167.15 Urteil des Oberlandesgerichts Wien (G.Z. 16 Cg 552/31, Vorsitz: Alfred Löw Richter: Josef Feuchtinger, Theodor Nordegg)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, roter Stift

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 2. März 1932
Stempel: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien
Seite von 10

16 Cg 552/3113

Im Namen der Republik!

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgerichthat durch den Vorsitzenden Rat des Oberlandesgerichtes alsVorsitzenden und die Räte des Oberlandesgerichtes Dr. Feuch-tinger und Dr. Nordegg als Richter in der Rechtssache desKlägers Lothar Rübelt, Photographen in Wien 1,Wollzeile 14, vertreten durch Dr. Otto Gustav Wächter, Rechts-anwalt in Wien, wider den Beklagten Karl Kraus, Eigen-tümer, Herausgeber und verantwortlicher Redakteur derZeitschrift „Die Fackel“ in Wien 3, Hintere Zollamt-strasse 3, vertreten durch Dr. Oskar Samek, Rechtsanwaltin Wien, wegen Verletzung des Urheberrechtes, infolgeBerufung des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichtesfür ZRS. Wien vom 28. Dezember 1931, GZ. 16 Cg 552/31 – 7,nach mündlicher Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

Es wird der Berufung Folge gegeben und das erstge-richtliche Urteil dahin abgeändert, dass das Klagebegehren,der Beklagte sei schuldig, das Urheberrecht des Klägers an der in der Zeitschrift „Die Fackel“ Nr. 857–863,August 1931, XXXIII. Jahr, auf Seite 106, erschienenen Photo-graphie mit der Unterschrift: Rothschild’s „Dagger“ –nur Zweiter! Photo Rübelt , bezw. das Nichtbestehen einesRechtes des Beklagten auf Veröffentlichung dieser Photo-graphiennachbildung anzuerkennen und jeden Eingriff in dasUrheberrecht des Klägers zu unterlassen, abgewiesen wird unddie klagende Partei schuldig ist, der beklagten Partei dieausschliesslich der Entscheidungsgebühre mit 184 S 25 g be-stimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Zwangsvollstreckungzu bezahlen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagtenPartei die ausschliesslich der Entscheidungsgebühr mit219 S 98 g bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens bin-nen 14 Tagen bei Zwangsvollstreckung zu ersetzen.

Der Kostenbestimmung erster und zweiter Instanzwurde ein Streitwert von 2000 S zugrundegelegt.

Der Wert des Streitgegenstandes übersteigt 1500 S.

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hat das erstgerichtliche Urteil, mitdem er schuldig erkannt wurde, das Urheberrecht desKlägers an der in der Zeitschrift „Die Fackel“Nr.857–863, August 1931, XXXIII. Jahr, auf Seite 106 er-schienenen Photographie mit der Unterschrift: Rothschild’s „Dagger“ – nur Zweiter! Photo Rübelt, und das Nichtbe-stehen eines Rechtes des Beklagten auf Veröffentlichungdieser Photographienachbildung anzuerkennen und jedenEingriff in das Urheberrecht des Klägers zu unterlassen,seinem ganzen Inhalte nach mit dem Berufungsgrundeder unrichtigen rechtlichen Beurteilung angefochten undden Berufungsantrag gestellt, das erstgerichtliche Urteilabzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen. DerKläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Der Berufungswerber wendet vor allem vom prozess-rechtlichen Standpunkte ein, die Klage wäre schon deshalbabzuweisen gewesen, weil dem Kläger jedes praktische In-teresse fehle, mit seinem Klagebegehren durchzudringen,dass der Beklagte das Urheberrecht des Klägers und dasNichtbestehen eines Rechtes des Beklagten auf Veröffent-lichung anerkenne und das Leistungsbegehren, der Beklagte habe jeden Eingriff in das Urheberrecht des Klägers zuunterlassen, keinen Sinn habe; denn die Handlung, be-stehend im Abdrucke des Bildes in der Zeitschrift „DieFackel“ sei längst abgeschlossen; es bestehe nicht die

Möglichkeit, das Bild ein zweites Mal zu verwenden, undder Kläger habe auch nicht behauptet, dass diese Absichtbestehe.

