2.3 Privatanklage von Karl Kraus gegen Reichspost (verantw. Red. Karl Schiffleitner) wegen Verweigerung einer Berichtigung

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 30. November 1922
Seite von 13

U I 3/23

An dasStrafbezirksgericht IWien

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller inWien, III. Hintere Zollamtsstraße 3

Beschuldigter: Karl Schiffleitner, verant-wortlicher Redakteur der „Reichspost“ inWien VIII. Strozzigasse 8

Privatanklage

wegen Verweigerung einer Berichtigung

einfach, 3 Beilagen.

Der Unterfertigte erstattet hiemit im Sinne des§ 23 P. G. die Anzeige gegenden verantwortlichen Redakteur a)der „Reichspost“, die Aufnahme der sub a) angeschlossenenb)Berichtigung des sub b) beigelegten Artikels „Ein Kreis-lauf“ grundlos verweigert zu haben. Zur Begründung derBerechtigung des Verlangens nach Aufnahme führt er schonin der Klage das folgende aus:

Die Tatsachen, um die es sich in dem berichtigtenArtikel handelt, und jene, die ihnen in der Berichtigung entgegengestellt sind, entstammen – mit Ausnahme der letz-ten – einer rein stilistischen Materie, an deren durchkeinerlei Entstellung beschädigten Bestand jedoch zweifel-los und vor allem für den Schriftsteller ein ebenso wohlbegründetes sachliches Interesse vorhanden ist wie gegen-über der Materie irgendeiner anderen Tatächlichkeit. Derzu erwartende Einwand des Beklagten, daß in den Zitatender „Reichspost“, die samt und sonders eine Vergröberungc)der Gedanken und Sätze des sub c) beigeschlossenen Auf-satzes der Fackel vorstellen, das „Wesentliche“, nämlichdie „Meinung“, die für den Durchschnittsleser den Inhaltbildet, wiedergegeben sei und dass eine Tageszeitung,die zitieren will, genug getan habe, wenn sie diese Meinungreferierend wiedergibt, so daß es auf einzelne hinzugetaneoder weggenommene Worte und überhaupt auf stilistischeFeinheiten nicht ankommen könne, selbst dann nicht, wennder verstümmelte Wortlaut unter Anführungszeichen wieder-gegeben ist – dieser Einwand einer „Irrelevanz“ der inFrage kommenden Tatsachen wäre durchaus unstichhaltig. Läßtsich schon vorweg sagen, daß keine Tageszeitung genötigtist, im Rahmen ihrer lokalen Neuigkeiten über einen lite-rarischen Aufsatz zu berichten und daß sie, wenn sie sichdazu entschließt, eben bemüht sein muß, die zitierten Ge-danken, was immer sie gegen sie einzuwenden habe, wenigstens

im vollen textlich übereinstimmenden, genau kontrolliertenWortlaut wiederzugeben, zumal dort, wo sie unter Anfüh-rungszeichen zitiert – wobei ja noch immer durch beliebigeHerausziehung von Sätzen Spielraum für eine Entstellungdes Grundgedankens bleibt –, so muß es ganz gewiß demSchriftsteller überlassen werden, sein geistiges Rechthier besser wahrzunehmen und also darauf zu bestehen, daß,wenn ihn eine Tageszeitung schon für die eigene Tendenzzurichtet, sie doch nicht seine einzelnen Sätze auf daseigene stilistische Niveau herabsetze. Die Frage derRelevanz, die in Dingen eines rein geistigen Sachverhaltsnicht bereitwilliger gestellt werden darf als in irgend-einer anderen Sphäre eines verletzten tatsächlichenInteresses, wäre hier nach Ansicht des Berichtigungswer-bers schon durch den Umstand abgetan, daß er eben mindes-tens so großen Wert darauf legt und legen darf, diesenoder jenen Satz geschrieben oder nicht geschrieben zuhaben wie diese oder jene Handlung, die von ihm behauptetwürde, getan oder nicht getan zu haben. Es bedarf wohlkeines Hinweises darauf, daß durch die Entstellung eineseinzigen Wortes, ja Buchstabens oder Interpunktionszei-chens ein Gedanke, ein Satz eine vollständig anderePosition und Kraft, ja einen wesentlich anderen Sinn er-halten mag, dass je nach Wert und Wirkung des so oder sogedruckten Satzes selbst die Tatsächlichkeit einer Lebens-sphäre von der stilistischen Veränderung alteriert werdenkann und daß sich durch die Methode absichtlich oder un-absichtlich fehlerhaften Zitierens Sätzen, die man ineiner dem oberflächlichen Leser genehmen Tendenz darbietenwill, geradezu eine Gesinnung imputieren läßt, die sogarein solcher Leser, wenn er nachher das zitierte Originalkennen lernte, in diesem nicht wiederfinden würde. Diesist in dem berichtigten Artikel Satz für Satz geschehen,

