68.27 Schriftsatz und Widerklage in Sachen Kraus –/– Kerr (RA Wolfgang Heine und RA Alfred Karger an das Amtsgericht Charlottenburg, G.Z. 44 B. 222/27)

Materialitätstyp:

  • Typoskript
Datum: 23. Juni 1927
Seite von 6

BERLIN-CHARLOTTENBURG 2, DEN 23.6.1927.H/Be

SchriftsatzundWiderklagein SachenKraus ./.Kerr 44 B. 222/27.

An dasAmtsgericht,Charlottenburg.

I.

Auf den Schriftsatz des Privatklägers vom 17. Juni 1927 wird folgendes erwidert:

Zu b): Der Angeklagte hat in einemSchriftsatz dargelegt, dass er den Angriffdes Privatklägers auf ihn erst unmittelbar,bevor er selbst auf dessen Beleidigungen ant-wortete, kennen gelernt hat. Der gegnerischeSchriftsatz bestreitet dies mit der Begründung,dass Angeklagter einen Angriff des Privatklägers zu erwarten gehabt habe, somit schon früherdessen Artikel gelesen haben müsse. Dagegenist folgendes festzustellen:

Der Angeklagte hat (im „Berliner Tageblattin einem Aufsatz „Erinnerung an Paris“) beigelegentlicher Abwehr von unrichtigen Behaup-tungen des Privatklägers nicht einen sofortigen

Angriff“ in Aussicht gestellt – sondern die ziemlichallgemein gehaltene Aeusserung getan: „Man muss ihn wiedermal vornehmen.“ Der Angeklagte brauchte keineswegs zu ver-muten, dass der Privatkläger hierauf reagieren würde, ehenoch das „Vornehmen“ erfolgt wäre, welches ganz beiläufigohne Zeitangabe als etwas Angebrachtes bezeichnet wurde.Wenn der Privatkläger vom Angeklagten sagt, dieser „wärewahrlich der erste Publizist, der eine erwartete Polemiknicht sogleich nach Erscheinen durchläse“, so schliesster wohl von sich auf den Angeklagten. Bei diesem bestandkeinerlei Spannung auf das nächste Heft der „Fackel“,die er nicht zu lesen pflegt. Da nämlich der Privatkläger sich gewohnheitsmässig und dauernd in Angriffen betätigt,die von den Angegriffenen meist ignoriert werden, so ist beidenen, die diesen Zustand zu würdigen wissen, die Neugierauf das nächste Heft der „Fackel“ recht gering. Wahr ist(und der Angeklagte versichert es nochmals für seinen Fall),dass ein in Berlin durch eigne Arbeit stark beschäftigterMensch nicht einmal erfährt, wann die (unregelmässig er-scheinende!) „Fackel“ ein neues Heft herausgebracht hat.

Zu d): Tatsächlich unwahr ist die Behauptung desPrivatklägers, der Angeklagte habe seine „Stellungnahme …sogar durch die Erklärung des Pseudonyms ‚Gottlieb‘ als‚dem Schlachten – Gotte lieb‘ in ihrer Tendenz eindeutigals gottgefällig hingestellt“. Wahr ist vielmehr, dass dieseAeusserung aus der Feder des Privatklägers stammt, währenddieser sie fälschlich dem Angeklagten unterschiebt, dersie nie und nirgends getan hat.

Privatkläger hat kein Recht, die Gedichte des Ange-klagten als Kriegshetzerei deshalb zu bezeichnen, weil sienicht immer pathetisch, sondern häufiger derb-drastischsind. Die Satire war bei der damaligen Sachlage eines der

Mittel zur Abwehr.

Der Privatkläger zieht auch falsche Folgerungen aus derNichtaufnahme von Gedichten des Angeklagten in eine spätereSammlung. Denn erstens sind auch solche Gedichte, die vomPrivatkläger wegen ihres Inhalts getadelt werden, in einespätere Gedichtsammlung aufgenommen worden. Zweitenssind natürlich die meisten solcher Gedichte nur für einenbestimmten Augenblick aktuell. Drittens werden oft künstle-rische Bedenken gegen das aus dem Stegreif Geschaffenemassgebend.

Die Aeusserung des Angeklagten, nach dem Frieden werdeeine Abrechnung kommen, ein Dreissigjähriger Krieg imFrieden, bezog sich nach Wortlaut und Zusammenhang aufeine Abrechnung mit den am Kriege Schuldigen, nimmt alsoauch hier schon, im Kriege, gegen den Krieg Stellung.