Wie das Klagebegehren erkennen lässt, liegt nichteine Feststellungsklage im Sinne des § 228 ZPO. vor, diejedem zusteht, der ein rechtliches Interesse an der als-baldigen Feststellung eines Rechtes oder Rechtsverhältnis-ses hat, sondern, wie der Erstrichter schon betont hat,eine Klage nach § 54 Urheberrechtsgesetz, die dem in seinemUrheberrechte Verletzten zusteht. Es wird nicht die Fest-stellung gegenüber dem Beklagten verlangt, dass dem Kläger das Recht zusteht, an dem Bilde das Urheberrecht überhauptoder eine bestimmte urheberrechtliche Befugnis auszuüben,und dem Beklagten dieses Recht nicht zusteht, sondern eswird die Anerkennung des Rechtes des Klägers, die Aner-kennung des Nichtbestehens des vom Beklagten beanspruchtenRechtes, sowie die Unterlassung eines jeden Eingriffes indas Recht verlangt. (Vergl. Seiller, OesterreichischesUrheberrecht, Seite 174ff.).

Es mag dem Berufungswerber darin beigepflichtetwerden, dass auch dieses Klagebegehren, dem ein Eingriffbereits vorausgegangen ist, die Besorgnis einer Fort-setzung oder Wiederholung der Störung voraussetzt (vergl.Dernburg, Das bürgerliche Recht, 6. Band, Seite 217, Allfeld,Urheberrecht, zweite Auflage, Seite 291). Dies trifft aberhier zu, denn der Beklagte hat schon vor Erhebung derKlage und während des Rechtsstreites den Bestand von Ur-heberrechten des Klägers bestritten und die Befugnis zurVervielfältigung des Bildes daraus abgeleitet, dass die dar-gestellte Person dem Kläger die Zustimmung zur Ausübungder Urheberrechte nicht erteilt nabe. Nach diesem vom Beklag-ten eingenommenen Standpunkte läge für ihn kein ge-setzliches Hindernis vor, den Abdruck des Bildes zu wieder-

holen. Dass dies ausgeschlossen wäre, wie der Beklagte behauptet, ist nicht einzusehen. Bei einer neuerlichenkritischen Besprechung von Zeitungsnachrichten, die mitder Person des Dargestellten zusammenhängen oder auch ohneeinen solchen Zusammenhang könnte das Bild neuerliche ver-wendet werden. Das Berufungsgericht ist daher der Ansicht,dass die vom Beklagten erhobenen Bedenken gegen die Zu-lässigkeit dieser gemäss § 54 URG. eingebrachten Klagenicht begründet sind.

Der Kläger kann übrigens auch gemäss § 228 ZPO. auf Fest-stellung seines Urheberrechtes klagen, weil die Verneinungdes Urheberrechtes des Klägers durch den Beklagten vor undim Prozesse, sowie der bereits begangene Eingriff, dasVerlangen nach alsbaldiger Feststellung rechtfertigen.

Der Berufungswerber verneint ferner das Urheberrechtdes Klägers und damit auch dessen Berechtigung zur Klagedeshalb, weil er nicht die Zustimmung der dargestelltenPerson zur Ausübung des Urheberrechtes eingeholt hat.

Auch dieser Einwendung kommt Berechtigung nicht zu.

Nach § 13 Abs. 2, URG. ist bei Photographieporträtsdie Ausübung des Urheberrechtes in allen Fällen an die Zu-stimmung der dargestellten Person oder ihrer Erben gebunden.Es steht ausser Streit, dass der Kläger die Zustimmung desDargestellten nicht eingeholt hat. Der Kläger meint, dasBild, das eine Momentaufnahme einer Menschengruppe auf einemRennplatze, also auf einem öffentlichen Orte sei, gehöre über-haupt nicht zu den in § 13 URG. bezeichnten Photographiepor-träts. Zur Frage, ob bei Aufnahmen an öffentlichen Orten zu-fällig auf das Bild geratene Personen das Recht am eigenenBilde geltend machen können, muss nicht Stellung genommenwerden, weil nicht das damals aufgenommene Lichtbild wieder-gegeben worden ist, sondern ein, wie der Beklagte behauptet,vom Kläger selbst hergestellter Ausschnitt, der lediglich

eine einzelne Person sehen lässt. Nur dieser in derZeitschrift „Die Bühne“ abgedruckte Ausschnitt istvom Beklagten nachgedruckt worden. Derart aus ihrerUmgebung herausgenommene Bilder einer einzelnen Personsind als Photographieporträts im Sinne des § 13 URG. anzu-sehen, mag bei der Aufnahme auch nicht die Absicht be-standen haben, nur die dargestellte Person auf die Plattezu bringen, sondern an einem öffentlichen Orte eine Men-schenmenge aufzunehmen (vergl. auch Schmidl: Das öster-reichische Urheberrecht, Seite 126).

