134.51 Urteil des Landesgerichts in Strafsachen I. Wien (G.Z. 15a Bl 132/31, Vorsitz: Adolf Neuwirth)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 21. März 1931
Stempel: Landesgericht für Strafsachen
Seite von 8

15 a Bl 132/314 U 114/30

Im Namen der Republik!

Vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien I als Berufungsgericht hat gemäss der die Verhandlunganordnenden Verfügung vom 11.2.1931, am 21. März1931 unter dem Vorsitze des Hofrates Neuwirth,im Beisein des Hofrates Heidrich, des Hofrates Dr.Zaczek und des Hofrates Dr. Demel als Richter unddes Justizsekretärs Hanak als Schriftführer, in Ge-genwart des Privatanklägers Dr. Paul Amadeus Pisk,dessen Vertreters Dr. Otto Pisk und des VerteidigersDr. Oskar Samek für den Angeklagten Karl Kraus,die Verhandlung über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und punkto Schuld und Strafe,gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes I inWien vom 4.12.1930, 4 U 114/30/18 stattgefunden.

Das Berufungsgericht hat über den Antrag desVerteidigers, auf Stattgebung der Berufung des An-geklagten, am 21. März 1931 zu Recht erkannt:

Die Berufung wird als unbegründet zurück-gewiesen.

Der Angeklagte hat nach § 390a STPO. demPrivatankläger die Kosten des Berufungsverfahrenszu ersetzen.

Der Urteilsspruch wird dahin richtiggestellt,dass die Zeihung verächtlicher Eigenschaften undGesinnungen durch auf den Privatankläger passendeKennzeichen erfolgte.

Gründe:

Die Berufung begründet die behauptete Nich-

tigkeit des Urteiles dadurch, dass der Antrag aufVerlesung der Manuskripte und der Vorträge zum Beweisdafür, dass in den unter Anklage gestellten Äusse-rungen nicht die von der Anklage behauptete Beziehungauf den Privatankläger zum Ausdruck kam, bezw. ver-meint war, als unbegründet abgewiesen wurde. Diesbe-züglich ist zunächst auf die zutreffende Urteilsbe-gründung zu verweisen, dass die Manuskripte keineverlässliche Unterlage dafür bieten können, dasssämtliche mündliche Aeusserungen des Beschuldigten in sie Aufnahme gefunden haben. Wenn der Angeklagte behauptet, dass es seine ausschliessliche Gepflogen-heit sei, sich beim mündlichen Vortrage gänzlich aufInhalt und Umfang des Manuskriptes zu beschränken,so liegt hierin lediglich eine persönliche Versiche-rung, welcher im Beweisverfahren keine Stütze zurSeite steht, und welche durch das Ergebnis dieses Be-weisverfahrens mit aller Entschiedenheit widerlegtwird. Es ist auch keine Gewähr dafür vorhanden, dassdie von dem Angeklagten behauptete Gepflogenheit,nur manuskriptsgetreu vorzutragen, durch die Wahr-nehmungen vom Zeugen mit Verlässlichkeit bestätigtwerden könnte. In diesem Belange erscheint auch dieVernehmung des Verteidigers des Angeklagten als Zeugenicht ausreichend, um die Zeugenaussagen, welche dasGegenteil dieser Verantwortung des Angeklagten zuerweisen, überzeugend zu widerlegen. Der behaupteteNichtigkeitsgrund nach 281, Z. 4 der STPO. kannmit Berechtigung geltend gemacht werden. Uebrigensist in diesem Zusammenhange auf die Verantwortungdes Angeklagten zu verweisen, nach welcher die in-kriminierten Angriffe nicht persönlich gegen denPrivatankläger, sondern gegen ein System auf Seite

der Arbeiterzeitung gerichtet waren. Hierin liegtein innerer Widerspruch. Das von dem Angeklagten vermeinte System kam ja durch die Tätigkeit desPrivatanklägers als Musikreferent dieser Zeitung in Ausübung. Es musste sohin durch diese Angriffeauch die Person des Privatankläger getroffen wer-den, und dies konnte nur geschehen mit Wissen undWillen des Privatanklägers. Bei dieser Verantwortungdes Angeklagten erscheinen die gestellten Anträgevon vornherein unerheblich.

