167.11 Berufungsschrift der beklagten Partei (an das Landesgericht für Z.R.S. Wien)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 26. Januar 1932
Stempel: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien
Seite von 12

Dr.S/Fa.G.Z. 16 Cg 552/31

An dasLandesgericht für ZRS.Wien.

Klagende Partei und Berufungsgegner: Lothar Rübelt,Photograph in Wien I., Wollzeile 14.vertreten durch:Dr. Ernst Uzel,RechtsanwaltWien I., Augustinerstrasse 12.

Beklagte Partei und Berufungswerber: Karl Kraus, Eigentümer, Herausgeber und verantwortlicherRedakteur der Zeitschrift „Die FackelWien III., Hintere Zollamtsstrasse Nr.3,durch:

Streitwert S 2.000.–2 fach1 Rubrik1 Beilage.

Berufungsschrift der beklagten Partei.

Gegen das Urteil des Landesgerichtes fürZ.R.S. in Wien vom 28. Dezember 1931 G.Z. 16 Cg 552/31/7 erhebeich durch meinen bereits ausgewiesenen Anwalt dieBerufung an das Oberlandesgericht in Wien.

Dieses Urteil wird seinem gesamten Inhaltenach angefochten.

Als Berufungsgrund wird unrichtige recht-liche Beurteilung der Streitsache geltend gemacht.

1.) Das Gericht erster Instanz ist derMeinung, dass die Einwendung im Hinblick auf § 228 ZPO. nichtgerechtfertigt ist, weil die gegenständliche Klage eine soge-nannte Negatorienklage darstelle, die an die besonderen Vor-aussetzungen des § 228 Z.P.O. nicht gebunden sei, und ohneRücksicht darauf bestehe, ob die Gefahr weiterer Eingriffeseitens des Beklagten vorhanden sei oder nicht. Im Uebrigenmüsse auch die Voraussetzung des § 228 ZPO. angesichts des be-haupteten Eingriffes in das Urheberrecht als gegeben angenommenwerden. Das Gericht erster Instanz verkennt vollständig dieFunktionen der Feststellungs- und der Negatorienklage. Wederdie eine noch die andere ist vom Gesetz dazu vorgesehen, einentheoretischen Rechtsfall zu entscheiden, sondern ein im Exekutions-weg durchzusetzendes Recht des Klägers entweder festzustellenoder zu begründen. Die Feststellungsklage hat lediglich denZweck, ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien so zu entscheiden,dass dadurch künftigen Leistungsansprüchen vorgearbeitet wird.Theoretische Rechtsgutachten zu geben ist das Gericht nicht be-rufen. Nun verlangt der Kläger in der vorliegenden Klage nichtsanderes, als dass der Beklagte sein Urheberrecht beziehungsweise

das Nichtbestehen eines Rechtes auf Veröffentlichung aner-kenne und jeden Eingriff in das Urheberrecht des Klägers unterlasse. Er verlangt weder die Herausgabe einer etwa er-folgten Bereicherung, noch irgendwelche andere ihm nach demUrheberrecht zustehenden Massnahmen. Wollt er erst in einemzweiten Prozess diese Massnahmen und die Herausgabe der Be-reicherung verlangen, so wäre dieser Prozess überflüssig,da er ja jetzt schon dieses Klagebegehren zu stellen in derLage gewesen wäre. Besteht aber ein solcher Bereicherungsan-spruch nicht und hat der Kläger keine wie immer geartetenInteressen an sonstigen Massnahmen, so hat er auch kein In-teresse an der Feststellung seines Urheberrechtes, die einerein theoretische Entscheidung einer Rechtsfrage wäre, nichtaber über einen Prozessanspruch, da sie weiter keine Konse-quenzen haben zu können. Ein solches Klagebegehren ist zurprozessualen Behandlung nicht geeignet und war daher abzuwei-sen.

Der zweite Teil des Klagebegehrens, jedenEingriff in das Urheberrecht des Klägers zu unterlassen, istnun allerdings unter Umständen ein Leistungsbegehren, jedochmuss auch dieses Leistungsbegehren einen Sinn haben, nämlichdie Möglichkeit eines weiteren Eingriffes in das Urheberrechtdes Klägers. Aehnliche Leistungsansprüche sind im Gesetz gegenden unlauteren Wettbewerb vorgesehen, und es geht die all-gemeine Praxis dahin, die Klage auf Unterlassung nur zuzulassen,wenn weitere Störungen zu befürchten sind. Auch der Kommentarvon Philipp Allfeld zum deutschen Urheberrecht, München 1928,2. Auflage, Seite 291 sagt: „Die Klage ist bei jeder Störungdes Rechts statthaft, soferne eine Fortsetzung oder Wieder-

holung der Störung zu besorgen ist.“ Diese einschränkendeRechtsauslegung ist unbedingt erforderlich, da sonst nichtabzusehen wäre, welche Prozesse da noch geführt werden könn-ten, wenn es, ohne dass ein weiterer Leistungsanspruch behaup-tet wird, dem Kläger freistünde, auf eine Unterlassung zuklagen, wo, wie im vorliegenden Fall, eine weitere Störungtechnisch unmöglich ist, da ja mit der Veröffentlichung dieetwaige Verletzung des Urheberrechtes vollständig abgeschlos-sen ist.

