76.7 Brief Verlag Die Fackel an Richard Flatter

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Kopie

Schreiberhände:

  • Bleistift

Sender

Hintere Zollamtsstraße
Wien
Datum: 3. November 1932

Empfänger

An: Herrn Dr. Richard Flatter
Mariahilferstr. 1B
Wien VI.
Seite von 9

Sehr geehrter Herr!

Auf Ihre freundliche Zuschrift vom 18. Oktober müssenwir mit dem besten Dank des Herrn Karl Kraus und mit seinem Be-dauern antworten, daß es Ihnen „in Shakespeare-Dingen“ nun schonzum dritten Mal widerfährt, „daß Sie auf ein an ihn gerichtetesSchreiben vom Verlag der Fackel die Antwort erhalten“. Sie habenganz recht, darin keine Unfreundlichkeit zu vermuten und anzuneh-men, daß Herr Karl Krausfür sein Verhalten sicherlich Gründehabe“. Ein solcher Grund liegt keineswegs in dem Mangel an jenerFähigkeit, die Sie sich zuschreiben und von der Sie als einer Ge-wohnheit Gebrauch machen: „jedem in die Augen zu schauen“; eherschon in der Eigenart, es in keinem einzelnen Fall zu wollen, wel-che ihm die Gewohnheit, allen auf einmal, also der ganzen Öffent-lichkeit und Gegenwart in die Augen zu schauen, erleichtert hat.Wir nehmen an, daß Ihnen diese Eigenart, bei der (auf Shakespea-risch) Mangel zum Heil wird, aus der Fackel bekannt ist, als derendankbaren Leser Sie sich bekennen und in der ja so häufig dasGenre eines Briefwechsels vertreten ist, bei dem sich der Heraus-geber hinter dem Verlag versteckt. Ob diese Methode der Darstel-lung oder Polemik einer anderen Qualität entstammt als jener, derSie den Genuß einer Sprachmeisterschaft und von sprachkritischenVergleichungen verdanken, die Sie als packend und aufwühlend emp-finden, muß Ihrer eigenen sprachkritischen Vergleichung überlassenbleiben. Uns bestätigt sich jedenfalls die erfreuliche Erfahrung,daß der einzelne an einer Gesamtleistung höchstens das als störendempfindet, was ihn selbst betrifft. Ganz besonders erscheint diesdurch den Verdruß bestätigt, der Ihnen daraus erwächst, daß HerrKarl Kraus, noch ohne Ahnung, daß Sie als Shakespeare-Übersetzerinzwischen Fortschritte gemacht haben, die „Gstanzeln“ über Siesogar bis in die letzte Zeit öffentlich vorgetragen“ habe, welcheSie beharrlich als „Beschimpfungen“ bezeichnen und welche doch

keiner andern Art Satire zugehören als jener, die Ihren Respektvor Geist und Sprachmeisterschaft genährt hat; es handelt sich dawohl um das „Gstanzel“ zu „Pariser Leben“, das, wenn irgendeines,nicht nur für das Genre, sondern für jegliche Art von Versbau,auch den von Shakespeare-Nachdichtungen, vorbildlich ist. Aber wiegesagt, offenbar verhält es sich so, daß die Anerkennung des Wer-kes der Fackel jeweils immer mit Ausschluss der Partie erfolgt, dieden Anerkennenden betrifft. Umso schöner freilich, wenn das „reinpersönliche Gefühl“, welches Sie offenherzig zugestehen, Sie nichtabhält, sich mit dem Tadler in jener Shakespeare-Verehrung verbun-den zu fühlen, der, wie Sie zu erkennen scheinen, eben der Tadelentsprungen ist. Und als Shakespeare-Verehrer wollten Sie demShakespeare-Verehrer eine Freude machen. Nichts liegt Herrn KarlKraus ferner, als Ihnen diese Absicht übelzunehmen und nicht im Ge-genteil für sie dankbar zu sein. Aber nichts liegt ihm auch ferner,als die Möglichkeit, von solchem Gefühl die Untersuchung beeinflus-sen zu lassen, ob es wirklich „nur zu einem geringen Teil Eigenessei, was Sie darboten, und ob die Bescheidenheit berechtigt ist,mit der Sie den Satz hinschreiben: „es ist ja Shakespeare, den ichIhnen schickte!“ Immerhin wäre ja möglich, daß man für die Absicht,einem Shakespeare zu schicken, dankbar bleibt, aber eine Ausführungübel nimmt, die erkennen läßt, daß es doch mehr Eigenes vom Über-setzer war. Darauf wollen wir noch zu sprechen kommen.

