34.16 Urteil des Landesgerichts für Strafsachen I Wien (G.Z. Bl XIV 903/26, Vorsitz: Franz Haller)

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Datum: 26. Juli 1927
Stempel: Landesgericht für Strafsachen
Seite von 7

U IV 570/26Geschäftszahl Bl XIV 903/26

Im Namen der Republik!

Vor dem Landes-Gericht für Strafsachen Wien I alsBerufungsgericht hat gemäß der die Verhandlung anordnenden Verfügungvom 16. Februar 1927 am 30. Juni 1927 unterdem Vorsitz des Hofrates Hallerim Beisein des Hofrates Dr. Blaschkedes Hofrates Heidrich unddes Landes-Gerichtsrates Dr. Schima als Richterund des R.P. Grabner als Schriftführersdes Privatanklägers Karl Kraus n.e.dessen Vertreters Dr. Oskar Samekdes Angeklagten Anton Kuh unddes Verteidigers Dr. Heinrich Ornsteindie Verhandlung über die Berufung des Angeklagten punktoSchuld, Strafe, Nichtigkeit und des Privat-Anklä-gers punkte Strafegegen das Urteil des Straf-Bezirksgerichtes Wien Ivom 11. November 1926 Geschäftszahl U IV 570/26stattgefunden. Das Gericht hat über den Antrag des Angeklagtenauf Stattgebung seiner Berufung undüber den Antrag des Privat-Ankla-ge-Vertreters auf Zurückweisung dergegnerischen und Stattgebung der ei-genen Berufungam 30. Juni 1927 zu Recht erkannt:

I.) Die Berufung des AngeklagtenAnton Kuh punkto Schuld undNichtigkeit gegen das angefochteneUrteil wird in allen Teilen mitAusnahme des unter II.) ersicht-lichen Teiles als unbegründet zu-rückgewiesen. –

II.) Der Berufung des Angeklagtengegen das angefochtene Urteil imPunkte der Schuld wird hinsichtlichdes Passus der Anklagevon reinenHänden allein kann man nicht lebenFolge gegeben, das erstrichterliche Urteil abgeändert und der Angeklagte vonder Anklage, er habe am 25. Oktober 1925in Wien in einem Vortrage imKonzerthaussaal, mithin öffentlichdurch die Worte „von reinen Händenallein kann man nicht leben“ denPrivatankläger Karl Kraus demöffentlichen Spotte ausgesetzt und hie-durch die Uebertretung gegen dieSicherheit der Ehre nach § 491 St.G. be-begangen, gemäß § 259: 3 St.P.O. freigesprochen. –

III.) Der Berufung des Angeklagtengegen das angefochtene Urteil imPunkte der Strafe wird Folge ge-geben, das erstrichterliche Urteilim Ausspruch über die Strafe ab-geändert, der Angeklagte wirdnach § 493 St.G., unter Anwendungder §§ 266, 261 St.G. und § 265 St.P.O. zu einer Geldstrafe von 150 (hundert-

fünfzig) Schilling, im Nichteinbrin-gungsfalle zudrei (3) TagenArrest verurteilt. –

IV. Gemäß § 390 a St.P.O. wird der An-geklagte zum Ersatze der Kosten desBerufungsverfahrens verurteilt. –

Gründe:

Zu I.) Die Frage, ob die inkriminier-ten Beleidigungen als Verspottungenoder, wie der Angeklagte meint, alsSchmähungen anzusehen sein, kannnur im Zusammenhang und bei Über-prüfung der einzelnen Äußerungenihrem Wortlaute und Sinne nachbeantwortet werden. –

Auch das Berufungsgerichterachtete nun alle hier in Rede ste-henden Äußerungen als eineVerspottung im Sinn des § 491 St.G. und hat der Angeklagte selbst heutezugegeben, daß er durch den frag-lichen Vortrag eine herabsetzendeKritik des Privatanklägers, bezie-hungsweise seiner literarischenTätigkeit und seiner Tendenzen be-zweckt hat. – Was aber die einzelnenBeleidigungen anlangt, so gehtnicht nur aus dem Geständnis des