und daß es der Fall ist, soll im folgenden bewiesen wer-den:

Die Behauptung, in der Fackel sei der Satz gestanden,Karl Kraus sei „einst“ durch den leidigen Zufall der Geburtin die jüdische Glaubensgenossenschaft geraten, läßt die-ses Bekenntnis als einen schlecht stilisierten Unsinn er-scheinen. (Siehe Fackel, S. 3.‚ Z. 20 ff.)

In der Behauptung, er habe eine zeitlang „der der bequemen Konfessionslosigkeit“ gehuldigt,ist, wiewohl das letzte Wort nicht unter Anführungszeichenzitiert erscheint‚ doch – ganz abgesehen von dem Unsinnder äußeren Verstümmlung – der Sinn des Originalsatzes(S. 3, Z. 23 ff) nicht wiederzuerkennen. Durch die Ver-kürzung des Zitats wird ein zynisches Behagen in das Be-kenntnis eingeschmuggelt, das man in ihm nicht findenwird, da die weggelassenen Worte „und nie genug gewürdig-ten“ ihm erst seinen vollen Ernst verschaffen.

Noch anschaulicher wird die Absicht, den herausge-rissenen Sätzen und Satzteilen den üblen Geschmack zugeben, den der berichtigte Artikel mit den Einleitungs-worten, Kraus mache „etliche, ihn ziemlich ausreichendcharakterisierende Angaben“ ihm nachsagt, in dem Zitat:und zwar „ohne zwingenden Grund“ des Glaubens oder desGeschäftes. Wiewohl die letzten Worte nicht innerhalb derAnführungszeichen untergebracht sind, so ist es doch ein-leuchtend, daß das den Autor ziemlich ausreichendcharakterisierende Geständnis wiedergegeben werden soll,daß er ernsthaft Glauben „oder Geschäft“ für zwingendeGründe halte, die Religion zu wechseln. Das gerade Gegen-teil erweist sich, wenn man den Originalsatz (S. 3, Z. 26 ff)betrachtet, in dem ganz eindringlich die Ansicht desVerfassers zum Ausdruck kommt, daß das Motiv des

politischen oder socialen Strebens“, das er die „ Konversi-on eines Geschäftes“ nennt, die er als das „häufigereMotiv“ und als das schimpfliche ablehnt, nicht nur dasseine nicht gewesen sei, sondern das seine nicht seinkönne. Er selbst zitiert solches Motiv als gemein-hin zwingenden Grund im abfälligen Sinne, und der zitieren-de Artikel der „Reichspost“ zitiert ihn dabei so, als ober es als ein mögliches, ja auch ihn selber sonst zwingen-des Motiv betrachten würde, aber eben die Frivolität be-sessen hätte, nicht einmal ein solches Motiv für seinenÜbertritt gehabt zu haben, das er selbst doch gleichsamgrundsätzlich als zwingend anerkennt.

Ganz ebenso relevant ist die nun folgende Entstellungdurch das eingefügte Wort „also“‚ das den Eindruck erweckenmuß‚ als ob der Verfasser im Plauderton erzählen wollte,er sei „also Katholik“ geworden, während die weggelassenenWorte „wie dem immer sei“ (S. 4, Z. 1 ff.) ganz deutlich be-sagen, daß hier der Schluß einer ernsthaften Selbstbe-schuldigung gezogen wird.