Völlig unverständlich ist Herrn Karl Kraus, warum Siesich die Mühe nehmen, ihm klarzulegen, Sie hätten ihn nicht zueiner Revision seines Tadels Ihrer „Maß für Maß“-Übersetzung „odergar zu einer öffentlichen Widerrufung“ veranlassen wollen, und daßes „unsinnig wäre“, Ihre Übersetzung „nachträglich bloß deshalb fürgut zu halten“, weil Sie inzwischen als Übersetzer Fortschritte ge-macht hätten. Wie konnten Sie aber auch einen solchen Unsinn ausunserer Antwort herauslesen? Wir haben sehr wohl verstanden, daßnicht das Urteil über die eine Verdeutschung“ umgestürzt werdensollte, sondern das „über Ihre Übersetzerfähigkeiten überhaupt“.Gerade darauf hat sich völlig logisch unsere Antwort bezogen; unterRevision oder Zurückziehung des Urteils“ war selbstverständlich

die des Urteils über den Übersetzer, nicht die des Urteils über dieÜbersetzung gemeint. Die andere Deutung ist so absurd, daß es dochwohl nicht des Aufwandes jener Analogie mit dem „Maler“ bedurfthat, auf dessen späteres Werk man nicht „unrevidiert“ den Tadel desJugendwerkes übertragen dürfe. Das ist so einleuchtend, daß Sieauch den Fall des Malers mit dem des Übersetzers illustrierenkönnten. Es handelt sich eben um „Revision“, die sich auf dieFähigkeit beziehen soll und die durch ein neues Werk ermöglichtwird, und wir haben nichts anderes gemeint, als daß eine solche Re-vision nur öffentlich, aus eigenem Antrieb und fern der Anregungdes Revidierten erfolgen könnte, wenn ihre Grundlage erkannt,nämlich die Verwandlung des Saulus in den Paulus vollzogen wäre. Esist durchaus erfreulich, daß Sie die kühne Metapher nunmehr daraufeinschränken, daß Sie ihr eigener Paulus geworden und „als Shake-speare-Übersetzer den Weg nach Damaskus gegangen“ seien. Daß Sieheute Ihren „Maß für Maß“-Text „verurteilen“, daß Sie ihn „keinerBühne überlassen oder gar zum Druck liefern würden“, macht IhnenEhre und ist geeignet, ein günstiges Vorurteil für die erstrebteRevision herzustellen; wir wollen nicht untersuchen, warum Sie nachAbstreifung der Schlacken die Empfindlichkeit bewahrt haben,es übelzunehmen, wenn ein anderer, der schon vorher Ihrefreundliche Ansicht gehabt hat, ihr auf seine Art und eben alsShakespeare-Verehrer in einem Zeitpunkt Ausdruck gab, wo ihm dieErkenntnis Ihrer Fortschritte noch nicht zuteil wurde. WenngleichSie heute in so anerkennenswerter Weise Ihren „Maß für Maß“-Textverleugnen, so sollten Sie doch nicht vergessen, daß Sie vor zweiJahren den Wortlaut einer seiner bedenklichsten Stellen in derNeuen Freien Presse reklamiert haben, und der Freimut, mit dem Siejetzt von der „von Ihnen selbst geteilten ‚Maß für Maß‘-Beurteilungsprechen, hätte doch wohl auch dem Beurteiler zu gestatten, daß erseine Meinung teilt.

Wie immer nun solche Menschlichkeiten in geistigem Gebietzu betrachten wären, klar und begreiflich ist Ihr Wunsch nach Revi-sion des Urteils. Diese hätte, an der Hand Ihrer Sonette-Verdeut-schungen, öffentlich, aber in einer Sie vielleicht doch nicht ganzbefriedigenden Weise erfolgen müssen. Es ist Ihnen, wie Sie schrei-ben, bekannt, daß die Fackel keine fremden Arbeiten aufnimmt. So