Zu e): Privatkläger hatte geäussert, der Angeklagte hätte den deutschen Gesandten in Paris, Herrn v. Hoesch,für wertvoll erklärt, weil er von dessen Weinen zu trinkenbekäme. Unglaubhaft ist die jetzige Deutung, dass hiermitnur der „Stil“ des Angeklagten gekennzeichnet werden sollte.Vielmehr steht der beleidigende Satz des Privatklägers in einer Reihe mit den vorangegangenen Behauptungen desPrivatklägers, Angeklagter sei anderen Staatsmännern ausunsachlichen Beweggründen „hineingekrochen“.

Zu f): Der Privatkläger behauptet, Angeklagter habesich bei seiner freiwilligen Meldung nur als Dolmetscherangeboten. Der Privatkläger zitiert zur Begründung den Satz:

Als ich im zweiten Gesuch von kleiner mittlerenSchiessfähigkeit sprechen will, im Kahn und Waldezur Not bewährt, stockt etwas in mir; ichschreibe den Satz nicht hin. Menschenköpfe.Setze dafür die Mitteilung, dass ich französischwie ein Franzose sprechen und schreiben kann.

Dies bezog sich also auf die zweite freiwillige Meldungdes Angeklagten. Der Privatkläger wusste jedoch (aus dem-selben Aufsatz in der „Neuen Rundschau“) von der dorterwähnten ersten Meldung des Angeklagten und von ihremWortlaut:

Der Unterzeichnete meldet sich hiermit freiwilligzum Eintritt in das Heer. Er ist Landsturmmit Waffe, von Beruf Schriftsteller. Körperlichgewandt usw. Er möchte nicht bis zu seinemspäten Aufgebot warten – und bittet ihn anzu-nehmen.

In diesem ersten Gesuch meldet sich also Angeklagter bedingungslos zum Eintritt ins Heer als Soldat (wasschon die Worte „körperlich gewandt“ erweisen); nicht alsDolmetscher. Auch Dolmetscher sind übrigens gefährdet.Erst nachdem Angeklagter nicht als Soldat angenommen war,stellte er das zweite Gesuch. (die amtlichen Belege fürdie freiwillige Meldung werden dem Gericht überreichtwerden).

Zu g): Der Privatkläger behält sich nach seiner Erklä-rung vor, Gutachten gegen Angeklagten und für sich zuerbringen. Demgegenüber behält sich Angeklagter vor,Gutachten gegen Kraus, aber nicht für sich zu erbringen.

II.

Widerklage.

Wegen der vom Privatkläger gegen Kerr gebrauchtenAusdrücke, die vor Kerrs Erwiderung in der „Fackelstanden (Schamfreiheit. – Vergleich mit einem Pavian. –Vorkämpfer überalterter Schmierigkeit. – Brechreiz. –Jemandem hineinkriechen. – Lausi. – Häuferl Dreck. –Erwischter Schwindler. – An den Pranger gestellt. – FrecheFarce. – Begriffsmogler. – Ordinärheit. – Unflat. – Er habeKerr einen Tritt versetzt usw.) war eine Widerklage wegen

Eintritt der Pressverjährung nicht möglich.

Im jüngsten Heft der „Fackel“ vom Juni 1927, dasAngeklagter infolge des gegnerischen Schriftsatzes sichbeschafft hat, und das in Berlin durch die Post vertriebenwird, auch in verschiedenen Buchhandlungen zu kaufen ist,werden die Kritiken des Angeklagten als „Fürze“ bezeichnet(S. 49), er selbst in höhnischer Absicht als „MossesEintänzerich“ (S. 53). Wegen dieser zwei Aeusserungenwird hierdurch Strafantrag gestellt und Widerklageerhoben, mit der Anschuldigung,

dass Privatkläger den Angeklagten zuBerlin im Juni 1927 durch Verbreitung vonDruckschriften beleidigt hat. (Vergehen gegen§§ 185, 200 St.G.B.)

Es wird beantragt, das Hauptverfahren auf die Widerklage zueröffnen.

Die RechtsanwälteWolfgang Heine und Dr. A. Karger,durch:Wolfgang Heine Rechtsanwalt

KrausKerr 27. Juni 1927