Die unter dem Gesichtspunkte eines Nich-tigkeitsgrundes im Sinne des § 281, Z. 5 der STPO. gemachten Ausführungen der Berufung stellen ledig-lich eine unbegründete Bekämpfung der Beweiswürdi-gung durch den ersten Richter dar. Diesbezüglichist in der Schuldfrage auf die vollkommen zutreffen-den erstrichterlichen Feststellungen und die Ur-teilsgründe zu verweisen. Insbesondere muss daraufhingewiesen werden, dass bei dem Vorfalle vom 10.Juni 1929 durch die Verteilung von Exemplaren derArbeiterzeitung, welche den angegriffenen Aufsatz des Privatanklägers enthalten, den Anwesenden dieBeziehung auf den Privatankläger überaus deutlichwurde, auf welchen Umstand sich viele der vernomme-nen Zeugen berufen. Hiedurch wird auch die Beziehungauf den Privatankläger anlässlich des Vortrages vom7. Juni 1930 bestätigt.

Der Urteilsspruch enthält zwar nicht dieFeststellung, dass der Privatankläger durch auf ihnpassende Kennzeichen betroffen wurde. Mit dem Ur-teilsspruche bilden jedoch die Urteilsgründe einzusammenhängendes Ganzes, und es ist aus den Urteils-

gründen deutlich erkennbar, dass der Richter aufGrund der Zeugenaussagen und Umstände zu der Ueber-zeugung gelangte, dass der Angeklagte den Privatan-kläger durch auf ihn passende Kennzeichen der zumAusdrucke gebrachten verächtlichen Eigenschaftenund Gesinnungen zieh. Dies geht auch aus dem Wort-spiel mit dem Begriffe „Correpetite“ hervor, wel-ches gebraucht wurde, weil auf die Betätigung desPrivatanklägers als Correpetitor Bezug genommenwurde, und aus der Schmähung mit dem Ausdrucke„kümmerlicher Schönbergschüler“, welche gleich-falls für die persönliche Bezugnahme auf den Privat-ankläger spricht. Schliesslich spricht hiefür auchder eingetretene Erfolg, dass bei den meisten alsZeugen vernommenen Anwesenden unmittelbar klar ge-worden ist, dass nur der Privatankläger gemeint sei.Diesbezüglich wird auf die Aussagen der Zeugen FritzLöwy, Otto Silbermann, Johanna Schwarz,Dr. Angelo Gropper, Hertha Gropper,Grete Klopstock und Dr. Karl Jaray ver-wiesen. Nicht im Widerspruche mit dieser Tatsachesteht der Umstand, dass einzelne dieser Zeugen an-gaben, sie hätten alles gehört, wie es dann in derFackel“ gestanden ist, weil ja hiedurch nicht wi-derlegt ist, dass auch Redewendungen, die von denZeugen gehört und wiedergegeben wurden, wirklichmündlich gebraucht worden sind, weil dieselben indem später erschienenen Fackel-Aufsatze nicht ent-halten sind, denn sie konnten in diesem Aufsatze fortgelassen worden sein.

Das Berufungsgericht gelangte sohin zuder gleichen Ueberzeugung hinsichtlich des objektiven

Tatbestandes, wie sie der erste Richter bei derVerurteilung des Angeklagten gewann. Ein Anlasszur Bezweiflung der objektiven und subjektivenRichtigkeit der vor Gericht abgelegten Zeugenaussageeinschliesslich jener der Zeugen Otto Silber-mann und Hertha Gropper liegt nicht vor.Aussergerichtliche, mündliche oder schriftlicheMitteilungen von Zeugen, die zur Widerlegung ihrergerichtlichen Aussagen behauptet werden, erachtetdas Berufungsgericht gegenüber den strafprozess-ordnungsmässig festgestellten Depositionen derZeugen als entschieden unbeachtlich. Ein Grund zurAnnahme, dass die Zeugen vor Gericht eine falscheAussage ablegten, besteht nicht und hat auch derAngeklagte einen solchen Grund durch entscheidendeobjektive Umstände nicht unter Beweis gestellt.Seine diesbezügliche Behauptung entspringt als An-griff gegen die betreffenden Zeugen lediglich sei-ner Verantwortung und hat keine grössere Beweis-kraft als die einer Behauptung des zur Rede ge-stellten Beschuldigten.

Nach diesen Ausführungen erweisen sichauch die im Berufungsverfahren weiter geltend ge-machten Beweisanträge hinsichtlich des objektivenSachverhaltes als gänzlich unerheblich.

