112.7 Brief Verlag Die Fackel an RA Botho Laserstein

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Frieda Wacha, Bleistift
  • Frieda Wacha, schwarze Tinte

Sender

Verlag Die Fackel (Wien)
Hintere Zollamtsstraße
III., Landstraße
Datum: 16. November 1928

Empfänger

An: Herrn Dr. jur. Botho Laserstein
Landsberger Allee 55 I
Berlin N O 18
Seite von 5

Hochgeehrter Herr Doktor!

Mit dem besten Dank für Ihre freundliche Einsendung vom 10.November antworten wir: 1. Herr K., der Ihre Grüße herzlich erwidert, erin-nert sich wohl an die Bemerkung, die Sie im Künstlerzimmer gemacht haben,aber auch daran, daß davon die Rede war, durch die Erörterung könne diefeste juridische Grundlage des geschlossenen Inseratenvertrags nicht tan-giert werden. Ein juristisches Argument konnte ja auch der Hinweis desgegnerischen Anwaltes nicht bilden. Im Gegenteil ist doch gerade die Offen-heit und Öffentlichkeit der Erörterung der Inseratenfrage ein Beweis gegendie „Irreführung“ oder gegen die Annahme, daß „Treu und Glauben“ verletztworden sei. Falls Sie Berufung für geraten halten, kommt wohl dieses Argu-ment in Betracht. Auch ganz besonders, daß die seinerzeit erbetene Annoncedoch ein Heft betraf, das, wie auch aus der Einleitung der Notiz „Die fürmich geeignete Ware“ hervorgeht, eine Abrechnung mit demselben Mitarbeiter des Blattes betraf. Ganz lustig ist auch die Stelle in dem Bettelbrief, woder Auftrag „An jedes Büro“ erbeten wird. Am wichtigsten ist aber, daß ge-rade der öffentliche Vortrag (der vom Blatt inseriert wurde) der Beweis da-für ist, daß Treu und Glauben nicht verletzt wurde, während im Gegenteildie Geheimhaltung einer listigen Absicht auf Durchsetzung der Annoncegleichgekommen wäre. Wenn der Büroleiter gefragt hätte, was es für „Aktenseien, hätte man ihm doch ohneweiters Bescheid gegeben. Ihr Schriftsatz istin allen Teilen durchaus richtig. Es ist einfach ungeheuerlich, daß einInseratengeschäft, das noch nie die Ware selbst geprüft hat, ermächtigt wird,mißliebige Kunden selbst nach Vertragschließung abzuweisen, wo doch schondie vorherige Abweisung offenbar unerlaubt wäre. Unrichtig ist im Schrift-satz – was freilich heute irrelevant ist – nur die Erwiderung auf denPunkt des Geschworenenurteils. Das Stimmenverhältnis ist nicht geheim, unddie Verurteilung erfolgte (infolge totalen Nichtverständnisses der Materie)tatsächlich einstimmig. Die Lüge bestand nur in der Behauptung, das Urteil wäre gegen eine bewußte Wahrheitswidrigkeit, gegen eine „Verleumdung“ er-gangen.

2.) Der Ausschnitt wurde Ihnen von uns zugesandt, da er mögli-

cherweise im Wolff-Fall, in einem Zusammenhang mit den Pariser Renomma-gen des Kerr zu verwenden wäre. Unsere Frage, ob Sie den ersten Brief er-halten haben, ist noch nicht von Ihnen beantwortet worden; auch ob diezwei Telegramme eingelangt sind. Die Kopien der Wolff-Briefe treffenhoffentlich noch heute ein. Die drei Kopien sind soeben eingelangt.