muß es Ihnen verständlich sein, daß von Ihrer Arbeit, die ge-wiß zu einer sprachkritischen Vergleichung anregen konnte und tat-sächlich zu einer Befassung mit der Groteske der George-Überset-zung angeregt hat, ein publizistischer Gebrauch nur im Zusammen-hang Ihrer Initiative und im Rahmen der mit ihr verknüpftenÄußerungen gemacht werden könnte. Wenn die Revision schon nichtfern der Anregung des Revidierten erfolgte, so müßte doch eben dieseveranschaulicht sein. Wir danken Ihnen für Ihre Genehmigung desAbdruckes der Sonette 81, 116 und 129, können von ihr aber keinenGebrauch machen, da Sie nunmehr Ihre Briefe als „privat gemeinterklären. Die urheberrechtliche Frage, ob Briefe innerhalb einerwissenschaftlichen Betrachtung, die von ihrem Anlaß ausgeht, ver-öffentlicht werden dürften, wollen wir offen lassen. Jedenfallssteht der Publikation Ihre Weigerung entgegen. Wir machen Ihnenaber kein Hehl daraus, daß unsere Antworten von solchem Hindernisunberührt bleiben, da Herr Karl Kraus in einer geistigen und öf-fentlichen Angelegenheit, wie sie die Übersetzung von Shakespeare-Sonetten ohne Zweifel vorstellt, die Institution von Privatbriefenjedenfalls solchen, die er selbst schreibt, nicht anerkennt. Erbetrachtet es durchaus als öffentliche Angelegenheit, daß sich ihmder getadelte oder wie Sie glauben beschimpfte Übersetzer von „Maßfür Maß“ mit dem offenbaren Verlangen nach Revision genähert hat,mag auch der Wunsch, ihm privat eine Freude zu bereiten, privatenDank verdienen. Es wäre ihm selbstverständlich niemals eingefallenauf eine Sendung von Shakespeare-Übersetzungen mit einem Privat-brief zu reagieren. Da schon dem Zuzug von Ansprüchen öffentlicher Artdurch eine Umschlagnotiz gewehrt werden muß, läßt ihm seineArbeit wahrlich keinen Raum zu privaten Äußerungen, und wenn ihnwelche Einsendung immer, deren Stoff nicht privater Natur ist, zueiner Befassung anregt – und solches könnte ja der Ihrigen nichtmehr abgesprochen werden –, so erklärt er sich auf nachträglichenWunsch des Einsenders keineswegs bereit, den Prozeß der Eindrucks-bildung und welche Produktion immer, die sich an den Anlaßknüpft und die eben häufig die Form eines Briefes annimmt, unge-schehen zu machen und als eine persönliche Angelegenheit des An-regers zu verwahren. (Es versteht sich also von selbst, daß einesolche auf Wunsch höchstens Ihre eigenen Zuschriften wären,

daß aber irgendein geistiges Diktat irgendeinmal die Antworten inden Rang einer öffentlichen Angelegenheit zu erheben vermöchte.) Indem Zusammenhang einer Veröffentlichung jener drei Sonette bestehteine solche Möglichkeit darum nicht, weil deren Abdruck ohne dieanschauliche Begründung durch Ihre Zuschriften nicht vorgenommenwerden kann. Wir möchten Ihnen auch aber bekennen, daß ein solcher sichin der weiteren Befassung mit den Georgeschen Übersetzungen alsüberflüssig herausgestellt hat (ganz wie der Einblick in die vonIhnen freundlichst angebotenen Exemplare von Gelbcke und Simrock,deren Wert im Vergleich mit Bodenstedt und anderen Herrn Kraus be-kannten Übersetzern keine besonderen Überraschungen bieten dürfte,wenn anders man nicht Lust hätte, der Verlockung zu erliegen, anjedes unzulängliche Gedicht eine sprachkritische Betrachtung zuwenden). Es handelt sich im gegebenen Falle nur noch und aus-schließlich um Herrn George, dessen Leistung ungleich wichtigerist als alle konventionellen Mittelmäßigkeiten.

Was nun Ihre eigenen Versuche anlangt, so bleibt nichtsübrig, als nun einmal, da die Veröffentlichung der drei Sonette aus triftigen Gründen unterbleiben muß, Ihrem begreiflichen Wunschenach Gerechtigkeit doch brieflich zu willfahren. Herr Karl Kraus möchte Ihnen zugeben, daß sowohl der Schluß Ihres Schreibens wieinsbesondere der beigelegte Essay die Erfassung des Problems tat-sächlich auf einer höheren Stufe zeigt, als es Ihre „Maß für Maß-Probe vermuten ließ. Aber gerade um dieses Verständnisses willenund wegen Ihrer Erkenntnis, daß bei den Sonetten die Aufgabe vorallem darin bestehen müsse, „ein Gedicht zu schaffen und nicht einmühselig dahinkriechendes Produkt eines anglistischen Seminars“,möchte er Ihnen dringend den Rat erteilen, die Übersetzung derSonette, falls Sie sie nicht schon beendet haben, ja wenn auch nurein einziges noch unübersetzt wäre, aufzugeben. Er fühlt sich zudiesem Rat vermöge der gemeinsamen Shakespeare-Verehrung, an dieSie appelliert haben, verpflichtet. Sie haben, wie er Ihnen gernzubilligt, kein armselig dahinkriechendes Produkt eines anglisti-schen Seminars hervorgebracht, aber noch weit weniger ein Gedicht.Ihre Übersetzungen sind ohne Zweifel äußerlich sauberer als mancheder ihm bekannten, aber Gedichte sind sie noch weniger als die von