Besonders bedenklich ist aber die Ansichtdes Richters, dass angesichts des behaupteten Eingriffs in dasUrheberrecht die Voraussetzungen des § 228 ZPO. als gegeben an-genommen werden müssen. Das Gericht erster Instanz übersieht,dass die Voraussetzung des § 228 ZPO. die Notwendigkeit ist,dass jenes Rechtsverhältnis oder Recht „alsbald“ festgestelltwerde, was niemals der Fall sein kann, wenn die Leistungsklageselbst schon möglich ist.

2.) Das Gericht erster Instanz halt dieauf § 13 U.R.G. gestützte Einwendung für nicht stichhältig, ob-wohl es selbst der Ansicht ist, dass auch eine Reportageauf-nahme oder eine, zufällige Aufnahme als Photographieporträtanzusehen ist und auch solche Aufnahmen unter dem Schutz des§ 13, Absatz 2 URG. stehen. Es meint aber, dass von der Aus-übung des Inhaltes des Urheberrechtes der Schutz des Urheber-rechtes zu unterscheiden ist, und beruft sich hierbei aufeinen Satz im Seiler’schen Kommentar zum Urheberrecht, Seite52, der allerdings die Worte „Ausübung des Urheberrechtes“ ausdem § 45, Z. 3 U.R.G. erklärt als eine „unter das Urheberrechtfallende Verfügung.“ Das Gericht erster Instanz übersieht aber,

dass die Fortsetzung dieser Stelle im Seiler’schen Kommentar folgendermassen lautet: „Die Zustimmung des Porträtiertenist demnach zu jeder Verfügung erforderlich, die an sich inden Kreis der dem Urheber durch den § 35 vorbehaltenen Ver-fügungen gehört, mag im einzelnen Fall auch gar kein Urheber-recht an dem Porträt bestehen. Zu anderen Verfügungen ist da-gegen die Zustimmung des Porträtierten nicht erforderlich; ins-besondere kann ein schon einmal mit Zustimmung des Porträ-tierten öffentlich ausgestelltes Werk weiterhin ohne seineZustimmung öffentlich ausgestellt werden, da die deutlicheAusstellung nicht zu den dem Urheber ausschliesslich vorbe-haltenen Verfügungen gehört. …“ Es ergibt sich also, dasses auch die Ansicht Seiler’s ist, es könne ohne Zustimmung desPorträtierten der Hersteller des Photographieporträts keinUrheberrecht an der Photographie erwerben. Denn nach § 35 istdieses das ausschliessliche Recht, das Werk zu veröffentlichen,zu vervielfältigen, nachzubilden, durch mechanische oder opti-sche Einrichtungen gewerbsmässig vorzuführen und Vervielfälti-gungen (Nachbildungen) zu vertreiben. Wenn der Herstel-ler der Photographie aber keine Zustimmung des Porträtiertenhat, ist er zu keiner Verfügung berechtigt, die dem Urheberdurch den § 35 vorbehalten ist, er erlangt nicht das aus-schliessliche Recht und kann sohin einen anderen von der Ver-öffentlichung nicht ausschliessen. Er geniesst also den Schutzseines Urheberrechtes nur dann, wenn er die Zustimmung desPorträtierten erlangt hat, da nur diese ihm das ausschliess-liche Recht gibt. Dass das Gesetz den Inhalt des Urheberrechtesund den Schutz des Urheberrechtes getrennt behandelt, ist die

Folge des systematischen Aufbaus des Gesetzes. Immer bleibenaber sämtliche Bestimmungen von einander abhängig, was ja auchschon daraus hervorgeht, dass im Abschnitt über den Schutzdes Urheberrechtes immer wieder die Paragraphen zitiert werden,die den Inhalt des Urheberrechtes zum Gegenstand haben. DieUrheberrechtsklage, das Bestreben, jeden anderen von dem Ur-heberrecht auszuschliessen, ist also davon abhängig, dass einUrheberrecht überhaupt besteht und dieses ist nach dem Voran-geführten an die Zustimmung des Porträtierten gebunden.

