193.122 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 13.V.1936
Betreff: Kraus – Varia

Empfänger

An: P.T. | Herrn JUDr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich erhielt Ihre beiden gesch. Zuschriftenvom 8. Mai betreffend KrausArbeiterzeitung, KrausSozialdemokrat und nachher ein in Wien am 12.V. aufgegebenes nicht unterfertig-tes Telegramm des Inhaltes „abwartet“. Ich habe also vor Ein-langen der für heute erwarteten weiteren Nachricht, nichts unter-nommen.

Zu Ihrer Anfrage über die an das Prager Tag-blatt abzusendende Zuschrift mit der von diesem Blatte zu ver-öffentlichenden Erklärung gestatte ich mir zu bemerken:Wir haben in Prag zwei Pressesenate. Die Agenda dieser Senateist weder nach dem Anfangsbuchstaben des Angeklagten, noch nachden Rayons abgegrenzt, sondern die einzelnen Fälle werden denSenaten nach dem Einlangen bei Gericht zugewiesen. Ob hiebeinicht Abweichungen vorkommen, vermag ich nicht zu sagen, sodassich nicht voraussagen kann, ob eine evtl. Ehrenbeleidigungsklagegegen das Prager Tagblatt nicht wieder vor dem gewissen Senatezur Verhandlung gelangen wird. Dass dieser Senat durch einenAblehnungsantrag auszuschalten wäre, halte ich nicht für möglich.Es ist wohl auch kaum anzunehmen, dass ein erfolgloser Ablehnungs-antrag den Richter zu einer grösseren Objektivität veranlassen

könnte, im Gegenteil, man müsste darauf gefasst sein, dass er,von uns einmal mit Erfolg oder ohne Erfolg abgelehnt, in Angele-genheiten des Herrn K. bestrebt sein wird, wo es nur geht, Schwie-rigkeiten zu bereiten. Ich fürchte mich nicht vor den Richternund würde mich in jedem anderen Falle trauen, Ungerechtigkeitenoder Unkorrektheiten entsprechend zu begegnen. Allein in Sachendes Herrn K., und noch dazu in Presseangelegenheiten, an denen einöffentliches Interesse vorliegt und die auch jedesmal der Oeffent-lichkeit zur Kenntnis gebracht werden, wäre ein durch den Ableh-nungsantrag herbeigeführtes weiteres Handicap nicht sehr wün-schenswert.

Die Ehrenbeleidigungsklage gegen das PRAGER TAG-BLATT scheint mir an sich schwächer, als die gegen Dr. Schwelb und Dr. Strauss wegen des Prozessberichtes. Ich habe Herrn K. undwenn ich nicht irre, auch in einem an Sie gerichteten Briefemitgeteilt, dass man Dr. Schwelb ruhig klagen und von ihm behaup-ten kann, er sei der Autor des Prozessberichtes und, dass selbstfür den Fall, dass man dies nicht beweisen könnte, das Kosten-risiko nicht allzu gross sein könnte. Nach meiner Ansicht müss-ten die Redakteure Zeugenschaft ablegen, da sie nicht zu denPersonen gehören, die nach § 151 St.P.O. nicht einvernommen werdendürfen, noch zu denen, die nach § 152 von der Verbindlichkeitzur Ablegung eines Zeugnisses befreit sind, schliesslich auchnicht zu solchen, die nach § 153 die Aussage verweigern dürfen.Ich glaube, dass man Dr. Schwelb ruhig als Autor angeben kann,weil als Autor nach § 1 der Pressgesetznovelle aus dem Jahre1924 in der Fassung des Gesetzes vom 28.VI.1933 auch der anzu-sehen ist, der die Informationen zu der Veröffentlichung des

Artikels gegeben hat, insofern dieser mit der Information über-einstimmt. Autor ist also nicht nur der tatsächliche Verfasser,der Besteller der Nachricht und derjenige, der die Veröffentli-chung angeordnet hat, sondern auch derjenige, auf Grund dessenInformation die Nachricht veröffentlicht wurde. Man kann es alsowohl riskieren, Dr. Schwelb als Autor zu klagen. Ich habe es bis-her unterlassen, Ihnen den Entwurf der Klage gegen Dr. Schwelb und Dr. Strauss zu übersenden, weil ich Ihre Nachrichten und dieWeisungen des Herrn K. vorerst abwarten wollte.

