68.19 Brief Justizrat Viktor Fraenkl an Samek
Materialitätstyp:
- Typoskript
Schreiberhände:
- Viktor Fraenkl, schwarze Tinte
Sender
Justizrat | Victor FraenklPotsdamer Strasse 86 b
Berlin W.57
Empfänger
An: Herrn Rechtsanwalt Dr. O. SamekSchottenring
Wien.
Sehr geehrter Herr College,
in der Privatklagesache Kraus gegen Kerr bestätige ich mit Dank denvorgestrigen Empfang des Materials.
Ich gestatte mir dazu Folgendes zu bemerken:Der gegnerische Schriftsatz spricht zwar von einer „sofortigen Er-widerung“, scheint mir aber nicht den § 199, sondern § 193 StGB., dervon der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ handelt, in Anspruchzu nehmen. Im übrigen ist § 199 dahin zu verstehen, dass ein zeit-liches „auf der Stelle“ vorliegen muss. Es ist aber nicht erforderlich,dass die Beleidigungen „Zug um Zug“ erfolgten. Der Umstand, dass dieBeleidigungen durch die Presse geschahen, steht der Anwendung des§ 199 grundsätzlich nicht entgegen.
Was den Ausschnitt aus dem Brief des Herrn Fischer anlangt, so ge-be ich zu bedenken, dass er formale Beleidigungen enthält. Es wärealso wohl empfehlenswert, sich erst der ausdrücklichen Zustimmungdes Herrn Fischer zu einer Verwertung vor Gericht zu versichern.
Es wäre mir lieb, von der „Rundfrage über Karl Kraus“ ein zwei-tes Stück zu erhalten, da ich das eine dem Gericht einreichen will.
Ich werde heute dem Gericht anzeigen, dass ich in etwa 10 Tageneinen Schriftsatz einsenden werde.
Mit kollegialem GrussIhrVictor Fraenkl
Kraus – Kerr28. Mai 1927