Die nun folgende Verkürzung macht den polemischenWitz: „sondern hauptsächlich aus Antisemitismus“ zu einerschnodderigen Pointe und indem sie die voraufgehendenvorausgehenden Worte unterschlägt: „nicht nur aus Gründen einer Mensch-lichkeit, die bei den Hirten in so schlechter Obhut ist(S. 5, Z. 5 ff.), nimmt sie dem Bekenntnis des Austrittesnicht allein einen gewichtigen Beweggrund, sondern auchalle Ernsthaftigkeit.

Mit dem Satz von dem „Bannstrahl“, in welchem etwasweggelassen ist, was ihm erst das Fundament seines anklä-gerischen Sinnes verleiht, nämlich sowohl das geringeOpfer, das dieser Bannstrahl gekostet hätte, wie vor allemdessen Berechtigung, wird dem Aufsatz an jener Stelle(S. 4, Z. 19 ff.) eine Zeitungsphrase unterschoben. Es ist

ganz unmöglich, daß der Satz dort ohne eine weitereCharakterisierungder Dynasten“ ab-schließen konnte. Der Relativsatz „die Kraus für dieUrheber des Weltkriegsunglücks hält“ zitiert wohl eineschon bekannte Auffassung der Fackel, gibt aber nicht zuerkennen, daß an jener Stelle eben die Tätigkeit derDynasten beschrieben war, die den Bannstrahlerfordert hätte, nämlich daß sie „den Völkern das Ultimatum der Pestund der Syphilis überbracht haben“. Die „Reichspost“ magBedenken tragen, eine solche Charakterisierung der Dynas-ten auch nur zu zitieren, sie muß es aber wohl oder übeltun, wenn sie den Autor zitieren will, der auf Grund sol-cher Charakterisierung jenen Bannstrahl vermißt, den dieReichspost“ doch als eine ihr offenbar übertriebenscheinende Forderung zitieren will. Sie muß überhaupt voll-ständig zitieren, und eine etwaige Berufung darauf, daßsie von den Dynasten eine Kränkung abhalten wollte, fürdie ja der zitierte Autor verantwortlich ist, dürfte ihrweder vor dem Weltgericht noch vor einem solchen der Re-publik hingehen, ebensowenig wie etwa die über den Welt-krieg hinaus durchgehaltene Scheu, das Wort „Syphilis“zu drucken. Jenen Dynasten gegenüber als Objekten histori-scher Kritik dürfte wohl das Moment der Beleidigung imallgemeinen wie der Ehrfurchtverletzung im besondern sowenig in Frage kommen wie etwa gegenüber dem Nero, der jaauch ein verstorbenes Mitglied eines Kaiserhauses ist.

Mit Rücksicht auf eine juridische Materie, derenBesonderheit und Schwierigkeit eine Klarlegung durch münd-liches Vorbringen kaum ermöglichen würde, war der Berich-tigungswerber bemüht, schon in der Klage zu jedem einzel-nen Punkt mit aller Eindringlichkeit Stelllung zu nehmen.Wenn es noch einer Bekräftigung der prinzipiellen Wich-tigkeit des Falles bedürfte und der im Wesen der

schriftstellerischen Existenz beruhenden Notwendigkeit,daß die literarische Leistung nicht nur als geistigesund materielles Gut durch das Autorrecht, sondern auch alsein Teil der Tatsachenwelt durch das Berichtigungsrechtgeschützt sei, so kann auf ein Wort Schopen-hauers verwiesen werden, durch das wohl in exemplar-ischer Art die Wesentlichkeit dieses Interesses anerkannterscheint. Schopenhauers Motto zu der „Preisschrift überdie Grundlage der Moral, nicht gekrönt von der königlich dänischenSozietät der Wissenschaften“ war der Satz:Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer.“ Indem „Judicium regiae Danicae Scientiarum Societatis“ (dasdem Druck der Preisschrift angehängt ist) er-schien dieses Motto wie folgt zitiert: „Moral predigen istleicht, Moral begründen ist schwer.“ Die „Reichsposthätte wohl, wenn sie derart zitiert hätte, einer Berich-tigung mit dem Einwand sich geweigert, daß sie ja dochdie Meinung des Autors richtig wiedergegeben habe und daßes auf das Wörtchen „ist“ als einen unerheblichen Unter-schied schon nicht ankommen werde. Schopenhauer aber machtzu jenem Judicium die Anmerkung: „Dieses zwei-te ‚ist‘ hat die Akademie auseigenen Mitteln hinzugefügt,um einen Beleg zu liefern zurLehre des Longinus, daß mandurch Hinzufügung oder Wegnah-me einer Silbe die ganze Ener-gie einer Sentenz vernichtenkann .“ Angesichts der Energie dieser Sentenz,die durchgreifend dartut, worauf es in der Literatur undworauf es dem Schriftsteller ankommt, wäre es überflüssig,auch noch auf Schopenhauers bekanntere Flüche gegen dieVerstümmler seines Wortes und des Wortes im allgemeinen