Was mit dem vom Richter angeführten Bei-spiel, wie der Dargestellte das Urheberrecht illusorischmachen könne, bewiesen werden soll, ist nicht ganz klar. Wennder Hersteller des Photographieporträts sein Urheberrechtschützen will, so ist er eben auf die Zustimmung des Dargestell-ten angewiesen. Hat er diese Zustimmung, so ist er selbstver-ständlich auch berechtigt, unabhängig davon, ob das Porträtveröffentlicht worden ist oder nicht, sein Urheberrecht zuschützen, denn dann hat er eben das ausschliessliche Recht derVeröffentlichung. Hat er aber die Zustimmung der berechtigtenPersonen nicht, dann hat er auch kein ausschliessliches Rechtund geniesst keinen Urheberrechtsschutz. Warum der Gesetzesgeberdas nicht beabsichtigt haben soll, ist nicht einzusehen.

3.) Abgesehen von all dem Vorgebrachten,wurde auch die Rechtsfrage vom Gericht erster Instanz unrichtigentschieden, ob selbst bei bestehendem Urheberrecht, selbstwenn eine Zustimmung des Abgebildeten vorhanden gewesen wäre,nicht die Aufnahme des Photographieporträts in ‚Die Fackelberechtigt gewesen wäre. Der Beklagte hat sich auf die §§ 34Z. 1 und 4, und 25 Z. 2 U.R.G. berufen. Der Richter erster Instanzfand nach keinem Gesichtspunkt die Veröffentlichung des Beklag-

ten als berechtigt.

Der Richter erster Instanz sagt selbst, dassdie Gesetzesstelle des § 34 Z. 1 U.R.G., Anwendung zu findenhabe, wann ein neues Werk geschaffen wird, wobei eine schon be-stehende Photographie als Vorwurf dient oder ein Werk in Anlehnung an eine bestehende Photographie geschaffen wird. Ohneweitere Begründung meint er aber, das sei hier nicht der Fallund vom Beklagten auch gar nicht behauptet worden; die vomKläger verfertigte Photographie sei nicht Anlass beziehungsweise Vorbild für den Artikel gewesen. Es ist offensichtlich,dass der Artikel „Rothschild muss sich einschränken“ ein neuesWerk ist, da darin neue Gedanken zum Ausdruck gebracht wordensind. Es ist aber auch offensichtlich, dass zu diesem Artikeldie zitierten Zeitungsstellen und das Photographieporträt desabgebildeten Alfons Rothschild Anregung gewesen sind und dassdie Benützung eine „freie“ war. Es ist selbstverständlich nichtnotwendig, dass das Photographieporträt die ausschliessliche Anregung gegeben hat. Es genügt vollständig, wenn es eine unteranderen war, und schon damit ist die Anwendung des § 34 Z.1U.R.G. gegeben.

Zur Aufnahme des Photographieporträts inDie Fackel‘ war der Beklagte aber auch nach § 34 Z. 4 U.R.G. berechtigt, denn der Artikel „Rothschild muss sich einschrän-ken“ ist als ein Schriftwerk anzusehen, für dessen Erläuterungdas gegenständliche Photographieporträt vom wesentlichen Vor-teil und von Bedeutung ist. Dass das Schriftwerk die Hauptsachebildet, geht schon daraus hervor, dass der ganze Schwerpunktder Fackel im Literarischen liegt und nicht in den Abbildungen.Auch die von den Kommentaren gemachte Voraussetzung, es müsse

das Schriftwerk ein selbständiges sein, ist gegeben. Es waralso nur die Frage zu entscheiden, ob das Photographieporträtzur Erläuterung oder zur Verdeutlichung des Textes beigetragenhat. Wenn man nun in Betracht zieht, dass es sich im gegen-ständlichen Artikel um eine kritische Einstellung zu den inZeitungen und Zeitschriften vorgenommenen publizistischenErörterungen des Falles Rothschild handelt, dass in Zeitungendie Absurdität versucht wurde, für Rothschild’s VermögenslageMitleid zu erwecken, so muss man zugeben, dass dieses Photo-graphieporträt das eben nicht anders dem Leserkreis der Fackel zugänglich gemacht werden konnte als durch die Vervielfältigung,zur Erläuterung des Textes erforderlich war. Wenn der Richter erster Instanz der Ansicht ist, dass der in der Oeffentlichkeitzur Diskussion stehende Fall Rothschild mit der eigentümlichenHaltung bei dem Rennen, wo sein „Dagger“ nur „zweiter“ wurde,nichts zu tun habe, so missversteht er den Zusammenhang zwischenZeitungszitaten und Bildzitat, obwohl das Photographieporträtmitten drinnen in einem Zeitungszitat steht, wo immer von denFolgen für das Kulturbild der Stadt gesprochen wird, wennRothschild’s Rennstall nicht mehr die Hauptattraktion des WienerGaloppsportes ist. Gewiss lässt sich der Text auch ohne dasBild lesen und verstehen, aber es wäre nicht mehr derselbe Text,es wäre nicht mehr dasselbe Werk, wenn das Bild aus der Erläute-rung des Textes fehlte. Der Richter erster Instanz glaubt, essei unbedingt notwendig, dass eine Beschreibung des Bildes imText vorkommt, um die Aufnahme zu rechtfertigen, und übersiehtvollständig, dass es Wirkungen gibt, die viel stärker ohne vie-le Worte hervorgebracht werden können. Wer für satirische undkritische Wirkungen empfänglich ist, wird zugeben, dass deren

