187.19 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
PRAG II.
Datum: 15.I.1934
Betreff: Karl Kraus – AUFRUF

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek
Reindorfgasse
Wien
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ueber den Stand dieser Angelegen-heit wäre folgendes zu berichten:

Wie Sie wissen, habe ich den Inhaltdes Briefes vom 5. Dezember 1933, in welchem der ver-antwortliche Redakteur und Herausgeber des AUFRUF, derAdvokat Dr. Bill, eigentlich recht flehentlich um Gnadegebeten hat, mit Herrn Kraus besprochen und wir sinddahin übereingekommen, dass es nicht zweckmässig wäre,den Brief schriftlich zu beantworten. In diesem Falle wärenämlich erforderlich gewesen, zu den recht dürftigen Aus-führungen des Herrn Dr. Bill Stellung zu nehmen, was,wenn dies im Namen des Herrn Kraus geschehen wäre, eineZergliederung der Ausführungen des Gegners erforderthätte. Dies wollten wir vermeiden. Deswegen habe ichüber Weisung des Herrn Kraus auf Grund der bei der Unter-redung mit diesem gemachten Notizen Dr. Bill in tele-fonischer Rücksprache auf die logisch mangelhafte Be-gründung seiner Entschuldigungen aufmerksam gemacht undzum Schluss der Unterredung bemerkt, Herr Kraus verlangedie Veröffentlichung der bereits vorher geforderten Be-richtigung und im Nachhange dazu einer Erklärung, dass das

Gedicht ohne Genehmigung des Autors veröffentlicht wordensei. Dr. Bill bedankte sich und erklärte, er werde inder nächsten Nummer des Aufruf sowohl die Berichtigung,als auch die verlangte Erklärung veröffentlichen. Ent-gegen diesem Versprechen erschien in Nr. 6–7 der Ihnenbekannte kleine Artikel „Karl Kraus’ Abschied?“. Derin Ihrem Schreiben vom 5. l.M. erteilten Weisung entspre-chend, habe ich an Dr. Bill am 8. l.M. die Aufforderung gerichtet, die von Ihnen konzipierte Erklärung zu ver-öffentlichen. Darauf erhielt ich den in Abschrift beige-schlossenen Brief vom 9. l.M., dessen Inhalt mich begreif-licherweise sehr empört hat, zumal Dr. Bill in unwahrerWeise die mit ihm gepflogene telefonische Rücksprachedarstellt und behauptet, die Erklärung nach meinem eigenen,von ihm bei der Rücksprache notierten Ausspruche verfasstzu haben.

Da es sich um eine mich persönlich betreffendeBehauptung gehandelt hat, habe ich ihm, bevor ich nochHerrn Kraus über das Schreiben vom 9. l.M. informiert habe,laut Abschrift am 10. l.M. geantwortet. Darauf erhielt ichden gleichfalls in Abschrift beigelegten Brief vom 12. l.M.,der allerdings noch über die in den früheren Briefen undArtikeln gebesserten Frechheiten hinausgeht.

Ich bitte Herrn Kraus über die gewechselten Briefezu informieren und ihm die juristische Situation klarzustel-len: Herrn Kraus steht nach § 21 des Urheberrechtsgesetzes das ausschliessliche Recht zu, das Werk zu veröffentlichen.Nach § 44 begeht einen Eingriff in das Urheberrecht, wer,ohne dazu berechtigt zu sein, über ein Werk in einer Weise

verfügt, die das Gesetz dem Urheber vorbehält. Für diesenEingriff ist der Verletzer des Urheberrechtes sowohl nachden Bestimmungen des Bürgerlichen- und Strafrechtes, sowienach den besonderen Vorschriften des Urheberrechtsgesetzesverantwortlich. Da in diesem Falle das Urheberrecht durchwissentlichen Eingriff verletzt worden ist, handelt es sichgemäss § 45 um ein Vergehen. Nach § 50 werden die in den§en 45 und 47 angeführten strafbaren Handlungen nur aufPrivatklage verfolgt. Die Verfolgung ist ausgeschlossen,wenn der Berechtigte der Handlung zugestimmt oder sie ver-ziehen, oder den Antrag auf Verfolgung nicht binnen 2 Monatenvon dem Tage, an dem er von der strafbaren Handlung und derPerson des Täters Kenntnis erlangte, gestellt hat.