Das Berufungsgericht ist daher der Ansicht, dass derKläger gegen die Bestimmung des § 13 Abs. 2 URG. ( § 45,Z.3, URG.) verstossen hat, weil er sein Urheberrecht andiesem Bildausschnitte ohne Zustimmung der dargestelltenPerson ausgeübt hat (vergl. auch § 23 des deutschenGesetzes vom 9. Jänner 1907 über das Urheberrecht anWerken der bildenden Künste und der Photographie, DeutschesReichsgesetzblatt Nr.3).

Diese Uebertretung der Vorschrift des § 13 (2) URG. berührt jedoch nicht den Bestand des Urheberrechtes desKlägers, das ihm nach § 12 URG. zusteht, da es sich umeine gewerbsmässige hergestellte Photographie handeltund er Inhaber des Gewerbes ist. Als Urheber kann er seingeistiges Eigentum gegen Eingriffe schützen. Diese Massre-gel ist keine Ausübung des Urheberrechtes, die von derZustimmung der dargestellten Person abhängig wäre. Dennwas Inhalt des Urheberrechtes von Werken der Photographieist, besagt § 35 URG. Aus dem Gebrauche des Wortes „aus-schliesslich“ in dieser Gesetzesstelle folgt keineswegs,wie der Berufungswerber meint, das Recht zur Klage be-stehe nicht, weil der Kläger nur mit Zustimmung des Dar-gestellten das Urheberrecht ausüben dürfe. Das Urheber-recht besteht nach § 12 URG. unabhängig vom Recht am ei-

genen Bilde, das ein Persönlichkeitsrecht ist; dieserwird zwar durch das Urheberrechtsgesetz gewährt, ist aberselbst nicht ein Urheberrecht (vergl. Seiller, a.a.O. Seite 52). Wenn das Gesetz von „ausschliesslichenRechten spricht (so in den §§ 21, 23, 28, 32 und 35 URG.),so versteht es darunter Rechte an Werken der Literatur,Kunst und Photographie, die nur dem Urheber zustehen,im Gegensatze zu Rechten, die dem Urheber und anderen Per-sonen zustehen; so kann z.B. jedermann, und nicht nurder Urheber, ein Photographieporträt, das bereits einmalmit Zustimmung der dargestellten Person öffentlich ausge-stellt worden ist, auch ohne deren Zustimmung öffentlichausstellen.

Was ein Eingriff ist, besagt § 21 URG. Darnach be-geht einen Eingriff, wer unbefugt eine dem Urheber aus-schliesslich vorbehaltene Verfügung über das Werk trifft.Der Ausdruck „eine … ausschliesslich vorbehalteneVerfügung“ ist dahin zu verstehen, dass die Verfügungnicht auch jemandem anderen als dem Urheber zustehendarf, wie z.B. das öffentliche Ausstellen eines bereitsöffentlich ausgestellten Werkes. Dieser Ausdruck im § 21URG. bezieht sich aber nicht auf das Persönlichkeitsrechtdes § 13 URG. Wenn also auch der Urheber eines Photographie-porträts sein Urheberrecht ohne Zustimmung des Darge-stellten nicht ausüben darf, so ist doch er der einzige,der unbefugten Eingriffen in sein Recht begegnen kann.

Es steht daher dem Kläger als Urheber die Klage zu,obwohl er die Zustimmung der dargestellten Person zurAusübung der Urheberrechte nicht eingeholt hat.

Der Eingriffstatbestand ist einwandfrei festgestellt,Soweit hat der Kläger seiner Behauptungs- und Beweispflichtgenügt. Der Beklagte hat eingewendet, dass ihm das inAnspruch genommene Recht, das Bild in der von ihm heraus-gegebenen Zeitschrift „Die Fackel“ abzudrucken zusteht.

Hiefür obliegt ihm der Beweis.

Er hat sich zunächst auf die Bestimmung des § 25 Z.2URG. berufen. Diese Gesetzesstelle besagt, dass die Aufnahmeeinzelner erschienener Werke in einem durch den Zweck ge-rechtfertigten Umfang in ein grösseres Ganzes als Nachdrucknicht anzusehen ist, wenn sich dieses nach seinem Hauptin-halte als ein selbständiges wissenschaftliches Werk dar-stellt.

Diese Gesetzesstelle befindet sich im Abschnitt überden Inhalt des Urheberrechtes bei Werken der Literatur undist im § 36 URG., der die sinngemässe Anwendung von Bestim-mungen des Urheberrechtsgesetzes bei Werken der Photographievorschreibt, nicht bezogen. Da der Kläger Schutz für einWerk der Photographie sucht, kann sich der Beklagte nichtmit einer auf § 25 Z. 2 URG. gestützten Berechtigung ver-teidigen.