hinzuweisen, mit denen er sowohl jene Journalisten ge-troffen hat, die an der Herabsetzung des SprachniveausSchuld tragen, wie jene künftigen Herausgeber, die seineSprache auf jenes Niveau herabsetzen.

Ebenso bedenkenlos und ebenso bedenklich wie dieReichspost“ mit dem Aufsatz, den sie zitieren wollte,verfahren ist, erscheint demnach in allen Punkten dieVerweigerung der Aufnahme der ihr zugesandten Berichti-gung. Bliebe nur noch der letzte Passus zu erörtern,dessen Tatsächlichkeit allerdings nicht der stilistischenMaterie zugehört, sondern der Materie der Meinung. Vorwegsei festgestellt, daß hier eine Verwechslung der „Meinung“als der Art des Vorbringens, also einer solchen„Meinung“, die nach § 23 sicherlich nicht berichtigt wer-den kann, mit dem Stoff des Vorbringens platzgreifenkönnte und aller Voraussicht nach auch der Verteidigungzugrundeliegen wird. Die „Reichspost“ sagt, daß aus demAufsatz nicht hervorgehe, ob dessen Verfasser zu einerandern Konfession, zur Konfessionslosigkeit oder wiederzum Judentum übergehen werde, aber „eifrige Anlehnungenin einem anderen Aufsatz der ‚Fackel‘ an Theodor Herzls Tagebuch machen den Fall 3 zur Wahrscheinlichkeit. EinKreislauf ist beendet.“ Der tatsächlichen Berichtigungdieses Satzes, der allerdings keine direkte Behauptungeiner Tatsache enthält, aber auf Grund einer deutlichunterschobenen Tatsache eine satirischeMeinung vorbringt‚ wird entgegengehalten werden, daß maneine solche nicht berichtigen kann. Dies würde aber einegeradezu beispielhafte Verwechslung sein jener Meinung,die hier im Wege der Konklusion vorgebracht wird und dieallerdings vom § 23 nicht erreichbar wäre, mit demMeinungsstoff des Vorbringens, der in seiner Tat-sächlichkeit, in seinem konkreten Vorhandensein einfach