Objektiv verjähren die nach dem Urheberrechtsgesetze straf-baren Vergehen nach Ablauf von 2 Jahren und die Uebertretun-gen mit Ablauf von 6 Monaten von der Beendigung der straf-baren Tätigkeit.

Wenn man also gegen Dr. Bill mit der Pri-vatklage vorgehen wollte, wird er sich sicher damit ver-teidigen, Herr Kraus habe ihm den Eingriff in sein Urheber-recht verziehen. Dies kann dadurch damit widerlegt werden, dassHerr Kraus zwar bereit war, dies zu tun, jedoch für die Ver-zeihung gewisse vom Täter nicht erfüllte Bedingungen ge-stellt hat. Dass diese Bedingungen nicht erfüllt wordensind, kann durch meine Zeugenaussage bewiesen werden.

Herr Dr. Bill wird als Ehrenmann auch dieVerjährung einwenden, zumal das Urheberrecht bereits durch

das Erscheinen des Artikels, also am 1. November 1933, ver-letzt worden ist. Die zweimonatliche Frist wird von demTage, an dem der Berechtigte von der strafbaren Handlungund der Person des Täters Kenntnis erlangte, berechnet.Ich habe mich in dieser Angelegenheit an den Gegner zumerstenmal am 24.XI.1933 gewendet und er weiss nicht, wannHerr Kraus von der strafbaren Handlung Kenntnis erlangt hat.Wollte man jetzt noch gegen Dr. Bill auf Grund des § 45Urheberrechtsgesetz vorgehen, so müsste man behaupten, HerrKraus habe nicht früher, als 2 Monate vor dem Tage der Ueber-reichung der Privatklage von dem Berichte und dem Täter Kenntnis erlangt.

Wiewohl ich Herrn Dr. Bill nicht für sogesetzeskundig halte, dass er die Fristen des Urheberrechteskennt, kann ich es doch nicht ausschliessen, dass er, ebenum die Ueberschreitung der Frist zu erzielen, sich zur Ver-öffentlichung der Erklärung bereiterklärt hat.

Ich weiss nun nicht, ob Herr Kraus wünscht,dass man behaupte, er hätte von dem Delikte und dem Täter ineinem Zeitpunkte Kenntnis erlangt, von welchem bis zur Ueber-reichung der Klage nicht mehr als 60 Tage verstrichen sind.Wenn er das nicht wünscht, dann kann man heute die Klage nichtmehr überreichen und müsste die Angelegenheit gegen den Aufruf vorläufig damit beenden, dass man Dr. Bill in entsprechenderWeise mitteilt, dass durch die Gewährung der von ihm instän-dig erbetenen Nachsicht und durch den Umstand, dass mit derErfüllung der ihm auferlegten Bedingungen zu Unrecht gerech-net wurde, bedauerlicherweise die Frist zur Erhebung derPrivatklage nach § 45 Urheberrechtsgesetz verstrichen ist.

Dadurch sei er der Strafe entgangen, welche ihn nach denBestimmungen des Gesetzes sonst sicher getroffen hätte.

Indem ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor,bitte, diese Mitteilungen zur Kenntnis zu nehmen und sie HerrnKraus zur Kenntnis zu bringen, ersuche ich um die weiterenWeisungen in dieser Angelegenheit, wobei ich bitte, auf dieoben erwähnte Frist für den Fall, dass die Klage überreichtwerden soll, Bedacht zu nehmen.

In vorzüglicher Hochachtung ergebener:Dr. Turnovsky

KrausAufruf16. JAN. 1934