Bodenstedt. Zu den drei Sonetten soll hier nur ganz beiläufig ge-sagt werden, was zu sagen ihr Abdruck erfordert hätte:

In 81 ist das Pathos der Verewigung auf die Klarstellungdes Unterschieds zwischen den Liebespartnern reduziert. „Das Grabim Aug der Welt“ ist die völlige Aufhebung des Vorzustellenden.Augen, die sich spät erst öffnen werden“ ist etwas ganz anderes alsdas Gemeinte. In 116 – mit der sämtlichen Versuchen gemeinsamenNüchternheit – ist die vergleichende Anschauung des Leuchtturms(2. Strophe) in pure Argumentation verwandelt und das Bild zum Orna-ment geworden. „ewig fest und fern“ klingt und reimt nur; die Fernehat aber mit der Vorstellung der Zuverlässigkeit nichts zu tun. DerEhebund“ (1. Strophe), der eine der Übersetzungsmöglichkeiten be-deutet, ist gerade die dem Gedanken ungemäße. „Hindern“ ist (wiebei Bodenstedt) kein dem „Bund“ gemäßer Begriff. In den Anfangsver-sen („Liebe ist nicht Liebe, die sich verwandelt, wenn sie Wandelfindet, und blieb’ sie auch allein, nicht trotzdem bliebe“), worinder Gedanke sonst glücklicher als bei Bodenstedt in dessen Reim ge-führt erscheint – da Ihr absolutes „bliebe“ stärker ist –, sindzwei relative Beziehungen – negativer Inhalt in positiver Aussage(Indikativ präsentis) und positiver Inhalt in negativer Aussage(Konjunktiv imperfecti) durch das gemeinsame „die“ und das koordi-nierende „und“ auf Linie gebracht, deren Bruch spürbar wird. In der 3. Strophe ist „bis zum Grab und Staub“ eine journalistischeBindung. (Einfach zu ändern: „bis zu“.) In der letzten Zeile kannMensch“ nicht in die Verssenkung kommen. 129: „Lust beim Werk“ istbedenklich. „Wild“ verträgt die Senkung nicht. Das „ausgelegteGift ist ein Nebengedanke im Original; in der Übersetzung ist dasAusgelegtsein kausal gesetzt, als ob Gift, das gegessen wird, nurdann toll machte, wenn es ausgelegt wurde, und dies, nachdem schonvom Genuß die Rede gewesen ist. In der dritten Strophe werden dieStadien des Vorher und Nachher rein argumentierend durch Gedanken-striche, wie durch Gesten in einem Plaidoyer, dargestellt. „Nachherein Traum“ ist völlig unmöglich. „Traum“ ist eine positive Vorstel-lung, die die Klimax der aufgezählten Schrecknisse allzu wohltuendabschließt; gemeint ist aber vom Traum das Nicht-mehr-Vorhandensein.Das alles weiß man, nur nicht, wie man flieht“ macht die Darstel-lung so plausibel, als ob es sich um eine Sittenpredigt handelte,an deren Inhalt der Sünder, der sie hält, nicht den geringstenAnteil hat.

