193.130 Brief Samek an Prager Tagblatt (verantw. Red. Harry Klepetar)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Frieda Wacha, Bleistift

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 23. Mai 1936

Empfänger

An: den verantwortlichen Redakteur des | „Prager Tagblatt“ | Herrn Dr. Harry Klepetař
Panská 12
Prag II.
Seite von 4

Briefpapier Dr. Samek

Sehr geehrter Herr!

Der Zeitersparnis wegen wende ich mich an Stelle desHerrn Dr. Johann Turnovsky in Prag als der ständige Wiener Anwaltdes Herrn Karl Kraus, Herausgebers der ‚Fackel‘, an Sie, um Sieüber die Irrtümer in Ihrer Veröffentlichung vom 17. Mai aufzu-klären. Gewiß waren Sie „durch keine preßgesetzliche Norm gezwun-gen“, die Ihnen eingesandte Erklärung zu drucken, da es sich jaum keine Berichtigung nach § 11 gehandelt hat und handeln konnte.Nicht einmal eine strafgesetzliche Norm, nämlich die des Para-graphen gegen Ehrenbeleidigung, hat Sie zur Veröffentlichung ge-zwungen, wenn Sie eine Klage gemäß diesem Gesetz riskieren woll-ten. Da Sie nicht gezwungen waren, so waren Sie auch zunächst be-rechtigt, eine Stelle auszulassen, wenngleich Sie zur Orientie-rung des Lesers nach dem Bekenntnis dieser Auslassung vielleichtdurch Punkte oder Striche, die dem Fragment voranzusetzen waren,dem „Anschein“ hätten begegnen sollen, als ob innerhalb des Ge-druckten etwas gestrichen wäre. Durch keine preßgesetzliche Normwaren Sie aber vor allem gezwungen, die Berichtigung des HerrnDr. Schwelb zu drucken, welche geradezu das Schulbeispiel der Ge-setzwidrigkeit vorstellt. Richtig ist, daß Sie sie drucken wollten und ohne besondere juridische Erwägung gedruckt haben, um HerrnDr. Schwelb, wie schon mit dem Bericht, den er durch das Tsche-choslowakische Preßbüro versenden ließ, noch einmal und umso mehrGelegenheit zu geben, die Version, sein Klient sei nach einemWahrheitsbeweis und nicht wegen einer Formalität, die er zuhilfe-nahm, freigesprochen worden, in Umlauf zu bringen. Ja, Herr KarlKraus vermutet, daß Sie seine Berichtigung, die zwar die Wahr-heit sagte, aber eine, die sich nicht dem § 11 anpassen ließ,nach ursprünglicher Ablehnung gebracht haben, weil Herr Dr. Schwelb diese Gelegenheit zu jenem Zweck besonders geeignet fand. Daß Siedie Gegenberichtigung nicht mit dem Zusatz versahen, Sie seiendurch keine preßgesetzliche Norm zur Veröffentlichung gezwungen,mit einem Zusatz, den Sie doch zweimal dem Abdruck wahren Sach-verhalts nicht erspart haben, war vielleicht ein Regiefehler. Die

Auslassung der einleitenden Sätze der Ihnen zuletzt gesandten Er-klärung beweist vollends, daß nicht Respekt vor einer angeblichenNorm, sondern die Bereitwilligkeit, dem Plan des ‚Sozialdemokratund seines Vertreters beizustehen, den Beweggrund Ihres Druckenswie Nachdruckens gebildet hat. Das gehört freilich in das GebietIhrer redaktionellen Erwägungen wie gewiß auch der Umstand, daßSie von keinem der vielen erfolgreichen Prozesse, die mein Klient in Prag geführt hat, Notiz genommen haben, etwa von der Verurtei-lung des Herrn Dr. Schwelb selbst wegen einer unqualifizierbarenBeschimpfung meines Klienten zu drei Tagen Arrests mit einem Fast-tag, wenngleich bedingt, so doch interessant. Aber daß Sie so be-reitwillig unrichtige Notiz nahmen von einem für meinen Klienten schlechten Ausgang und sich mit allen Mitteln wehren, dessen Ur-sache klarzustellen, steht doch in starkem Widerspruch zu derHochachtung, die Sie ihm noch zu einer Zeit entgegenbrachten, daSie längst wußten, daß sie nicht auf Gegenseitigkeit beruhe. Nun-mehr machen Sie sich nichts daraus den sensationelleren Teil der„Erklärung“ auf sich zu nehmen, wiewohl darin, juristisch be-trachtet, „Beleidigungen dritter Personen“ enthalten sind, wieReinhardts, Hitlers, Schobers, Bekessys und vor allem der Führerder österreichischen Sozialdemokratie. Aber zur Veröffentlichungjener Stellen, die dritten Personen den Anlaß zu einer Ehrenbe-leidigungsklage gegen das ‚Prager Tagblatt‘ geben könnten“, füh-len Sie sich weder gezwungen noch geneigt. Es kommt nur eine ein-zige Stelle in Betracht und eine einzige dritte Person, welcherdie Stelle wohl unerwünscht wäre, aber nie den Anlaß zu einerEhrenbeleidigungsklage gegen Sie bieten könnte: Herr Dr. Schwelb.Ich garantiere Ihnen mit meiner strafrechtlichen Erfahrung, daßSie nicht den geringsten Grund haben, eine Verfolgung von dieserSeite wegen Abdrucks jener Stelle zu befürchten. Denn „der durchdie Berichtigung des Herrn Dr. Schwelb bewirkte An-schein“ ist objektiv keine Beleidigung, und wenn er selbst stär-ker bezeichnet und auf seine Absicht zurückgeführt wäre, mit demganzen aktenmäßigen Sachverhalt, mit dem wir Ihnen erforderlichen-falls als Zeugen zur Verfügung stünden, nachweisbar. Der ‚Sozial-demokrat‘ hat zwar dem groß angekündigten Wahrheitsbeweis, den erführen wollte, den übel angewandten § 18 vorgezogen, aber daß er,über die Berichte und Berichtigungen, die er Ihnen zumutet, hinausnoch Lust hätte, mit solcher Ausflucht in einer hoffnungslosenGerichtsverhandlung zu renommieren, ist unvorstellbar. Ich zweifle