Die Verantwortung des Angeklagten willden Wahrheitsbeweis für die von ihm kritisierteHaltung des Privatanklägers, welche in der Kritikin erster Linie durch den Gebrauch des Ausdruckes„Schlieferl“ zur Geltung kommt, dadurch erbrin-gen, dass durch den Inhalt mehrerer Artikel derBerliner-Börsenzeitung“ und durch einen der„Arbeiterzeitung“ vom 12. November 1929, und durch

die Ausführungen des Angeklagten in seinem Artikel in der Oktobernummer der „Fackel“ betreffenddie „Wohnbaukantate“ und durch den Text diesersogenannten „Wohnbaukantate“ erbringen. Da dieserInhalt im bisherigen Beweisverfahren nicht bekanntwar, und der Angeklagte behauptet, dass aus diesemInhalte hervorgehe, dass Dr. Pisk als Musik-referent einer Parteizeitung sozialdemokratischerRichtung es nicht gescheut habe, auch als Mitar-beiter einer so ausgesprochen bürgerlichen Zeitung,wie es die „Berliner Börsezeitung“ ist, tätig zusein, und dass er in seinen Artikeln als Musikre-ferent je nach Beschaffenheit des einen oder desanderen Blattes widerstreitend parteimässig ein-gestellt war, ergibt sich allerdings die Stich-hältigkeit dieses Beweises, denn ein solches Ver-halten müsste verächtliche Eigenschaften und Ge-sinnungen auf Seite des Privatanklägers bekunden.

Das Berufungsgericht hat deshalb diesemBeweisantrage stattgegeben, und den Beweis durchVerlesung der einschlägigen Zeitungsartikel durch-geführt. Es muss aber auf den Inhalt dieser Zei-tungsartikel verwiesen werden, aus welchen hervor-geht, dass eine widerstreitende Einstellung desPrivatanklägers weder parteilich noch fachmännischin diesen Artikeln zum Ausdruck kommt, nicht ein-mal annähernd vermutet werden könnte. Die Betätigungdes Privatanklägers als Musikreferent bei partei-mässig verschieden eingestellten Zeitungen kannnach Ansicht des Berufungsgerichtes auch für ihnals Parteimann nicht als verächtlich bezeichnetwerden.

Inwieferne die Ausführungen der „Fackelnummerbetreffend die Dichtung „Die neue Stadt“ von JosefLuitpold und die Vertonung dieser nunmehr als„Wohnbaukantate“ bezeichneten Dichtung durch denPrivatankläger in gleicher Weise wie die Artikel derbeiden genannten Zeitungen eine Liebedienerei undeine verächtliche Stellungnahme als Musikreferent,welche als Tinterlpraktik bezeichnet wird, dartunsollten, ist überhaupt nicht zu verstehen. Wenn derPrivatankläger sich durch Vertonung einer Dichtung,welche die revolutionäre Gesinnung verherrlicht, be-tätigte, so hat er durch seine Aufsätze in der bür-gerlichen Zeitung (Berliner Börsezeitung) nach demInhalte derselben sich keineswegs mit seiner Mit-wirkung an der Bekundung revolutionärer Gesinnungin Gegensatz gestellt. Diese Artikel sind aus-schliesslich fachlich gehalten und geben mit keinemWorte zum Ausdruck, dass der Verfasser zum Nach-teile seiner sozialdemokratischen Gesinnung Kon-zessionen an die bürgerliche Gesinnung mache.

Der beantragte Wahrheitsbeweis muss als gänz-lich misslungen und das beanständete Verhalten desPrivatanklägers als einwandfrei bezeichnet werden.

Die Berufung wegen Nichtigkeit und wegendes Ausspruches über die Schuld erwies sich als un-begründet.

Unbegründet ist auch die Berufung wegendes Ausspruches über die Strafe. Diese ist nach § 493St.G. mit Arrest in der Dauer von

einer Woche bis zu drei Monaten

zu bemessen.

Erschwerend war der Rückfall

wegen Uebertretung der Ehrenbeleidigung, die Wieder-holung derselben an zwei verschiedenen Tagen, die Mehr-heit und Empfindlichkeit der gewählten Ausdrücke undder Umstand, dass der Privatankläger in der Ausübungseines Berufes getroffen werden sollte und wurde.

Mildernd ist ausschliesslich das Ge-ständnis des Tatsächlichen.

Da nicht mehrere und solche Milderungsumständevorliegen, welche geeignet sind, mit Grund die Besse-rung des Täters erachten zu lassen, war die Strafe imRahmen dieses Strafsatzes und nicht unter demselbenzu bemessen. Wenn der erste Richter über den Angeklagten lediglich das Mindestmass der angedrohten Freiheits-strafe verhängte, und diese Freiheitsstrafe übrigenszugunsten des Angeklagten noch in die der Vermögens-lage entsprechende Geldstrafe mit Rücksicht auf dasAusmass der Freiheitsstrafe umwandelte, kann gewissnicht behauptet werden, dass die Strafe ungebührlichzu strenge bemessen wurde.

Wien, am 21. März 1931Der Vorsitzende: Der Schriftführer [Unterschrift]