68.26 Schriftsatz [Erwiderung in der Privatklagsache Kraus –/– Kerr] (Justizrat Viktor Fraenkl an das Amtsgericht Charlottenburg, G.Z. 44 B. 222/27)

Schreiberhände:

  • Viktor Fraenkl, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 17. Juni 1927
Seite von 5

Amtsgericht Charlottenburg.

mit Abschrift

44.B.222.27.

In der Privatklagesache Kraus gegen Kerr wird auf den gegnerischenSchriftsatz vom 29. April 1927 Folgendes erwidert:

a) Ueber die Frage der von dem Angeklagten behaupteten „sofortigenErwiderung“ und über seine Inanspruchnahme des § 193 StGB. wird inder Hauptverhandlung das Erforderliche darzulegen sein.

b) Es ist richtig, dass in Heft 735 bis 742 vom Anfang Oktober 1926der Privatkläger sich mit dem Angeklagten beschäftigt hat. Dieserwill nun das Heft erst unmittelbar vor Veröffentlichung des Jess-ner-Artikels gelesen haben. Seine Behauptung kann indessen nichtals glaubhaft gelten. Vorher war in der„Fackel“ (April 1926) einAufsatz über ihn unter dem Titel „Kerr in Paris“ erschienen. Hierauferwiderte er in einem Artikel, aus dem ein Abdruck sich S. 78 der Ok-tobernummer der „Fackel“ befindet. Darin kündigt der Angeklagte einenAngriff gegen Kraus an. Dass dieser das nicht unbeachtet lassen würdekonnte und musste der Angeklagte wissen, und er wäre wahrlich dererste Publicist, der eine erwartete Polemik nicht sogleich nach Er-scheinen durchläse.

c) Der Angeklagte macht geltend, das Wort „Verleumder“ nicht im Sinnedes § 187 StGB., sondern lediglich als übliche Bezeichnung für bös-artige Beleidigung verwendet zu haben. Es geht aber nicht an, sei esdass man den Ausdruck im Sinne des Gesetzes, oder in einer üblichenBezeichnung gebraucht, das Merkmal „wider besseres Wissen“ aus demBegriffskomplex auszuschneiden. Dass jedoch die dem Angeklagten indem Aufsatz „Ein Friedmensch“ gemachten Vorwürfe nicht nur nichtwider besseres Wissen erhoben wurden, sondern wahre Tatsachen be-richten, ergiebt sich schon daraus, dass lediglich Zitate aus Schriftendes Angeklagten selbst zur Begründung herangezogen werden.

d) Zu dem, was der Angeklagte in III. der Klagebeant-

wortung über sich selbst vorbringt, sei zunächst Folgendes erklärt:Jeder Leser seines von ihm herangezogenen Artikels in der „NeuenDeutschen Rundschau“ und der in der „Fackel“ citierten „Gedichte“kann über den Karakter der Absicht, für sich durch die Weckung nati-onaler Gefühle Stimmung zu machen, nicht im Unklaren sein.

Eine Legitimation des Angeklagten zur Versöhnung der Nationen würdenur dann bestehen, wenn er in jener Zeit, unbeschadet der Stellung-nahme für sein Land, sich nicht derartig gegen die anderenNationen gestellt hätte.

Selbst wenn man bei ihrer Glorificierung des Krieges anderen Per-sönlichkeiten, z.B. Gerhart Hauptmann oder Dehmel, der im Gegensatzzum Angeklagten den Krieg in vorderster Linie mitgemacht hat, nochdie Unkenntnis der wahren Kriegsgründe und des verderblichen Ein-flusses der Presse zugute halten könnte, so ist dies gegenüber demAngeklagten schon wegen der Form seines Eintretens für das Völker-morden unmöglich; schon wegen dieser Form ist er als Kriegshetzer zubezeichnen. Die Ausdrucksweise eines Friedensfreundes ist selbst beistärkstem Einsatz für das eigne Volk in der von dem Angeklagten ge-übten Beschimpfung der anderen Länder undenkbar. Es sei vorläufig nurauf die in der „Fackel“ abgedruckten „Gedichte“ S. 81 „Das Rumänen-lied“, S. 82 „Der Russeneinfall“, S. 83 und S. 85 die beiden „Gedichte“aus dem „Tagebuch eines Hirnwesens“, S. 86 „Stallupönen“, S. 88 „ChronikS. 91 „Englischer Gefechtsbericht“ verwiesen. Der Versuch des Angeklag-ten, speziell die Reime aus dem „Tagebuch eines Hirnwesens“ als Ab-lehnung einer Stellungnahme für den Krieg zu bezeichnen, muss schondeshalb zurückgewiesen werden, weil er ja solche und noch viel üblere„Gedichte“ im damaligen sog. Roten Tag veröffentlicht hat, ohne einederartige Stellungnahme abzulehnen; im Gegenteil, er hat sie sogardurch die Erklärung des Pseudonym „Gottlieb“ als „dem Schlachten-Gotte lieb“ in ihrer Tendenz eindeutig als gottgefällig hingestellt.Und wenn sich der Angeklagte auch gegen eine Anzahl von Zeitungschlag-worten z.B. „Felonie des Zaren“ oder „Belgische Niedertracht“ in demKriegsbuch eines Hirnwesens“ wendet, so hat gerade er ähnliche Schlag-worte in den „Gedichten“ in noch krasserer Art gebraucht, und zwar vielspäter als im September 1914, wo solche Redewendungen noch eher auf dieersten Anstürme der Kriegsverwirrung zurückgeführt werden konnten.