Es ist mir ganz gleich, wer von uns den Brief und die Erklärung an das Prager Tagblatt absendet, ich habe keineBedenken dies zu tun und überlasse es ganz Ihnen, zu entscheiden,wer den Brief einsenden soll.

Ich habe auch Ihren Brief in AngelegenheitArbeiterzeitung erhalten und Erkundigungen nach Dr. Liska eingeholt.Bisher konnte ich über ihn nur erfahren, dass er seine ärztlichePraxis ausübt, verheiratet ist und Kinder hat, es war mir jedochnoch nicht möglich, in Erfahrung zu bringen, ob er in politischerHinsicht irgendwie belastet ist. Ein guter Bekannter von mir, derin höherer Position beim Innen-Ministerium arbeitet und den ichersucht habe, privat beim Aussenministerium anzufragen, warum Dr. L. seine Stellung als Konsul aufgegeben hat, teilte mir mit, dass dasAussenministerium solche Auskünfte nur schriftlich erteilt unddass das Ansuchen um die Auskunft auch den Nachweis des vorliegen-den dienstlichen Interesses an ihr enthalten muss. Ich muss mirdaher die Auskunft anderweitig verschaffen, was immerhin einige

Tage dauern wird, hoffe Ihnen aber dann näheres mitteilen zukönnen.

In der Angelegenheit der Nichtigkeitsbeschwerde/ Sozialdemokrat / habe ich bei dem Herrn K. gegenüber erwähntenMinisterialrat des Justizministeriums interveniert, welcher eingrosses Interesse an dem Falle bekundete und mir riet, über dieAngelegenheit dem Justizministerium offiziell schriftlich zuberichten. Er könne zwar in das Verfahren nicht eingreifen unddie Entscheidung des Obersten Gerichtes selbst nicht beeinflus-sen, könne jedoch den Fall der Generalprokuratur mit der Em-pfehlung vorlegen, die Voraussetzungen für die Erhebung einerNichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sorgfältig zuprüfen. Dies werde er gerne veranlassen.

In dieser Angelegenheit rief mich heute Herr Dr.Gallia an und machte mir die interessante Mitteilung, dass seinKonzipient gestern anlässlich einer Unterredung mit einem Funk-tionär der Generalprokuratur in Erfahrung gebracht hat, dass geradejetzt über eine Nichtigkeitsbeschwerde in einem analogen Fallebeim Obersten Gerichte verhandelt werde. Die Nichtigkeitsbeschwer-de wurde gegen eine gleiche Entscheidung von der Kanzlei des ehe-maligen Justizministers überreicht und es wird, wie Dr. Gallia mitteilte, über den Fall sehr eingehend beraten, die Generalpro-kuratur steht auf unserem Standpunkte, der Gerichtshof selbstscheint eher dem Standpunkte des Erstgerichtes zuzustimmen.

Deswegen wäre es sehr wichtig, wenn unsere Nichtigkeitsbeschwerdenoch vor der Entscheidung über den eben erwähnten Fall beim OberstenGerichte einlangen könnte. Ich habe daher beim Strafgericht gleichinterveniert, um dies zu veranlassen. Leider läuft die Frist zur

Ueberreichung der Gegenausführungen durch Dr. Schwelb bis zum15. d.M. Bisher sind diese Gegenausführungen nicht überreichtworden und da man annehmen muss, dass Dr. Tisek die Schriftsätzestudieren wird, bevor er die Akten dem Obersten Gerichte vorlegt,muss man wohl mit einer Verzögerung von einer Woche rechnen, trotz-dem mir von der Leiterin der Kanzleiabteilung zugesagt wurde, dasssie, sobald sie das Referat des Dr. Tisek hat, die Akten sofort nachBrünn schicken wird.