nicht zu übersehen ist. Gewiß, wer würde leugnen, daß dieBehauptung „eifriger Anlehnungenan und fürsich nichts anderes als eine Ansicht, eine mehr oderminder ernsthafte Kritik ist, die man als solche nicht mitdem Berichtigungsparagraphen bestreiten kann. Wer würdedes weiteren verkennen, daß die Setzung des „Falles 3“als einer „Wahrscheinlichkeit“ an und für sich eine nicht berichtigbare Vermutung ist, zu der sie jaschon das Wort „Wahrscheinlichkeit“ macht, und einesatirisch gemeinte noch dazu. Nichts wäre jedoch verfehl-ter‚ als sich durch die der Urteilssphäre entnommenenWorte von der Tatsachensphäre, die ihnen in Wahrheitzugrundeliegt, ablenken zu lassen. Es ist sehr wohl zu be-achten, daß die Berichtigung sich weder darauf bezieht,daß in der Fackel eifrige Anlehnungen an Herzls Tagebuch enthalten oder daß ihre Anlehnungen eifrige sind, nochdarauf, daß der Fall 3 nicht wahrscheinlich ist. Sondernwas berichtigt wird, ist ausschließlich der tatsächliche Zusammenhang, inden diese beiden Meinungselemente unverkennbar gestelltsind. In dem Artikel wird für jeden Leser, der den zitier-ten Aufsatz nicht kennt, die Tatsache unter-schoben, daß der Verfasser‚ der in demselben Heftsich von der katholischen Religion abwendet, ein jüdisch-nationales Buch aus konfessionellen Motiven – für seine soeben ausgesprochene Ansicht – heran-zieht. Es wird mit keinem Wort dem Leser gesagt, aus wieganz anders gearteten Motiven diese Heranziehung erfolgt,nämlich daß sie (S. 77–81) zum Beweise der Korruption jenerNeuen Freien Presse erfolgt, die erst durch ein InseratTheodor Herzls zu einer Beachtung der zionistischen Sachezu bewegen war und sich hinterdrein auf dessen Hochschät-zung berufen möchte. Jeder Leser der Reichspost muß glauben,

daß die Tatsache gesetzt ist, in derFackel sei Herzls Tagebuch aus einer Sympathie für diejüdische Sache zitiert, aus der sich eben die Wahrschein-lichkeit einer Rückkehr zum Judentum ergebe. Hinter dersatirischen Version steckt ganz gewiß für jeden, der denArtikel der „Reichspost“ gelesen hat, die Tatsache,daß es sich um Anlehnungen mit jüdischer Tendenz handle. Es ist klar, in welchem Falle die Behauptung „eifriger Anlehnungen“ dieAnsicht, die sie an und für sich schein-bar ist, auch wirklich wäre und keine Tatsachenbehauptungeinschlösse: nämlich dann, wenn tatsächlich Zitatezionistischer Tendenz in der Fackel erschienenwären. Das wird aber indirekt ganz deutlich behauptet,wenn von eifrigen Anlehnungen in diesem Zusammen-hang die Rede ist. Dies ist als Tatsache unterstellt, also indirekt behauptet, und dasGesetz gestattet zweifellos auch die Berichtigung solcherTatsachen. Ob es sich um eifrige Anlehnungen handelt, diedie Rückkehr zum Judentum wahrscheinlich machen, wäre –trotz der Meinungsfarbe der Worte – nur dann eineAnsichtssache, wenn solche Zitatetatsächlich vorlägen, wie sie eben nicht vorliegen, von denen aber jeder Leser des berichtigtenArtikels annehmen muß, daß sie vorliegen. Die Tatsache,die unterstellt, der Zusammenhang, der hergestellt wird,wären um nichts handgreiflicher, wenn die „Reichspoststatt von „eifrigen Anlehnungen“ von „Zitaten“ oder garvon „zionistischen Zitaten“ und statt von „Wahrscheinlich-keit“ von „Gewißheit“ gesprochen hätte, weil es eben garnicht auf diese Behauptungen als solche, die ja auchnicht berichtigt werden, ankommt, sondern lediglich aufdie als Grundlage der Meinung und Vermutung