nicht, daß Sie das genau so gut wissen wie wir, aber Sie geben demAnschein“ Raum, als ob Sie eine Klage des Herrn Dr. Schwelb mehrfürchten müßten als eine des Herrn Karl Kraus. Stünden Sie wirk-lich vor dieser Wahl, so gebe ich Ihnen als Jurist zu bedenken,daß die Stelle, die Sie ausgelassen haben, von keiner Instanz alsBeleidigung erkannt würde, weit eher schon die Auslassung, nämlichals die Tatsache, daß Sie sich – und dies allein war ein Grund,die durchaus ungesetzliche Berichtigung abzulehnen – die Versionzu eigen gemacht und verbreitet haben, als ob irgendeine Spur vonBeweis zum Freispruch des ‚Sozialdemokrat‘ auch nur das Geringstebeigetragen hätte. Herr Karl Kraus mag erklären und Sie erklärenlassen, wie er zur Prozeßmaterie steht – daß im „Materiellen“ gegenihn entschieden wurde, soll nicht mehr aus der Vorstellung IhrerLeser entfernt werden. Hätte nach Bericht und Berichtigung nochein Zweifel bestanden, ob die Vorbringung solcher Unwahrhaftigkeiteine Beleidigung wäre, so kann er nach Ihrer Auslassung nichtmehr bestehen; denn wenn der „Anschein“ Herrn Dr. Schwelb belei-digt, so beleidigt dessen Inhalt Herrn Kraus umsomehr, und durchdie Streichung der Wahrheit tun Sie zum dritten Mal dar, daß Sieder Tendenz der Vernebelung zu Hilfe kommen. Ich aber stelle zumletzten Mal die Sache vor Ihr publizistisches Gewissen und forde-re Sie auf, die Anerkennung der Wahrheit, die sich gegenüber derTechnik des Tonfalls wirklich durch keine preßgesetzliche Normerzwingen ließe, aus freiem Willen vorzunehmen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

rek.

Karl Kraus und das österreichische Regime

Zu der in der Nr. vom 17. Mai unter diesem Titel veröffent-lichten Erklärung teilen wir ergänzend mit:

Wir haben in der Nummer 105 vom 5. Mai 1936 eine„Presseberichtigung“ des Herrn Dr. Schwelb als rechtsfreund-lichen Vertreters des verantwortlichen Redakteurs desSozialdemokrat‘, Dr. Emil Strauss, veröffentlicht. DiesePresseberichtigung“ richtet sich gegen die unter dem TitelProzess Karl Kraus – ‚Sozialdemokrat“ im ‚Prager Tagblatt‘vom 1. Mai 1936, Nr. 103, veröffentlichte Nachricht. Wir ha-ben uns überzeugt, daß die Behauptung des Herrn Karl Kraus wahr ist, der verantwortliche Redakteur des ‚Sozialdemokrat sei aus einem formalen Grunde freigesprochen worden, und daßder „Grund des materiellen Strafrechtes“, auf den sich HerrDr. Schwelb beruft (§ 18 des Ehrenschutzgesetzes), eben dieUnterlassung der Formalität bedeutet, sich bei der Annahmeeiner Ehrenerklärung in einem anderen Prozeß die Verfolgungfür das schwebende Verfahren vorzubehalten. Wir haben unsüberzeugt, daß der durch die Berichtigung des Herrn Dr. Schwelb bewirkte Anschein, als ob der Wahrheitsbeweis, der allerdingsangetreten“ wurde, auch tatsächlich erbracht worden wäre undals ob dies zu dem Freispruch irgend etwas beigetragen hätte,dem Sachverhalt widerspricht.

rek.