Dass ein Eingriff in das Urheberrecht deshalb nicht vor-liege, weil, wie der Berufungswerber ferner meint, einneues Werk unter freier Benützung eines Werkes der Photographie(§§ 36 und 34 Z. 1 URG.) geschaffen worden sei, ist nichtrichtig.

Das Berufungsgericht stimmt der Ansicht Magers (indem von Altmann und Jakob herausgegebenen Kommentar desStrafgesetzes, Seite 1432) zu, dass bei der Schaffung einesneuen Werkes unter freier Benützung eines Werkes der bildendenKünste sowohl äussere als innere Form geändert und nur dieIdee zu neuer Gestaltung benützt wird. Es darf das zurDarstellung gebrachte Bild, wie Schmidl (a.a.O., Seite 226)ausführt, nicht blosse Wiedergabe des fremden Bildes sein.Das in der Zeitschrift „Die Fackel“ abgedruckte Bild istaber eine getreue, nur verkleinerte Wiedergabe des Bildesin der Zeitschrift „Die Bühne“.

Wohl aber ist dem Berufungswerber, entgegen der Ansicht

des Erstrichters, darin beizustimmen, dass nach den §§ 36 und 34 Z. 4 URG. von einem Eingriff nicht die Rede seinkann. Diese Gesetzesstellen haben zur Voraussetzung, dasseine Vervielfältigung (Nachbildung) eines erschienenenWerkes der bildenden Künste (Photographie) bloss zurErläuterung des Textes in ein Schriftwerk, wenn dieses alsdie Hauptsache erscheint, aufgenommen wird.

Der Artikel „Rothschild muss sich einschränkenenthält Zitate aus Zeitungen, aber nicht einfach aneinander-gereiht, sondern von einem einheitlichen Gesichtspunkte ausgruppiert und in Ausführungen eingefügt, die der Meinungdes Verfassers des Artikels Ausdruck geben, dass in diesenZeitungsberichten die Bedeutung Rothschilds für Wien,mag er bei seiner bisherigen Lebensführung bleiben odersie ändern, unsachlich, unrichtig und mit einem gewissenWiderspruch mit der sonstigen Einstellung dieser Zeitungenbehandelt werde. In dem grössten Zitate, in welchem einzelneEinschränkungen Rothschilds und ihre Folgen für Wien be-zeichnet werden, ist zwischen den Worten „… wenn seinRennstall nicht mehr die Hauptattraktion des Wiener Galopp-sportes ist“, und den folgenden Worten: „wenn man imTheater und bei anderen festlichen Anlässen den BaronRothschild nicht mehr sehen wird, …“ das Bild einge-schaltet, das das Porträt eines Mannes zeigt, dessen Ge-sichtszüge wie infolge einer unangenehmen Ueberraschung ver-zerrt sind. Unter dem Bilde stehen die Worte: „Rothschilds ‚Dagger‘ – nur Zweiter!

Es ist somit das Bild, das sich selbst als einZitat darstellt, organisch in den Artikel eingefügt. Dar-nach erscheinen die Voraussetzungen des § 34 Z. 4 URG. erfüllt.Das Bild ist erschienen. Es ist in ein Schriftwerk aufge-nommen, das als die Hauptsache erscheint. Es macht denText, nämlich die Ausführungen über die vom Verfasser des

Artikels getadelte Haltung der Presse besonders eindringlichklar. Es wird dem Leser durch das Bild der im Artikel be-handelte Gedanke, mit welchen Nichtigkeiten sich nach derMeinung des Verfassers des Artikels die Presse in dieserZeit befasst, besonders anschaulich gemacht und dadurcherläutert. Bedeutungslos ist es, dass auch das Bild durchden Text verdeutlicht wird (vergl. Seiller, a.a.O., Seite 121).Die äussere Aufmachung und der Inhalt des Artikels gebenkeinen Anlass zur Annahme, dass der Hauptzweck gewesen wäre,das Bild zu bringen, und der Text nur das Mäntelchen wäre,mit dem dieser Hauptzweck verhüllt werden sollte. (Vergl.Mager, a.a.O., Seite 1434).

Es war demnach der Berufung des Beklagten Folge zugeben und das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung desKlagebegehrens abzuändern.

Der Ausspruch über die Prozesskosten erster Instanzgründet sich auf § 41 ZPO., jener über die Kosten desBerufungsverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO., der Ausspruch überdie Bewertung des Streitgegenstandes zum Zwecke derKostenbestimmung auf § 16 Abs. 2 RAT. und jener über den1500 S übersteigenden Wert auf § 500 (2) ZPO.

Oberlandesgericht Wien, Abt.2,am 2. März 1932.

Chmilevsky

KrausRübelt31. MRZ. 1932