald ich in Wien ankomme.

1 Beilage.

KrausArb.Ztg. 21. MRZ. 1936