Angeklagten, sondern auch aus derTat selbst klar hervor, daß sie gegenden Privatankläger gerichtet wa-ren und daß dieser dem öffentli-chen Hohne preisgegeben werdensollte. Das Berufungsgericht erach-tet, daß durch die fraglichen Äußer-ungen des Angeklagten der Pri-vatankläger in einer Weise inder öffentlichen Meinung lächer-lich gemacht werden sollte, durchwelche eine Herabsetzung dessel-ben erfolgen sollte. Bei allen denhier in Rede stehenden Äußer-ungen liegt aber dieser Tatbestandso klar vor, daß eine Erörterungder einzelnen Äußerungen un-nötig erscheint. Was zum Beispieldie Äußerung „Itzigseuche“ an-belangt so geht hieraus, in Verbin-dung mit der vorliegenden Bro-schüre „Der Affe Zarathustras (Karl Kraus)“ welche, im wesent-lichen den fraglichen Vortrag zum Inhaltehat, hervor, daß der Angeklagtedamit den Privatankläger alsUrheber einer geistigen Seuchebezeichnet. Der vom Angeklagten geltend gemachte Nichtigkeits-grund nach § 281: 9 a St.P.O. wel-cher mit der Schuldfrage zusam-menfällt, liegt nicht vor.

Die Ansicht des Angeklagten, daßdie inkriminierten Äußerun-gen, nur als berechtigte Kritik,nicht aber als Ehrenbeleidigungenanzusehen seien, ist nach demInhalte dieser Äußerungen nichtzutreffend, da dieselben weitüber den Rahmen einer zulässi-gen Kritik hinausgegangensind. –

Zu II.): Die Äußerungvon reinen Händen allein kannman nicht leben“ kann jedochnicht als Verspottung (lächerlich ma-chen) angesehen werden, sondernerscheint als Schmähung im Sinnedes § 491 St.G. – Diesfalls verantwor-tet sich der Angeklagte dahin, daß erdamit den Privatankläger nichtschmähen wollte und auch nach demWortlaute dieser Äußerung nichtgeschmäht habe, zumal es selbstver-ständlich sei, daß jeder Schriftstellerreine Hände haben müsse. In dervorliegenden Broschüre erscheint derfragliche Passus in dem Zusammen-hang angeführt, daß nachdem einRuf von Seite der Zuhörer „Unbe-stechlichkeit“ fiel, der Angeklagte

sich äußerte: Da erinnere ich Sieals offenbar bester Hospitant derKarl Kraus-Schule an seinen Aus-spruch von dem Mann, der „davonlebt, daß er seine reinen Hände her-zeigt.“ In dieser Äußerung kannjedoch auch nicht als eine Schmähungerblickt werden, weil sie, auch nichtin ihrem Zusammenhang, derartbestimmt und deutlich abgegebenerscheint, um als Schmähung vonjedem unbefangenen Zuhörerangesehen zu werden. – Es wur-de deshalb in diesem Punkte derBerufung des Angeklagten Folgegegeben, weil das Gericht nichteinen sicheren Nachweis ei-nes Verschuldens für erbrachtansah. –

Zu III.): Der Berufung punkto Strafe wurde Folge ge-geben, weil bei Ausmessungder Strafe auch auf die Bestimmungdes § 265 St.P.O. Bedacht zu nehmenwar, da der Angeklagte mitdem Urteil vom 27. April 1926U I 286/25 des Strafbezirksgerich-tes I in Wien wegen Übertretung

nach § 496 St.G. zu 40 S. verurteiltwurde, da weiter als milderndauch der Umstand vorliegt, daß derAngeklagte vorher wegen Ehren-beleidigung noch nicht bestraft wurde,und gegen ihn sonst nur nochzwei geringfügige Vorstrafenvom Jahre 1911 und 1925 vorliegen. –

Zu IV.): Die Verurteilungzum Kostenersatz gründet sichauf die bezogene Gesetzesstelle. –Dem Angeklagten wurden keineKosten zugesprochen, weil er nurin einem einzigen Punktefreigesprochen wurde und hiebeikeine besonderen Kosten aufge-laufen sind. –

Wien, am 30. Juni 1927.

Franz Haller Pollak