Wenngleich also der Angeklagte die beiden „Gedichte“ in demKriegsbuch eines Hirnwesens“ mit der Bemerkung „es geht nichtversieht, so zeigt er doch durch ihre und vieler anderer Veröf-fentlichung, dass es doch gegangen ist. Er giebt ja zu, eineAnzahl „Kriegsgedichte“ publiciert zu haben. Da er weiter ein-räumt, er habe nur die „Gedichte“ in die Sammlungen aufgenommen,die geeignet erschienen seien, so anerkennt er den Standpunkt,dass er eine Anzahl geschrieben habe, die bei der Ueberprüfungnach seiner eignen Meinung seinem nachträglichen Standpunkt zumKrieg zu widersprechen schienen. Er hat von sicher mehr als hundertzwei oder drei seiner Sammlung einverleibt, die überwiegende Mehr-zahl also abgelehnt. Selbstverständlich konnten diese letzteren nurdem Stil nach agnosciert werden, und es wäre immerhin nicht ganzausgeschlossen, dass eines der in der „Fackel“ wiedergegebenen„Gedichte“ von einem anderen, sich auch „Gottlieb“ nennenden Ver-fasser herrühre. Es ist dies indessen kaum wahrscheinlich, da derPrivatkläger die Agnoscierung teilweise schon vor längerer Zeitvorgenommen hat, insbesondere derjenigen „Gedichte“, die besondereWiderlichkeiten enthalten, ohne dass der Angeklagte berichtigt hät-te, er sei nicht der Autor. Ferner muss sich füglich jemand, der untereinem Sammelnamen publiciert, gefallen lassen, dass er mit den Arbeiten seiner Mit-schuldigen belastet wird, so lange er nicht eine reinliche Schei-dung vornimmt. Bei einer solchen würde aber der Angeklagte wohl amschlimmsten davonkommen, wie bereits die sicher zu agnoscierendenReime erweisen.

d) Im Hinblick auf den Inhalt des „Kriegsbuch eines Hirnwesenssei gefragt: Welche Berechtigung hat jemand gegen den KriegStellung zu nehmen, der seiner vom ihm behaupteten Vaterlandsliebemit den Worten Ausdruck verleiht „bis zum letzten Wurf Speichel“?Ist das Bekämpfung der Gegner oder nur Beschimpfung? Und wie dieFriedensanschauung des Angeklagten aussah, beweist schlagend Abs.25. Dort enthüllt sich der Friede des Herrn Kerr als eine Abrech-nung, ein dreissigjähriger Krieg im Frieden, der erst der Weltkriegsein wird.

e) Die in VI der Klagebeantwortung aus S. 77 Zeile 9 und 10 derFackel“ citierte Stelle ist sowohl dem Wortlaut nach als auchsachlich unrichtig wiedergegeben. Es steht dort nicht und läuftauch nicht dem Sinne nach darauf hinaus, dass dem Angeklagten vor-

geworfen werde, er habe den deutschen Botschafter nur deshalb zu denWertvollen“ gezählt, weil er von dessen Weinen getrunken habe. Viel-mehr soll der Stil des Angeklagten, der Hoesch als Künstler ansprechenwill und dies in der Weise tut, dass er von ihm aussagt, er fühle et-was von unseren (also Kerr’s) Saft in seinen Adern, gebührend gekenn-zeichnet werden.

f) Der Angeklagte behauptet, der Privatkläger habe gewusst, dass er,Herr Kerr, sich freiwillig zum Eintritt in den Heeresdienst gemeldethabe, aber abgelehnt worden sei. Nun schreibt der Angeklagte selbst imAbs. 9 des „Kriegsbuchs eines Hirnwesens“: „Als ich im zweiten Gesuchvon meiner mittleren Schiessfähigkeit sprechen will, im Kahn und imWalde zur Not bewährt, stockt etwas in mir; ich schreibe den Satz nichthin. Menschenköpfe. Setze dafür die Mitteilung, dass ich französischwie ein Franzose sprechen und schreiben kann.“ Dem Privatkläger wares wirklich bekannt, dass der Angeklagte sich als Dolmetscher gemeldet hat!! Eben das ist es, was ihm vorgeworfen wird: Dass er fürKrieg und Kriegstaten in der blutrünstigsten Ausdrucksweise eintritt,ohne sich selbst einer Gefahr auszusetzen!!!!

g) Es wird für die Hauptverhandlung der Antrag vorbehalten, noch andere„Kriegsgedichte“ des Angeklagten zur Verlesung zu bringen.

Ebenso wird vorbehalten, aus Aufsätzen und sonstigen Aeusserungen be-deutender deutscher Schriftsteller Urteile und Meinungen über den An-geklagten, die sich von der Auffassung des Privatklägers nicht unter-scheiden, vorzutragen und andererseits aus Artikeln anderer Männer dar-zutun, welches Ansehen der Privatkläger geniesst, der der Angeklagte einen „kleinen miessen Verleumder mit moraligem Kitschton“ zu nennenunternommen hat!

Justizrat.

2) Eine Abschrift an Gegner 3) am 22.8 S. 10 d4 S. 10 d15 17. Juni 27

Am 27.22. Juni 27