3.) Herr Wolff scheint zu glauben, daß „Lüge“ so viel bedeutetwie Unwahrheit. Immerhin beschuldigt er aber den Sterbenden der Lüge alseiner bewußten Unwahrheit. Sehr drollig ist, daß der Herr Wolff die Ver-wendung der Lithfaßsäulen für eine unerlaubte Reklame hält, den Annoncen-teil seines Blattes jedoch, den er versperrt, für eine Gelegenheit zu er-laubter Reklame, d.h. wenn er sie erlaubt. Die Plakatierung einer Zeit-schrift mit einem Hymnus auf den Kerr würde er für keine unerlaubte Rekla-me halten. Die Idee, daß die bezahlte Verwendung eines legitimen Mittelsder Ankündigung der Beweis für „Reklamesucht“ sei, ist hirnrissig oder Ton-fallsschwindel. Von einem „Herumtragen lassen“ von Plakaten kann natürlichkeine Rede sein. Herr Wolff, der das Berliner Tageblatt doch sicherlichherumtragen läßt, scheint in jedem andern Fall etwas gegen die Errungen-schaft der freien Kolportage zu haben. „Hervorhebung von allerlei Schimpf-worten“ ist gleichfalls eine Unwahrheit. Das einzige war „Schuft“ unddies ist im vorliegenden Fall keines, sondern die Charakterisierung desDenunzianten (durch ein Zitat). Vielleicht hält er aber den Eigennamen indem Satz „Die Akten zum Fall Kerr“ für ein Schimpfwort. Der Feldzug gegenHerrn Kerr verdiente es durchaus, zur „Sensation“ zu werden, und es istnur traurig, daß man da durch Affichen noch nachhelfen muß.

Was der Wolff über den Vortrag sagt und durch einen Zeugen be-weisen lassen will, ist eine Unwahrheit. Es war nicht gesagt worden, derAngeschuldigte habe den Kerr unter der gewissen Bedingung verpflichtet,sondern bloß: daß diese Behauptung unwidersprochen geblieben sei. Das wargegen die Notiz „Verleumdungsparadies“ ausdrücklich auseinandergehalten. Die Stelle in dem Vortrag lautet wörtlich:

Ich weiß, daß es ein frecher Schwindel (des Kerr) ist, wenn vorden Lesern des Berliner Tageblatts so getan wird, als ob ich mir dieseWorte eines Sterbenden, das von ihm behauptete Faktum, unmittelbar zueigen gemacht hätte. Denn ich habe bloß darin die Schande erblickt, daßdie in der ‚Prager Presse‘ enthaltene Beschuldigung unwidersprochen geblie-ben ist. Dieser Umstand macht sie allerdings hinreichend glaubhaft, selbst

wenn es nicht die Worte eines Sterbenden wären, die als Lüge hinzustellenschon psychologisch schwer fiele. Was aber den Herrn Theodor Wolff anbelangt,so werde ich ihm geeigneten Ortes Gelegenheit bieten, zu beweisen, daß sieunwahr sind. Sollte ihm dies gelingen, so würde ihm immer noch der Beweismißlingen, daß ich gelogen habe, als ich behauptete, der Sterbende habejene Worte gesprochen.

Daß dem Herrn Wolff, der es „weit“ von sich weist, daß ungünsti-ge Kritiken, die einer seiner „Schöpfungen“ gelten, ihn zu Gehässigkeitengegen den Kritiker veranlassen könnten – daß ihm also die Kritik der Fackel aus dem Jahre 1899 erst jetzt bekannt geworden ist, ist so glaubhaft, wiedaß den Herren Kerr und Wolff die „Prager Presse“ nicht eher zu Gesichtkam. Eher möglich ist, daß Herr Wolff in den Jahrzehnten vergessen hat, waseigentlich sozusagen der Grundstein zu seiner Mißgunst war; aber nun wurdeer gewiß erinnert.

Vielleicht können Sie alle diese Gesichtspunkte für die Antwortverwenden.

Zu Ihrer frdl. Einsendung vom 13. Nov., für die wir gleichfallsbestens danken: Der Rat betr. Herrn Alsberg ist unverständlich. Solange wirdie Gründe, die Herr Dr. A. dafür angibt, nicht kennen, schließen wir unsselbstverständlich Ihrer Ansicht an, umsomehr, als wir doch wohl annehmenkönnen, daß Sie es nach wie vor für eine sichere und gar nicht kostspieligeAngelegenheit halten.

Das „Losschlagen in breitester Öffentlichkeit“ ist ja längst be-gonnen. Der Weg zur „Nachwelt“, auf den ja allerdings die gesamte Berliner Justiz zu verweisen scheint, würde aber unseres Erachtens kaum mit derDurchführung Ihres Vorschlags betreten werden können. Sie wollten in demvorgeschlagenen Titel wohl sagen: „In den Tumult gerufen“ und der Unter-titel hätte nicht „Du bist so schön“ zu lauten, sondern wieder: „… es wardoch so schön“. Das Motto wäre gewiß gut, aber nur in seinem zweiten Teil;mit der Bezeichnung „sadistisch“ wäre das Niveau der Kriegslyrik erhöht.Wir halten aber die Publikation des Herrn X. für unmöglich. Das Autorrechtwäre auch auf diesem Wege, auch im Falle der Gratisverbreitung, verletztund selbstverständlich würde die Klage gegen den eingebracht werden, dermit Recht als der X. vermutet wird.