gesetzte, unterstellte Tatsache. Indem einem Aufsatz war von dem Verlassen der katholischenReligion die Rede; in dem andern wird die von derNeuen Freien Presse behauptete Intransigenz in Gesinnungsfragendurch den Umstand ad absurdum geführt, daß es Herzl ge-lungen ist, sie auf dem Geldweg für eine ihr verhaßteSache zu interessieren: der Kronzeuge ihrer Unentwegtheitwird als Kronzeuge ihrer Zugänglichkeit ausgespielt. DerAutor beider Aufsätze hat ein Recht darauf, daß die abso-lute Nichtzusammengehörigkeit beider festgestellt werdegegen die Behauptung eines Zusammenhanges durch die Unter-stellung, daß der zweite zugunsten der zionistischen Sachegeschrieben sei, gleichsam als eine Fortsetzung des erstenBekenntnisses. Eine „Ansicht“ wäre die Bemerkung derReichspost“ erst für den, der wüßte, daß der Zusammen-hang zum Zwecke der sogenannten Satire erfunden ist, jederandere muß ihn als vorhanden annehmen und meinen, daß essich um Anlehnungen an die Tendenz des Tagebuchs handle, deren Bezeichnung als „eifrig“ schonauf Religionseifer und Renegatentum hinweist. Eine „Satire“ist wohl der Zusammenhang einer solchen Anlehnung mit derVermutung der Rückkehr zum alten Testament, aber dieTatsache, daß es sich um eine zionistische Anleh-nung handelt, ist die klare Grundlage dieserSatire. Kein Leser wird die Möglichkeit auch nur ahnenkönnen, daß von einem Inseratengeschäft der Neuen FreienPresse die Rede ist und daß ausschließlich dieser Tatsache zuliebe alle Exzerpte aus Herzls Tagebüchern erfolgt sind. Wie sollte er sich auch vorstellen, daßdamitein Kreislauf beendet“ sei? Der erscheintaber beendet, wenn dem Leser direkt oder indirekt mitge-teilt wird, daß jener dem Katholizismus Abtrünnige nun-mehr die zionistische Tendenz propagiere; wenn die

Vorstellung solchen Sachverhalts überdies durch den TitelEin Kreislauf“, der ja die Wiederkehr insJudentum förmlich ankündigt, dem Leser geradezu aufgedrängtwird. Die „Reichspost“ hätte bloß schreiben müssen: „An-lehnungen dieser Art“, um die falsche Tatsache, die siesuggerieren will, direkt zu behaupten. Nicht dieeifrigen Anlehnungen“ als solche, wohl aber die der vorgestellten Art enthalten die Tatsache,der als einer unwahren die wahre Tatsache entgegengestelltwerden kann: daß es sich um einen antikorruptionistischenAufsatz handelt, der ja ganz ebenso einem anderen Gebietentnommen sein könnte als einem, wo zufällig der Juden-punkt eine Rolle spielt. Wäre es nicht möglich, eine solcheTatsache im Wege des Gesetzes zu reklamieren, so bliebe,um aus der Sphäre einer konkreteren Stofflichkeit ein Bei-spiel zu holen, etwa der Fall der Berichtigung unzugänglich,daß einer schreibt, X., der erzählt hat, er habe sich vonseiner Frau scheiden lassen‚ wolle sich nun wohl mit eineranderen verheiraten: ein eifriges Gespräch – das sich inWahrheit um ein Theaterstück gedreht hat – mache diesenFall zur Wahrscheinlichkeit; ein Kreislauf ist beendet.Dagegen wäre es zweifellos eine nicht berichtigbare Satire,wenn einer vorbringen wollte, ein Journalist, der zufälligder katholischen Religion angehört, werde sich wahrschein-lich nie einer andern zuwenden, denn er mache unter jedebezahlte Notiz ein Kreuz – wiewohl er sich dadurchdoch gewiß nicht von Journalisten anderer Konfessionen unter-scheidet.

Jene Notiz aber, die die „Reichspost“ aus redaktio-nellem Ermessen gebracht hat, trägt Satz für Satz dasMerkmal einer Verleugnung der geistigen und stilistischenTatsächlichkeit, die die Aufsätze der Fackel enthalten.Durch die Vorlage dieser wird keineswegs der Versuch

gemacht, in einen Wahrheits-, respektive Unwahrheitsbeweiseinzugehen, den ja das Berichtigungsverfahren ausschließt.Sie ist aber unerläßlich zu dem Zweck, einerseits denfalschen Zitierungen gegenüber die Relevanz der in Fragekommenden Sachverhalte zu erweisen, anderseits, um dasWesen einer unterschobenen, indirekt behaupteten Tatsachezu verdeutlichen. Der Verfasser der in ihrem Wortlaut undSinn falsch wiedergegebenen Aufsätze glaubt ein Recht zuhaben, im Wege des Preßgesetzes eine Richtigstellung derentstellten Sätze und Gedanken zu erreichen, hält dieWeigerung des verantwortlichen Redakteurs der „Reichspostfür grundlos und beantragt, ihn gemäß § 24 zu verurteilen.