Herr Karl Kraus könnte Ihnen zu jedem Ihrer Sonette ähnliche Einwände vorbringen: alle bedeuten eine (im Vergleichmit den Monstrositäten des Herrn George und den Plattheiten derandern) korrekte Ernüchterung des Erlebnisinhaltes, durchaus Ihrereigenen Einsicht widersprechend und vor allem dem Bemühen umsprachliche Erkenntnisse, das Ihrem Essay zugebilligt werden muß,so verfehlt auch hier manchmal die Praxis des Beispiels sein mag,das Sie der Erkenntnis auf dem Fuße folgen lassen. Ihre Ansicht,die in die Lücke nach Versfragmenten (4) Shakespeares Regieanwei-sung für Gebärden hineinlegt, erscheint Herrn Kraus als eine nichtuninteressante, aber falsche Deutung. Wenn eine Übersilbe (1), vonder wir nicht wissen können, ob sie wirklich im Original vorkam,einer Luftpause für „zorniges Atemholen“ zustatten kommen soll, sowäre zu sagen, daß bei Shakespeare hunderttausend Verse, die regel-mäßig sind, Raum für Mimisches enthalten. Es ist pure Fleißaufgabedie Unregelmäßigkeit als Intention (gleich in der 1. Zeile desOthello“!) mitzuübersetzen. In Beispiel 2) kommt Ihre ganz rich-tige Intention, Ihre ganz richtige Auffassung bei Baudessin und so-gar bei Gundolf weit eher zum Ausdruck als in Ihrer eigenen Über-setzung, in der keine Spur von „Schmollen“ vorhanden ist, sondernim Gegenteil der Hasser als solcher förmlich zur Verantwortung ge-zogen wird, besonders durch das Präsens „Du sagst mir“, das dochnicht der enttäuscht Schmollende, sondern ein aufbegehrend Debattie-render spricht. Sie „glauben, durch Tonfall und Rhythmus den innerenGehalt, wie er sich bei Shakespeare ergibt“, wiedergegeben zu ha-ben: das Gegenteil wird spürbar hörbar . 3) würde allerdings, wenn es mitder englischen Umgebung ganz und gar stimmt, eine gedanklich rechtinteressante Auffassung und Verbesserung darstellen. Ob in 5) derkindliche Ton der Desdemona bei Baudissin durch das dreimalige inicht zur Genüge herauskommt und ob Ihre ja gewiß charakterisieren-de Häufung der „7 u-Laute“ nicht karikaturhaft wirkt, bleibt dahin-gestellt.

Es würde zu weit führen, Ihr anerkennenswertes Wollenund schon durch das eine Beispiel dargetane Verständnis mit IhrerAuffassung von der Sprache als solcher zu konfrontieren, die Sie,

in geistig nicht ganz bewältigter Bildlichkeit, ein Gewand, fastschon die nackte Haut, ein Instrument, ein Vehikel etc. nennen.Aber ganz gewiß darf man das, was Sie richtig meinen und redlichanstreben, nicht mit Ihrer dichterischen Praxis konfrontieren,wenigstens nicht soweit sie in Ihren Sonetten zu Anschauung undAnhörung gelangt. Wenn Sie die Musikalität Shakespeares hervorhe-ben und darum Ihrer eigenen Musikalität die Befähigung zutrauen,ihn zu übersetzen, während „wer nicht Musik hat in sich selbst“ esnicht tun sollte, so ist nur erstaunlich, daß, wer sie in sichselbst hat, sie so wenig zur Geltung zu bringen vermag und es den-noch versucht. Wenn Sie Shakespearenicht nur inhaltlich übertra-gen“ wollen, sondern „darüber hinaus versuchen, sich bemühen, da-rum ringen, von der unvergleichlichen, ungeheuren rein sprachli-chen Ausdruckskraft Shakespeares wenigstens einen Teil ins Deut-sche herüberzuretten“ und „dies der Grund und die Absicht IhresÜbersetzens“ ist, so ist diese Absicht, dieser Drang ohne Zweifelaller Ehren wert. Aber gerade der musikalischen Ausdruckskraft,die doch vor allem aus den Sonetten herüberzuretten wäre, sind Siealles schuldig geblieben, und haben Ihrer eigenen, vielleicht zuspäten Einsicht, daß der Nachdichter ein Gedicht zu schaffen habeganz und gar entgegengehandelt. Ihre Absicht, Herrn Karl Kraus eine Freude zu machen, indem Sie ihm nur zu einem geringen TeilEigenes darbieten wollten, verdient seinen Dank; aber was Sie ihmgeschickt haben, ist nicht Shakespeare.

Dies muß Ihnen als die mit Recht begehrte Revision einesUrteils auf diesem Wege gesagt werden, nicht ohne die gerechteFeststellung, daß Ihre Versuche nebst der in manchem theoreti-schen Punkt bekundeten Einsicht Sie tatsächlich auf einem höherenNiveau der Shakespeare-Übersetzung zeigen als bei „Maß für Maß“,und daß diese Versuche bei aller Unzulänglichkeit im Dichterischendem Leser vom Inhalt des Originals weniger vorenthalten als mancheder vorhandenen Übersetzungen der Sonette. Diese Feststellung sollaber auch nicht ohne den Ausdruck der Hoffnung erfolgen, daß Sie,wenn Sie Ihre Einsicht noch strenger an sich selbst üben und ent-schlossen sind, die Liebe zum Original lieber in der Enthaltungals in der Bewältigung zu bewähren, einmal ein besseres Anrecht zudieser gewinnen werden.

Wir bitten Sie, mit dieser Erklärung und mit dem Dankfür Ihre Absicht und Anregung den Briefwechsel für abgeschlossenzu halten.

Mit vorzüglicher HochachtungVERLAG „DIE FACKEL“