Herr Dr. S. beschäftigt sich Ihrem Wunsch gemäß mit der Angelegenheit.Für heute nur so viel:

S. 8 des Urteils. Nie ist eine Ankündigung des Antragsgegners er-folgt, er werde die Werke des Antragstellers veröffentlichen, „um ihnlächerlich zu machen“; sondern um wahrheitsgetreu zu offenbaren, zu welchenLeistungen er im Gegensatz zu seiner heutigen Gesinnung damals fähig war.Hier hat das Gericht seine Interpretation in den Text des Antragsgegners

verwandelt. S. 10: „… in der gesagt ist, der Antragsgegner werde überdas Autorrecht des Antragstellers verfügen. Diese Wendung gibt klar dieAbsicht des Antragsgegners wieder, den Antragsteller durch Veröffentli-chung von Gedichten zu schädigen, um ihn lächerlich zu machen“. Hier istnicht nur falsch interpretiert, sondern auch der Text gefälscht. DieStelle lautet ganz anders und ist auf S. 4 richtig zitiert, freilich auchdort schon falsch herangezogen. Die Stelle lautet: „verfüge ich“ und be-zieht sich überhaupt nicht auf die Gedichte, sondern drückt aus, der Kerr sei in der Polemik schlechter dran, müsse den Kürzeren ziehen, weil HerrK.K. ihn, d.h. seine späteren polemischen Antworten bloß abzudruckenbraucht, um mit ihm fertig zu werden, genau wie er seine Schriftsätzebloß abzudrucken brauchte. Dieses Motiv ist stilgemäß die Wiederaufnahmeeines Motivs aus dem Anfang der Schrift „Der größte Schuft“. Dort undhier ist nur davon die Rede, daß Herr K.K. das Autorrecht des Kerr, dasdieser nicht ausübt, da er seine eigenen Schriftsätze nie abzudruckenwagte, nur verwenden muß, um Oberhand zu behalten. Ein altes Motiv ausdiesem Kampf, schon im Jahre 1911 gesetzt: nach Abdruck des Kerr-Angriffsim „Pan“ heißt es dort: „Es ist das Stärkste, was ich bisher gegen den K.unternommen habe“. Immer wieder steht das in der Fackel; immer wiederist gesagt, daß man seine Antworten bloß abzudrucken braucht. An jenerStelle ist an die Kriegsgedichte überhaupt nicht gedacht, geschweige dennder Plan ausgesprochen, sie abzudrucken. Es liegt das gröbste Mißverständ-nis vor, vielleicht ein absichtliches. In Ihrem vorzüglichen Gutachtenscheinen Sie selbst diesem Mißverständnis sich nicht entzogen zu haben(Punkt a von II). Wenn man dieses Argument im Hauptprozeß verwenden kann,ohne gegen das Urteil berufen zu müssen, so könnte man auf die Berufungverzichten.

In I ist nicht ganz verständlich, wieso die Beschwerung nureine unwesentliche ist. Ein Heft der Zeitschrift, die man in Österreichverbreitet und das Kriegsgedichte enthielte, kann man in Deutschlandnicht verbreiten. Die kostenlose Sammlung der Kriegsgedichte kommt ausden oben angegebenen Gründen wohl nicht in Betracht.

Den letzten Satz haben wir nicht ganz verstanden. („Sonst gäbees ja …“)

Die Rücksendung der frdl. übersandten Schriftstücke erfolgtheute oder morgen durch Dr. Samek.

Mit wiederholtem Dank zeichnen wirin vorzüglichster Hochachtung

P.S.In der Klage des Kerr S. 6 ist eine grobe Fälschung enthalten. Das ZitatS. 20 Juniheft enthält die Ankündigung des Drucks der Schriftsätze, nichtder Gottlieb-Gedichte. Der „stürmische Beifall“ folgte diesem Versprechen.