Diese Beamtin hat mir auch verraten, dassDr. Tisek neuerlich eine gleiche Entscheidung herausgegeben hat.Ich habe mir den Kollegen, der den Fall vertreten hat, angerufenund festgestellt, dass es sich um einen politischen Advokatenhandelt, der nationalsozialistische Gewerkschaften und Blättervertritt. Er ist über die Entscheidung sehr empört, bezeichnet sieals eine trottelhafte Auslegung des § 18 und erklärte, grosses In-teresse daran zu haben, dass unsere Angelegenheit günstig aus-fällt und die von Dr. Tisek gehandhabte Praxis nicht durch einoberstgerichtliches Judikat petrifiziert wird. Er liess sich dieGeschäftszahl unseres Falles nennen und machte sich erbötig, zuGunsten dieser Angelegenheit von ausserordentlich einflussreicherSeite beim Obersten Gericht intervenieren zu lassen.

Sie sehen also, sehr geehrter Herr Doktor, dass wir einige Eisenim Feuer haben und ich hoffe, dass es gelingen wird, die Entschei-dung des Prager Gerichtes zu kassieren.

Für die Intervention bei der Generalproku-ratur des Herrn Dr. Gallia wäre es mir sehr erwünscht, den WienerArtikel möglichst bald in Händen zu haben. Herr Dr. Heitler teiltemir heute mit, er habe den Artikel bereits zur Veröffentlichung

übergeben.

Zum Schlusse möchte ich noch mitteilen, dass dieBerufungsverhandlung in Angelegenheit Melantrich für den 27. d.M.angeordnet ist. Das Referat hat der schwächere der beiden Rich-ter des Berufungsenates, mit dem ich bisher keine sehr guten Er-fahrungen gemacht habe. Ich werde mit ihm sprechen und verlassemich überdies auf seine mir bekannte Bequemlichkeit, die es voraus-sichtlich nicht dazu kommen lassen wird, das erstinstanzliche Ur-teil abzuändern oder aufzuheben. Dazu wäre ein sehr eingehendesStudium der Korrespondenz und der Akten notwendig, dem sich derReferent wohl kaum wird unterziehen wollen. Uebrigens glaube ich,annehmen zu dürfen, dass er der Gegenpartei politisch nicht sehrgut gesinnt ist.

Ich sehe Ihren Mitteilungen betreffend die Ein-sendung des Briefes samt Erklärung an das Prager Tagblatt, desneuen Berichtigungsschreibens an den Sozialdemokrat und bezüglichder Veröffentlichung des Artikels, sowie der im heutigen Telegramme avisierten Nachricht gerne entgegen, bitte Sie, Herrn K. meine bestenGrüsse zu bestellen und bin mit herzlichen Grüssen an Sie und

in vorzüglichster Hochachtung Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

P.S.

Ich habe soeben mit dem Gesellschafter des ebenerwähnten ehemaligenJustizministers gesprochen, der mir über seinen Fall berichtete.Er ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Dr. Tisek weniger des-halb unhaltbar ist, weil es sich nicht um gegenseitige Klagen undBeleidigungen gehandelt hat, sondern, wie auch in seinem Falle, ausdem Grunde, weil der Vorbehalt des § 18 für Fälle, die bereits ver-folgt werden, nicht notwendig sein kann. Es ist wohl anzunehmen,dass diese Kanzlei genügend Ansehen und Einfluss hat, um dieserAnsicht auch beim Obersten Gericht Geltung zu verschaffen, was auchunseren Fall günstig beeinflussen müsste.

Kraus – diverses14. MAI 1936