wesentlichster Teil verloren gegangen wäre, wenn das Bild indem Artikel nicht enthalten wäre.

Auch die Anwendung des § 35 Z. 2 U.R.G. hält der Erstrichter für ausgeschlossen, weil nach seiner An-sicht weder der klagsgegenständliche Artikel noch auch dieZeitschrift „Die Fackel“, auch angesichts des Umstandes, dasszum grössten Teil darin Zeitkritik geübt wird, als wissen-schaftliches Werk angesehen werden kann. Der Erstrichter er-sparte es sich allerdings, eine Unterscheidung zwischenliterarischen und wissenschaftlichen Werken zu geben, so dassman nicht überprüfen kann, warum er Kritik nicht als Wissen-schaft gelten lässt. Es ist aber nicht einzusehen, warum diekritische Darstellung einer vergangenen Zeit den Anspruch aufWissenschaftlichkeit erheben dürfte, die kritische Darstellungder Gegenwart aber nicht. Die Fackel verwendet, wie das vorge-legte Augustheft dartut, und wie auch die übrigen 32 Jahrgängezu erweisen imstande wären, ausschliesslich das in Zeitungen,Zeitschriften und Büchern gebrachte Nachrichtenmaterial zumGegenstand kritischer, also wissenschaftlicher Behandlung. Auchder gegenständliche Artikel ist ein solcher, dass er alskritisch, und daher als wissenschaftlich anzusehen ist. Dabeiist es gleichgiltig, ob es sich um 67 Zeilen oder um ein Buchvon ein paar hundert Seiten handelt. Der in dem Artikel behandelte Stoff erfordert eben nur 67 Zeilen, und bei der Be-urteilung, ob die Aufnahme in einem durch den Zweck gerechtfertigten Umfang in ein grösseres Ganzes erfolgte, ist nichtder Umfang an und für sich, sondern nur das Verhältnis des

Werkes zum Zitat entscheidend.

Dagegen ist der Ansicht des Erstrichters zuzustimmen, dass ihn eine im Jahre 1915 gefällte Entscheidungdes Obersten Gerichtshofes, selbst wenn sie einen ähnlichenoder gleichen Rechtsfall betrifft, nicht binde. Man möchte aberdann doch glauben, dass der Staatsbürger das Recht hat, sichgemäss einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu verhal-ten und nicht der Gefahr ausgesetzt sein kann, ein Unrecht zubegehen, wenn er sich so verhält. Nur wichtige Gründe konntenalso den Erstrichter davon abhalten in gleicher Weise wie derOberste Gerichtshof im Jahre 1915 zu entscheiden, und es wäre ge-wiss angemessen gewesen, sich mit dieser Entscheidung zu befas-sen, wenn man von ihr abweicht. Diese Entscheidung wäre für denErstrichter aber auch schon deshalb von Bedeutung gewesen und dieHerbeischaffung des Aktes am Platze, weil darin auch die Fragebehandelt wurde, ob die Fackel als ein wissenschaftliches Werkanzusehen sei oder nicht. Da ich annehme, dass das Gericht zwei-ter Instanz für diese Entscheidung doch einiges Interesse habenkönnte, obwohl selbstverständlich dadurch keine Bindung eintretenkönnte, lege ich der Einfachheit halber die Abschrift der Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofes und auch die interessantenBemerkungen des Professors Löffler aus der österreichischenRechtssprechung in Strafsachen 6. Band, Seite 263ff. vor.

Mit der Bitte um Anberaumung einer mündlichenBerufsverhandlung stelle ich den folgendenBerufungsantrag:das Urteil erster Instanz abzuändern und die Klage kostenpflich-tig abzuweisen.

Karl Kraus

An Kosten werden verzeichnet:./.

Berufungsschrift S 75.–10% Einheitssatz S 7.50S 82.5010% Krisenabschlag S 8.25S 74.252% W.U.St. S 1.49Stempel S 15.–S 90.74eine Beilage 1.–S 91.74

KrausRübelt25.1.1932.